Kapitel

EIN DIKTATOR
FÜR MEINE FANTASIE

KÖLN, 14. OKTOBER
JONAS’ WOHNUNG

Kapitel

»Hallooo«, flöte ich enthusiastisch, sobald die Wohnungstür hinter mir zugefallen ist.

Jonas sitzt mit einem Cappuccino und einem Milchbärtchen in den Bartstoppeln am Tresen. Er lässt die Tasse sinken, wischt sich mit dem Handrücken über die Lippen und breitet begeistert die Arme aus. »War es gut?«

Ich verdränge die Tatsache, dass Sarinas Verhalten mir gegenüber alles andere als gut war, und zwitschere: »Aber so was von!«

»Daran hatte ich keine Zweifel!«

Ich mache einen kleinen Knicks, hänge Mantel und Tasche an die Garderobe zu seiner Lederjacke und geselle mich zu ihm.

»Möchtest du mit einem Cappuccino anstoßen? Ich habe neue Bohnen. Eine helle brasilianische Röstung.« Jonas führt Daumen, Zeige- und Mittelfinger an seine gespitzten Lippen und haucht einen Kuss darauf, als wolle er ein besonders deliziöses Festmahl loben.

»Klar«, antworte ich und mache eine wellenförmige Tanzbewegung mit Brust und Schultern. Ich bin noch immer außer mir.

»Was ist das eigentlich für ein Job?«, fragt Jonas, während er sich an der Espressomaschine zu schaffen macht. Ich fasse ihm die Stelle und meinen Trojanisches-Pferd-Plan in wenigen Sätzen zusammen und ernte dafür ein anerkennendes Nicken. »Klingt ganz so, als wäre Cappuccino zum Feiern nicht wirklich ausreichend.«

»Ihr Jagodas seid einfach richtige Party Animals.«

»Sind wir das?« Jonas dreht sich kurz zu mir um und präsentiert mir skeptisch hochgezogene Brauen.

»Deine Schwester hat jedenfalls genau dasselbe vorgeschlagen. Wir wollen heute Abend darauf anstoßen. Fynn ist auch dabei und Anouk, wenn sie es schafft.«

Plötzlich argwöhnisch macht Jonas auf dem Absatz kehrt und fuchtelt grüblerisch mit dem Siebträgereinsatz, in dem er eben das Kaffeepulver platt gedrückt hat. »Fynn? Du meinst: der mysteriöse Grund, wieso ihr bei meiner Einweihungsfeier plötzlich verschwunden und ohne Anna zurückgekommen seid?«

Mir wird nach Möglichkeit noch wärmer ums Herz, als er diesen Abend erwähnt. Anouk und ich mussten Anna regelrecht zu ihrem Glück zwingen, nachdem wir auf Jonas’ Party zufällig Adem kennengelernt hatten, der sich als Fynns Mitbewohner herausstellte. Wir haben sie eingepackt und sind mit ihr zu der WG der beiden gefahren, damit sie sich mit Fynn versöhnen konnte. Was sie dann auch getan hat. Erst ganz theatralisch im Treppenhaus des Mehrparteienhauses, dann die ganze Nacht lang in Fynns Schlafzimmer. Da waren Anouk und ich aber natürlich nicht zugegen. Kennengelernt haben wir Fynn trotzdem. Ganz züchtig am nächsten Morgen beim Brunch, zu dem Anna uns zur Belohnung für unseren Einsatz als Liebesbotinnen eingeladen hat. Jonas hingegen scheint seinen neuen Schwager in spe noch nicht zu kennen.

»Was schaust du so grimmig? Sag bloß, du bist die Art großer Bruder, der die Ehre seiner Schwester verteidigen will?«

»Ha!«, macht er und wird dann von dem Dröhnen der Kaffeemaschine unterbrochen, die die helle brasilianische Röstung in den Koffeinkick verwandelt, der meiner aufgedrehten Stimmung vollends den Rest geben wird. »Nein. Ich bin lediglich der große Bruder, der es nicht fassen kann, dass seine Schwester in einer festen Beziehung sein soll. Anna war immer so …« Doch was genau Anna war, wird nun von dem Zischen des Milchaufschäumers abgewürgt.

