Elena
Jories Geburtstagsparty findet im großen Ballsaal im Royale Casino statt, der prunkvoll im Jugendstil eingerichtet ist. Die geschwungenen Fenster sind mit Glasmalerei verziert und orientalische Teppiche in tiefen Rottönen und Marineblau bedecken die glänzenden Böden. Schmiedeeiserne Kronleuchter hängen sechs Meter voneinander entfernt in der Mitte des Raumes und die schweren Möbel weisen kunstvoll geschwungene Linien auf und sind mit kühn gemusterten Seidenkissen dekoriert.
Jorie hat einmal gestanden, wie sehr sie diese Dekadenz hasst, aber ich vermute, dass es nur die Meinung eines Kleinstadtmädchens war, das versuchte, sich daran zu gewöhnen, in der reichen Welt ihres neuen Ehemannes zu leben.
Die meisten Gäste sind jetzt auch Jories Freunde, aber größtenteils stammen sie aus Walshs Welt von Luxus und Reichtum. Bevor sie ihren jetzigen Mann wieder traf, lebte sie in Kalifornien, nachdem ihre erste Ehe unschön geendet hatte. Sie war zurück nach Henderson gezogen, nachdem ihr Arschloch von Ehemann sie vor die Tür gesetzt und es gewagt hatte, ihr zu sagen, sie sei schlecht im Bett. Sie stand plötzlich vor der Tür meiner bescheidenen Zweizimmerwohnung in Henderson, Nevada, wo wir beide aufgewachsen sind, und litt wegen der Dinge, die dieser Idiot zu ihr gesagt hatte, unter schrecklichen Minderwertigkeitskomplexen. Also habe ich sie kurzerhand zu meiner dauerhaften Mitbewohnerin gemacht und sie dann ins Wicked Horse geschleift, damit sie wieder in den Sattel kommt – oder besser gesagt in ein Bett –, und na ja … das war es auch schon. An diesem schicksalshaften Abend traf sie Walsh wieder und der Rest ist Geschichte.
Und jetzt überschüttet er sie mit seiner Zuneigung, teuren Urlaubsreisen, Juwelen und extravaganten Partys, wie es sich für einen neuen Ehemann gehört, der verrückt nach seiner Frau ist. Nicht dass sie diese Extravaganzen haben will. Sie wäre auch glücklich, wenn sie mit ihrem Mann in einem kleinen Haus in einem Vorort von Las Vegas wohnen würde, aber sie lässt ihm seinen Spaß.
Nun ja, vielleicht würden sie nicht in einem kleinen Haus leben. Seit ihrer Hochzeitsreise im vergangenen Jahr nach Paris versuchen die beiden, ein Kind zu bekommen. Sie übertreiben es jedoch nicht und bestimmen den Zeitpunkt des Eisprungs auch nicht minutiös genau. Ich weiß genug über meine beste Freundin, um sagen zu können, dass die beiden ein stabiles Sexleben haben und Walsh seine Schwimmer regelmäßig ausschickt, in der Hoffnung, dass Jorie schwanger wird. Aber abgesehen davon sind die beiden entspannt und der Meinung, dass es irgendwann schon passieren wird.
Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der ich mich ebenfalls danach gesehnt habe, aber heutzutage spielt das so gut wie keine Rolle mehr. Ich hatte so viele schlechte Beziehungen, dass ich die Hoffnung auf die Existenz eines guten Mannes aufgegeben habe. Ich meine, klar … Walsh ist ein guter Mann, aber er ist die absolute Ausnahme. Das mit ihm und Jorie war Schicksal.
Für meine schlechten Entscheidungen bin ich jedoch ganz allein verantwortlich. Ich suche mir jedes verdammte Mal die gleiche Art von Mann aus. Die Art, bei der am Anfang alles gut zu laufen scheint, doch bevor ich mich versehe, habe ich mein Herz auch schon an jemanden verschenkt, der faul, träge und sowohl finanziell als auch emotional vollkommen abhängig von mir ist. Ich weiß nicht, ob über meinem Kopf ein Schild in Neonbuchstaben hängt, aber ich bin nun wirklich ganz und gar keine Sugarmama. Ich habe ebenfalls kein Interesse, für einen erwachsenen Mann die Mutter zu spielen. Daran ist ganz und gar nichts Attraktives.
