Kapitel

EIN GEFÜHL WIE IN DIE HOSE MACHEN

KÖLN, 3. JANUAR
WG

Kapitel

Polly
Leute. Wir müssen reden.

Anouk
Du hast mit Konrad geschlafen.

Anna
DU HAST MIT KONRAD GESCHLAFEN?!?!?

Seit vierundzwanzig Stunden lebe ich mit dem Geheimnis, nicht mit Konrad, sondern mit Jonas geschlafen zu haben, und es fühlt sich an, als wäre ich eine Wasserbombe, die man einen geschlagenen Tag lang um den voll aufgedrehten Wasserhahn gespannt hat. Es ist ein Wunder, dass ich noch nicht geplatzt bin. Physikalisch unmöglich, streng genommen. Und weil ich die Regeln der Physik nicht weiter strapazieren will, muss ich jetzt mit jemandem reden. Ich habe Mel bereits reumütig ein Hummer-Emoji geschickt und genau gewusst, dass es für sie die Genugtuung ihres Lebens sein wird. Der kurze, freundschaftlich gehässige Dialog, den wir daraufhin geführt haben, war lustig – aber nicht heilsam. Für dieses Alles-von-der-Seele-reden-Gefühl brauche ich meine längsten Freundinnen. Dass eine von ihnen Jonas’ Schwester ist, kann ich nicht ändern. Da hätte ich mich wohl vor acht Jahren mit einer anderen Elfjährigen anfreunden oder wenigstens vor drei Monaten in eine andere WG ziehen müssen.

Polly
Ich habe nicht mit Konrad geschlafen. Aber ich habe mit jemandem geschlafen.

Das Absenden der Nachricht kommt mir vor, als käme ich meiner prallen Wasserbombe mit einer Nadel viel zu nahe. Jetzt warte ich auf die Explosion.

Anna
EXCUSE ME? Wie hast du es in den letzten vierundzwanzig Stunden geschafft, jemanden zum Vögeln zu finden???

Indem ich einfach darauf gewartet habe, dass mein Mitbewohner nach Hause kommt. Herrje … Ob Anna mich lynchen wird? Nein. Anna liebt mich. Anna bringt mich nicht um. Anna wird sich bestimmt darüber freuen, dass ich – zum vielleicht ersten Mal in meinem Leben – so etwas wie sexuelle Erfüllung erfahren habe. Sie steht doch auf so was … Sie muss einfach darüber hinwegsehen, dass es Jonas war, der mir besagte Erfüllung beschert hat. Haben wir einen passenden Spruch auf @alleswasunsniemandsagte, mit dem ich dieses Dilemma lösen könnte? Dein Bruder vögelt wie ein Weltmeister – das ist doch mal ein gutes Inspirations-Quote.

Anna
Okay. Ich hab mir kurz eine Sauerstoffmaske aufgesetzt und kann jetzt wieder atmen.

Anna
Shit, ey, puh. Anouk, ich sammle dich in zehn Minuten ein. Polly, wir sind in einer Stunde bei dir. Bestell was zu essen.

Ich sehe Annas zweite Nachricht erst, als dreißig Minuten dieser angekündigten Stunde bereits vergangen sind. Sprich: Die beiden sind garantiert schon auf der Autobahn und ich habe keine Chance mehr, sie am Vorbeikommen zu hindern.

Ich war derweil unter der Dusche und habe mir endlich den Sex des Vortags von den Gliedern gewaschen. Die letzte Nacht habe ich in Jonas’ Bett verbracht. Er musste allerdings heute früh aufstehen, weil er sich zum Lernen mit Kommilitonen trifft. Ich bekam noch einen Cappuccino und den vielleicht besten nach Milchschaum schmeckenden Kuss der Welt ans Bett gebracht, dann war ich allein. Und allein kam ich mir irgendwie seltsam vor unter Jonas’ Decke. Auf einmal wollte mein Gehirn – gerade noch so zufrieden und sorglos – unbedingt mit mir ausdiskutieren, ob Jonas und ich jetzt ein Paar sind, ob wir für immer zusammenbleiben, ob ich seinen Namen annehme oder er meinen, ob unsere Kinder seine blauen Augen bekommen oder meine braunen. Gedanklich hatte ich schon ein Grundstück gekauft, ein Haus gebaut, Bäumchen gepflanzt und einen Australian Shepherd adoptiert, als mir schlagartig klar wurde, dass das alles nicht der Plan war. Ich will darüber nachdenken, wann ich in einer Wirtschaftskanzlei Partner werde. Nicht, wie mein Leben ist, wenn ich irgendjemandes Partnerin bin.