»Ich weiß, was du meinst«, stimme ich ihm zu, sobald die Milch eine wolkenweiche Konsistenz angenommen hat. Anna war vor Fynn nie für was Festes zu haben. Nicht weil sie das kategorisch abgelehnt hat, sondern – wie sie uns vor Kurzem gebeichtet hat – weil sie nie den Richtigen dafür gefunden hat. All die Affären zuvor waren mit Kerlen, bei denen sie immer das Gefühl hatte, nicht Nein sagen zu dürfen. Weil sie sich bereits auf ein Date, eine Essenseinladung oder vielleicht sogar einen Kuss mit ihnen eingelassen hatte und deshalb glaubte, sie wäre ihnen etwas schuldig. Ich kann so gut verstehen, woher ihre Angst rührte. Die Gesellschaft hat es in Sachen sexuelle Selbstbestimmung der Frau einfach grandios verkackt. Das einzig Gute an der Sache ist, dass sie @alleswasunsniemandsagte gestiftet hat.

»Wenn ich es mir recht überlege, will ich mir über das Liebesleben meiner Schwester gar keine Gedanken machen.« Jonas stellt den fertig zubereiteten Cappuccino auf die Theke und dreht mir den Henkel zu, dann greift er sich theatralisch ans Herz und seufzt mit verstellter, den Tränen naher Stimme: »Es fühlt sich an, als wäre es erst gestern gewesen, als wir zusammen nackt durch den Rasensprenger gerannt sind.«

Ich pruste in die perfekte Milchschaumblüte, die Jonas mal so eben nebenbei gezaubert hat. »Und jetzt rennt sie nackt mit Fynn durch den Rasensprenger.«

»Neeein, diese Bilder in meinem Kopf!« Er hält sich den Unterarm vor die Augen.

Ich muss kichern. »Aber das heißt, du kennst Fynn noch gar nicht? Du bist doch dicke mit Adem?«

»Ich kenne Adem nur vom Pumpen. Wir gehen öfter zusammen nach dem Gym was trinken, aber wir haben noch nie zusammen romantische Filmabende in seiner WG gemacht oder so.« Jonas zuckt grinsend mit den unverschämt muskulösen Schultern, die sich durch sein weißes T-Shirt hindurch abzeichnen. Sie erinnern mich an ein Geschenk, das so markant geformt ist, dass man schon durch die Verpackung hindurch erraten kann, worum es sich handelt.

Was denke ich da? Geschenk? Markant geformt? Was für ein Bullshit. Schnell, Angriff nach vorn!

»Hast du gerade komplett unironisch die Worte Pumpen und Gym in einem Satz verwendet?«

Jonas hebt schon wieder sein Geschenk – Pardon: seine Schultern – und sagt komplett ungerührt: »Es waren zwei Sätze.« Ich muss laut lachen, Jonas stimmt mit ein. Und als er sich wieder gefangen hat, lässt er seine Augenlider Richtung Boden sinken, nur um sie in bester Hollywood-Manier in Zeitlupe wieder aufzuschlagen. »Weißt du, dass das so ’ne Art Ritterschlag ist, dich zum Lachen zu bringen?« Seine Hollywood-Augen fixieren mich, die Iris so einwandfrei stahlblau, dass sie aussehen wie die Tiegel in einem Farbmalkasten.

Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue hoch. »Weil ich damit so sparsam umgehe?« Eigentlich halte ich mich für einen Menschen, in dessen Gegenwart man viel und oft lachen kann. Vorausgesetzt man nimmt sich und das Leben nicht so ernst.

»Nein, weil du … weil du sonst immer schlagfertig und eloquent und so …« Das Ende des Satzes versandet in einer Menge Gesten, denen Jonas schließlich dadurch Einhalt gebietet, dass er nach seiner Kaffeetasse greift und sie mit einem letzten Zug leert. »Jo, also, jedenfalls – viel Spaß heute Abend.«

»Wie? Kommst du nicht mit?«, frage ich. Und erst da wird mir bewusst, dass ich die ganze Zeit davon ausgegangen bin, dass er dabei sein würde. Ich bin schon ein bisschen dämlich. Nur weil Jonas sich für mich zu einem meiner besten Köln-Buddys gemausert hat, bedeutet das noch lange nicht, dass ich auch zu seinen gehöre. Er wohnt hier schließlich schon eine Weile und hat noch dazu die Ausstrahlung einer Stadionbeleuchtung. Sicher kennt er einen Haufen Leute aus der Uni – und natürlich aus dem Gym.

»Ich wollte nicht infiltrieren«, sagt Jonas mit einem Augenzwinkern.

»Du musst mit!«, fordere ich.