Und es ist ja auch nicht so, als würde ich im Geld schwimmen. Ich bin eine Geschäftsinhaberin, die es nicht leicht hat, und auch wenn ich mit der Leitung meines eigenen Salons an meinem beruflichen Höhepunkt angelangt bin, ist der Stress meistens doch sehr nervenaufreibend. Es geht eben nicht nur um die Freiheit und die Kunst des Haarstylings, sondern auch darum, sich um Angestellte, Miete, Rechnungen, Materialien, Verkäufer und Kundenzufriedenheit zu kümmern. Ich arbeite mir die Finger wund und verdiene trotzdem nur unwesentlich mehr als während der Zeit, in der ich im Salon eines anderen angestellt war.
Trotzdem finde ich es erfüllend, den Laden am Laufen zu halten, und darüber hinaus muss ich niemandem Rede und Antwort stehen.
Zumindest habe ich das erreicht.
Ich nehme mir ein Glas Champagner von einem Tablett, bevor ich an der Außenseite des Ballsaals herumgehe. Ich bin wegen Jorie hier, kenne aber außer ihrem Bruder Micah niemand anderen. Er ist derzeit in ein Gespräch mit zahlreichen Geschäftsmännern vertieft und obwohl er nichts dagegen hätte, wenn ich mich dazugesellen würde, sieht es für mich doch nach einer Schnarchveranstaltung aus.
Jorie klebt förmlich an Walsh, so wie es sein sollte, und er ist damit beschäftigt, sie herumzuführen und mit ihr anzugeben.
Und das sollte er auch.
Aber sie ist meine beste Freundin und macht sich Sorgen um mich. Regelmäßig blickt sie sich um und sucht nach mir, weil sie besorgt ist, dass ich mich vielleicht nicht amüsiere.
Was ich tatsächlich nicht tue.
Ich kenne nicht nur niemanden hier, ich bin darüber hinaus auch überhaupt nicht in meinem Element. Ich kann garantieren, dass ich die einzige Frisörin in diesem Ballsaal bin. Wegen meiner harten Arbeit und absoluten Entschlossenheit würde ich mich in der Mittelschicht einordnen, trotzdem wette ich, dass ich die einzige Person der Mittelschicht bei dieser Party bin. In diesem Ballsaal ist das eine Prozent der Bevölkerung anwesend. Die Leute, die Garagen für sechs Autos besitzen, in denen all ihre schicken Importfahrzeuge Platz finden, und die Juwelen an den Fingern tragen, die mehr kosten als das, was ich in einem Jahr verdiene.
Aber ich bin wegen Jorie hier, rufe ich mir zum dritten Mal heute Abend in Erinnerung. Ich werde diesen Champagner austrinken, etwas von dem gekühlten Hummer naschen, ein Stück des Geburtstagskuchens essen und mich dann aus dem Staub machen. Sie wird das verstehen.
»Denk gar nicht erst daran, früher zu gehen«, sagt Jorie, die sich von hinten angeschlichen und mich am Arm gepackt hat. Sie geht mit mir zu einer kleinen Nische etwas abseits der Menschenmenge, wo sich ein leinenbedeckter Tisch befindet, auf dem leere Gläser und Teller abgestellt werden. »Ich kenne diesen Gesichtsausdruck.«
»Ich kenne niemanden hier«, jammere ich dramatisch. »Und du weißt doch, dass schicke Partys und reiche Menschen nicht mein Fall sind.«
»Im Wicked Horse vögelst du ständig mit reichen Leuten«, kontert sie mit hochgezogener Augenbraue. »Fang damit also gar nicht erst an.«
Das stimmt schon, aber der einzige Grund, warum ich diesen Luxus haben kann, ist der, dass Jorie mir letztes Jahr zum Geburtstag eine Spezial-Mitgliedschaft für das Wicked Horse geschenkt hat. Damit kann ich den Club zweimal im Monat gratis besuchen, normalerweise würde es mich pro Abend fünfhundert Dollar kosten. Davor habe ich mir das Eintrittsgeld vom Mund abgespart und manchmal sogar auf eine neue Handtasche oder ein hübsches Kleid verzichtet, um mir ein paarmal pro Jahr Befriedigung zu verschaffen. Das war sehr viel einfacher, als mit Männern auszugehen.
