, schicke Villen in großen Abständen. Ein paar private Weinberge, die Reihen der Rebenstümpfe, die gerade austreiben. Der Frühling in Alaska so viel weiter weg.
Er ist ein Paradies, dieser Ort. Das wird ihm jetzt klar. Eichen und Schatten, schmale, sich windende Straßen, alle neu asphaltiert von den Reichen, und so viel freier, offener Raum. Nicht Wildnis, kein Ort zum Jagen, aber er bittet Gary anzuhalten, als man keine Häuser mehr sieht, und sie steigen aus.
Ein Holzzaun nur zur Dekoration, nur eine schwere Strebe unten und eine oben, ganz einfach, dazwischen durchzusteigen. Eine umgestürzte Eiche, feucht und von weißen Flechten bedeckt oder von etwas anderem? Wachsen Flechten nur auf Steinen? So zart wie Spitzensaum um die tote Rinde. Aber ist Rinde immer tot, auch an einem lebenden Baum? Was ist das Lebendige an Bäumen? Wie kommt es, dass er mit fast vierzig so wenig weiß? Sein Geburtstag ist in drei Monaten, falls er bis dahin durchhält, aber er weiß, dass er das nicht schafft. Er wird mit neununddreißig sterben, die krummere Zahl. Sie werden sagen, dass er vierzig war, der Einfachheit halber, oder »fast vierzig«. Gary wird auf der Beerdigung sprechen. Er ist der Testamentsvollstrecker, also wird er alles übernehmen, einschließlich des Kampfes mit der Steuerbehörde, um die wenigen Vermögenswerte vor ihr zu sichern. Das wird nicht einfach werden. Jim hinterlässt seinem Bruder eine schreckliche Aufgabe.
David hat die ganze Zeit über geredet, aber Jim hat kein einziges Wort verstanden. Er weiß nur, dass gesprochen wird und dass es egal ist. Und dass es ihn mehr interessieren sollte, aber es geht nicht. Er guckt sich das dunkelrote Fleisch des Baumes an der Stelle an, wo die Termiten es aufgebrochen haben. Wirklich wie Fleisch. Warum müssen auch Bäume eine Haut haben, über ihrem Saft und rohen Fleisch? Warum braucht es diese Ähnlichkeit? Warum hat der Himmel nicht auch eine Haut? Die Erde hat eine, so veränderlich wie menschliche Haut, immer im Wandel, nur langsamer. Er würde gern mehr verstehen, bevor er geht, etwas Grundsätzliches.
Gary hat ihm jetzt die Hand auf die Schulter gelegt, er muss also aufhören, alle um sich herum zu ignorieren. »Alles okay bei dir, Kumpel?«, fragt Gary.
»Ja«, sagt Jim. »Ich schau mir nur gerade an, wie schön das ist, und habe mich gefragt, warum er eine Haut braucht genau wie wir. Und warum hat der Himmel keine Haut?«
David sieht ihn aufmerksam an. Steht da in seiner Regenkleidung wie ein kleiner Mann, in der Hand das Luftgewehr. »Der Himmel hat auch eine Haut, wenn man ihn verkehrt herum betrachtet«, sagt David. »Die Atmosphäre ist die Haut, mit mehreren Schichten, und das All ist dann das Fleisch. Hatten wir in Erdkunde. Es gibt die Troposphäre, in der leben wir, dann kommt nach fünfzehn Kilometern die Stratosphäre, dann die Mesosphäre und die Thermosphäre, mit großer Hitze. Der Weltraum ist nicht weit weg, keine dreihundert Kilometer. Wenn wir auf einer Autobahn gerade nach oben fahren könnten, wären wir in drei Stunden da.«
»Wow«, sagt Jim. »Die Vorstellung gefällt mir, in den Himmel zu fahren. Es müsste ein Cabrio sein. Ein Oldsmobile 55, in Rot und Weiß. Erinnerst du dich an die?«
»Das war vor meiner Zeit«, sagt Gary.
