Lucie nutzte die blendende Laune der Natur und ging trotz des traurigen Anblicks der Böden im Winter auf die Felder, über die ein leichter Wind wehte, und die Zweige der Silberpappeln, die um das Feld standen, vibrierten und säuselten blattlos; die tief stehende Januarsonne würde an diesem Nachmittag keine Mühe haben, ins Rosarot umzuschlagen, die Feuchtigkeit, die aus den nahe gelegenen Sümpfen aufstieg, würde sich bald in Dunst verwandeln – obwohl sich Lucies Gemüsekulturen außerhalb des eigentlichen Sumpfgebiets befanden und etwas höher lagen, war es in einem besonders regnerischen Jahr schon vorgekommen, dass der Kohl, die Salate und die Rote Beete einen halben Meter unter Wasser standen und sich die Gewächshäuser in überdachte Schwimmbecken verwandelt hatten: Aber dazu kam es immer seltener, in den letzten Jahren machte ihnen eher die Trockenheit zu schaffen. Sie wusste, dass sie nicht mehr lange hier sein würde – ihre Trennung war offiziell, der Besitz aufgeteilt: Franck behielt seine Felder und Gewächshäuser und sie ihre Schwielen an den Händen und den Lehm unter den Fingernägeln. Sie schaute sich um; klar, das alles gehörte Franck, er hatte es von seinen Eltern geerbt; sie hatte nur mit ihm zusammengelebt, beim Anbau mitgearbeitet und das Gemüse auf den Märkten verkauft. Franck war nicht reich, aber was besaß sie eigentlich? Zwei Paar Gummistiefel und eine Schrottkarre. Wären sie verheiratet oder Geschäftspartner gewesen, wäre alles anders gewesen. Franck hätte ihr für alle die Jahre, die sie gemeinsam geschuftet hatten, einen Ausgleich zahlen müssen. Sie mochte dieses Wort, Ausgleich, wegen seines historischen Anklangs. Man spürte darin den alten Rechtsanspruch auf eine Ausgleichszahlung bei der Aufteilung eines nicht teilbaren Guts. Oder vielleicht auch nicht. Diese Dinge sind schwierig. Lucie hatte das Gefühl, dass die Frauen bei diesen Dingen immer den Kürzeren zogen. Anteile, Rechtsformen, beschränkte Haftung, Agrargenossenschaften, EARL, GAEC, die Neuzeit hat zweifellos für alles hübsche Akronyme erfunden, doch die Ungleichheit ist geblieben. Entweder man heiratet, oder man behält seine Freiheit, scheiß drauf. Lucie fühlte sich ganz und gar nicht frei. Sie hatte sich reinlegen lassen – nicht von Franck, nein, von etwas Überkommenem aus alter Zeit, einem alten Gewohnheitsrecht, von etwas, das in die Geschichte zurückreicht. Etwas, das den Frauen auf dem Land seit langer Zeit den Boden unter den Füßen wegzog.
Zum Glück konnte sie bei ihrem Großvater wohnen. Hatte ein Dach überm Kopf, als sie Franck verließ. Na ja, was man so Glück nennt. Das Haus war verwahrlost. Der Alte widerte sie an. Dafür mochte sie Arnaud. Er war zwar völlig verrückt, aber er brachte sie zum Lachen. Und er hatte ein weiches Herz. Sein außergewöhnliches Gedächtnis für Daten war zugleich beunruhigend und wunderbar. Lucie hatte Arnauds Mutter, die Schwester ihres Vaters, selten besucht; sie war vor fünf Jahren an einer entsetzlichen Krankheit gestorben, einer Krankheit, die man Last des Lebens, Trostlosigkeit und Verlassenheit nennen könnte. Franck und Lucie lebten damals einige Kilometer entfernt auf der anderen Seite der Vendée-Autobahn in der Nähe ihrer Felder und Gewächshäuser – Lucie hatte sich ganz selbstverständlich um ihren Cousin und den scheußlichen Großvater gekümmert, vor dem sie als Kind immer Angst gehabt hatte; ihr Vater war zwar in Rente, besuchte die beiden aber fast nie: Er hatte den ängstlichen Respekt vor seinem Vater und einige Narben von dessen Gürtelschließe bewahrt.
Lucie wollte schnell umziehen, wieder ein »normales« Leben und Zuhause finden. Doch wo gab es das? Und mit welchem Geld? Ihre Mutter besaß etwas Land in der fruchtbaren Gâtine zwischen Secondigny und Bressuire, Streuobstwiesen mit einem kleinen Häuschen darauf; sie zu übernehmen, um dort ein paar Gewächshäuser hinzustellen und Freilandgemüse zu ziehen, war Lucies Traum, es wäre das Paradies – nicht riesig, aber es gab Wasser und einen ausgezeichneten Boden, aber unglücklicherweise war das Land seit Jahrzehnten für einen Apfel und ein Ei an einen Landwirt aus der Gegend verpachtet. Und selbst wenn sie das Nutzungsrecht bekäme, würde sie 80.000 oder 100.000 Euro brauchen, um dort neu anzufangen. Franck hatte angeboten, ihr unter die Arme zu greifen, die Maschinen mit ihr zu teilen, doch dazu hätte die Entfernung machbar sein müssen. Außerdem hatte sie keine Lust mehr, ihn zu sehen. Nicht, seit er 50.000 Euro von ihr verlangt hatte, wenn sie als seine Partnerin weitermachen wollte. Sie hatte den Eindruck, Franck bezifferte damit nicht mehr und nicht weniger als den Preis ihrer Trennung. 50.000 Euro für das Recht, mit ihm zusammenzuarbeiten, ohne mit ihm zu schlafen. Zehn Jahre hatte sie sich auf diesem Land und in diesen Gewächshäusern abgerackert – und jetzt, wo sie sich trennten, verlangte Franck 50.000 Euro von ihr. Er schätzte also den physischen und emotionalen Wert ihrer Gemeinschaft auf 50.000 Euro. Das hatte sie tief verletzt. Einstweilen arbeitete sie für ein paar mickrige Scheinchen jedoch weiter für Franck, verkaufte in Kommission weiter Gemüse auf Märkten und kümmerte sich selbst um ihre Versicherungen. Um wenigstens ein bisschen was in ihre Rentenversicherung zu buttern. Allenfalls. Doch wie jedes Mal, wenn sie wieder auf den Feldern war, wenn der Anbruch des Abends sie überraschte, die Feuchtigkeit aufstieg, Nebelschleier bildete, die durch die Dämmerung schwebten, wenn die kühle Luft aus dem Marais herbeiströmte und in der Dunkelheit ein letztes Mal der Flügelschlag der Drosseln zu vernehmen war, schnürte ihr eine Sehnsucht die Brust zusammen, hörte sie bei dem Gedanken, dass sie dieses Leben und diesen Ort bald verlassen müsste, die Glocken läuten, ein Totengeläut – die dicke Schicht aus goldgelbem Stroh auf den Anbauflächen reflektierte die letzten Sonnenstrahlen, Lucie fröstelte. Warum an die Kohle denken, an die Knete, den Zaster, das Moos, den Kies, die Groschen, wie ein zu trockener Sommer dörrte der Geldmangel ihr ganzes Leben aus, glücklich, wer auf all seine Besitztümer verzichten konnte und dadurch seine Freiheit erlangte, sie dagegen war auf Stroh gebettet, und dennoch wuchs überall Unkraut hervor, nahmen die Scherereien in diesem Elend überhand wie tief wurzelnde Quecken oder hartnäckige Ackerwinden – langsam wurde es ziemlich kühl, sie zog zwei Lauchstangen aus dem Boden, sammelte einen Wirsingkopf ein, der zu klein war für den Verkauf, holte noch schnell ein paar Karotten und Kartoffeln aus dem Lagerhaus. Die Aussicht auf das Abendessen vor dem Kamin in der stinkenden Bruchbude des Großvaters deprimierte sie vollends. Sie holte kurz ihr Handy aus der Tasche (angeblich, um nach der Uhrzeit zu schauen, dabei genügte doch die Dämmerung, um zu wissen, wie spät es war). Sie sah sich noch einmal um, vergewisserte sich, dass sie kein Werkzeug hatte herumliegen lassen, pfiff den Hund zu sich, der hinter den Pappeln herumschnüffelte auf der Suche nach Nutrias, denen er hinterherjagen könnte, zog ihre Handschuhe und den schwarzen, dreckverschmierten Polarvliespulli aus, schlüpfte in eine gefütterte blaue Steppjacke, öffnete die Heckklappe des Autos, damit der Hund hineinspringen konnte. Dann setzte sie sich ans Steuer und betrachtete wie jeden Abend einige Sekunden ihr Gesicht im Rückspiegel: Ja, sie war es, in dieser Hinsicht gab es keinen Zweifel; kleine Krähenfüße in den Augenwinkeln, Sorgenfalten auf der Stirn, Grübchen am Kinn, sehr rote Lippen, alles okay, keine dunklen Schlieren auf den Wangen, kein Stroh im Haar; der Hund streckte seine Schnauze zwischen den Sitzen durch und stupste sie sanft am Arm, als wollte er sagen, komm, meine Gute, fahr los, im Spiegel kannst du dich auch später betrachten: Lucie lächelte, streichelte dem Kläffer über die Stirn und machte den Motor an. Es war Viertel nach sechs, die hohen Pappelstämme konnte man schon nicht mehr sehen, die Dunkelheit hatte sie geschluckt.
