EINE NOCH SCHÖNERE
BESCHERUNG
KÖLN, 2. JANUAR
WG
Mir schlägt eine Welle abgestandener Luft entgegen. In unserer Wohnung ist seit über einer Woche keine Menschenseele mehr gewesen und so riecht das neue Jahr nach längst getrunkenem Kaffee und dem vergangenen Dezember. Obwohl es draußen arschkalt ist, reiße ich in jedem Raum die Fenster auf, lasse Wasser in die Badewanne und anschließend durch die Kaffeemaschine laufen, um den Kessel aufzuheizen. Ich möchte jetzt heiße Flüssigkeit in mir und um mich herum, vielleicht entspannt mich das endlich.
Das brummende Geräusch aktiviert in meinem Gehirn ähnliche Areale wie die Glocke bei Pawlows Hunden. Sabbernd freue ich mich auf den Kaffee und denke dabei an Jonas. Zehn Tage ohne ein Wort von ihm. Zehn Tage ohne ein Wort von mir. Das sind zehn Tage, nach denen ich mir sicher bin, mit dem Kuss alles zerstört zu haben. Ich kann nur hoffen, dass er ihn einfach ignorieren und zum Normalzustand zurückkehren wird. Wobei zum Normalzustand vermutlich gehört hätte, einander einen guten Rutsch oder ein frohes neues Jahr zu wünschen. Aber auch das ist ausgeblieben. Ich bin schon vor Scham gestorben, wenn ich nur seinen Namen in WhatsApp aufgerufen habe, und er wollte mir vermutlich keine Hoffnungen auf weitere Lippenbekenntnisse machen.
Wer mir hingegen ein frohes Neues gewünscht hat, ist Konrad. Seine Beharrlichkeit schmeichelt mir so sehr, dass ich seit dem Eintreffen seiner Nachricht um kurz nach zwölf in meinem Kopf nach Gefühlen für ihn fahnde. In meinem Oberstübchen sieht es jedoch seit Tagen aus, als wäre der Aktenschrank mit meinen gesammelten Emotionen explodiert. Sie fliegen überall ungeordnet herum: Verwirrung wegen Jonas. Verliebtheit, wenn ich an den Kuss zurückdenke, so schrecklich er auch war. Angst vor unserem Wiedersehen. Mitgefühl für die an Liebeskummer leidende Anouk. Panik vor meinem nächsten Arbeitstag bei Gayleway & Gabel. Wut auf Patrick, Sarina und Fischer. Und dann wäre da natürlich noch die Scham über meine Mutter, die es – Zitat – doch nur witzig gefunden hat, meinen Freundinnen vibrierende Penisringe und mir die zugehörige, Oralsex simulierende Leck-sie-Hexy zum heiligen Fest zu schenken. Wir sind doch alle erwachsene Frauen. Sexualität ist kein Tabuthema, Apolonia, lautete der Vorwurf, den ich mir gefallen lassen musste, weil ich ihre Geschenkewahl nach meiner Rückkehr von Anouk kritisiert habe. Doch immerhin hatten wir so ein unverfängliches Stellvertreterthema, das es uns leicht gemacht hat, die eigentlichen Probleme zwischen uns für die Dauer meines Aufenthalts auszublenden. Es war beinahe harmonisch. Was meinem Emotionschaos eine gute Portion Argwohn hinzufügt.
Nur eines ist in dem Gefühlshaufen nicht zu finden: ein kleines Fünkchen Romantik für Konrad. Da ist nur … Jonas.
»Polly?«
Jonas!
Habe ich gerade etwa seine Stimme fantasiert? Ich wirble so schnell herum, dass ich mit meinem Ellbogen an den kochend heißen Ausguss der Kaffeemaschine komme. Nein. Neinneinneinneinnein.
Da steht wirklich Jonas in der Tür! Die verbrühte Stelle an meinem Arm ist nichts gegen die Temperatur des Blutes, das mein Herz mit jedem Schlag durch meine Adern pumpt. Auf ganz widersprüchliche Weise bekomme ich bei Jonas’ Anblick trotzdem von Kopf bis Fuß Gänsehaut.