Also habe auch ich den Rest des Tages gelernt. Und mit gelernt meine ich: auf Paragrafen gestarrt, während mein Körper die gestrigen Stunden wieder und wieder hat Revue passieren lassen.

Anouk
Sind in fünf Minuten da.

Scheiße! Was tue ich, wenn Jonas hereinplatzt, während wir Fast Food essen und über seine Skills in den Laken philosophieren? Ist er dann stolz oder wird das peinlich? Kommt er dazu und spielt liebevoll mit meinem Haar wie Anna bei Fynn? Oder schämt er sich in Grund und Boden, weil ich offensichtlich nicht verstanden habe, dass das zwischen uns nicht mehr als eine einmalige Sache war? Shitshitshit …

Egal. Ich bestelle jetzt erst mal beim Asiaten. Ich kenne Annas und Anouks Leibgerichte in so ziemlich jeder Küche der Welt, und während ich sie in der App in den Warenkorb lege, beschließe ich, auch etwas für Jonas zu ordern, weil ich eine gute Mitbewohnerin bin. Und weil ich zum Nachtisch gern erneut mit ihm schlafen würde.

abs

»Könntest du uns bitte endlich darüber aufklären, wo du gestern ein Sexdate aufgerissen hast?« Anna kniet auf dem Teppich vor dem Sofa und hebt fachmännisch eine Portion Udon-Nudeln mit Stäbchen aus der Styroporverpackung. »Bist du neuerdings auf Tinder?«

Anouk wirft mir einen wissenden Blick zu. Als ich ihm ausweiche, breitet sich ein Schmunzeln auf ihren vollen Lippen aus. Gleich imitiert sie bestimmt eines ihrer liebsten Memes: Chandler aus Friends, der siegessicher »I KNEW IT!« brüllt.

»Ich bin nicht auf Tinder. Ich hatte kein Sexdate. Manchmal ergeben sich Dinge im Leben.«

»Manchmal ergeben sich Dinge im Leben??« Annas Pupillen rotieren hilflos. »Wen hast du abgeschleppt? Den Briefträger

»Gestern war Sonntag«, erinnert Anouk sie, ohne von ihrem gebratenen Reis aufzusehen. »Kein Briefträger.«

»Hör gefälligst auf, so mit den Augenbrauen zu zucken«, ermahne ich sie.

»Geht das schon wieder los? Ihr habt doch Geheimnisse!« Annas Holzstäbchen wandern drohend zwischen uns beiden hin und her.

Mit einem süffisanten Grinsen versenkt Anouk die Gabel in ihrem Mund und lehnt sich tief in den Sessel neben der Couch, auf dem sie Platz genommen hat. Ich kann mein Kung Pao vor Nervosität gar nicht anrühren.

»Warfff’s denn wenigfffstns gut?« Anna hüpft mit vollem Mund auf ihren angewinkelten Unterschenkeln auf und ab.

»Es war … Anouk?« Mir wird auf einmal bewusst, dass sie sich bei Liebeskummer bestimmt Schöneres vorstellen kann, als von meinen sexuellen Eskapaden zu hören. »Ist es okay für dich, wenn ich über so was rede?«

»Glaub mir, Polly. Das hier ist für mich wie ein ablenkender Kinobesuch.«

»Halt die Klappe!« Grinsend werfe ich ein Sofakissen nach ihr, das sie geschickt mit dem Fuß abwehrt.

»Alfffo warfff’s riffdig gut?« Annas Augen werden vor Gier nach Gossip groß und glänzend.

Ich schiebe für einen Moment beiseite, dass mir das Geständnis noch bevorsteht, und seufze. »Es war so gut. Wirklich!«

Anna applaudiert und hopst so aufgeregt auf und ab, dass ihre Nudeln beinahe einen Abgang machen. »Tell me more!«