»Jawohl, Euer Ehren.« Er legt sich eine Hand wie zum Schwur aufs Herz und ein alles umspannendes, die Erde aufheizendes, Polkappen zum Schmelzen bringendes Lächeln breitet sich auf seinem hübschen Gesicht aus.

»Weißt du, so wurde ich schon häufiger genannt und ich finde allmählich Gefallen daran. Ich sollte vielleicht doch in den Staatsdienst gehen und Richterin werden.«

»Mach mal halblang, Pollyschmolly. Zuerst wirst du die beste Office Managerin, die Gay-irgendwas-and-Gabel«, er spricht es wie das Essbesteck aus, »je gesehen hat.«

abs

Wir treffen uns bei Fynn und Adem in der WG. Anna hatte zunächst eine angesagte Bar für den heutigen Abend auserkoren, es sich dann aber anders überlegt. Denn Eule – die Hündin, die sie und Fynn in Portugal gepflegt und schließlich mit nach Deutschland gebracht haben – hat erst vor Kurzem eine aufwendige OP überstanden und muss sich schonen. Oder in Annas Worten, die sie direkt nach dieser Erklärung in den Annapolonianouk-Chat geschickt hat:

Anna
Meine Konfettikanone von einem Freund würde sich – Zitat – lieber die Fingerspitzen mit Superkleber zusammentackern, als in diese Bar zu gehen.

Jonas will mit Adem später dazustoßen, weil sie donnerstags immer gemeinsam zum Sport oder besser gesagt zum Pumpen gehen. Also treffe ich um acht Uhr allein an der Adresse ein. An dem Abend von Annas und Fynns Versöhnung war ich ziemlich betrunken, weswegen ich das Mehrparteienhaus nie im Leben ohne Wegbeschreibung gefunden hätte. Völlig orientierungslos suche ich jetzt auf dem mit unzähligen Namensschildchen beklebten Klingelblock nach Fynns Nachnamen. Doch auch wenn ich dieses Mal stocknüchtern bin, finde ich ihn nicht.

»Heeey, wenn das mal nicht unser Trojanisches Pferd ist!« Ich wirble herum und entdecke Anna und Anouk. Anna schwenkt den Schlüssel ihres Fiats gut gelaunt im Rhythmus ihrer tänzelnden Hüften, woraus ich schließe, dass sie Anouk wirklich in Lansberg abgeholt hat. Mit ausgebreiteten Armen kommt sie auf mich zu, umarmt mich quietschend und haucht mir tausend Küsse ins Ohr.

»Glückwunsch, Große«, sagt Anouk ein wenig bodenständiger und zieht eine quadratische Karte hinter ihrem Rücken hervor. Sie ist handgezeichnet und zeigt eine illustrierte Polly, die mit Cowboyhut und Sporenstiefeln auf einem hölzernen Pferd reitet. Ich kringle mich vor Lachen über mein Skizzen-Ich und drücke Anouk besonders lange und fest an mich.

»Kommt, wir gehen rein.« Anna befördert einen zweiten Schlüssel aus der Tasche ihrer hochtaillierten Bundfaltenhose.

»Sag bloß, du hast schon einen Schlüssel?«, fragt Anouk beinahe entsetzt.

»Nur für jetzt. Damit wir, ohne zu klingeln, reingehen können.« Passend dazu hält uns Anna die Tür auf und wir gehen ihr voran in das Treppenhaus.

»So fängt es an.« Ich schmunzle. »Und plötzlich hat man denselben Nachnamen und holt sich einen Golden Retriever und ein Abonnement von Hello-Fresh-Kochboxen.«

»Du meinst, wir werden Spießer, weil Fynn mir der Einfachheit halber einen Schlüssel gegeben hat? Hier, die nächste Tür«, weist Anna an, sobald wir das zweite Stockwerk erreicht haben. Sie geht an mir vorbei und steckt den Schlüssel ins Schloss.

»Ich möchte anmerken, dass die beiden bereits einen Hund zusammen haben«, schnauft Anouk, als sie auf dem Treppenabsatz ankommt.

»Das ist etwas anderes!«, ruft Anna so laut, dass es im ganzen Gang widerhallt. Ironischerweise spricht ihr glückliches Grinsen eine ganz andere Sprache, worüber Anouk und ich ein zufriedenes Lächeln austauschen.