Er schaut mich völlig verdattert an, trägt in jeder Hand eine Reisetasche und eine Pudelmütze auf dem gewellten Haar. Er sieht aus, als käme er direkt von der Skipiste oder von einem Fotoshooting für Wintermode. Ich hingegen bin ungeschminkt, trage einen losen Messy Bun und einen stilistisch passenden messy Schlabberlook und halte mir peinlich berührt den glühenden Ellbogen.
»Ich dachte, du kommst erst morgen«, bringe ich schließlich hervor.
»Äh … ich … entschuldige, ich wusste nicht, dass …« Er setzt die Gepäckstücke ab und schließt die Tür hinter sich.
»Dass was?«, frage ich und merke erst, wie aggressiv ich klinge, als die Worte schon draußen sind. »Dass ich mich noch hertraue?« Fuck. Fuck, fuck, fuck. Mein dummes vorlautes Mundwerk!
Jonas’ Miene verändert sich. Wird unlesbar für mich. Sie wirkt sanft, aber maskenhaft. Nicht echt. Es ist das Gesicht, mit dem Ärzte Todesbotschaften überbringen. Professionell einstudiertes Mitgefühl. Dabei zieht er sich wie in Zeitlupe die gefütterte Jacke aus und summt geradezu meinen Namen: »Polly, ich …«
Ein weiteres Gefühl kämpft sich durch das Chaos in meinem Hirn nach vorn. Und plötzlich erkenne ich: Ich bin sauer auf ihn! Zehn Tage war ich so damit beschäftigt, mich für das Geschehene runterzubuttern, dass ich diese Emotion komplett verdrängt habe. Er hätte mich nicht so hängen lassen müssen. Er hätte reagieren können. Er hätte diesen Kuss nicht wie ein toter Fisch mit geöffneten Lippen passieren lassen dürfen!
»Nichts Polly, ich … Was soll das? Wenn du mich nicht hier sehen willst, hättest du dich einfach mal melden sollen. Frohes Neues übrigens.«
Seine sentimentale Maske wird zu einer verwirrten, beinahe kindlichen. »Ich … Polly, ich verstehe nicht ganz, wieso ich jetzt der Böse sein soll. Du hast dich doch auch nicht gemeldet!« Er greift mit beiden Händen in die Luft vor sich. »Du bist einfach aus dem Auto gerannt, als hätte ich dich gebissen.«
Ich reiße die Augenbrauen nach oben und stürme um die Küchentheke herum. »Ich glaube, es wäre mir wesentlich lieber gewesen, wenn du mich gebissen hättest. Das wäre wenigstens eine Reaktion gewesen!«
»Also geht es um den Kuss?« Er zieht sich verdattert die Bommelmütze vom Kopf und scheint dann nicht zu wissen, wohin mit ihr.
»Nein?« Meine Mimik ist völlig überfordert damit, diese widersprüchliche Aussage in einen Gesichtsausdruck zu übersetzen. Sarkastisches Augenbrauenheben? Übertriebenes Mundaufreißen? Wie bitte verdeutlicht man: Scheiße, verdammt, ich bin einfach sauer auf dich, weil du nicht so empfindest wie ich? Die Natur hat für derart egoistische Gefühle kein Protokoll.
»Also geht es nicht um den Kuss?« Jonas macht einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich intuitiv einen von ihm weg trete.
»Welcher Kuss, bitte? Das nennst du einen Kuss? Also ich nenne das … Mir fällt nichts ein, aber ein Kuss war es definitiv nicht.«
Jonas schmunzelt. Dieser Drecksack schmunzelt! »Bist du etwa um Worte verlegen, Pollyschmolly?«
Alle Emotionen werden aus meinem Kopf gespült, als er diesen Kosenamen gebraucht. Was bleibt, ist er. Nur Jonas.
»Ich bin … nicht …« Ich weiß nicht, wie ich diesen Satz beenden soll. Ich weiß nicht mehr, wie man spricht. Ich weiß nicht einmal mehr, wie man weiß. Mit erhobenen Händen forme ich Scheuklappen links und rechts von meinem Gesicht und gehe wie das kindischste Kind in der Geschichte der Kinder in Richtung Badezimmer. Doch Jonas kommt mir zuvor. Er stellt sich vor die Tür, hinter der mein zur Entspannung gedachtes Schaumbad langsam erkaltet, und verbarrikadiert sie mit seinem Körper. Seinem wunderschönen Körper, der selbst in Hoodie und Jogginghose so perfekt aussieht.
