KAPITEL 14

Elena

Ich kann nicht sagen, ob ich mir Sorgen um Benjamin machen oder sauer auf ihn sein soll. Vorgestern waren wir im Wicked Horse verabredet, aber er ist nicht erschienen.

Hat nicht angerufen.

Hat keine SMS geschickt.

Selbstverständlich habe ich mich bei ihm gemeldet. Ich fühlte mich wie eine Idiotin, als ich an der Bar im Gesellschaftszimmer auf ihn wartete und die Annäherungsversuche anderer Männer zurückwies, während ich an einem Glas Wein nippte. Ich schrieb ihm eine Nachricht und als er darauf nicht antwortete, rief ich ihn an. Ich erreichte seine Mailbox.

Benjamin ist ein pünktlicher Mensch und nachdem er, ohne ein Wort zu sagen, nach zwanzig Minuten immer noch nicht erschienen war, hatte ich gewusst, dass er nicht kommen würde. Ich trank nicht einmal meinen Wein aus, sondern warf lediglich einen Fünfdollarschein Trinkgeld auf den Tresen und ging. Es kam mir nicht einmal in den Sinn, zu bleiben und mich mit jemand anderem zu vergnügen, weil Benjamin und ich uns darauf geeinigt hatten, nur miteinander Sex zu haben. An diesem Punkt machte ich mir mehr Sorgen als alles andere.

Selbstverständlich habe ich mir das Schlimmste ausgemalt. Autounfall, Raubüberfall oder Hirnaneurysma. Soweit ich wusste, konnte er irgendwo tot liegen und ich würde nicht einmal wissen, was passiert war. Wir standen uns nicht nahe genug, als dass ich einfach in meinen Wagen springen und zu seinem Haus fahren könnte, um nach ihm zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, wo er wohnt.

Also fuhr ich nach Hause, trank noch ein Glas Wein und ging ins Bett. Die gesamte Nacht schlief ich furchtbar, wälzte mich herum und fragte mich, was mit Benjamin geschehen war.

Am Freitag schlug meine Sorge in Wut um. Ich musste den ganzen Tag arbeiten und grübelte darüber nach, wie er es hatte wagen können, mich auf so unverschämte Weise zu versetzen. Aufgrund der Dinge, die wir miteinander getan hatten, schuldete er mir zumindest eine einfache Erklärung wie: »Es hat Spaß gemacht, Elena, aber jetzt wird es Zeit, getrennte Wege zu gehen.« Ohne diese Worte hatte er mich in einem Zustand der Sorge zurückgelassen. Und das machte mich nur noch wütender. Am Sonntagmorgen machte ich mir dann wieder Sorgen. Ich dachte ernsthaft darüber nach und es machte einfach keinen Sinn, dass er die Sache einfach so beendet. Ich habe manchmal zwar nicht die beste Menschenkenntnis, wenn es um Männer geht, aber ich habe mir nicht nur eingebildet, dass zwischen uns eine tiefere Verbindung herrscht. Da war etwas, das ich noch nie mit einem anderen Mann empfunden habe. Man kann es Chemie oder sexuelle Anziehung nennen, aber es war etwas so Einzigartiges, dass ich es nicht einfach so abtun kann.

Ich schminke mich zu Ende – lege etwas Puder und Lipgloss auf – und streiche mein Kleid glatt. Ich bin eigentlich schon auf dem Weg, um mit meinen Eltern in die Kirche zu gehen, habe aber noch ein paar Minuten Zeit.

Ich nehme mein Telefon und rufe Jorie an, weil es Zeit wird, meine beste Freundin um das zu bitten, was sie am besten kann – gute Ratschläge geben.

»Was gibt’s?«, antwortet sie nach dem zweiten Klingeln. Sie und Walsh gehen nicht in die Kirche, deswegen habe ich ein schlechtes Gewissen, dass ich sie eventuell bei ihrem faulen Sonntagmorgen stören könnte.

»Ich brauche deine Hilfe«, sage ich, während ich durch das Haus gehe, das Licht und den Fernseher ausschalte. »Also, Walshs Hilfe, um genauer zu sein.«

»Walshs?«, fragt sie überrascht.

Schuldgefühle überkommen mich und ich weiß, dass es Zeit ist, die Karten offen auf den Tisch zu legen. »Erinnerst du dich an den Kerl, mit dem ich mich getroffen habe?«

»Heißwachs-Typ«, antwortet sie wissentlich.