»Es war … zwischenzeitig … also … Ihr dürft nicht lachen, okay?« Die beiden nicken eifrig, wobei Anouks Grinsen ihre Glaubwürdigkeit massiv beeinträchtigt. Unruhig schiebe ich mir einen Fuß unter den Hintern und rücke bis zur Sofakante vor. Ich bin eigentlich nicht prüde – wie auch, wenn man mit einer Mutter groß geworden ist, die am Frühstückstisch das Sortiment ihres mobilen Sexshops plant? –, doch normalerweise spreche ich mit meinen Freundinnen auch nur über Jungs, mit denen keine von uns aufgewachsen ist. »Zwischenzeitig war es fast … zu gut? Es hat mich regelrecht …« Ich suche nach den passenden Worten, die ich seit gestern nicht zu finden vermag. »… überfordert? Kein Scheiß, kurz dachte ich, er zerlegt mich … auf eine gute Weise.«

Wie erwartet leuchtet Anna vor Begeisterung. »Wooow, das klingt ja krass. Was war das denn für ein Tier? Wie schön für dich, Polly!«

»Oh Mann, das ist sooo viel besser als Kino«, kommentiert Anouk und kichert in sich hinein.

»Hey! Wir haben gesagt, dass wir nicht lachen.«

Anouk hält sich mit übertrieben schmerzerfülltem Gesicht das Herz. »Mir geht es schlecht, lass mich lachen.«

Ich fuchtle mit den Händen in der Luft, um mich zu sammeln. »Ich brauche Hilfe! Hattet ihr das schon mal? Was war das? Wie kann … wie kann es zu gut sein?«

Anna fährt sich mit der Zunge über die Zähne, als wolle sie sich diesem pikanten Thema nur mit perfekter Mundhygiene widmen. »Hat es sich ein bisschen so angefühlt, als würdest du gleich – nun ja – in die Hose machen?«

Mir klappt der Mund auf. »JA!« Ich brülle fast vor Erleichterung, weil ich endlich eine passende Beschreibung für dieses Gefühl geliefert bekomme. Auch wenn es alles andere als sexy klingt. »Ja, exakt so. Ich hatte zwar keine Hose an, aber so war es!«

Anna nickt wissend. »Das ist der Moment, in dem du loslassen und weitermachen musst.«

»Wie? Weitermachen?« Endlich interessiert sich auch Anouk für die Geschichte und nicht nur dafür, dass Anna nach meinem Reveal ihr blaues Wunder erleben wird. »Soll man sich dann einpieseln? Sag mir bitte, dass das nicht SO EINE Sexstory wird?!«

»Eine mit vollpinkeln?«, kreische ich. »Iiih! NEIN!!«

»Nein, nein! Niemand pinkelt.« Anna schüttelt tadelnd den Kopf über so viel sexuelle Ahnungslosigkeit. »Du musst in diesem Moment die Kontrolle abgeben, ich weiß, das ist nicht so dein Ding, Polly, aber dann …« Sie deutet eine wedelnde Geste vor ihrem Mund an und stößt ein erhitztes Hecheln aus.

»Was dann?«, fragt Anouk, die ein ernster Fall von FOMO ergriffen zu haben scheint, weil sie beim Sex noch nie Angst hatte, sich einzunässen.

»Dann hast du gute Chancen auf einen multiplen Orgasmus.« Sichtlich zufrieden mit sich selbst sinkt Anna gegen die Sofakante und rührt in den Udons.

Ich hingegen bin komplett durcheinander. »Das heißt, dieses Gefühl, das ich hatte …«, meine Stimme schwellt bei jedem Wort an, »… ich … ich hätte einen multiplen Orgasmus haben können, hatte aber keinen – aus Angst, mir in die Hose zu machen? Obwohl ich nicht mal eine Hose getragen habe? Wie unfair!!«

Nun erlebt Anouk doch noch das Gefühl, sich beinahe einzunässen, allerdings vor Lachen.

Anna sieht das Ganze etwas mehr durch die professionelle Brille. »Du musst es so betrachten: Dein Körper hat sehr große Lust gefühlt. Das ist doch wunderbar! Und erstaunlich dafür, dass du das erste Mal mit diesem geheimnisvollen Fremden geschlafen hast. Oder … Moment …« Anna macht ein Gesicht formvollendeter Erleuchtung. Oh Gott, sie hat es erraten. »Hattest du den Vibrationsring im Einsatz? Ich will dem Kerl nicht irgendwelche Skills zugestehen, die eigentlich der Technik zu verdanken sind!«

Ich bin so erleichtert, dass ich mich regelrecht auf diesen Joke stürze – zweifellos, um davon abzulenken, dass Anna nun wirklich einen Namen will. »Oh, ihr habt ihn also schon ausprobiert? Soll ich meiner Mutter etwas ausrichten? Zehn von zehn Punkten, sehr befriedigender Service, gerne wieder?«

»Sei ruhig, sei ruhig! Sonst strullere ich mich gleich ein!« Anouk hat sich vor Lachen mit einem Haufen Reiskörner eingesaut.