Entrüstet lege ich den Kopf schief und motze ihn an: »Ich will jetzt nicht reden.«
Jonas’ Blick wird auf einmal ganz dunkel. Er lässt den Türrahmen los und baut sich vor mir auf. »Oh Polly, ich will auch nicht reden.«
Spätestens jetzt wachsen aus meiner Gänsehaut auch noch ein paar Federn, so nervös bin ich. Mir wird heiß und kalt gleichzeitig. Ich will fragen, wie er das meint, was das bedeutet, ob er … Doch da ist seine rechte Hand schon in meinem Nacken und seine linke an meiner Taille. Er fasst mich so bestimmt und innig an, dass ich mir plötzlich meines Köpers irrsinnig bewusst werde. Ich kann jede Pore fühlen, als Jonas mich zu sich zieht und ich die Distanz zwischen uns mehr fallend als gehend schließe. Meine Knie sind so weich, dass ich einige Zentimeter geschrumpft zu sein scheine, meine Füße haben die Bodenhaftung verloren. Noch bevor Jonas den sanften Druck seiner Hand an meinem Haaransatz intensiviert, kapiere ich endlich, was hier gerade geschieht. Kurz schießt mir noch die Frage durch den Kopf, ob man an meinem Atem erkennen kann, dass Anna, Fynn, Anouk und ich beim erst kurz zurückliegenden Silvesterraclette Knoblauch gegessen haben, doch dann sind Jonas’ Lippen schon auf meinen und meine Synapsen übertragen keine Gedanken mehr, sondern nur noch den blanken Gefühlsrausch.
Sein Mund ist genauso zart, wie ich es mir immer vorgestellt habe, die Bartstoppeln gerade so kratzig, dass mich jede Berührung von ihnen mit einem klitzekleinen, schönen Pikser realisieren lässt, dass all das wirklich passiert. Er umschließt meine Oberlippe und liebkost sie in der exakt richtigen Mischung aus Nehmen und Geben, saugt sie sanft an und lässt sie anschließend wieder los, wodurch ein filmreifes Knutschgeräusch im Wohnzimmer widerhallt. Der Sound löst meine letzten Hemmungen. Meine Hände gleiten um Jonas’ Mitte und erforschen seinen Rücken. Gleichzeitig bemerke ich, wie seine linke den Weg hinab zu meiner Hüfte findet. Mit einem hungrigen Seufzen öffne ich den Mund und schmecke augenblicklich Jonas’ Zunge. Keine Ahnung, wie meine Synapsen das schaffen, aber sie wissen sofort, was zu tun ist. Gehen auf ihn ein, bringen meine Zunge dazu, es seiner gleichzutun, sie zu umspielen und den Kuss zu vertiefen. Ich drücke mich an ihn, in seine Zärtlichkeit, möchte meinen Körper näher an seinem wissen. Wir stolpern gegen den Türrahmen, stoßen gegen den Griff, öffnen damit die Tür einen Spalt und hören … Wasser plätschern.
»Oh Shit.« Lachend und noch vollkommen berauscht löse ich mich von Jonas, gerade weit genug, um den Hahn an der Wanne zuzudrehen. Er hält mich dabei unentwegt an der Hand fest und zieht mich sofort wieder zu sich. Doch bevor er mich erneut küssen kann, muss ich nachhaken. »Wieso jetzt?«
»Wieso jetzt was?«
»Wieso küsst du mich jetzt?«
Sein tiefes, dunkles Lachen vibriert in mir, fährt mir bis in den Bauch und tiefer. »Vielleicht, weil du neulich schneller aus meinem Auto warst, als ich schnallen konnte, was vor sich geht?« Er vergräbt die Lippen an meiner Halsbeuge – und kurz ist da die Stimme meiner Mutter, die irgendetwas von meinem Doppelkinn und zu kräftigen Hals faselt, den ich nicht mit Rollkragen betonen sollte. Doch ich schiebe sie weg … weit weg.