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Wenn Pater Largeau zu tief ins Glas geschaut hatte und der Schnaps zu wirken begann oder, nicht zu vergessen, der Fusel ihm zu einer diffusen Freude und einer Auszeit von seinen Sorgen verhalf, dachte er weder an Christus noch an die Anfechtungen seines Glaubens, sondern ließ seine Fantasie auf alltägliche Dinge los und klammerte sich an sie, er heftete seinen Blick an eine Pflanze oder versank in der Betrachtung eines Tiers, einer der Katzen von Mathilde zum Beispiel: Von seinem Sessel aus beobachtete er, wie der kleine Räuber in seinen Garten schlüpfte, wie er hin und her sprang, sich am Stamm des großen Trompetenbaums rieb, mit einem Tatzenhieb versuchte, eine Fliege oder einen Schmetterling zu fangen, sich im Gras wälzte, und diese Beobachtung erlaubte Largeau, an nichts anderes zu denken und völlig reglos, die Ellbogen auf das rot-weiß karierte Wachstuch gestützt, hinter dem Fenster zu sitzen. Mehr als diese unverhoffte Atempause, dieses Anhalten des Denkens verlangte er nicht. Wenn er dann in seinem Kopf wieder Probleme zu wälzen begann, wenn die Zweifel und die elenden Bilder zurückkehrten, hatte er plötzlich genug davon; er schnappte seine Mütze, schlüpfte in eine Jacke und stürmte ins Freie. Er rannte fast durchs Dorf bis dorthin, wo das flache Land anfing; er konnte nicht glauben, dass diese Weiten plötzlich ohne Gott sein sollten, dass über diesen Fluren nicht mehr der Atem des Heiligen Geists wehen sollte, dass der Fluss des Glaubens diese Felder nicht mehr bewässerte – das Marschieren war seine Meditation. Er lief Richtung Südosten durch die Felder, überquerte bei Saint-Maxire die Sèvre und ging am hübschen Hof von Beaulieu entlang, dann ließ er die Abzweigung nach Mursay rechter Hand liegen und folgte weiter der Straße zum steinernen Kruzifix an der Kreuzung der Straßen aus Chauray und Échiré: Dieser Christus war weit und breit der einzige Baum, den die Flurbereinigung hier, auf den kahlen Wellen dieses öden Landstrichs hatte stehen lassen, auf dieser langen, nackten Scholle, durchsetzt von weißen Steinen, die von den Bodenfräsen der Traktoren weit verstreut wurden, und was wollte er einem hier sagen, dieser an einen vergessenen Stamm genagelte Armeleutejesus, der den Autofahrern die Sicht nahm? Largeau versuchte zu beten, stotterte einige hundert Meter weit vor sich hin und gab schließlich auf. Besser, er konzentrierte sich auf das Gehen, auf seine Atmung, auf die Landschaft ringsum – auf der kleinen Anhöhe hätte ihm der Wind beinahe die Mütze vom Kopf gerissen. In der Ferne konnte man mit den Augen dem Tal der Sèvre folgen, auf der einen Seite Richtung Siecq und Surimeau, auf der anderen Richtung Saint-Maxire und Échiré; hinter Saint-Maxire sah man die Flügel der Windräder, die eine Grenze zwischen Saint-Rémi und dem Dorf zogen – Largeau ahnte den Glockenturm seiner Kirche mehr, als dass er ihn sah. Am nächsten Tag musste er zu einer Taufe nach Faye-sur-Ardin, das ein paar Kilometer dahinter lag, dann zu einer Trauung nach Villiers-en-Plaine, und am übernächsten Tag hatte er ein Begräbnis in Béceleuf; er hatte zahllose Pfarrgemeinden zu betreuen, kein Monat verging, ohne dass ihm nicht eine neue Aufgabe übertragen wurde – sollte er wirklich der letzte Pfarrer für sie sein? Der Erzbischof von Poitiers würde die fünfundzwanzig Pfarrgemeinden im Norden von Niort in Bälde zu einer zusammenlegen, der Pfarreiverband sollte den Namen eines lokalen Heiligen tragen; es wird das Ende der Dekanate sein; eine einzige Pfarrgemeinde von vierzigtausend Schäflein für einen oder zwei Priester, einige Diakone und ihn als Aushilfspfarrer, noch lange Jahre sogar während seines Ruhestands, wie er hoffte – die Spiritualität ging dieser Gegend immer mehr verloren; sie hing nur noch wie ein Nebelschleier über ihr, bis sie sich auflöste. In den letzten vierzig Jahren war für Largeau kein Stein auf dem anderen geblieben; mit über fünfundsechzig Jahren hatte er das Gefühl, in einer Welt zu erwachen, in der ihm nichts mehr bekannt vorkam; er tastete sich durch eine finstere Zeit, durch eine undurchdringliche und giftige Dunkelheit.
Er rückte seine Kopfbedeckung zurecht und ging weiter auf seinem Weg; natürlich wusste er, dass es vor Surimeau keine Brücke über die Sèvre gab – bis nach Surimeau weiterzugehen, dann zurück über Sainte-Pezenne nach Siecq, um von dort wieder ins Dorf zu gelangen, bedeutete gut zwei Stunden länger zu marschieren, insgesamt also vier oder fünf Stunden. Der Priester warf einen Blick auf die Wolken: Die Sonne der ersten Frühlingstage glich Largeau selbst, sie war zwar tapfer, konnte aber jeden Augenblick nachlassen. Er kehrte bei Mursay ins Tal zurück, ging zwischen den Bäumen und den Pferden den Fluss entlang – zum Glück war der Boden trocken genug, man sank kaum ein. Die Luft roch nach Gras und Moder; nur die Misteln hoch in den Bäumen belebten hin und wieder die kahlen Äste der Weiden und Pappeln. Das Schloss von Mursay war eine traurige Ruine – es hatte seine Ummauerung verloren, und alle Dächer des Hauptgebäudes waren eingestürzt; in den Türmen, deren einstige Eleganz der Verwahrlosung nicht standgehalten hatte, klafften riesige Löcher. Brombeersträucher und Efeu nagten sich mit ihrem Grün durch das Bauwerk, drangen durch Fenster, kitzelten die Schießscharten, Tentakel einer tödlichen Kreatur, die schließlich die hohen Steinwerke, die steinernen Fenstersprossen, die Kreuzgewölbe und sogar den zum Fluss hinaus gehenden kleinen Balkon im ersten Stock zum Einsturz gebracht hatten – nur die drei Schwäne und die beiden Enten schien die Verwüstung nicht zu bekümmern, unter der sie ihre Kreise zogen.
Largeau betete schon seit Wochen, vielleicht schon seit Monaten nicht mehr – er wiederholte nur noch Worte, die, ohne Überzeugung gesprochen, leer und bedeutungslos waren. Er las die Messe mechanisch herunter; er hatte das Gefühl, eine Schallplatte spräche und sänge an seiner Stelle. Er merkte, dass es bei Hochzeiten oder Begräbnissen immer häufiger vorkam, dass niemand die Kirchenlieder kannte; niemand wusste mehr, dass man sich zu erheben hatte, wenn das Evangelium gelesen wurde. Largeau nahm es niemandem übel außer sich selbst; je näher der Abend kam, desto größer wurde seine Angst, und er wusste, sobald er zu Hause angekommen wäre, seine verdreckten Stiefel ausgezogen, seine Filzpantoffeln übergestreift, seinen Kollar abgelegt und den Pullover gegen einen Hausmantel eingetauscht hätte, würde er sich mehrere Gläschen Weißwein einschenken, dann ebenso viele Gläschen Rotwein und ein paar Fingerhüte Schnaps, um sich in die Apathie zu flüchten, seine Angst zu töten, und warten, ob vielleicht Mathilde, wie sie es häufig tat, bei ihm vorbeischaute – er fürchtete diesen Besuch ebenso, wie er auf ihn hoffte, denn sie würde sein Begehren schüren, als fachte der Böse selbst die Glut in seinem Herzen an. Largeau war sich bewusst, dass dieses Begehren nur ein Symptom war, ein Zeichen seiner Verlassenheit; je weiter sich der Heilige Geist von ihm entfernte, desto mehr gewann der Leib, der Dämon, die Oberhand; das Fleisch, das er viele Jahre so gut im Zaum gehalten hatte, kehrte jetzt zurück, da er langsam zu den Hochbetagten zählte, und das machte ihn so ratlos, so allein mit sich, dass er sich, ohne es zu wollen, immer mehr jener Trägheit der Seele überließ, die Mönche Acedia nennen.
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Als Gary an diesem Morgen, nachdem er das Wildschwein durch den Schnee hatte rennen sehen, nach Hause kam und der Schneesturm immer heftiger wurde, wusste er nicht, dass er im Laufe der Transmigration seiner Seele früher einmal eine Powerfrau gewesen war, Schankwirtin in der Gemeinde Lezay, dann eine im Kindbett verstorbene Arbeiterin in einer Gerberei in Niort, ein Obergefreiter der Artillerie aus La Chapelle-Bâton, der im Militärhospital von Reims 1918 der Spanischen Grippe erlag, ein einäugiger Brunnenbauer aus Rouvre, der 1896 mit hundert das Zeitliche segnete, und eine Wölfin, eine graue Wölfin im Wald von Hermitain zwischen Aigonnay und La Mothe-Saint-Héray – im Winter hörte man, sobald es dunkel wurde, die Wölfe heulen, dann näherten sie sich den Dörfern, die sich mit ihren Trockensteinmauern an die Ränder der Kastanien- oder Eichenwälder pressten; im Frühjahr sah man sie bei Mondschein aus dem Bach beim Teufelsstein trinken – man jagte sie wegen des Nervenkitzels oder der Prämie, man stellte Fallen auf mit mächtigen, eisernen Fangzähnen, die Katzen zerteilten und Füchsen die Gliedmaßen abschlugen, und manchmal fing man einen, dann schnitt man ihm die Ohren und den Schwanz ab, um die Prämie im Rathaus einzustreichen, das die Rechnung an die Präfektur in Niort schickte. Bekanntlich greift der Wolf den Menschen nur an, wenn er Tollwut hat, dann ist er tödlich, sowohl wegen der Ansteckung als auch wegen der Bisswunden – 1894 zahlte das Département die Prämie für dreizehn getötete Wölfe, 1895 für sieben, 1896 für sechs, 1898 nur noch für vier und 1901 für einen einzigen, dann war Schluss, aus, Ende mit den großen Lämmer- und Kinderfressern aus der Familie der Hunde, von denen die Volksmärchen berichten. Es gab keine mehr.