»Ja, also … sein Name ist Benjamin. Du kannst ihn jetzt so nennen, anstatt ›Heißwachs-Typ‹. Aber wie dem auch sei, er ist der Mann von deiner Geburtstagsparty.«

»Ich bin verwirrt.« Und ich wusste, dass ich einiges zu erklären haben würde, trotzdem versuche ich, sie so viel wie möglich selbst herausfinden zu lassen. »Ich dachte, du hast ihn im Wicked Horse getroffen.«

»Das habe ich, aber zufällig war er auch bei deiner Party.«

»Und warum hast du mir davon nichts erzählt?«, fordert sie aufgebracht, auch wenn ich weiß, dass sie nicht wütend ist. Sie ist nur ein wenig angefressen, dass ich ihr etwas vorenthalten habe.

Seufzend klemme ich mir das Telefon zwischen Schulter und Ohr, um den Inhalt meiner Handtasche durchzusehen und sicherzugehen, dass ich nichts weiter brauche. »Es tut mir leid. Ich wollte ihn einfach ein wenig für mich behalten. Er ist ein klein wenig geheimnisvoll, intensiv und nun ja, anders als alle Männer, die ich bisher kannte.«

»Du hättest es mir sagen können«, schnaubt sie.

»Ich sage es dir jetzt. Ich brauche deine Hilfe, denn ich mache mir Sorgen. Er ist irgendwie von der Bildfläche verschwunden. Freitagabend hat er mich versetzt und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört.«

»Und du hast versucht, ihn anzurufen?«

Ich rolle mit den Augen, aber weil ich weiß, dass sie es nicht sehen kann, stelle ich sicher, dass sie es an meiner Stimme hören kann. »Natürlich habe ich ihn angerufen. Mehrere Male. Ich habe ihm auch SMS geschrieben, aber er hat mir nicht geantwortet. Ich habe mich gefragt, ob Walsh irgendetwas weiß, das er mir erzählen könnte. Ich habe keine Ahnung, wie eng die beiden miteinander befreundet sind, aber ich dachte, dass er zumindest ein guter Freund sein muss, weil er bei deiner Party war. Ich stochere im Dunkeln und kann es einfach nicht so stehen lassen.«

»Elena«, sagt Jorie leise und senkt die Stimme um eine Oktave, »bist du dir sicher, dass du nicht auf eine sensationelle Arschloch-Art abserviert wurdest?«

Das ist eine berechtigte Sorge. Als meine beste Freundin würde ich erwarten, dass sie diese Dinge in Betracht zieht und sichergeht, dass ich das ebenfalls tue. »Normalerweise würde ich dir recht geben. Aber in diesem Fall sagt mir mein Bauchgefühl etwas anderes. Ich muss es einfach wissen.«

»Also gut.« Ihre Stimme ist entschlossen und sie steht ganz auf meiner Seite. »Lass mich ihn holen.«

Einige Momente ist es still. Ich nutze die Zeit, um meinen Schlüssel zu nehmen und zur Tür zu gehen.

Ich bin gerade dabei abzuschließen, da höre ich sie wieder. »Ich habe den Lautsprecher angeschaltet, Walsh ist hier bei mir. Ich habe ihm kurz erklärt, worum es geht.«

»Du bist also mit Benjamin Hewitt zusammen, was?«, sagt Walsh und mir gefällt der Klang seiner Stimme überhaupt nicht. Zuerst dachte ich, er würde mich aufziehen, aber er klingt besorgt.

»Ich bin mir nicht sicher, ob zusammen sein der richtige Ausdruck ist«, antworte ich zögerlich. »Es handelt sich um eine Wicked Horse-Nummer, aber wir beide hatten eine echte Verbindung. Ich mache mir Sorgen, weil er einfach so wie vom Erdboden verschwunden ist. Ich hoffe, du kannst mir weiterhelfen.«

»Du weißt von dem Unfall, oder?«, fragt Walsh.

Bei dieser merkwürdigen Frage runzele ich die Stirn. »Der, bei dem er sich das Bein verletzt hat?«

»Es war ein wenig mehr als nur das«, entgegnet er mit trauriger Stimme und mein Magen zieht sich zusammen. »Seine Frau und seine Tochter sind dabei ums Leben gekommen. Er wurde schwer verletzt. Hat sehr lange im Krankenhaus gelegen.«

»Was?«, presse ich hervor und angesichts dieser Enthüllung wird mir plötzlich ganz schwindelig. Ich hatte keine Ahnung und fühle mich, als hätte mir die Realität soeben mit einem kalten, nassen Waschlappen ins Gesicht geschlagen.