»Du hättest aussteigen können. Mir nachgehen können.«
Jonas taucht aus meiner Halsbeuge auf. »Das ist mir dann auch klar geworden. Aber ich … Es war verwirrend.«
»Und davor … ich meine … wir …«
Jonas zieht die Augenbrauen hoch. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass Rummachen eine Option war.«
»WAS?«, zische ich. »Wie kann man denn bitte so schwer von Begriff sein?«
Er lässt kurz von mir ab und betrachtet mich. Seine blauen Augen glitzern mit seinen Zähnen um die Wette, so breit grinst er nun. »Wer hat mir denn bitte Dates mit anderen Frauen aufgequatscht?«
»Ich wollte ein guter Kumpel sein!« Ich boxe ihm gegen die Brust. »Und du hättest nicht hingehen müssen.«
Jonas drückt unsere Becken fester aneinander und legt seine Nasenspitze an meine.
»Ich habe jede Sekunde bereut«, haucht er.
»War sie fies?«
»Sie war nicht du.«
Ich glaube, ich träume. Das Gefühl in meiner Brust, als ich begreife, was er da gerade gesagt hat, das Kribbeln in meinem Bauch – das alles kann nicht aus der Realität stammen.
»Außerdem bist du mit Kleiner-Schal-Konrad ausgegangen.« Jonas streckt anklagend beide Hände nach oben.
»Hey!«, ermahne ich ihn. »Wieso sind die nicht mehr auf meinem Hintern?« Mit einem breiten Grinsen fuchtle ich gespielt vorwurfsvoll in Richtung seiner Hände.
»Ohooo.« Jonas beugt sich die wenigen Zentimeter zu mir herab, dreht seine Stimme zu einem Flüstern herunter und haucht in mein Ohr: »Jetzt wird sie ganz fordernd. Gefällt mir.«
Oooh meiiin Gooott. Mir gefällt diese Facette von ihm ebenfalls. Denn das hier ist ein anderer Jonas. Nicht mehr länger der nette Paradeschwiegersohn. Dieser Jonas ist nicht gekommen, um der Oma nebenan umsonst den Rasen zu mähen. Dieser Jonas ist hier, um mich zu packen und unter Küssen und Berührungen sanft in sein Schlafzimmer zu drängen.
In sein Schlafzimmer.
Der Raum ist dunkel und bitterkalt von der Januarluft, die ich nach meiner Ankunft hereingelassen habe. Wir frösteln, als wir ihn betreten, und lassen kurz voneinander ab, damit Jonas das gekippte Fenster und die Vorhänge schließen kann. Ich befürchte, dass mit der frischen Temperatur auch die awkwardness hereingeweht wurde. Doch als Jonas wieder auf mich zutritt, ist davon nichts zu spüren. Seine Pupillen haben sich vampirartig verdunkelt und sind unablässig auf mich gerichtet. Den Blickkontakt unterbricht er nur, um sein Sweatshirt beidhändig hinten am Rücken zu packen und sich des Stoffes mit einer ruckartigen Bewegung zu entledigen. Wie kann etwas so sexy sein? Wie kann jemand so sexy sein?
Sein T-Shirt rutscht bis zu seinem Nacken hoch, entblößt seinen schönen Bauch mit dem schönen Teint und der schönen Haut. Ich habe Dehnungsstreifen an den Seiten, an meinem Muffin Top – dieses dumme Wort, es fällt mir ausgerechnet jetzt wieder ein. Ich habe sie nicht nur dort, viele Regionen meines Körpers sind gestreift. Die Innenseiten meiner Oberschenkel, mein Po, selbst vorn an meinem Bauch sind im Laufe der Zeit ein paar feine Verästelungen entstanden. Den Großteil meines Lebens spielen diese silberblauen Male keine Rolle für mich, sie reduzieren nicht meinen Selbstwert und ruinieren mir ganz sicher nicht den Sommer – eine Errungenschaft, die ich mir hart erarbeiten musste. Doch wenn sich ein Mann vor mir auszieht, dann erscheinen sie mir plötzlich so präsent, als hätte man sie mit rotem Filzstift nachgezeichnet.
Ich hasse es. Ich hasse es, dass mich die Gesellschaft so zerstört hat, dass ich in einem Moment, in dem nur Lust und Spaß und Glücksgefühle ins Gewicht fallen sollten, Gedanken an gedehnte Haut verschwende.
Scheiß drauf. Zwar weiß ich noch nicht, wohin uns dieser Abend führt, aber ich weiß, dass ich die Gedanken an meine vermeintlichen Makel nicht dorthin mitnehmen will.