Anna öffnet die Wohnungstür in Super-Slow-Mo. Wieso, wird mir schnell klar. Denn in dem Moment, in dem der Spalt zwischen Rahmen und Tür größer ist als zwei Zentimeter, quetscht sich ein laut winselnder cremefarbener Hundekörper hindurch. Fiepend und mit euphorisch wedelndem Schwanz kommt Eule auf ihr Frauchen zugestürmt. Der portugiesische Straßenhundmischling freut sich so sehr, Anna zu sehen, als kehrte sie gerade von einem mehrjährigen Aufenthalt auf der ISS zurück.

»Hey, meine Süße, ganz ruhig. Wir sind jetzt alle wieder da.« Mit weiteren einfühlenden Worten und einer Salve an Küssen auf Eules etwas gerupft wirkendes Fell versucht Anna, die Hündin wieder auf den Teppich zu bringen. Doch Eules Schwanz hat begonnen, sich wie das Rotorblatt eines Helikopters zu drehen, wodurch ihr Hinterteil gehörig ins Wanken gerät. Der Anblick ist rührend und erschreckend zugleich, da dort, wo ihr zweiter Hinterlauf sein sollte, nur eine große kahle Stelle mit einer gezackten Narbe prangt. Kurz bevor Anna aus Portugal abgereist ist, wurde bei Eule ein bösartiger Tumor diagnostiziert und ihr Bein musste amputiert werden.

Anna drängt die Hündin in den Wohnungsflur und hält sie zurück, sodass wir ebenfalls eintreten können. Nachdem sie ihre Jacke an einer kargen, nur mit wenigen Klamotten bestückten Garderobe aufgehängt hat, wirbelt Anna plötzlich herum, deutet verschwörerisch auf mich und haut heraus: »Ha! Der Logik folgend müssen Jonas und du auch bald heiraten und Spießer mit Kochboxen werden.«

»Wie bitte?«, frage ich und durchlebe noch einmal diese dämliche Hollywood-Fantasie von Jonas auf dem Konferenztisch, in der er nun auch noch einen Anzug trägt. Was soll das? Ich werde meine Vorstellungskraft ab sofort zensieren müssen. Keine Sorge, ich darf das. Meine Imagination ist nämlich ein autokratisches System und ich bin ihr Diktator.

»Na, Jonas hat dir doch bestimmt auch vorübergehend einen Schlüssel gegeben. Macht er dir nun einen Antrag?«

»Herzlichen Glückwunsch.« Ich vollführe einen unbeeindruckten Slow Clap, um meine Verlegenheit, die Jonas in Anzug auf dem Konferenztisch mit sich gebracht hat, zu überspielen. »Für diese Erwiderung hast du jetzt so lange gebraucht?«

Anouk lacht trocken auf und hängt ihre oversized Jeansjacke über das cremefarbene Plüschmonster, das Anna getragen hat. Sie offenbart ein zu einhundert Prozent Anouk-iges Outfit bestehend aus Leggings, die ihre Beine winzig und die Stiefel riesig wirken lassen, und einem zu großen T-Shirt über einem Longsleeve, auf dem We all float down here steht. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ein Zitat aus Es und meine Kenntnis darüber spricht dafür, dass ich die gruselige Verfilmung, die Anouk mich zu schauen gezwungen hat, noch immer nicht verdrängt habe.

»Mhm«, macht Anouk. »Ich sehe Polly und Jonas auch nicht unbedingt zum Traualtar marschieren.«

Bevor ich etwas darauf erwidern kann, fragt eine verdutzte Stimme: »Wird das jetzt so ein Abend, an dem die Frauen übers Heiraten reden?«

Eule hopst auf ihren drei Beinen auf ihr Herrchen zu, umkreist Fynn, galoppiert dann wieder zu Anna und vollführt bei ihr den gleichen Move. Ganz klar Hundesprache für: Guck mal, Papa, ich habe Mama mitgebracht!

»Wird das hier jetzt so ein Abend, an dem wir die Gruppe kategorisch in die Frauen und die Männer trennen?«, werfe ich ein und platziere meinen Mantel neben den Jacken meiner Freundinnen.

Fynn bricht in schallendes Gelächter aus. Er hat ein eher ernstes Gesicht. Was ein bisschen ulkig wirkt, weil sich über diesem Gesicht die strubbeligste, kindlichste Frisur befindet, die ich je gesehen habe: halb krause Locken, halb glattes, ausgebleichtes Surferhaar – und das alles in flachsfarbenem Blond. Wenn er lacht, tut er es jedoch mit jeder Pore. Er war mir von Anfang an sympathisch, auch wegen solcher Schlagabtausche wie diesem gerade.