»Das war das Auto damals. Einen Arm auf dem runtergekurbelten Fenster, die andere Hand am Steuer, so würde ich in Richtung der Sterne fahren. Der Himmel würde immer dunkler, ein tiefes Blau wie die Winter in Fairbanks, der Himmel das vollste vorstellbare Blau, Kobalt oder Marine oder Königsblau oder so, wie auch immer man das nennt.«
»Man müsste es nachts machen«, sagt David. »Weil sonst würde es nur immer heller und du würdest von der Strahlung Krebs bekommen. Aber auch nachts würdest du den Erdschatten verlassen, wenn du weit genug fährst.«
»Wie der Vater so der Sohn«, sagt Gary. »Wie alt bist du? Dreizehn? Solche Gedanken hatte ich noch nie, nicht mal jetzt.«
Jim wird in diesem Moment bewusst, dass sein Sohn die gleiche Depression wie er bekommen könnte, die gleichen Stimmungsschwankungen und unendlichen, unaufhaltsamen Gedankenschleifen über das eigene Leben, alles infrage stellend. Der Fluch der psychischen Krankheit, von Generation zu Generation weitergegeben. Wann in der Vergangenheit hat es angefangen, wie weit reicht es zurück? Und wie viele Generationen werden daran noch leiden?
Tracy lacht, diese Art kleines, unmotiviertes Lachen von Kindern, nur um unterhaltsam zu sein und Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie versteht nicht, worum es geht, aber möchte Teil davon sein. Also beugt er sich runter und nimmt ihre Hand. »Willst du in den Himmel fahren, Tracy? Mit einem schönen Auto geradeaus nach oben?«
Sie sieht besorgt aus, und er kann nicht sagen, ob es daran liegt, dass sie es nicht versteht, oder daran, dass sie es versteht und für möglich hält und glaubt, dass sie es vielleicht auch tun werden, was natürlich beängstigend wäre. »Es ist nur ein Witz, meine Süße. Niemand kann in den Himmel fahren. Also machen wir das auch nicht. Wir laufen hier einfach rum und halten Ausschau nach Wachteln.«
»Hast du es geglaubt?«, fragt David.
»Sei lieb zu deiner Schwester«, sagt Jim, aber David lacht.
»Du hast geglaubt, dass Menschen in den Himmel fahren können!«
»Halt den Mund«, sagt sie, und Jim hat keine Energie dafür jetzt, also geht er voraus, über Weideland. Kuhfladen schwarz und krustig, abgekautes Gras, Boden, der von Hufen bei Regen zerfurcht wurde, viel Platz für Unkraut, Disteln mit breiten stacheligen Blättern, um das Sonnenlicht einzufangen. Mit weißen Rändern besetzt, ein Hinweis auf Gift. Nicht dass er wüsste, ob sie wirklich welches haben, aber so machen es zumindest leuchtend glitzernde Spinnen und Schlangen und Frösche, die ihre Giftigkeit verkünden, und die Angeberei scheint auszureichen, zusammen mit ein paar Dornen. Keine Distel wurde berührt. Alle können sich frei entfalten.
Gibt es solche sichtbaren Zeichen bei Jim? Könnte ein Fremder, an dem er auf dem Bürgersteig vorbeigeht, ihm ansehen, dass er Gift ist? Das ist das Problem bei Menschen. Es gibt solche Zeichen nicht. Keine Warnung. Seine Familie ist jetzt in der Pflicht, ihm zu helfen, aber das Sicherste für alle wäre, wenn sie sich fernhielten. Sie müssten ihm allen Besitz wegnehmen und ihn auf die Reise schicken, in einer anderen Zeit, bevor es Zäune und Straßen gab, ihn einfach von Küste zu Küste laufen lassen, dreitausend Meilen, bis dort könnte das Gift aus ihm raus sein. Er braucht etwas, das genauso extrem ist, etwas Elementares und Grundlegendes und von außen Kommendes. Er kann nur von außen geheilt werden, durch Handeln. Mit Nachdenken ist er gescheitert.