Ich gehe bestimmt auf Jonas zu und berühre seinen Rücken, lege meine Finger direkt auf die nackte Haut, bevor er sein T-Shirt richten kann. Sie ist so warm, so fest, so weich. Ich bemerke, wie er kurz zurückzuckt, bevor er in meine Berührung hineinschmilzt. Jonas umfasst mein Gesicht, zieht es zu seinem und gleitet tief mit der Zunge in meinen Mund. Nach zwei oder drei Minuten – oder auch Stunden, wie soll ich das noch einschätzen können? – geben unsere Puddingknie nach und ziehen uns beinahe magisch in Richtung seines Bettes.
»Was tun wir?«, stammle ich, spüre den Holzrahmen in meinen Kniekehlen und sinke in die Matratze.
Jonas zieht sich auf dieselbe unfassbar heiße Art das T-Shirt über den Kopf und kommt auf mich zu, berührt mich, näher und näher, bis ich nach hinten kippe. Seine Arme hat er links und rechts von meinem Oberkörper aufgestützt, seine nackte Haut multipliziert den Bergamotteduft um den Faktor tausend. Er ist überall. Zitrusartig, hitzig, unwiderstehlich.
»Was immer du willst«, sagt er leise und sieht mich durchdringend an.
»Okay.« Passiert das hier gerade wirklich? Schlafen wir gleich miteinander? Jonas Jagoda und ich?
»Okay«, wiederholt er – und es ist das verdammt schönste Wort, das ich je gehört habe.
Er sinkt auf mich nieder. Sein Körper ist schwer, irgendwie, aber auf eine gute Art. Wie eine hochwertige Handarbeit, die gewichtig in der Faust liegt. Die wie dafür gemacht zu sein scheint. Genauso liegt Jonas auf mir. Er fügt sich in meine Kurven, als wäre sein Körper in einen Negativabdruck von meinem gegossen worden. Sein Becken passt so akkurat zwischen meine Hüftknochen, dass ich mich über einen einrastenden Klicklaut nicht wundern würde. Als er sich enger an mich schmiegt, merke ich, dass er hart ist. Sehr hart und … groß. Shit …
Meine Unterlippe vibriert bei unserem nächsten Kuss vor Verlangen. Ich wollte noch nie so dringend und unbedingt mit jemandem schlafen. Vielleicht wollte ich es überhaupt noch nie. Die Wochen des gegenseitigen Missverstehens haben mich geradezu gierig werden lassen. Und das Beste: Jonas scheint es genauso zu gehen. Seine Lippen wandern wieder und wieder zu meiner Halsbeuge, also imitiere ich sein Verhalten und werde mit einem tiefen Stöhnen dafür belohnt.
Er lacht halb entschuldigend, halb erregt auf. »Entschuldigung, ich … ich bin ein Halstyp.«
»Ist mir aufgefallen.« Ich schmunzle und nutze die Unterbrechung, um ihm mit einer Hand über die Wange zu streicheln. Er lächelt, kostet die Geste aus. »Was für ein Typ bist du noch?«
»Das wirst du merken.«
»Nichts, das ich wissen sollte?«
Kurzzeitig ist da wieder dieser Schatten auf seinem Gesicht. »Doch. Eine Menge. Aber … gerade erscheint es mir alles ziemlich leicht und unwichtig.«
»Leicht und unwichtig … das mag ich.«
»Ich mag deine Haare.« Er vergräbt seine Nase darin, atmet ein und seufzt. »Und deinen Mund.« Er küsst ihn. »Und deine Brüste.« Er hebt seinen Körper gerade weit genug, um meine rechte Brust zu umfassen, erst ganz sanft, dann bestimmter. »Irgendetwas, das ich wissen sollte?« Während er spricht, krabbeln seine Finger an meinem Pullover hinab, überqueren den Saum, gleiten darunter und über meine Seite, genau dort, wo die Risse in der Haut meinem körpereigenen Muffin ein interessantes Zuckergussmuster verleihen.
Für den Bruchteil einer Sekunde zucke ich wie er kurz zuvor unter seiner Berührung zusammen. Doch da schiebt er sein Becken schon weiter nach vorn, sodass sich seine Erektion noch ein wenig härter gegen mich drückt.
»Nichts«, sage ich, denn ich brauche keine weiteren Worte. Nicht von ihm. Nicht von mir. Unsere Körper übernehmen das Reden schon sehr gut. Sie wissen längst, wofür wir wochenlang gebraucht haben.