Am 23. Frimaire des Revolutionskalenderjahrs V, dem Vortag der Geburt des Brunnenbauers in La Couarde im soeben erst geschaffenen Département Deux-Sèvres, aus dem sich die Flammen des Krieges allmählich zurückzogen und verwaiste Dörfer, verlassene Felder, dezimierte Herden zurückließen, am 13. Dezember 1796 also richtet der Verwaltungsbeamte Proust für die des Schreibens unkundige Marie-Jeanne Landron, verwitwete Bouchet, »ein Gesuch an die Mitglieder der Gemeindeverwaltung«, in dem sie die Citoyen der Verwaltung ersucht, ihr für die großmütige Tat ihres Mannes Jean-Pierre Bouchet doch bitte schön eine finanzielle Entschädigung vom Département zu gewähren: Bouchet sei beim Verschließen eines Weidegatters von einem tollwütigen Wolf angefallen worden, der ihm die Hand zerfleischt und ihn leicht am Schenkel verletzt habe; als Pierre Bouchet spürte, dass er verwundet war, habe er sich mit Geschrei auf das wilde Tier gestürzt: »Ich bin bereit, mein Leben zu opfern, um meine Heimat vor den schrecklichen Schäden zu bewahren, die dieser tollwütige Wolf anrichten kann. Ich sterbe glücklich, wenn ich dadurch das Leben meiner Nachbarn rette!« Er lieferte sich also einen gewaltigen Kampf mit dem Tier: Blutüberströmt fand Bouchet die Kraft, mit der Axt, die er zu seiner Verteidigung in der Hand hielt, dem Wolf den Kopf abzuhacken. In der Folge starb Jean-Pierre Bouchet an seinen Verletzungen und hinterließ eine Witwe mit großer Familie, der für ihren Unterhalt keine anderen Mittel blieben als das, was ihr unglücklicher Gatte durch seine Arbeit erwirtschaftet hatte.
Die graue Wölfin, die später Brunnenbauer, dann Obergefreiter, dann Schankwirtin sein würde, hatte sich am Urin und dem Speichel eines Rotfuchses angesteckt. Die Krankheit macht die Flüssigkeitsaufnahme unmöglich und erzeugt einen unstillbaren Durst. Die Kiefer der Wölfin verbeißen sich in allem, was sie finden, in einem Ast, einem Stein, einem Gatter; schäumender Speichel hängt an ihren Lefzen, klebt an ihren Reißzähnen; ihr Heulen klingt merkwürdig, schrill und spitz vor Schmerz. Sie weiß nicht, dass sie verloren ist; das Virus hat sich langsam in ihrem Organismus vermehrt, ihr Gehirn erreicht, ihre Nerven angegriffen; sie hat einen ihrer Welpen in den Nacken gebissen, ohne zu wissen, dass sie ihm damit die Krankheit weitergegeben hat; tagelang schon irrt sie mit grauenhaftem Durst umher, einem Durst zum Steine-Trinken – der kleinste Tropfen Wasser, den sie leckt, verursacht einen so starken, so heftigen, so unerträglichen Schmerz, dass die Wölfin sich zu den Tautropfen auf den Grashalmen, zum Schleim der Schnecken auf den Blättern flüchtet, doch alles macht sie nur noch rasender, alles treibt sie in die Erschöpfung. Sie meidet den Waldrand und den Menschengeruch nicht mehr, dem sie seit ihrer Geburt immer ausgewichen ist; sie steuert direkt auf die Waldränder zu, in ihren Pupillen lodert ein tödliches Feuer, sie schreit, silberblaue Wellen laufen über ihr Fell, das sich sträubt vom Schweiß.
Die Wölfin sieht einen Menschen in Bewegung – sie greift an, stürzt sich auf ihn, wie es Wölfe tun, wenn sie einen starken Gegner anfallen, einen Hirsch, eine Kuh, mit einem Biss ins Bein, damit der Gegner einknickt und man seinen Hals erreicht. Zum ersten Mal hat die Wölfin menschliche Gerüche, Rauch, Wolle, Blut und Zwiebel, direkt vor der Nase. Die Wölfin schnappt nach der Hand auf dem Holzgatter, zerfleischt sie mit ihren Reißzähnen; der Bauer schreit – sie fürchtet sich vor diesem Gebrüll, das weder dem Muhen der Rinder noch dem Fauchen von Füchsen oder dem Röhren einer Hirschkuh gleicht, wenn die Wölfin ihrem Kalb an die Kehle geht. Die Wölfin versucht, den Mann zu Boden zu werfen, doch sie will auch in das Holzgatter beißen, um ihre Kiefer zu lockern und diesen Krampf in ihrer Kehle loszuwerden, sie knurrt, sie kann das Blut nicht auflecken, das von der verletzten Hand tropft, mit weit aufgerissenem Maul springt sie den Mann an, dieses Mal will sie seinen Hals erwischen. Der Mann reißt schützend die Hände hoch, ein Reflex, sie fallen um, die Wölfin beißt, so stark sie kann, in den Arm, in die Brust, in den Schenkel – der Mann schwingt einen harten, brutalen Gegenstand, sie schnappt danach, der Mann schüttelt sie ab und betäubt sie halb mit seinem Hieb, sie ist erschöpft, hechelt, ist orientierungslos, das Blut in ihrem Maul macht sie rasend, sie hat Angst, große Angst, der metallene Schatten fährt auf sie nieder, es wird dunkel, ein schwarzer Blitz zuckt über ihre Pupillen, es wird Nacht vor ihren Wolfsaugen, und der Bauer sieht, sprachlos vor Schmerz, den vom Körper abgetrennten Kopf der Wölfin im Gras legen, sieht das blutige Fell und seine eigenen Wunden, bevor er ohnmächtig wird vor Angst und Erschöpfung, während die Seele des Raubtiers sich auf den Weg ins Bardo und zum Dorf Rouvre macht, um gleich neben der Kirche Saint-Médard für fast hundert Jahre Brunnenbauer zu werden, dann Obergefreiter, dann Schankwirtin in Beauvoir-sur-Niort und schließlich Gary, der an diesem Morgen nach Hause zurückkehrte, nachdem er wenige Schritte von einer Hecke entfernt im Schnee, mit dem die Ebene gepudert war, das Wildschwein erblickt hat, das zuvor Pater Largeau war.
Zurück auf dem Hof, gab Gary Mathilde einen Kuss und erzählte ihr von der Begegnung am Dorfausgang, wahrscheinlich war es ein junger Keiler, dem Besuch der Hausfriseurin beim dicken Thomas und, nicht zu vergessen, von den beiden Gendarmen; Mathilde schätzte Lynn, die sie kaum kannte, auch wenn sie selbst lieber zu den Friseuren in den großen Einkaufszentren ging, die für die gleiche Dienstleistung zusätzlich noch etwas Abwechslung boten, denn man kam raus, konnte bummeln gehen und den Termin zum Erledigen von Einkäufen nutzen.
Mathilde genoss die letzten Adventstage, in denen sie sich auf die Ankunft des Heilands, das Christfest vorbereitete. Sie wartete voller Ungeduld auf die Heilige Nacht: Von Kindesbeinen an war sie immer zur Mitternachtsmesse gegangen – nach der Messe kam man zu Fuß durch die Dunkelheit und Kälte nach Hause; man aß süße, saftige Orangen, man trank eine Tasse heiße Schokolade und ging dann ins Bett. Am nächsten Tag traf sich die Familie. Der Patriarch René, Mathildes Vater, saß am Kopf des geschmückten Tischs, die Onkel, die Tanten, die Cousins, Brüder und Schwestern, alle versammelten sich um ihn; die Austern, die Terrinen, die Gans, die Maronen, das »Weihnachtsscheit«, der traditionelle Weihnachtskuchen, ob Scheit im Kamin oder Scheit mit Buttercreme und Zucker, den man auf den Tisch stellte, das Wort machte da keinen Unterschied. Mathilde dachte an die Dinge, die damals wichtig waren, den Steinguttopf mit den eingelegten Gurken, das Austernservice in Muschelform, den emaillierten Topf für die Tischabfälle, die Messerbänke, all die Dinge, die sie mit den siebziger Jahren verband und die zur gleichen Zeit verschwunden waren wie der an die Wand geschraubte, orangefarbene elektrische Dosenöffner, die gravierten Serviettenringe und die Mitternachtsmesse selbst, die jetzt um zehn Uhr und zwanzig Kilometer von ihr entfernt stattfand. Vor Weihnachten kaufte sie immer ein oder zwei Zeitschriften von denen, die vorne an den Supermarktkassen lagen, um Anregungen zu bekommen für die Zimmerdekoration (Blumen, Vasen, Kerzen, Servietten, silbrige Tannenzapfen, Misteln, Stechpalme), den Tannenbaum (Kugeln, Girlanden, vergoldete Engelchen, Schneeflockenspray) oder sogar den Hof (leuchtender Weihnachtsmann, zweiter Tannenbaum, mit Lichterkette geschmückte Hundehütte), und das versetzte sie in Vorfreude, denn alle diese Vorbereitungen bedeuteten einfach (über die Ankunft des Heilands hinaus), dass die Kinder da sein würden, dass wieder alle beisammen wären, dass man sich liebhaben, sich verwöhnen, sich Geschenke machen würde. Auf dieses Ritual der Menschliebe legte sie besonderen Wert; sie fand es einleuchtender, wenn das Christkind die Geschenke brachte, als dieser etwas lächerliche, rotgewandete Bärtige, der zwar sympathisch war, in ihren Augen aber keinerlei Botschaft hatte, wie auch seine Rentiere absolut nichts bedeuteten. Sie konnte übrigens nicht mehr genau sagen, seit wann sich dieser Weihnachtsmann als Wohltäter in ihrer Gegend durchgesetzt hatte – anderswo wartete man noch auf Sankt Nikolaus oder die Heiligen Drei Könige, aber hier, zwischen der Loire und der Dordogne, war das Christkind vollkommen verdrängt, sein Bildnis sogar von den Geschenkanhängern verbannt worden, vielleicht weil es ein Neugeborenes war. Mathilde war die Schriftführerin der örtlichen Vereinigung von Gläubigen; es gab noch einige, die versuchten, die Flamme des Glaubens am Leben zu halten und daran zu erinnern, dass Kirchen mehr bedeuteten als überflüssige Kosten, wenn das Dach ausgebessert werden musste.