Er steht unter einer weiteren Eiche, Schwarzeiche, dunkle, narbige Rinde mit alten und unlesbaren Mustern, verdreht aus dem Boden gewachsen. Schwere, ausladende Äste, wie ein taumelnder und gebeugter Mann, aber darüber kein sichtbares Gewicht, nur der Himmel. Qual ohne Ursprung, und doch formend.
Hoch oben ein Buschhäher, von den Blauhähern der mit dem schroffesten Ruf und größten Körper, schwarz gebändert. Jim zeigt auf den Vogel. »Schieß ihn«, sagt er, ohne sich umzudrehen, weil er weiß, dass David in der Nähe sein muss.
Er hört das Pumpen des Luftgewehrs, sieben Mal, maximaler Druck, und den kleinen Kolben zurückfahren, die Kugel eingelegt. Eine Pause, während sein Sohn zielt, dann ein Luftausstoß und das Geräusch der Kugel, die den Vogel trifft, wobei sich Federn aus der Brust des Buschhähers lösen. Das zarte untere Band, ein helleres Blau.
Der Vogel fällt senkrecht herab. Kein Flügelschlagen oder Kampf, ein Schuss direkt ins Herz. »Gut gezielt«, sagt Jim.
David rennt zu der Stelle, wo der Vogel auf den Boden gefallen ist, er liegt auf dem Rücken. Jim lässt sich Zeit, spürt, dass er ein Riese ist mit langsamen Schritten, die in der Erde versinken.
Tracy ist auch da, sie hockt neben dem Vogel und piekst ihn mit einem kleinen Stöckchen. Sie trägt einen rosa Schal, grob gestrickt mit großen Maschen. Hatte er noch gar nicht bemerkt. Er dachte, sie trage Regenkleidung.
Der Vogel hat sich vollgekotet, ein hellbrauner Schlick, der aussieht, als sei er aus einer Tube gedrückt worden. Die Beine dünn und dunkel. Schnabel und Augen geschlossen. Tracy stupst ihn in die Brust, eine kleine Reanimation, aber träge, ohne echte Rettungsabsicht. Können Kinder an den Tod glauben, selbst wenn sie ihn sehen?
»Wir sollten die Brust braten«, sagt Jim. »Ich habe noch nie Buschhäher gegessen. Weiß gar nicht, wieso.«
»Buschhäher kann man nicht essen«, sagt David und blickt zu seinem Vater hoch.
»Ja«, sagt Gary. »Lass ihn einfach liegen.«
»Nein«, sagt Jim. »Wir probieren ihn. Dieser Vogel hat sein Leben für uns gelassen. Wir wollen seine prächtige Brust zu uns nehmen.«
David lacht. Jim blickt hoch in den Himmel, schließt die Augen und hebt seine Arme. »Schöpfer des Buschhähers, wir danken dir für diese Gabe.«
Jetzt lachen sowohl David als auch Tracy. Gary nicht. »Das reicht«, sagt Gary. »Lasst uns weitergehen und Wachteln suchen.«
Jim kniet neben seinen Kindern und nimmt den Häher in die Hände. Er rupft die Federn aus der Brust, schnell, und riecht den Gestank des Vogels, das Öl in den Federn.
»Ich kann das machen, Dad«, sagt David, und Jim gibt ihm den Vogel. Sein Sohn rupft die restlichen Federn aus, bricht den Brustraum auf, holt die Innereien raus. Kleinstes Herz und Leber und Gedärm, wie für ein Puppenhaus.
»Wir brauchen nicht das ganze Ding«, sagt Jim. »Nur die Brust. Schneid auf beiden Seiten ein Stück ab.« Er reicht seinem Sohn sein Taschenmesser, aber David hat schon sein eigenes rausgeholt, rotes Schweizer Armeemesser. Schneidet kleine Filets mit blutverschmierten Fingern.