Und so lasse ich meine Hände endlich die Ausbeulung in seiner Hose finden. Erlaube ihnen, Jonas durch den Stoff hindurch zu streicheln, an ihm auf und ab zu fahren, bis er wohlig erschauert. Ich mache das. Ich mache, dass er erschauert. Unglaublich …
Seine Finger forschen weiter unter meinem Shirt und schieben es schließlich so weit hoch, dass ich es mit einem Handgriff über meinen Kopf stülpen kann und mein schlichtes graues Bustier entblöße. Jonas beugt sich wieder zu meinem Hals, küsst ihn, wandert über mein Schlüsselbein zur Brust, gleitet mit den Lippen über das graue Stretchmaterial, durch das meine Brustwarzen ähnlich laut ihr Begehren schreien, wie es sein steifer Penis tut. Sein Penis … Er fühlt sich schon jetzt so komplett richtig an meiner Mitte an, dass ich mir kaum ausmalen kann, wie es erst sein wird, ihn in mir zu spüren.
Oh … In mir! Da fällt mir ein …
»Ich habe keine Kondome«, flüstere ich und fürchte kurz, damit das Ende unseres heutigen Abends einzuläuten.
Jonas, der nun an meinem Bauch oberhalb des Nabels angekommen ist, schaut auf – mit seinen welligen Haaren, den breiten Schultern und den halb geschlossenen Lidern der Inbegriff von Sexyness – und lacht sein echtes Lachen. »Na, dann musst du wohl so vorgehen, wie man es in jeder guten WG tut.«
Ich rapple mich auf, stütze mich auf den Ellbogen ab und frage ratlos: »Und das wäre?«
»Du klaust welche aus dem Zimmer deines Mitbewohners.« Er nickt zu dem Nachtschrank, der nur aus einer einzigen frei schwebenden Schublade mit Ablagefläche besteht.
»Puh!« Mein Körper und ich atmen synchron auf. »Gut zu wissen. Für all die nächsten Male.«
Wir brechen beide in Gelächter aus, was mich noch glücklicher macht als seine Küsse, seine nackte Haut und sein verschleierter Blick zusammen. Denn wir harmonieren. Wir machen Spaß zusammen.
Angespornt von diesen Endorphinen greife ich in Jonas’ Hose, schiebe den Sweatstoff über seine Boxer Briefs und helfe ihm anschließend dabei, meine Jogger ebenfalls auf den Boden neben dem Bett zu befördern. Als unsere Körper nun nur in Unterwäsche aufeinandertreffen, spannen sich in meinem Unterleib alle Muskeln an. Jonas stimuliert mich durch den Stoff, scheint genau zu wissen, wo er sich an mir reiben muss, um mich feucht werden zu lassen. Meine Nerven pochen, ziehen und verlangen nach mehr. Wir drehen uns auf die Seite, küssen uns nicht mehr, sind zu fasziniert von den körperlichen Reaktionen, die wir im anderen auszulösen vermögen. Meine Nässe und seine Härte, unser Stöhnen und der Geruch von bevorstehendem Sex, der sich unter Jonas’ Bergamotteduft mischt.
Ich ziehe an der zerknüllten Bettdecke und lege sie um uns. Vermutlich würde er lieber ohne sie mit mir schlafen, nackt und unbedeckt, offen und roh. Ich spüre, dass der Zeitpunkt kommen wird, an dem ich das kann, doch für heute hülle ich uns ein und fühle mich noch geborgener, als Jonas selbst mit anpackt. Die Decke verhüllt nicht nur unsere Körper. Sie wirkt auch wie ein Kokon, der uns noch näher zusammenbringt. Ich lasse meine Fingerspitzen über seine Brust gleiten, über seinen Bauch, der sich unter meiner Berührung anspannt.
Jonas zieht sich ein wenig von mir zurück, sodass meine Finger den Kontakt zu seiner Haut verlieren. »Ich …«, sagt er und greift mit der Hand nach meiner. Will er mich davon abhalten, tiefer zu gehen? Oder mag er es nicht, am Bauch berührt zu werden? Ich zögere, sehe, wie Jonas seine nächsten Worte hinunterschluckt, bevor er meine Hand wieder mit seiner Haut vereint. Sein Hüftknochen wird zu meinem Wegweiser. Ich schlüpfe durch den kleinen Spalt, den der Saum seiner Boxershorts dort eröffnet hat, und wandere tiefer, bis ich seinen Schaft umschließen und aus der Unterwäsche befreien kann.