Mathilde sah Gary hinterher, der mit Hund und Gewehr in den wirbelnden Schneeflocken Richtung nördlichem Dorfrand davonging, zur Anhöhe vor dem Wäldchen von Luc, wo jener Teufelsstein stand, dessen Namen vollständig auszusprechen Mathilde sich weigerte, »der Stein« reichte ihrer Meinung nach völlig. Mathilde ahnte nichts von ihren vielen früheren Leben, den endlosen Bewegungen des Lebensrads, die ihre Seele von hier nach da geschleudert hatten; sie hatte als Hexe düstere Hexensabbate besucht und vom großen Ziegenbock geträumt, sie war ein Zugpferd gewesen, das bei der Arbeit verendete, eine Katze auf einem Bauernhof, Bäuerinnen, Bauern, Arbeiter, ein Pirol, eine vom Wind geköpfte Eiche, die in einer Zeit unter den Äxten von Zimmermännern fiel, als das Dorf von Wald umschlossen war, einem riesigen Wald, der bis zu den Ausläufern der Bretagne reichte. Der Marais schützte den Wald, und der Wald schützte den Marais – der Marais war eine Kette von Inseln, die im Brackwasser badeten, dem Golf der Pictonen, den Strabon den »See der beiden Raben« nennt, mit einem weißen und einem schwarzen Flügel: Fast am Atlantik, an der äußersten Grenze dieser Lagune, befand sich, lange bevor Cäsars Legionen in der Gegend erschienen, eine Insel, die nur von Frauen bewohnt war; sie waren von einem geheimnisvollen Gott besessen, dem sie opferten und den sie durch Zeremonien und Trankopfer beschwichtigten. Kein Mann durfte die Insel betreten, die Frauen waren es, die aufs Festland gingen, wenn sie sich mit Männern vereinen oder sich mit ihnen austauschen wollten; sie waren Priesterinnen eines geheimen Kults und widmeten sich jeden Tag der Instandhaltung ihres Tempels, der von den Winterstürmen immer hart getroffen wurde. Man weiß nichts über die Gottheit, der sie auf diese Weise dienten, vielleicht ein maßloser, verrückter Dionysos, bestimmt betrunken, bis Druiden ihn zähmten, oder die Tochter des Zeus und der Demeter, bevor sie über die Tiefen der Unterwelt regierte, man weiß es nicht, ganz wie Mathilde nicht wusste, dass sich in der Nähe des Dolmens, den »Teufelsstein« zu nennen sie sich verbat, um nicht den Namen des Bösen auszusprechen, einmal ein Heiligtum gestanden hatte, in dem sich Druiden trafen, jene Priester ohne Gott, die ebenfalls an die Wanderung der Seele von Leib zu Leib und für alle Ewigkeit glaubten; man konnte den Körper verbrennen, die Seele wurde wiedergeboren – Julius Cäsar sah darin eine Quelle des Muts, die gallischen Krieger fürchteten den Tod nicht, sie wussten, sie würden wiedergeboren, wenn ihnen die Ehre zuteilwurde, in der Schlacht zu sterben; ihre Angst war die vor der Niederlage und der Mutlosigkeit, dem Untergang und der Feigheit. Wie glücklich sind sie durch ihren Irrtum, die Völker des Nordens, meint Lucan in seiner Schlacht bei Pharsalos, sie peinigt nicht der entsetzliche Schrecken, die Furcht vor dem Tode. Die Barden führten mit ihren Liedern die Seelen zur Wiedergeburt, und die Druiden waren wie Schäfer, die mit wohlwollendem Blick ihre Herde hüteten. Nicht weit vom Dorf gab es einen heiligen, lange Zeit unberührten Wald, dessen verschlungene Äste ein dichtes Gewölbe bildeten, unter dem, abgeschirmt vom Tageslicht, Nebelschwaden und kalte Schatten hausten. An diesem Ort lebten keine urwüchsigen Faune, auch keine Nymphen und Waldgötter. Stattdessen barg er einen barbarischen Kult und scheußliche Opferungen. Dort tropfte Menschenblut von den Altaren und Bäumen; und wenn man dem abergläubischen Altertum Glauben schenken kann, wagten es die Vögel nicht, auf den Zweigen im Wald zu rasten, und die wilden Tiere suchten keine Zuflucht in ihm; sogar der Blitz, der die Wolken durchzuckte, scheute sich, dort einzuschlagen, und die Winde fürchteten sich, ihn zu streifen. Kein Hauch bewegte die Blätter; die Bäume zitterten von selbst. Dunkle Quellen speisten ein trübes Gewässer; die bedrückenden Bildnisse der Götter waren grob geschnitzt aus gewundenen Baumstämmen; die fahle Farbe des wurmstichigen Holzes weckte schauerliche Vorstellungen. So zittert der Mensch nicht vor Göttern, die er kennt. Je fremder ihm der Gegenstand seines Kults ist, umso gewaltiger ist er. Aus den Höhlen im Wald, hieß es, komme lange anhaltendes Geheul; die entwurzelten und auf dem Boden liegenden Bäume richteten sich von selbst wieder auf; der Wald sehe aus, als stünde er lichterloh in Flammen, dabei brannte er nicht; und um die langen Eichenstämme würden sich Drachen winden. Die Bewohner der Gegend näherten sich diesem Wald nie. Sie flohen vor den Göttern. Wenn Phoibos die Mitte seiner Bahn erreichte oder dunkle Nacht den Himmel verhüllte, grauste es selbst dem Priester davor, sich zu nähern, und er fürchtete, er könne dort auf den Herrn über diesen Ort stoßen.
Es war dieser Wald, den Cäsar abzuholzen befahl; er lag neben seinem Lager, und da der Krieg den Wald verschont hatte, stand er als Einziger hoch und dicht zwischen den kahlgeschlagenen Hügeln. Bei diesem Befehl begannen die Mutigsten zu zittern. Die Erhabenheit des Ortes hatte ihnen einen heiligen Respekt eingeflößt, und sie meinten schon zu sehen, wie sich die Äxte rächend gegen sie wandten, wenn sie diese heiligen Bäume fällen würden.
Als Cäsar sieht, wie seine Kohorten zittern und der Schrecken ihnen die Hände fesselt, ergreift er als Erster die Axt, schwingt sie, haut zu und treibt sie in eine Eiche, die in den Himmel aufragt. Dann zeigt er seinen Männern das tief im entweihten Holz steckende Eisen und spricht: »Wenn es einer von euch als ein Verbrechen betrachtet, den Wald zu roden, so habe ich das jetzt auf mich genommen, und auf mich fällt es zurück.« Alle gehorchen auf der Stelle, nicht weil Cäsars Beispiel ihnen Mut macht, sondern weil sie mehr Angst vor ihm als vor den Göttern haben. Bald darauf erleben die Ulmen, die knorrigen Eichen, die wasserliebenden Weiden, die Zypressen zum ersten Mal, wie ihre großen Kronen fallen und sich zwischen ihren Wipfeln das Tageslicht einen Weg bahnt. Der ganze Wald fällt auf sich selbst, denn die fallenden Äste werden zugleich von ihm aufgehalten, und das dichte Unterholz widersteht der Rodung. Dem Baum widerstrebt es zu sterben, die Eiche hält den Wald zusammen, und der Druidenzauber wirkt – die Äste fallen als schon behauene Lanzenbündel herab, das Efeu wird zum Retiarius, der Lorbeer vergisst nicht sein göttliches Öl, und alle Krieger der Natur kämpfen gegen Rom, der Wald sollte weichen, doch Rom geht in die Knie, zieht sich zurück und lässt Waffen und Brustharnische, Männer und Fackeln zurück. Euer schwaches Licht wird nicht zwischen diese Bäume dringen – ihr Geheimnis bleibt erhalten.