»Ich denke an eine Rotweinsoße«, sagt Jim. »Was meinst du, Gary?«
»Ja«, sagt Gary. »Mit etwas Trüffelöl abschmecken.«
»Weißem Trüffelöl.«
»Ja.« Gary hat die Hände in den Taschen, guckt runter auf den Boden und tritt gegen eine Distel, ungeachtet ihrer Warnsignale.
David hält die beiden Filets in den Händen, dunkles Fleisch. Wie unser eigenes Fleisch wohl aussähe, wenn wir kleine Stücke davon abschnitten.
Jim steht da und ihm ist schwindlig. Der Himmel und die Wolken verrutschen aus dem Lot mit der Erde. Die Ränder überstehend, nicht deckungsgleich, wie eine Montage in einem alten Film. »Wachteln«, sagt er. »Wir wollten Wachteln jagen. Dafür sind wir hier.«
Und so gehen sie weiter, verteilen sich fächerartig über das Land und warten darauf, dass vor ihren Füßen das Surren der Flügel losbricht, lauschen nach dem kehligen Geräusch von Wachteln, die sich verstecken, halten Ausschau nach kleinen bläulichen Körpern und dunklen Schöpfen.
»Wir sollten weiter hoch gehen, wo es mehr Bäume gibt«, sagt David, also machen sie das, indem sie dem Anstieg des Landes himmelwärts folgen. Jim könnte überleben, wenn alles, was er zu tun hätte, laufen wäre, weg von den Städten und anderen Menschen, einfach nur von einem Baum zum nächsten.
So viele Disteln überall und Taubenkraut. Die guten Gräser alle abgefressen. Breite dornige und raue Blätter breiten sich über die zerfurchte Erde aus, auch ihr Gestank, alles nur, damit wir mehr Hamburger essen können. Büschel von Giftsumach, ebenfalls von den Tieren nicht angerührt.
Der Wind nimmt zu, und sie spüren die ersten Tropfen. »Du musst deine Regensachen anziehen, Tracy«, sagt Jim. »Wo ist deine Regenjacke?«
»Sie ist in deiner Hand«, sagt Gary, und Jim blickt hinab und da ist sie, eine kleine blaue Regenjacke.
»Okay«, sagt er. Er kniet sich hin und hilft Tracy erst in den einen Ärmel und dann in den anderen, sie hat noch immer den komischen rosa Schal an.
»Ich kann das schon alleine«, sagt sie, und ihm wird klar, wie groß sie schon ist. Es war verrückt von ihm vorhin, sie auf den Arm zu nehmen. Sie ist kein kleines Kind mehr. Wie konnte sie acht werden? Und trotzdem malt sie ihm noch Bilder. Er kann sie nicht einordnen.
»Entschuldige«, sagt er.
»Ist nicht schlimm, Daddy.« Der fröhliche Ausdruck ihres Gesichtes auf einmal, ein Gefühl, das er sich nicht vorstellen kann. Ihre Augen so blau und groß und makellos.
Er kann sie nicht mehr angucken, also läuft er weiter, den Kopf gegen den Regen gesenkt, das Geräusch überall um ihn herum. Viel lauter als in seiner Erinnerung. Am lautesten auf den Blättern, ein Klatschen, aber er kann den Regen auch auf der Erde aufschlagen hören, brutal. Seine Stiefel rutschen durch den Matsch und die glitschigen Kuhfladen. Er tritt in alles hinein, neugierig, wie es sich anfühlt. Der Boden so dunkel und der Himmel verschwunden, nur noch Wolken in nächster Nähe, ein dreckiges Weiß, warum kein reines? Wie werden Wolken grau?
»Hey«, hört er. Irgendeine andere Stimme, von hinten. Er dreht sich um und sieht einen Mann auf sie zukommen. Er trägt eine braune Jacke, altmodische Öljacke. Gelbe Carhartt-Hosen. Er hebt einen Arm.
»Jetzt sitzen wir in der Scheiße«, sagt Gary leise.