»NUN SAG SCHON!« Anna haut mit der Faust auf die Sofakante, was keinen so nachdrücklichen Effekt hat, wie auf eine Tischplatte zu donnern.

Ich muss es sagen. Ich muss. Ich muss. Ich muss. Ich muss.

»Okay.« Mein Herz legt einen dreifachen Auerbach hin. Oder einen Rittberger? Ich bin nicht so gut mit Sportmetaphern, jedenfalls vollführt es eine außergewöhnliche athletische Leistung. »Es ist Jonas.«

»Jonas und wie weiter?«, fragt Anna ganz beiläufig, während sie eine Nudel von den Stäbchen baumeln lässt und von oben in ihren Mund befördern will. Anouk hingegen bricht in ein schallendes HOHOHO aus. »I KNEW IT!«, brüllt sie.

»Oh mein Gott, nein!« Anna springt vom Boden auf und deutet mit den Stäbchen auf mich. Drohend wedelt sie damit, wobei sich die Nudel verabschiedet und auf den Teppich klatscht. Super. Der Fleck auf dem weißen Hochflor wird mich nun für immer an meinen ersten Sex mit Jonas erinnern.

»MEIN BRUDER JONAS???«, kreischt sie. »Du hast mit meinem Bruder geschlafen? Wieso??? Warum??? Mit Jonas???« Sie klatscht sich beide Hände theatralisch gegen den Kopf. »OH GOTT! Ich habe dir gerade Tipps gegeben, wie du mit meinem Bruder multiple Orgasmen haben kannst? POLLY!!! AAAH, POLLY!« Anna hält sich abwechselnd Augen und Ohren zu und hüpft von einem Fuß auf den anderen, wobei sie die Nudel gründlich in die Fasern des Teppichs einarbeitet.

»Ich weiiiß, es tut mir leid, ich …«

Erschöpft wie nach einem Dauerlauf lässt sie sich neben mich in die Couch sacken, was zumindest dafür spricht, dass sie mich nicht hasst. »Mein Bruder hat Sex.« Sie zieht eine beleidigte Schmolllippe.

»Das hat dich noch nicht bekümmert, als du mir erzählt hast, dass er mit Isabella schläft.«

»Oh mein Gott!« Was Gott wohl davon hält, dass Anna ihn jetzt schon zum wiederholten Mal wegen derart pikanter Belange anruft? »Er schläft doch wohl nicht mit Isabella und dir gleichzeitig?«

»NEIN!«, brülle ich, bevor mir bewusst wird, dass ich das überhaupt nicht weiß. Also füge ich kleinlaut hinzu: »Also … ich hoffe nicht? Ich …«

»Oh. Hey!«

Nein! Nein, nein, nein, nicht schon wieder! Durch eine grauenhafte Ironie des Schicksals steht plötzlich Jonas in der offenen Wohnungstür. Seine Anwesenheit beschert mir eine mittelschwere Arrhythmie, während sie bei Anouk den bisher größten Lachanfall ihres Lebens verursacht und Anna noch weitere Dutzend Mal den lieben Gott um Hilfe anrufen lässt.

Jonas’ Blick wandert reihum und bleibt schließlich an dem Fleck hängen, den seine Schwester auf dem Teppich hinterlassen hat. Ein einzelnes »Äh« verlässt seinen Mund, woraufhin Anna in Gekreische ausbricht. Ich schlichte die Situation hochprofessionell: Ich ringe Anna mit einem Tackle von der Seite nieder, halte ihr den Mund zu und sage: »Ich habe dir Curry mitbestellt.«

»Oh … okay.« Jonas beginnt, an seinen Fingernägeln zu knibbeln. »Ich … ich wollte jetzt eigentlich noch mal ins Fitnessstudio.«

»Oh … okay.« Ich wiederhole seine Worte unfreiwillig. Sie stolpern einfach so aus mir heraus, lassen mich wie eine Karikatur wirken. »Willst du dich danach zum Essen zu uns setzen?«

»Nee, nee, macht ihr mal. Ich esse vielleicht später.« Er geht am Sofa und somit an uns vorbei, würdigt das Gericht, das auf der Küchentheke auf ihn wartet, keines Blickes und verabschiedet sich mit einer letzten winkenden Geste in sein Zimmer.