Im Dorf hatte man die Druiden und die Barden schon seit langer Zeit vergessen, seit der Antike schwand der Wald nahezu unablässig, nur noch zwei Wäldchen verdunkelten die Ebene, Le Luc und Les Ajasses, zwei Schönheitsflecken auf einer reinen Haut – man erinnerte sich noch vage, dass Le Luc seinen Namen einer gallischen Gottheit schuldete, aber die friedlichen Pictonen hatten keine Spuren hinterlassen, und Mathilde wäre in große Not gekommen, hätte sich zufällig jemand bei ihr nach gallischen Relikten in ihrer Umgebung erkundigt, während ihr mühelos römische Monumente und lateinische Zitate eingefallen wären. Sie hatte vergessen, dass das Holzscheit am Weihnachtsabend einst dazu diente, in der langen Nacht der Wintersonnenwende die Dunkelheit mit seinen Funken zu bestirnen, indem man mit einem Schwert auf das weiß glühende Holz einhieb wie auf einen Drachen – aus dem Flug der größten Funken las man in der schwärzesten aller Nächte die Zukunft wie in einer Sommernacht aus den Sternbildern oder wie man den Wind oder den Vogelflug danach befragte, was kommen würde. Um die Sternenhaufen bildete sich ein glutroter Torus aus Funken, und das ganze Dorf versammelte sich, um in der eisigen dampfenden Dezembernacht dabei zu sein, wenn man die weiß glühenden Stämme mit dem Schwert befragte – in der Kindheit sind wir Heiden; und wenngleich dieser Brauch in den vergangenen Jahrhunderten verloren ging, weil die Priester keine anderen Götter mochten als die ihren, so haben doch Form und Name des Scheits als »Bûche de Noël« in allen Konditoreien Europas überdauert.
Mathilde schaute eine Weile lang wie hypnotisiert in das Schneegestöber, dann ging sie in die Küche, denn es war schon bald Mittagszeit.
Als Gary schneebedeckt fast auf der Anhöhe angekommen war, wo der Wind scharf blies und die Schneeflocken wie Nadeln in seine Wangen und seine Nase stachen, sah er schließlich ein, dass der Hund in diesem Sturm keine Witterung aufnehmen würde, dass es absolut nichts brachte, Hecken nach einem herumspukenden jungen Keiler abzusuchen, den er ohnehin nicht einfach so, ganz allein, zur Strecke bringen könnte, weil bei dieser erbärmlichen Sicht das Risiko zu groß war, etwas ganz anderes als ein Wildschwein zu erlegen, einen Gendarmen zum Beispiel wie die beiden, die er etwas weiter entfernt mitten auf den Feldern als blaue Schatten auf weißem Hintergrund um ihren Streifenwagen herumhüpfen sah.
Er wollte aber, um ganz sicherzugehen, die Stelle in Augenschein nehmen, wo er das Sus scrofa knapp eine Stunde zuvor gesehen hatte; der Hund stöberte einen Fasan auf, der das Auflassen in der vorausgegangenen Woche überlebt hatte – der Vogel sprang auf die entgegengesetzte Seite der Hecke, ohne richtig davonzufliegen, das Rot an seinem Kopf wirkte plötzlich wie Blutflecken im Schnee. In einem Reflex legte Gary an, schoss aber nicht, denn er hatte Kugeln geladen. Der Hund hinderte den Fasan daran, sich ins Dickicht zu verziehen; ungeschützt war das Federwild als bunter Fleck, golden, grün und rot auf dem schneeweißen Feld nicht zu verfehlen. Zuchtfasane waren wirklich ein jämmerliches Wild; zehn Mal hätte er schon die Munition wechseln können, dachte Gary, aber er verzichtete darauf. Irgendwie hatte er Mitleid mit dem Tier; er pfiff seinen Hund zu sich, der zwischen ihm und dem Vogel hin- und herlief und die Welt nicht verstand. Gary streichelte ihn liebevoll, um ihm zu bedeuten, dass er seine Arbeit gut gemacht hatte, dass es nicht an ihm gelegen hatte, sondern an seinem lustlosen Herrchen. Und genau in dem Augenblick, als er einen kurzen Blick auf die Gendarmen warf, die um ihren Renault Trafic herumhampelten, sah er es ganz deutlich direkt vor den Leitungsmasten des Trafohäuschens: das Wildschwein, das in vollem Karacho quer über das Feld rannte, um in der dichteren Hecke auf der anderen Seite Richtung Les Ajasses zu verschwinden. Gary legte wieder an und stellte sogleich fest, dass die Gendarmen in der Schusslinie standen und es für sie, selbst wenn sein Schuss keine Gefahr darstellte, wirklich so aussehen könnte, als nähme er sie aufs Korn: Er ließ das Gewehr ein zweites Mal sinken und folgte mit den Augen dem Wildschwein, das Pater Largeau gewesen war und sich in Sicherheit brachte, und zwar direkt vor der Nase der Bullen, die um ihren Wagen herumhüpften, ohne dass Gary aufgrund der Entfernung und der durch den Schneefall eingeschränkten Sichtverhältnisse verstehen konnte, was zum Teufel diese beiden bei solchem Wetter mitten auf diesem Feldweg verloren hatten.
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Als Arnaud, Lucies Cousin, an diesem Mittag nach Hause kam, aufgeregt und glücklich über den dichten Schneefall, grüßte er seinen Großvater, der in seinem Sessel vor dem Kamin saß, bereitete sich ein schnelles Mittagessen (Fertigsuppe von Knorr, »Cup a Soup Champignon Cremesuppe«, eine Dose Les Dieux® Sardinen in Tomatensauce, denn »Die Götter ernähren sich von Ölsardinen und Ambrosia, Ilias, 25. Gesang«, wie es auf der Dose heißt, dazu ein Baguette La Festive™, bei dem das Fest darin bestand, die Sardinenfilets gewissenhaft aus der Dose zu hieven, bevor er sie ins Baguette legte, um ein Sandwich zu erhalten.) Arnaud putzte sich den Mund am Ärmel seines Blaumanns ab, Öl auf Schmieröl, dann stellte er seinen Teller in den Ausguss und sammelte nacheinander die Brotkrümel vom Wachstuch, trug sie nach draußen in den Vorgarten und legte sie auf einen kleinen, dafür bestimmten Teller, wo Meisen und Finken sie picken würden; er nutzte die Gelegenheit, um mit dem Hund zu spielen, sie fingen Schneeflocken wie sonst Glühwürmchen, bis er schlotternd wieder ins Haus zurückkehrte, sich umzog (er tauschte den Blaumann, den er über einen Stuhl hängte, gegen einen Jogginganzug) und sich vor der Weihnachtslichterkette und dem Kamin in einen Sessel hockte – und plötzlich bemerkte er, dass zwar das Gas funktionierte (er hatte das Wasser für seine Suppe abkochen können), aber der Strom weg war, denn die Lichterkette ging nicht an. Er teilte seine Sorge seinem Großvater mit, der sich damit begnügte, in seinen Filzpantoffeln über die angeschwärzten Dielen zu schlurfen und stumm ein Scheit nachzulegen – was anderes war auch nicht zu erwarten. Arnaud stellte seinen Sessel neben den des Greises, und im Wissen, dass Lucie bald kommen würde, schlummerte er rundum zufrieden ein: Mit dem Schlaf kamen die Visionen. Für einen kurzen Moment war er eine Kopfweide am Ufer eines leicht überfrorenen Seitenkanals im Marais mit einer hauchzarten, knackenden Eisschicht auf der Oberfläche; er ließ den Baum hinter sich und landete in einer weit, sehr weit zurückliegenden Zeit, in der er ein Dachs in einem tiefen Bau war – dieses Leben endete im Maul eines Rotfuchses; dann erlebte Arnaud, wie seine Seele für vierzig Tage in das von dunklen Farben beherrschte Bardo zurückkehrte, bis sie sich zur Wiedergeburt in einem Menschen entschied, einem Adligen in einer Trutzburg, einem mächtigen König der Gegend, der den Krieg, das Reisen, den Gesang und die Dichtung liebte – es war ein spannendes und luxuriöses Leben, der Hof dieses Königs war voller Glanz; sein Name war Wilhelm. Arnaud hörte ihn ein langes erotisches Lied für seine Freunde singen, das die Gesellschaft heiter stimmte; Graf Wilhelm war witzig, er war bewandert in der Kunst des Trobar – er erfand beim Singen eine Sprache. Wilhelms Geliebte war die begehrenswerte Dangereuse de l’Isle Bouchard, genannt »La Maubergeonne«; Arnaud träumte unterdessen wie ein vom Wind gewiegter Vogel in seinem Nest – er folgte dem Grafen von Poitiers auf dem Kreuzzug nach Jerusalem, der dreifach heiligen Stadt, in der es nach Weihrauch roch; dann sah er den Grafen von Poitiers alt werden und hörte, wie Wilhelm sang, als er spürte, dass der Tod nahte:
Toz mos amics prec a la mort
Que vengan tut e m’ornen fort,
Qu’eu ai avut joi e deport
Loing e pres et e mon aizi.
Aissi guerpisc joi e deport
E vair e gris e sembeli.