»Was passiert jetzt?«, fragt David in einem zu lauten Flüsterton.
»Nichts«, sagt Jim. »Es passiert nie etwas.« Er geht auf den Mann zu, um dem Schicksal näher zu kommen, um die Sache zu beschleunigen. Der Mann müsste eigentlich eine Pistole oder ein Gewehr bei sich haben, um sein Grundstück zu beschützen, hat er aber nicht. Jim auch nicht, er hat die Magnum in Garys Auto gelassen. Sie werden also ihre Fäuste oder Stöcke oder Steine benutzen müssen, sich zu blutigen Klumpen prügeln, bis einer aufgibt. Das ist es, was Jim will, einen Wettkampf, keine Flucht mehr vor den Geistern in seinem Kopf.
Der Mann ist zu alt. Mindestens zwanzig Jahre älter als Jim, und er bewegt sich langsam. Er scheint seiner Aufgabe hier nur widerwillig nachzukommen, hat nicht genug Entschlossenheit für einen Kampf. Das ist enttäuschend.
»Ja?«, fragt Jim, als sie in Hörweite sind, zwanzig Schritte voneinander entfernt.
Der Mann bleibt stehen, guckt entgeistert. Er breitet die Arme aus, die Handflächen nach oben gekehrt.
»Na ja, Sie sind auf meinem Grundstück.«
»Ja«, sagt Jim.
»Wir jagen nur Wachteln«, sagt David. »Wir haben aber noch keine gesehen.«
»Das reicht«, sagt Gary zu David. »Lass das deinen Vater regeln.«
»Was regeln«, fragt der Mann. »Sie sind auf meinem Grundstück und jagen hier ohne Erlaubnis. Sie verschwinden jetzt besser. Ich kann auch die Polizei rufen.«
»Wir haben einen Buschhäher geschossen«, sagt Jim. »Wir haben seine Brust zerlegt, in zwei Stücke. Sie können eins haben. Wir können unsere Beute teilen. Zeig ihm die Stücke, David.«
»Was?«, sagt der Mann. »Ich will kein Stück Buschhäher. Sind Sie verrückt oder so? Verlassen Sie mein Grundstück.«
»Haben Sie eine Waffe bei sich?«, fragt Jim.
»Was zur Hölle«, sagt Gary. »Warum fragst du das?«
»Nein, habe ich nicht«, sagt der Mann.
»Vielleicht wäre es besser für Sie, wenn Sie das nächste Mal eine dabeihätten«, sagt Jim.
»Erzählen Sie mir nicht, was ich zu tun habe. Hauen Sie einfach von meinem Grundstück ab.«
Jim sieht den Mann an, seinen schwachen Mund und seine ängstlichen Augen. Er fühlt sich, als habe er alle Zeit der Welt. Irgendeine Gelegenheit tut sich gerade auf, wenn er nur wüsste, was für eine. Also tritt er näher. Seine Stiefel pflügen durch die Erde, und der Mann geht rückwärts, hebt die Hände, als wolle er einen Basketball fangen, wirklich seltsam.
»Halt, Jim«, sagt Gary, aber Jim hält nicht an. Er wird weitergehen, bis endlich irgendeine äußere Macht einschreitet. Er wird durch den Mann hindurchgehen und durch Wände und Bäume und Zäune, alles, was ihm im Weg steht.
Der Mann dreht sich um und rennt, schwächliches Gehoppel, er rutscht auf der nassen Wiese und in dem frischen Matsch weg, und Jim weiß, dass er schneller wäre, ihn einholen könnte, ihn zu Boden werfen und zu Tode prügeln, aber er mag das Gefühl des Gehens, er will nur gehen, nicht mehr.
Gary packt ihn am Arm, hält ihn zurück, so viel stärker. »Wir müssen hier jetzt weg«, sagt er mit gedämpfter Stimme. »Die Polizei wird kommen. Und du machst das vor deinen Kindern.«
Jim versucht weiterzugehen, aber er wird zurückgehalten. Er mag dieses Gefühl, mag es, von außen bestimmt zu werden, will, dass die Götter ihn von oben mit dünnen, stählernen Fingern in die Schranken weisen.