»Ein betrunkener Fahrer kam von der Spur ab und stieß frontal mit ihrem Wagen zusammen.«

»Er hatte eine Frau und eine Tochter?«, murmele ich kaum hörbar.

»Es hat ihm mental stark zugesetzt. Ich meine, er ist nicht mehr der Typ, den ich einmal kannte. Ganz ehrlich, hätte ich gewusst, dass du etwas mit ihm angefangen hast, hätte ich dir davon abgeraten.«

Seine Stimme klingt vorwurfsvoll. Ich stelle mir vor, dass er Jorie einen tadelnden Seitenblick zuwirft, weil sie es für sich behalten hat, aber er hat ja keine Ahnung, dass sie nichts davon wusste. Ich werde das später aufklären.

Walsh ist jedoch noch nicht fertig. »Er ist kein netter Mann, Elena. Ich kann nicht behaupten, wir wären vor seinem Unfall die besten Freunde gewesen, aber wir haben uns ab und zu getroffen. Wir haben zusammen Golf gespielt. Auch öfter mal Poker. Dieser Unfall hat ihn vollkommen verändert. Er hat sich von seiner Umwelt komplett abgeschottet.«

Diese Information ist überwältigend, entmutigt mich aber nicht. Wenn überhaupt verspüre ich ein noch dringenderes Verlangen danach sicherzugehen, dass er in Ordnung ist. »Weißt du, wo er wohnt?«

Seine Stimme ist entschuldigend. »Das weiß ich nicht.«

»Ist schon okay«, antworte ich düster, als ich zu meinem Wagen gehe.

»Was wirst du jetzt tun?«, will Jorie wissen und aus dieser Frage kann ich gleichermaßen Neugier und Sorge heraushören. Sie kennt mich gut genug, um zu wissen, dass ich nicht nichts unternehmen werde.

»Ich werde ihn nach der Kirche noch einmal anrufen«, antworte ich seufzend. »Wahrscheinlich heute Abend ins Wicked Horse fahren, um zu sehen, ob er dort auftaucht.«

»Sei nur vorsichtig«, rät Walsh.

»Warte!«, ruft Jorie leicht panisch. »Ist dieser Kerl gefährlich oder so was? Wenn ja, kannst du nicht ins Wicked Horse fahren, um dich mit ihm zu treffen. Das wäre dumm. Du musst es vermutlich einfach so hinnehmen.«

Ich höre Walsh lachen und stelle mir vor, wie er seinen Arm um Jorie legt. »Entspann dich Mama-Bär. Ich habe zu Elena nicht gesagt, sie solle vorsichtig sein, weil Benjamin gefährlich ist. Ich meine bloß, dass er sehr viel Ballast mit sich herumschleppt. Will sie wirklich in all das hineingezogen werden?«

Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Ich will nicht in all das hineingezogen werden. Das ist die Geschichte meines Lebens, wenn es um Männer geht. Am Ende kümmere ich mich um sie, helfe ihnen dabei, einen Weg zu finden, wie sie ihre Dämonen besiegen können. Ich habe es satt, diejenige zu sein, die kaputte Männer wieder hinbiegt, und trotzdem … ich kann nicht lügen … fühle ich mich zu diesem Mann immer noch hingezogen.

Ich wünschte, ich könnte genau sagen, was das hier ist. Warum fühle ich mich so stark von jemandem angezogen, der so viel Negatives mit sich herumzutragen scheint?

Ich kann lediglich versuchen, Jorie und Walsh zu beruhigen. »Ich werde vorsichtig sein, versprochen. Ich will mich wirklich nur vergewissern, dass mit ihm alles in Ordnung ist.«

Und wenn ich erst herausgefunden habe, dass er okay ist, werde ich eine Bestätigung brauchen, dass ich die Verbindung nicht missinterpretiert habe, von der ich dachte, dass wir sie haben. Es ist kein Problem, wenn er es beenden will, weil er emotional noch nicht bereit ist, aber ich muss wissen, dass ich mir nicht irgendetwas eingebildet habe.