Obwohl sie seit ihrer Hochzeit mit Walsh schwerreich ist, versuchte ich, die Mitgliedschaft abzulehnen, weil sie einfach unsagbar teuer gewesen sein musste. Aber sie versicherte mir, dass Jerico Jameson ihr einen Spezialpreis gegeben hatte und sie schwer beleidigt wäre, wenn ich sie nicht annehmen würde.
Was mich letzten Endes davon überzeugt hat, ihr Geschenk zu akzeptieren, war der Glanz in Jories Augen. Angesichts der Tatsache, dass sie im Wicked Horse ihre große Liebe gefunden hatte, konnte sie keinen Grund sehen, warum es mir nicht auch so gehen sollte. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, ihr zu sagen, dass ich kein Interesse daran habe, und versicherte ihr deswegen überaus dankbar, dass ich ihr Geschenk toll finde.
Das tat ich auch wirklich und tue es immer noch.
Ganz besonders nach meinem Treffen mit einem gesichtslosen Mann am letzten Wochenende, der meinen Körper dazu brachte, Dinge zu tun, von denen ich nicht wusste, dass er dazu in der Lage sein würde. Wie sehr ich mir wünsche zu wissen, wie er aussieht. Wie sehr ich mir wünsche, dass er mich mittels der App noch einmal kontaktiert, denn ich würde diesen Schritt niemals wagen. Wenn ich es täte, würde es bedeuten, dass ich etwas von ihm brauche, und in diese Falle tappe ich ganz bestimmt nicht noch einmal. Ja, mein Stolz hält mich davon ab, aber wenn er sich bei mir melden würde, würde ich zu einem weiteren Treffen mit ihm nicht Nein sagen.
Ich würde die Chance nutzen.
»Du denkst an ihn, nicht wahr?«, fragt sie mit einem wissentlichen Blick. Ich werde rot – nicht, weil sie mich so gut kennt, sondern weil die Erinnerung an diesen heißen Abend wieder die Sehnsucht danach in mir weckt.
Am Montag habe ich Jorie beim Mittagessen über unsere Zeit im exklusiven Apartment berichtet. Obwohl ich nicht alles haarklein beschrieb, erzählte ich ihr dennoch genügend Dinge, um sie dazu zu bringen, sich Luft zuzufächeln, große Schlucke ihres Eiswassers zu trinken und zu murmeln, sie und Walsh müssten dem Club bald wieder einen Besuch abstatten.
»Ich denke nicht an ihn«, presse ich hervor und betrachte die Menschen, zu deren Zirkel ich ganz sicher nie gehören werde. Aber dann füge ich hinzu: »Nicht viel.«
So viele reiche Leute. Hübsche Frauen. Attraktive Männer.
Die Männer hier sind wie überall und für mich nicht wirklich von Interesse. Meiner Meinung nach hat der wirtschaftliche Status nichts mit dem männlichen Charakter zu tun. Es mag den Anschein erwecken, dass sie ein gesünderes Selbstbewusstsein besitzen, aber ich habe festgestellt, dass reiche und arme Männer gleichermaßen darin geübt sind, mich auszunutzen.
Ich lasse den Blick umherschweifen und bewundere dabei vor allem die Kleider der Frauen.
»Wow«, murmelt Jorie und stellt sich ein wenig dichter zu mir. »Jemand scheint an dir interessiert zu sein.«
»Wer?«, frage ich und bewege langsam den Kopf, um die Menschen zu betrachten, aber dann bleibt mein Blick an einem Mann hängen, der mich mit einem schwer zu beschreibenden Gesichtsausdruck ansieht. Sein Blick ist hart, beinahe kalt. Er hat den Kiefer fest zusammengepresst. Trotzdem scheint er deutlich überrascht zu sein, mich zu sehen, was ich verwunderlich finde, da er für mich ein Fremder ist.
»Kennst du ihn?«, will Jorie wissen, da ihr offensichtlich nicht entgeht, dass verschiedene Emotionen auf seinem Gesicht miteinander kämpfen.
»Überhaupt nicht. Du?«
Jorie schnaubt. »Ich kenne nicht einmal die Hälfte der hier anwesenden Gäste. Ich kann Walsh suchen und ihn fragen.«
Ich drehe mich zu ihr um, hauptsächlich um den Mann zu ignorieren. Ich kenne ihn nicht, er ist nicht wichtig und ich bin nicht in der Stimmung, die Annäherungsversuche von jemandem abzuwehren. Auch wenn er unglaublich gut aussehend ist.