»Alle meine Freunde bitte ich, kommt bei meinem Tod und ehret mich, denn Freude und Vergnügen hatte ich genug, ob fern, ob nah, und auch in meiner Burg. So opfere ich Freude und Vergnügen, lass Zobelpelz und Hermeline liegen.« Arnaud fand dieses Lied sehr bewegend. Im Traum erfasste er das gewaltige Spinnennetz der Seelen, das Wollknäuel der in die Zeit verwickelten Existenzen, und er konnte einem Leben folgen, wie man einen Faden abwickelt, konnte von einem Augenblick zum anderen springen und sogar aus unendlichen Räumen auf die Energien blicken, die die Sterne bewegen, auf die gewaltigen dunklen Ströme, als wären sie Gesichtszüge des Nichts. Wenn Arnaud schlief, war sein Wissen grenzenlos – er sah die Vielfalt alles Lebendigen um sich, die endlosen Reinkarnationen des Hundes, des Großvaters, der Spinnen, der Fliegen bis hin zu den schrecklichsten, unsichtbaren Schichten, den Bazillen, den Pantoffeltierchen, der blinden Masse all der mikroskopischen Wesen, die im gewaltigen Schmerz der Unwissenheit auf die Welt kommen und sterben, und Arnaud hatte Mitleid mit allen diesen Wesen, er verstand ihre Qualen, auch wenn seine Hellsichtigkeit selbst eine Form des Schmerzes war: Oft empfand er, wenn er aus seinen Träumen erwachte, eine erdrückende Traurigkeit, die er erst langsam abschütteln musste, wie man Asche abschüttelt, die einem der Wind entgegengeblasen hat.
Als er die Augen aufschlug, saß der Großvater noch immer neben ihm und hatte gerade ein neues Scheit ins Feuer gelegt. Arnaud kratzte sich, dann schniefte er in seinen Unterarm, seine Weise, wieder in Besitz seines Körpers zu gelangen; das Tageslicht schwand, das Orangerot der Flammen steckte alles an, die Wände, den Tisch, sogar das Gesicht des Großvaters, das plötzlich riesengroß erschien, Opa, kann man Krebse fangen, wenn es schneit?
Arnaud wollte mit dem Fahrrad los und Krebse angeln; er ging gerne mit dem Krebsteller Lousianakrebse fangen. Arnaud köderte die Zehnfüßler mit Hundetrockenfutter in einem Zwiebelnetz, das er in das metallene Maschenwerk einklemmte, und es war wunderbar, zu erleben, wie sich am Ende des Tages, sobald der Krebsteller ins Wasser eingetaucht war, mehrere Dutzend Krebse um die schmale Kost stritten; zu Arnauds Freude wimmelte es am Boden des Korbs, sobald man ihn aus dem Wasser holte – er spielte gerne mit diesen Schreckensgestalten, reizte die mit roten Punkten geschmückten Scheren; sie waren die gefräßigsten Tiere von allen, imstande, sich gegenseitig zu fressen, wenn es ihnen an Futter mangelte.
Der Greis antwortete wie üblich nicht auf die Frage, er lachte einfach nur los: Allein die Vorstellung, was auch immer bei Schnee angeln zu wollen, erschien ihm äußerst lachhaft – und tatsächlich verstecken sich Lousianakrebse in großen Erdröhren, die sie in die Böschungen graben, wenn das Wasser kalt ist; sie kommen selten heraus.
Arnaud las in seinem Mitmenschen wie in einem offenen Buch – er allein wusste, was sein Großvater schon alles gewesen war, bunt durcheinander Pachtbauern beiderlei Geschlechts, Viehmägde, ein umherirrender Wilderer, mehrere Ziegen, ein Hund, Stare, oder dass er selbst, Arnaud, seine Fertigkeiten bei der Autoreparatur der Tatsache verdankte, dass er die Reinkarnation eines Automechanikers aus Villiers-en-Plaine war, dessen Sachkenntnis er behalten hatte – diese Erfahrungen, diese Lebenserinnerungen, konnte er erkunden und durchsuchen, wie man mit dem Finger die Glückslinie in der Hand eines Freundes liest. Arnaud sah die Leiden und die Trauer, die Gewalt und die Freuden, die einer Seele ihren Stempel aufdrücken, und dieses Wunder kam ihm ganz natürlich vor; er nahm die Leben seines Großvaters wahr, wie man eine Quelle über Steine sprudeln hört, die meiste Zeit, ohne auf den Klang zu achten, den die rollenden Steine unter den Wasserkaskaden erzeugen, aber wenn er Lust hatte, konnte er die Ohren spitzen, um für einen Augenblick diese oder jene Episode zu würdigen – Arnaud liebte den fernen Widerhall von Schlachten, die rohe Kraft von Eisen und Schwertern; er selbst war bei einem Rückzugsgefecht gestorben (einer seiner zahllosen Tode), das sie an den Böschungen der Clain verloren hatten, oben auf der Römerstraße, die nach Tours führte, in der Mitte des einhundertvierzehnten Fastenmonats nach der Hidschra, genau ein Jahrhundert nach dem Tod jenes bärtigen Propheten, der im fernen Arabien einen neuen Glauben begründet hatte. Dieser war ein Königreich und eine Lebensform zugleich, in denen ehemalige Sklaven zu Kriegsherren wurden und nur noch Sklaven Gottes waren. Aus dem arabischen Al-Andalus kamen viele tausend Krieger mit ihren Frauen, Zelten und Pferden, viele tausend Soldaten, die unter dem Befehl ihres Gouverneurs Abd ar-Rahman al-Ghafiqi standen – ob diese Krieger aus dem muslimischen Spanien die Gebiete jenseits der Pyrenäen nur ausplündern oder im Namen des islamischen Kalifen erobern wollten, weiß man nicht. Arnaud genügte es, das Datum 14. Oktober 732, Schlacht bei Poitiers zu wiederholen, schon hörte er die Pferde im Gerassel der Krummsäbel schnauben, die Pfeile durch den Herbsthimmel zischen, die Verwundeten schreien und schließlich sterben, die römischen Pflastersteine färbten sich rot vom Blut der Märtyrer, und zugleich spürte er in der eisigen Kälte des Flusses, in den ihn ein maurischer Pfeil während des Angriffs geschleudert hatte, dass es mit ihm zu Ende ging – Arnaud erlebte den Ausgang der Schlacht nicht, die schließlich eine der berühmtesten von Frankreich wurde und von der man nicht genau weiß, ob sie siegreich war, wenngleich dort Eudo, der Herzog von Aquitanien und Sohn Lupus’ I., sein Herzogtum retten konnte und Karl Martel zu seinem Nachruhm gelangte. Arnaud träumte, die Sarazenen hätten um sein Heim verstreut (zwischen Pappelhain und Sumpf, zwischen Autize und der Sèvre, zwischen Eschen und Heckenrosen) ihre Pfeile, Krummsäbel und Zelte zurückgelassen, auch ein wenig von ihrer Musik, ein wenig von ihrer Geschichte. Und einige Jahre später, zur Zeit Karls des Großen, kehrten die Sarazenen nach der Einnahme von Agen unter dem Kommando ihres legendären Königs Agolant zurück; Sarazenen, Mauren, Moabiter, Äthiopier, Türken und Perser schlossen sich im Westen zusammen, und Karl der Große zwang sie bei Taillebourg nahe Saintes, dessen Burg von den Mauren besetzt war, zum Kampf. Am Vorabend der großen Schlacht ereignete sich ein Wunder: Die Franken hatten zur Nacht ihre Lanzen vor den Zelten zusammengestellt. Am nächsten Morgen entdeckten sie, dass das Holz ihrer Lanzen Wurzeln geschlagen hatte, dass die Lanzen mit Rinde bedeckt waren und einige Blätter ausgetrieben hatten. Es waren die Lanzen jener, die in der Schlacht zu Märtyrern werden und für Jesus Christus sterben würden. Diese künftigen Märtyrer warfen sich mit all der Kraft, die ihnen Gott der Herr verlieh, ins Schlachtgetümmel – sie töteten zahllose Sarazenen, bevor sie selbst fielen: Viertausend wurden an diesem Tag zum Märtyrer, auch Karl der Große selbst geriet in große Not, als sein Pferd unter ihm verendete. König Agolant ergriff schließlich die Flucht, er wählte dazu einen Fluss, den man Charente nennt, an dessen Ufer sein Verbündeter, der König von Bougie, mit seinem Schlachtross ertrank. Bevor man sich nach Pamplona zurückzog, begrub man ihn als stolzen Ritter Mohammeds auf einer benachbarten Anhöhe, den Kopf nach Mekka ausgerichtet.