Jonas keucht stockend. Seine Lider flattern, als ich meine Faust bewege. »Oh Gott.« Seine Worte verklingen in meinem Mund, so gierig küsst er mich dabei. Unsere Zungen bewegen sich synchron zu meiner Hand, die schneller und schneller wird, bis Jonas nach ihr tastet und mich zum Innehalten bringt.
Ich verstehe, zwinge mich zum Stoppen und fische wie angekündigt ein Kondom aus der Schublade. Sobald ich wieder in unseren Deckenkokon eingeschmiegt bin, ertastet Jonas den Bund meines Slips. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das wirklich passiert. Ich verkrampfe auf die angenehmste Weise, dränge in seine Richtung und merke, wie sich mein Kopf entleert. Nach all den Wochen der Zweifel an mir, meinem Körper und meinen Fähigkeiten fühlt sich dieser Moment unendlich reinigend an.
Jonas schiebt meinen Slip nach unten und fährt mit der Handfläche zwischen meine Schenkel. Einmal, zweimal reibt er mit vier Fingern über meine Mitte, ehe er den Mittelfinger anwinkelt und mir das zurückgibt, was ich eben bei ihm begonnen habe. Er massiert mich ganz gezielt. Gleitet an mir entlang und entlockt mir einen Laut, von dem ich gar nicht wusste, dass er Teil meines Repertoires ist. Es bringt ihn erst zum Grinsen, dann zum Stöhnen. Nach einigen kreisenden Bewegungen an meiner empfindlichsten Stelle entlässt er mich, nur um sich das Kondom rasch überzuziehen und gleich wieder zu mir zurückzukehren.
»Okay?«, fragt Jonas noch einmal und lässt sich in seine Ausgangsposition sinken, sobald ich nickend bestätigt habe. Wir, Bauch an Bauch, Brust an Brust. Ich öffne meine Beine und spüre, wie er nachrückt, bis seine Spitze gegen mich drängt. Ich hole tief Luft, als er in mich eindringt, und stoße sie in einem einzigen langen Atemzug wieder aus. Währenddessen versenkt sich Jonas Zentimeter für Zentimeter tiefer in mir, bis unsere Körper aufs Maximum miteinander verbunden sind.
Ich erschaudere wohlig und spüre an Jonas’ zittrigem Atem an meinem Hals, dass es ihm genauso geht. Er hält inne, hinterlässt flüchtige Küsse an meiner Kehle und gibt mir einen Moment, um mich an das Gefühl von ihm in mir zu gewöhnen. Doch nichts daran ist gewöhnungsbedürftig. Es ist richtig. Es ist Wieso-haben-wir-so-viel-Zeit-damit-verschwendet-keinen-Sex-zu-haben?-schön.
Das muss wirklich ein Ende haben – diese Zeitverschwendung. Also schiebe ich beide Hände um seinen muskulösen Rücken und den Unterschenkel um seinen angespannten Hintern. Ich fahre damit seinen Körper entlang, streichle mit der Wade seinen Po und übe schließlich mit der Ferse sanften Druck auf ihn aus. Jonas versteht sofort. Er stützt sich auf einen Arm auf, setzt die Handfläche neben meinen Kopf und beginnt, sich meiner Einladung folgend in mir zu bewegen. Ich stöhne heftig, weil das Zusammenspiel unserer Körper mich sofort reizt. Der Neigungswinkel seiner Härte und meine Feuchtigkeit sorgen dafür, dass er spielerisch leicht in mich und aus mir heraus gleiten kann. Bei jedem Kommen und Gehen streift er dabei nicht nur meinen empfindlichsten Punkt, er stimuliert mich auch … tiefer … neuartiger … zügelloser. Ich will stöhnen, aber ich habe keinen Ton mehr in mir. Mein Mund formt einen Laut, doch er dringt nicht hervor. Wenn ich könnte, würde ich Mehr!, Oh fuck! und Jonas’ Namen rufen, aber weil nichts dergleichen aus meinem Mund kommt, greife ich weiter auf die Zeichensprache zurück, die unsere Körper so intuitiv zu beherrschen scheinen. Ich treibe meinen Fuß tiefer in Jonas’ Hintern, weise ihn so an, nicht aufzuhören, heftiger und schneller zu werden.