»Deine Kinder«, wiederholt Gary. »Was sollen die darüber denken?«
Jim versucht, etwas zu empfinden, irgendwie zu dem Ort zu gelangen, wo die Gefühle aufbewahrt werden. Das muss irgendwo in seinem Innern sein. Aber er findet nichts und weiß auch nicht, was überhaupt verkehrt sein soll. Was ist verkehrt daran, wenn sie das mitbekommen?
»Es ist, als gäbe es gerade keine Regeln«, sagt er zu Gary. »Oder Vernunft oder Klarheit, wie ich mich verhalten soll. Wenn ich den Mann angreife und auf seinem eigenen Grundstück verprügle und töte, dann ist das dasselbe, als hätte ich ihn nie berührt. Nichts anderes. Und es ist vollkommen egal, dass es sein Grundstück ist. Es gehört ihm nicht. Die Vorstellung ist lächerlich. Und die Polizei ist lächerlich. Was machen die? Woher wissen die, was zu tun ist und was nicht, warum soll ich mich um sie scheren?«
»Du wirst dich um sie scheren, wenn du ihren Schlagstock spürst.«
»Vielleicht eben nicht. Vielleicht würde mir das ja gefallen. Ich weiß es nicht.«
»Es würde dir nicht gefallen.«
Jim fragt sich, wie es sich wohl anfühlt, geprügelt zu werden wie ein Hund, und dann ist er auf allen vieren im Regen und im Matsch und galoppiert vierbeinig los, hinter dem Mann her, der immer noch nicht weit entfernt ist und weiterhin ausrutscht und sich wieder ins Lot zu bringen versucht wie ein Schiff auf dem Meer. Jims Hände brennen von den Dornen und Steinen und was sonst noch allem, aber er mag das Gefühl, mit seinen Schultern rennen, der leichte Galopp, ganz natürlich, mit hängendem Kopf und offenem Mund, schwer atmend und sabbernd. Nur seine Knie zu schwach.
Er versucht, auf Füßen und Händen zu laufen, versucht zu vermeiden, dass seine Knie den Boden berühren, aber er fällt vornüber, rollt ein Stück, dann benutzt er wieder die Knie.
Er hört, wie David lacht und ihm hinterherschreit, dass er auch so läuft, aber Jim dreht sich nicht um. Er geht in etwas Besserem auf, endlich, in einer Bewegung und in Atem und Matsch, genau, was er braucht. Keinen Therapeuten in einer Praxis, nur das hier. Den Mann in der braunen Jacke hetzen. Er wird ihm erst ins Bein beißen, ihn zu Fall bringen und dann auf den Hals gehen. Er will den Hals des Mannes zwischen seinen Zähnen, ihn durchbeißen und Blut schmecken. Und er holt auf. Er ist schneller auf allen vieren, als er sich je hätte vorstellen können, und bewegt sich jetzt sicher, der Mann hingegen hat Angst. Er fällt hin, braucht zu lange zum Aufstehen, und der Abstand wird geringer. Was für ein Nervenkitzel. Jim kann seine Brust spüren, wie kräftig er ist, wie die Muskeln arbeiten.
Aber dann wird er niedergeworfen, von der Seite attackiert, auf den Boden gedrückt mit dem Gesicht zum Himmel, seine Arme und Beine hängen nutzlos vom Körper weg, und er versucht, seinen Bruder zu schlagen, aber Garys Arme sind im Weg, versucht zu treten, aber seine Beine sind eingeklemmt. So viel stärker. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als in den Himmel zu starren, aus dem der Regen herabfällt, seinen Mund zu öffnen, worauf er ein Stöhnen von sich gibt, das er so noch nie gehört hat. Was es bedeutet? Wer weiß das schon.