Das alles und noch viel mehr sah Arnaud, als er neben seinem Großvater den Blick auf die Flammen im Kamin richtete; er sah nicht gern fern, was daran lag, dass der Bildschirm die Erzählungen im Kopf durch Bilder ersetzte, die weniger schön, weniger glänzend, weniger lebendig waren als jene Spiegelungen auf der Sèvre oder der Charente, wenn die Flüsse im Winter in den flammenden Sonnenuntergängen zu brennen schienen; die Flammen zeigten ihm die Schwebefähre von Rochefort, den Ästuar mit seinen Schlammwindungen bei Ebbe, die Düsenjäger von der Luftwaffenbasis, die über den Inseln einander nachjagten wie Spatzen, das Arsenal, in dem man einst in der Seilerei die kunstvollen Litzen für die Taue verdrillte, die Trockendocks, in denen die Schiffe lagen, solange ihr Rumpf kalfatert oder an Teilen unterhalb der Wasserlinie gebaut wurde, bevor man sie vom Stapel ließ; er sah das eindrucksvolle Marinehospital, heute eine Ruine, wo die Leute an exotischen Fiebern und traurigem Wundbrand starben und einem der Gestank in den großen Krankensälen trotz des harzigen Geruchs der Salben und der Spülungen angeblich noch mehr an die Nieren ging als das Röcheln der Sterbenden. Vom Bagno, wo so viele litten, die unter Peitschenhieben die Schiffe vom Hafen bis zum Meer treideln mussten, wandte er den Blick ab – und er mied auch den Anblick der grausamen Gefängnisschiffe, auf denen Priester, die den Eid auf die Zivilverfassung verweigert hatten, wie das wimmelnde Ungeziefer auf ihren Soutanen zusammengepfercht waren und am Fleckfieber krepierten, die Republik wollte sie vergessen, und so blichen ihre Gebeine in der Gischt der Île d’Aix oder der Île Madame aus; dagegen verweilte er an der Place Colbert und betrachtete zärtlich den herrlichen Brunnen, wo der Ozean aus Kalkstein sein Wasser mit dem der grünen Charente mischt – dann schlenderte er durch das klassische Schachbrett der Straßen, die alle rechtwinklig zueinander verlaufen, von den tiefer liegenden Straßen, den niedrigen Häusern bis zu der nüchternen Fassade, hinter der sich das Lustschlösschen Julien Viauds versteckte, des leidenschaftlichen Reisenden und Marineoffiziers, der unter dem Namen Pierre Loti zum Schriftsteller wurde, Sohn eines der wenigen Protestanten im Westen, die die Verfolgung überlebt hatten. Arnaud kannte den Schriftsteller Pierre Loti nicht, der zu seiner Zeit die Damen von exotischen Hochzeiten und verbotenen Liebesabenteuern hinter türkischen Vorhängen träumen ließ, er kannte nur Pierre Loti den Maßlosen, der die Nüchternheit seines Hauses in Rochefort in einen Rausch verwandelt hatte, Marmortreppen, hohe gotische Spitzbogenfenster, übergroße Kamine, Holzschnitzereien, schwere Wandteppiche, und nach der frostigen Kindheit, die Arnaud genossen hatte, fand er diesen Ort faszinierend, ein Theater, eine Bühne für Lotis Kostümfeste in den 1880er Jahren, Hommagen an Karl VII., an Ludwig XI., bei denen man das alte Französisch sprach, die Damen Hauben und Schleier trugen, die Männer spitze Stiefel; zu ihren Füßen lagen Windhunde, die Schultern waren von Hermelin bedeckt, man speiste mit den Händen Filets von Igeln und Eichhörnchen oder zerlegte den Rücken eines Schwans, dessen weißer Hals zur Musik von Lauten und Sackpfeifen seine besudelten Federn sträubte.
Auf das späte Mittelalter und die Renaissance folgten in der ersten Etage der Orient und die schönste Moschee Frankreichs: Ihre Decke aus Damaszener Zedernholz spannte sich über sechs rosa geaderte Säulen, die die Cordobeser Hufeisenbögen trugen, die Schönheit des Mihrab mit seiner kostbaren Holzarbeit ließ die grünen und blauen Kacheln aus Persien und der Türkei der Gebetsnische so sehr strahlen, dass man die Augen zur Qibla hin schloss, an den Wänden wechselten sich die bemalten Türen von Asch-Scham und die Fliesen von Isnik ab – die Moschee war vollgestopft mit Armleuchtern, Gebetsteppichen, hohen, leeren Katafalken von imaginären Heiligen und von Erinnerungsstücken an tote Geliebte: Die ottomanische Stele der Hatice, des realen Vorbilds der Kunstfigur Aziyadeh, vermittelte einem plötzlich das Gefühl, draußen unter freiem Himmel auf einem dem Goldenen Horn entspringenden Hügel zu stehen; man war plötzlich aus einem Mausoleum getreten, um durch einen Friedhof zu gehen. Arnaud beobachtete gebannt Julien Pierre Loti Viaud auf dem Friedhof von Eyüp in Istanbul, eine kummervolle Seele, die ihre Augen auf das Goldene Horn richtet, während der Wind vom Bosporus die dunklen Zypressenwipfel peitscht, die sich wie Minarette erheben; Julien Viaud schlendert zwischen den Gräbern umher, bis er die Stele der Frau findet, die er zehn Jahre zuvor geliebt hat, die junge Tscherkessin mit der milchweißen Haut, der Honigstimme und dem Mohnblick, Hatice, die er in seinem Roman Aziyadeh mit allen Seidenstoffen des Orients geschmückt hat und die, nachdem er sie verlassen hatte, vor Kummer und Einsamkeit gestorben war, wie er nun erfährt. Loti kann die osmanische Schrift nicht lesen, jemand entziffert für ihn die Inschriften der Grabsteine, dieser Ähren auf dem Totenacker – in der Ferne leuchtet Stambul, das er so gut kennt, die Stadt spiegelt sich sogar in den Wolken. Man findet das Grab, und Julien Viaud ist zu Tränen gerührt; jemand spricht für ihn den Namen der jungen Frau und die Fatiha, jenes kurze Gebet, das jedes Leben eröffnet und beschließt. Zu ihr, die unter diesem Stein liegt, sagt Loti wie zu sich selbst: »Ich werde allein wiederkommen und dich besuchen, arme Kleine, ich werde den morgigen Vormittag mit dir verbringen, in deiner Wüste; du weißt jetzt, dass ich dich liebe, denn, um dich wiederzusehen, habe ich die ganze lange Reise gemacht …« 1905, fast zwanzig Jahre nach seinem ersten Besuch am Grab von Aziyadeh, lässt Loti ihren Grabstein durch eine Replik ersetzen und das Original nach Rochefort schaffen: Loti, der Dieb. Er stiehlt die Stele aus melancholischer Leidenschaft, der reisende Schriftsteller wird zum Grabräuber; die Stele in der Moschee der Rue Chanzy hat ihre schöne Farbe bewahrt; Loti beherrscht die Illusion der Zeit, den Kult der Erinnerung an die Liebe, und natürlich wirft er sich, als Türke oder Beduine verkleidet, davor nieder, denn er liebt nichts mehr als die Magie der Fälschung, und in diesem Haus, das den Tölpel Arnaud so sehr zum Träumen bringt, in diesem Überseekoffer voller Fälschungen und Luftschlösser, sammelt Loti die Bilder, Gegenstände, Kulissen für das Theater seiner Existenz – und wo schreibt er? Vor den Katzenmumien im Mumienzimmer, die eine Warnung für alle lebenden und allzu hochmütigen Katzen sein könnten? Oder im Kaftan, mit einem lose geschlungenen Turban, auf den Kissen im arabischen oder türkischen Salon, in der Moschee auf dem Teppich liegend, erschlafft wie eine Almeh? Was liest er? Es gibt in diesem Haus keine anderen Bücher als seine eigenen Werke. Keine Bücherregale oder fast keine; gerade mal ein Sekretär mit leeren Schubladen – aber Bilder, überall Bilder, außer im letzten, abgeschiedenen Raum, dem Schlafzimmer, dem bescheidenen Schlafzimmer eines protestantischen Marineoffiziers aus Rochefort: zwei Florette, eine Fechtmaske, ein Eisenbett, ein Koffer, ein Waschtisch, ein Rasiermesser, ein Parfümfläschchen und vier nackte, gekalkte Wände.
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Der dicke Thomas klatschte sein Geschirrtuch auf den Tresen, die Belote-Partie war zu Ende, Paco und die anderen waren nach Hause gegangen oder zu ihrer Arbeit zurückgekehrt, das Café war menschenleer um die Mittagessenszeit; Thomas räumte lächelnd ein paar Gläser weg: Der Gott der Karten war wirklich wild und unberechenbar, wie es sich gehörte. Er war eine kleine, hässliche und bocksbeinige Gottheit, die jeden in die Pfanne haute, der meinte, sie auf seiner Seite zu haben; Thomas, der eine Bettwanze, eine Cimex lectularius, werden würde, war gerade mit dem Aufräumen fertig, als Doktor Hervé Nicoleau, der Arzt aus Villiers-en-Plaine, die Tür zum Angler-Café aufstieß, was ziemlich selten vorkam und Thomas Anlass zu Sorge gab – Doktor Nicoleau war das, was man mustergültig nennen könnte, er hatte sich mit Haut und Haar seinem Wirkungsraum und seinen Patienten verschrieben; er ging langsam auf die sechzig zu, doch selbst wenn sein Renteneintritt Gott sei Dank noch fern war, fragte man sich schon jetzt, was aus der Gegend werden sollte, wenn Nicoleau (runde Brille, rundes Gesicht, kräftiger Händedruck) nicht mehr praktizieren würde. Thomas warf sein Geschirrtuch über die rechte Schulter und grüßte den Landarzt respektvoll, während er ihn fragte, was ihn denn nach La Pierre-Saint-Christophe führe – er hoffte, der Arzt kam nicht wegen ihm; er fürchtete, Hervé Nicolaeu könnte, im Verein mit dem Todesengel, plötzlich eine unerkannte Krankheit bei ihm gewittert haben, einen unsichtbaren, bösartigen Tumor, dessen unverwechselbarer Geruch die Nase der Ärzteschaft kitzelte. Der dicke Thomas war ebenso hypochondrisch wie boshaft: in gleichbleibender Fettleibigkeit. Die Kälte, antwortete Doktor Nicoleau sibyllinisch und bestellte eine Tasse Viandox®; Thomas erinnerte sich an diese Bouillon von einst und fragte sich, ob er in den Tiefen seiner Küche noch eine Flasche von dem Fleischextrakt hatte. Eine Viandox® hat schon lange niemand mehr bei mir bestellt, dachte er; der Name weckte in ihm einen Haufen Erinnerungen, etwa an den Eierständer und die Fischer, die im Morgengrauen zu ihrem schwarzen Kaffee ein Ei ausschlürften, bevor sie im Nebel über dem Sumpf verschwanden. Thomas ging in die Küche, um die gewünschte Würzpaste zu holen, dann gab er etwas von dieser beunruhigenden Teermasse in eine Tasse und füllte sie mit heißem Wasser aus dem Perkolator. Doktor Nicoleau verfolgte seine Gesten mit Vorfreude und rieb sich dabei die Hände. Der Schneesturm draußen war stärker geworden; der Arzt hatte eine schwierige Visite bei einem todkranken Patienten vor sich und wollte sich unbedingt vorher aufwärmen. Nicoleau liebte seinen Beruf. Er liebte seine Patienten, seine Praxis in Villiers, seine Visiten; er war gradlinig und kameradschaftlich; er hatte in Poitiers studiert, seine ganze Familie stammte aus der Gegend: Sein Onkel war der verstorbene Marchesseau, Veterinär und Petrochristophorer, der fast vierzig Jahre lang den Viehbestand der Region betreute, die Equidae, Bovini, Caprini und das Volk der Cuniculi medizinisch versorgte, in lange zurückliegender Zeit notfalls auch die Hominiden, ohne sich dessen gegenüber seinem Neffen oder dessen Kollegen je zu rühmen; sein Erzeuger, Germain Nicoleaus Vater, noch immer rüstig trotz seines Alters und seiner Leidenschaft für Cognac, hatte Generationen von Bauern und Honoratioren aus Coulonges-sur-l’Autize behandelt; er speiste ebenso gerne mit den Notaren im Gasthaus nach einer Taufe wie auf dem Hof eines Bauern im tiefsten Winter, wenn ein Schwein geschlachtet wurde und der Geruch von versengten Borsten in der Luft lag – weder Vater noch Sohn waren reich geworden, hatten aber oft zum Dank für das Wunder der Genesung Hühner, Enten, Eier, Kaninchen, ordentlich Wein, Schnaps, Cognac, Whisky bekommen oder bei einer komplizierten Geschichte, die am Ende gut ausgegangen war, sogar einen Böllerschuss in die Luft. Doktor Nicoleau junior lebte gut, mit allen Annehmlichkeiten, hatte einen Verschleiß an Autos, als wären es Pantoffeln, und kannte die Region besser als seine Westentasche: Er kannte den Namen jedes Dorfs, jeder Gemarkung und ihrer Bewohner – es gab keine Baumgruppe, deren Namen ihm nicht vertraut war, keinen noch so abgelegenen Hof, von dem er nicht wusste, wer dort wohnte und ob man dort noch Wand an Wand mit dem Vieh oder auf dem gestampften Lehmboden lebte.