Und er tut es. Mit geschickten, wellenartigen Stößen treibt er mich – und sich – immer weiter. Ich komme ihm bei jedem Eindringen mit meinen Hüften entgegen, spiegle die Wellen. Sein Penis trifft wieder und wieder diese Stelle in mir, es drückt auf die bestmögliche Weise, ist berauschend und schonungslos zugleich. Die Stimulation kitzelt etwas an meiner innersten Muskulatur, die nicht ganz weiß, wie ihr geschieht. Ich kann nicht loslassen, obwohl alles in mir schreit, dass ich die Kontrolle abgeben muss. Seine Hand wandert neben meinem Kopf immer höher, bis er sie schließlich gegen das Kopfteil seines Bettes stützt. Er gewährt mir einen Blick auf seine angespannten Schultern und auf seine Brust, die langsam vor Schweiß zu glänzen beginnt.
»Polly«, seufzt er und verlangsamt seine Hüften, zieht sich von mir zurück.
NEIN!, will mein atem- und sprachloser Mund formen. Was macht er da?
Jonas ist nur noch mit der Spitze in mir und senkt seine Hand vom Bettrahmen ab, bis er wieder im Unterarmstütz auf mir liegt. Der seltsame Druck in meinem Inneren lässt nach. Die reißende Stimulation meiner Muskeln verschwindet, ich fühle mich leer und gleichzeitig erleichtert, dass er aufgehört hat, bevor er mich zum absoluten Kontrollverlust getrieben hat. Ich verliere nie die Kontrolle. Aber in diesem Moment will ich mehr, will weiter, will wieder …
Endlich kommt ein flehendes »Nicht« über meine Lippen.
Jonas reibt sich mit der Schulter ein paar Schweißperlen aus dem Gesicht, grinst und legt seine Stirn ein wenig verlegen gegen meine. »Es ist zu … Polly, ich …«
Panik ergreift Besitz von mir. Zu was? »Was ist los?«, frage ich stammelnd.
»Es ist zu schön, ich komme gleich.«
Ich bin so erleichtert, dass ich auflache und durch Jonas’ Haar fahre. »Bitte«, sage ich. »Ich will sehen, wie du kommst.« Mit diesen Worten setze ich meine Ferse wieder ein, tiefer diesmal, sie liegt nun in seiner Kniekehle, was die Intensität unserer Vereinigung verändert. Es ist immer noch schön, immer noch innig, meine Lust baut sich erneut auf, aber sie ist nicht mehr so überwältigend. Ich seufze wohlig, will plötzlich nicht, dass es endet, doch dann geht ein Beben durch Jonas, das an seinen Lenden beginnt und von dort aus in seinen gesamten Körper ausstrahlt. Ich merke es an meinem Bein, das sich um seines schlingt, spüre ihn in mir beben und seine Arme zucken. Aus seiner Kehle dringt ein kurzes Keuchen, dicht gefolgt von einer Atempause, in der die Welt stillzustehen scheint, und schließlich ein langes Stöhnen.
Ich bin so im Rausch, dass ich kaum merke, wie Jonas seinen Penis durch seine Finger ersetzt und mich wie zuvor berührt. Er stützt den Handballen auf meine Scham und massiert mit zwei Fingern meine Klitoris. Der Drang, festzuhalten und mich nicht verletzlich zu machen, ist stark – dabei will ich doch bloß in seine Arme sinken und ihm die Führung übergeben. Ich spüre, wie mir das Steuerrad mehr und mehr aus der Hand rutscht, während er Kreise in mir dreht.
»Ich will dich auch kommen sehen«, fleht Jonas schließlich. Und bei diesen Worten verliere ich die Beherrschung über das Steuer. Ich lasse los und erzittere unter seinen Fingern. Hitze schießt von meinem Unterleib bis in die Beine. Ich kralle meine Finger ins Bettlaken, drücke mich unwillkürlich von Jonas weg, ehe ich merke, dass er mich zu sich zieht. Näher und näher, bis er schließlich meinen ganzen Körper zu umarmen scheint. Er riecht an meinem Haar und streichelt meinen Rücken auf und ab. Ich mache mich klein und rund in seinen Armen und lasse es zu. Ich lasse einfach zu.