»Ach Apolonia. Ich hätte dich in Portugal so sehr gebraucht, um diesem Doofi die Stirn zu bieten.« Anna geht auf ihren Freund zu, legt ihm beide Arme um den Hals und küsst ihn. Es ist nur ein kurzer Kuss, aber selbst ein Blinder würde sehen, dass sich hier Yin und Yang gefunden haben – Gegensätze, die perfekt ineinandergreifen.

Unter Gelächter lotst uns Fynn in die Küche, wo wir an einem runden Tisch Platz nehmen. Das gute Stück ist bereits so in Mitleidenschaft gezogen worden, dass es mich nicht wundern würde, wenn ihm ebenfalls bald ein Bein amputiert werden müsste. Auch insgesamt wirkt die Einrichtung der WG eher improvisiert und irgendwie unfertig. Damit ist sie das komplette Gegenteil von Jonas’ Interieur-Oase, hat aber nicht weniger Charme. Die Ober- und Unterschränke wirken, als hätten sie ursprünglich zu fünf verschiedenen Küchen gehört. Das Regalsystem neben dem Esstisch ist eindeutig selbst gebaut und Heimat von unzähligen angebrochenen Lebensmittelvorräten: Dosen mit Proteinpulver, Nudelpakete und gleich drei offen stehende Tüten mit Kaffeepulver, die Jonas bestimmt Albträume verursachen würden. Vorgemahlene Bohnen, noch dazu in Tüten, aus denen das Aroma entweichen kann, sind in der Kaffee-Bubble bestimmt so etwas wie eine Todsünde.

»Apropos Jonas«, werfe ich ein, nachdem ich mich mit dem Rücken zum Regal auf einen Stuhl habe fallen lassen. »Er kommt später mit Adem nach.«

»So oft wie in den letzten Wochen«, beginnt Anna, die sich gerade nach einem der Oberschränke streckt und Gläser herausholt, »habe ich Jonas seit seinem Auszug nicht mehr gesehen.« Sie stellt einen Turm verschiedenster Gläser vor uns ab und bedient sich dann am Kühlschrank, als würde sie bereits seit Jahren bei Fynn ein und aus gehen.

»Die sind ja geil!« Anouk wendet mit einem Kichern ein Glas in der Hand, das mit Batman- und Joker-Motiven bedruckt ist. Der Aufdruck ist vom häufigen Spülen ganz ausgebleicht und an einigen Stellen abgeplatzt. Etwas an der Form des Gefäßes lässt mich kombinieren, dass es sich irgendwann mal um die Sonderedition eines Nutella- oder Senfglases gehandelt haben muss.

»Ha! Sag ich doch«, jubiliert Fynn und deutet halb anklagend, halb scherzend auf Anna, die sich augenrollend mit ihrem Handy, auf dem ich eine geöffnete Liefer-App erkennen kann, zu uns an den Tisch setzt.

»Schönen Dank auch, Anouk. Ich wollte ihm begreiflich machen, dass man sich durchaus mal für ein paar Euro einheitliches Geschirr bei Ikea gönnen darf.«

»Aber ich hab doch die!«, protestiert er, setzt sich neben mich und nimmt ein weiteres Prachtexemplar seiner Sammlung hoch.

»War das mal Nemo?«, will ich wissen und nehme die vermeintlich clownfischförmigen Umrisse eines weiteren verwaschenen Aufdrucks genauer unter die Lupe.

»Die Frau ist eine echte Kennerin«, lobt Fynn mich.

Anna, nun vertieft in das Speisenangebot auf ihrem Handyscreen, fragt betont beiläufig: »Wann kam Findet Nemo ins Kino? Anouk, du weißt so etwas doch?«

»Mhm … so 2003, vermute ich.«

»Hervorragend. Du trinkst also aus einem Nutellaglas, das älter ist als ich.«

Fynn umschließt das Relikt mit der Hand und sagt pathetisch: »DAS ist feinstes Senfkristall!«

»Senf… was?« Anna schaut von der Pizzaauswahl auf und schüttelt irritiert den Kopf.

»Senfkristall. So nennt man in meiner Familie Senfgläser, die man zum Trinken weiterverwendet.«

»Aha«, macht sie skeptisch.

»Könnte ich jetzt vielleicht endlich was von dem Wein bekommen?« Fordernd trommle ich auf die Tischplatte. »Ist mir egal, woraus wir trinken. Gerade würde ich mit euch auch mit alten Gummistiefeln anstoßen.«