An diesem Tag betrachtete Doktor Nicoleau den schweren Schneefall vor dem Fenster, ein Wintermonsun, schlürfte seine Viandox® und wärmte sich an der sanften Hitze des Holzofens. Der dicke Thomas beobachtete den Arzt, jedoch von Weitem aus der Küche, wie man ein gefährliches Tier beobachtet, einen Tiger, der einen mit einem Fingerschnippen auf Diät setzen oder ins Krankenhaus schicken konnte. Nicoleau stärkte sich für den Besuch beim alten, dichtenden Lehrer Marcel Gendreau, der in ein Zimmer bei seiner Tochter umgezogen war, von Échiré zurück nach La Pierre-Saint-Christophe, wo er so lange unterrichtet hatte, und dieses Mal würde seine Rückkehr endgültig sein, wie Nicoleau wusste: Es konnte gut und gerne sein letzter Besuch sein, der alte Gendreau war am Abnibbeln, seine Lungen machten bei jedem Atemzug den Krähen Konkurrenz, seit zwei Tagen war er ohne Bewusstsein, die Arme angeschwollen vom Wasser, der Herzschlag unregelmäßig, ein Zustand, der den Arzt mit Trauer erfüllte – man tat, was man konnte, um ihm die letzten Stunden zu erleichtern, Nicoleau kippte seine Viandox®, als wären es ein paar Tropfen Minzgeist, dankte dem dicken Thomas, den die Furcht vor einer Krankheit ins Hinterzimmer seiner Küche verbannt hatte, der aber durch die Verlockung des Geldes rechtzeitig am Tresen zurück war, um die 2 Euro einzustecken, die der Arzt ihm schuldete (er hatte für die Tasse Viandox®, angemessenerweise, wie er meinte, denselben Preis berechnet wie für eine Tasse Tee). Dann drückte er dem Arzt schlaff die Hand und wedelte kurz mit dem Geschirrtuch, als Nicoleau durch die Tür ging. Die wirbelnden Schneeflocken hüllten den Arzt in ein wehendes Totenhemd, einen eisigen Feenschleier, der ihn bis zum Haus von Magali begleitete, der Tochter des alten Gendreau, an dessen sechzig Jahre zuvor veröffentlichten Roman Natur verpflichtet …, der ihn sozusagen die Vertreibung aus dem Dorf gekostet hatte, sich in La Pierre-Saint-Christophe niemand mehr erinnerte, wo seine Tochter, inzwischen selbst Rentnerin, seit einer Ewigkeit lebte. Das Alter hatte Marcel Gendreau gezwungen, seinen Schlupfwinkel in Chalusson bei Échiré, die Plötzen und das Château de la Taillée zu verlassen, das der Urenkel von Agrippa d’Aubigné erbaut hatte, die Reinkarnation post quem Jérémie des Gehängten, Stiefvater des Großvaters von Lucie Moreau und ihrem Cousin Arnaud, der noch immer in die Flammen starrte und vor sich hinräumte, und in dem Augenblick, als Doktor Nicoleau an der Tür von Magali Belloir, geborene Gendreau, klingelt, kämpft ihr Vater noch immer in den Pausen zwischen seinen rasselnden Atemzügen, einem kontinuierlichen Röcheln, sotto voce getragen vom Schnarchen des Sauerstoffgeräts und von der Wanduhr auf largo getaktet, mit dem sicheren Tod, dessen Präsenz der Arzt beim Eintritt in das Sterbezimmer deutlich spürt an der schlaffen Hand, die er nimmt, der Vertiefung, die sein Finger auf dem Unterarm hinterlässt, und dem schwachen, unregelmäßigen Herzschlag, auch an dem zum stützenden Kopfkissen hingewandten Gesicht mit den geschlossenen Augen, den vom Morphium entspannten Wangen und dem vom Gewicht des Kinns einen Spalt breit offenen Mund; der Körper ist schwer, denkt Nicoleau und sieht Magali an, die Ringe um die Augen hat von der Nacht, die sie offenbar hilflos auf das Unvermeidliche wartend durchwacht hat, sie hält die Hand vor den Mund, hat ein Flirren im Blick – träumt Marcel Gendreau von Vergil, Omnia vincit amor: et nos cedamus amori, denkt er an seine im Marais verfassten Gedichte, an die Sonnenreflexe auf dem Rücken der Barsche, an die roten Winterhimmel, an die Geschichte von Jérémie und Louise, die so brutal war wie die starre Jahreszeit, oder an die Zärtlichkeit seiner Tochter, die ihn in diesen letzten Monaten begleitet hat, als er sich, von Alter und Krankheit gebeugt, in sein Bett kauerte, wo er allmählich immer tiefer in das Baumwolllaken sank, in den Daunen des Kopfkissens verschwand, man weiß es nicht, und Magali und Nicoleau spüren, dass er nun ans Ende des Satzes kommt, dass die Stimme am Ende der Aussage zunehmend abfällt, dass sich der Atem, den die Kommata immer weniger unterstützen, in den Schlangenlinien der Zischlaute, in der Häufigkeit der Reibelaute nach einem langen Ansteigen der Nasale erschöpft und plötzlich verstummt. Als hätte Marcel Gendreau die tröstende Anwesenheit von Doktor Nicoleau abgewartet, um nicht hören zu müssen, wie jemand sagt, es sei zu Ende, um nicht ein letztes Mal die Finger des Arztes auf seiner Halsschlagader zu spüren, nicht der großen Stille seines Herzens lauschen zu müssen, während seine Seele schon halb im Bardo weilte und das Klare Licht für ihn aufging wie eine hoffnungsvolle Morgensonne – Marcel Gendreau, der dichtende Lehrer, der Jérémies Unglück zu einem Roman verarbeitet hat, ist nicht mehr. Nicoleau wird es gleich auf einem blauen Totenschein bestätigen, dessen vertraulichen Teil er zusammenfaltet, während Magali sich die Augen ausweint. Wie ein alter Baum am Rande eines Felsens, bei dem es ausreicht, dass ein Spatz sich auf ihn setzt oder mit den Flügeln schlägt, um ihn eines Tages in den Abgrund zu stürzen, hatte Magali in ihrer Trauer standgehalten bis zum Schluss, so fest, dass sie noch Monate später die zurückgehaltenen Tränen vergoss.
Sie nahm ein letztes Mal die Hand ihres Vaters.
Unter Tränen stammelte sie eine Art Gebet.
Sie schloss die Schlafzimmertür hinter sich und ging zu Doktor Nicoleau, der den für die Verwaltung bestimmten Teil des Totenscheins vollends ausfüllte.
Schluchzend sagte sie, er hat auf Sie gewartet, Doktor. Er hat auf Sie gewartet.
Schluchzend sagte sie, trinken Sie doch einen Schluck, Doktor.
Worauf Nicoleau etwas heiser antwortete, da sage ich nicht Nein, Madame Belloir. Da sage ich nicht Nein.
Und während Doktor Nicoleau sein Schnapsglas leerte, ging Magali ans Telefon, um Martial Pouvreau und die Männer mit den Leichenbittermienen anzurufen.