Anna und Anouk sind verstummt, was mir auf unangenehme Weise deutlich macht, dass diese Unterhaltung nicht nur auf mich seltsam gewirkt hat. Ihnen ist Jonas’ kühle Ablehnung ebenfalls aufgefallen. Er möchte nicht einmal mit uns – mit mir? – den Abend verbringen. Was ist passiert? Wir müssen ja nicht gleich heiraten, aber … zusammen essen? Oder … hat es etwas mit dem Essen zu tun? Verurteilt er mich, weil ich beim Lieferdienst bestelle? Ist er der Meinung, ich sollte das lassen, nachdem er meinen Körper nun so gut kennt, wie man ihn nur kennen kann?

Mein Herz beginnt zu rasen, ganz anders nun als bei seinem Anblick eben. Ich fühle mich so rundum abgelehnt – und das vor meinen Freundinnen –, dass es mir schwerfällt, mein Gesicht zu kontrollieren. Wenn es mir zuvor schon Probleme bereitet hat, Appetit auf mein Abendessen zu entwickeln, so ist es mir jetzt fast unmöglich.

Anna löst sich aus meinen Armen, die schlaff geworden sind und kein Hindernis mehr darstellen. Haben wir wirklich vor zwei Minuten noch im Scherz gerangelt, weil sie einen Kreischanfall wegen meiner Affäre mit ihrem Bruder hatte? Affäre … Nennt man es Affäre, wenn einer der Beteiligten nach vierundzwanzig Stunden schon nicht mehr gemeinsam zu Abend essen will? Noch heute Morgen hat er mir Kaffee ans Bett gebracht und jetzt? Was verdammt noch mal ist los mit ihm?

Jonas kommt mit seiner Tasche und noch immer in Winterjacke aus seinem Zimmer, lächelt gezwungen und steuert die Haustür an. Bevor er geht, treffen sich unsere Blicke ganz kurz. Es liegt keine Ablehnung in seinen Augen. Aber auch keine bedingungslose Zustimmung.

»Ich … Shit, ich glaube, ich habe etwas übertrieben.« Anna legt sich die Hand über den Mund. »Ich war nur so … das alles ist so … Ob er jetzt sauer ist?«

»Er ist auf jeden Fall irgendetwas.« Aus meiner Kehle dringt mehr Grummeln als Stimme.

»Hast du ihm gesagt, dass du mit uns drüber reden wirst?«, will Anouk wissen.

»Ich wusste nicht, dass man sich eine Erlaubnis einholen muss, um mit Freundinnen zu sprechen. Ihr seid immerhin meine Therapie!« Fast werde ich wütend darüber, dass Jonas möglicherweise deshalb sauer auf mich ist. Wollte er … dass wir ein Geheimnis sind? Schämt er sich für … Nein … Ich kann das nicht mal zu Ende denken, ohne auszubrechen wie ein Vulkan.

»Nein, es muss etwas anderes sein. Vielleicht nur ein harter Tag?« Anna legt mir eine Hand auf die Schulter und drückt sanft zu. »Wenn er vom Sport zurückkommt, ist er wieder das blühende Leben, du wirst sehen.«

Sie wirft Anouk einen auffordernden Blick zu, woraufhin diese etwas Unterstützendes murmelt: »Na ja. Du musst es wissen. Du bist immerhin seine Schwester.«

Doch vielleicht kennt Anna ihren Bruder nicht so gut wie gedacht. Denn als er zwei Stunden später zurückkehrt, ist seine Stimmung unverändert. Er verabschiedet sich kurz angebunden in sein Schlafzimmer und kommt den ganzen Abend nicht mehr heraus. Nicht, während Anna und Anouk noch hier sind, und auch nicht nach ihrem Aufbruch. Ich stehe minutenlang untätig in der Zimmermitte, eine Hand zur Faust geballt, bereit, an seine Tür zu klopfen – oder damit wütend gegen die Wand zu schlagen. Ich tue nichts von beidem. Ich gehe allein und am Boden zerstört in mein Bett.

Als ich am nächsten Morgen zur Arbeit aufstehe, ist Jonas’ Tür noch immer verschlossen, sein Curry noch immer unangerührt, mein Herz noch immer in zwei Teilen.

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