»Oh Mann«, flüstert Jorie und zieht die Augenbrauen hoch. Sie nickt über meine Schulter in die Richtung, wo der Mann gestanden hat. »Hier kommt er.«
Mein Körper spannt sich an und ich sehe sie flehend an. »Wage es ja nicht, mich hier stehen zu lassen.«
»Ich bin dann mal weg«, sagt sie mit einem teuflischen Grinsen. »Er ist superscharf und offensichtlich an dir interessiert.«
»Nein Jorie!«, fauche ich und packe sie am Handgelenk. Ich funkele sie warnend an. »Das werde ich dir niemals verzeihen.«
»Später wirst du mir danken, da bin ich mir sicher«, witzelt sie, dann befreit sie sich vorsichtig aus meinem Griff, weil sie weiß, dass ich sie niemals zwingen würde zu bleiben. Schließlich ist es ihr Geburtstag.
Jorie entfernt sich und ich drehe mich mit einem resignierten Seufzer um.
Ich bin schockiert, als ich mir den Mann betrachte, der auf mich zugeht. Je näher er kommt, desto besser sieht er aus. Dunkles Haar, das gerade lang genug ist, um auf eine zerzauste, gerade-aus-dem-Bett-Art frisiert zu werden, die sehr modern und angesagt ist. Hohe Wangenknochen, volle Lippen und eine schmale Nase, die ihn vornehm aussehen lassen. Er trägt einen gepflegten, sehr kurz geschnittenen Bart und seine Augen sind dunkelbraun und grüblerisch.
Am meisten schockiert mich jedoch, dass der Mann zwar groß und gut gebaut ist, aber leicht humpelt und sich beim Gehen auf einem Stock abstützt. Wegen seines jungen Alters und attraktiven Körperbaus werde ich neugierig, wobei der Gehstock ein weiteres geheimnisvolles Element hinzufügt.
Als er mich erreicht, lässt er den Blick ganz langsam und beinahe schon besitzergreifend an meinem Körper hinunter wandern. Normalerweise würde mich solch ein Verhalten verärgern, aber ich habe irgendwie das Gefühl, dass er das Recht besitzt, es zu tun.
Seltsam.
Er hebt den Blick genauso langsam wieder, bis er mir in die Augen sieht.
»Du«, murmelt er verwundert und … ist das etwa Zorn?
Ich blinzele verwirrt. »Ich was?«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du noch besser aussehen könntest als nackt und mit heißem Wachs bedeckt, aber wie es scheint, liege ich damit wohl falsch.«
Mich durchfährt ein Ruck des Bewusstseins, als mir klar wird, wer da vor mir steht, und ich fühle mich ziemlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Seine Worte würden auf den ersten Blick als verführerisch und lobenswert angesehen werden, aber von dem deutlichen Missfallen in seiner Stimme könnte darauf zu schließen sein, dass er meinen Anblick nicht erträgt.
Ich beschließe, mich stattdessen auf seinen Ton zu konzentrieren und seinen durchdringenden Blick zu erwidern. »Tut mir leid, dich zu enttäuschen.«
Die Heftigkeit, die ihm entgegenschlägt, scheint ihn zu erschrecken, denn er weicht unsicher einen Schritt zurück. Er ist eindeutig ein intelligenter Mann. An seinem Gesicht kann ich erkennen, dass ihm sein Fehler sofort bewusst wird.
»Ich hätte sagen sollen«, bemerkt er mit sanfterer Stimme, »dass du heute Abend sehr hübsch aussiehst. Entschuldige bitte … ich bin nicht besonders gut darin, Komplimente zu machen.«
Meine Güte, er ist wirklich seltsam. Er findet die richtigen Worte – was jede Frau gern hören würde –, aber er spricht sie so verklemmt aus, dass es offensichtlich schmerzhaft für ihn ist, sich mit mir zu unterhalten. Das steht in solch krassem Widerspruch zu der Art und Weise, wie er mich letztes Wochenende im Wicked Horse behandelt hat. Und es gibt keinen Zweifel, dass dies der Mann ist, der meine Welt mit heißem Wachs, einem Vibrator und einem sehr geschickten Schwanz aus den Angeln gehoben hat. Ich erkenne seine Stimme lediglich wegen der ersten zwei Worte, die er an jenem Abend zu mir gesagt hat.
»Dort nicht.«
Wir starren einander einen Moment lang an und ich kann sehen, dass es ihm schwerfällt, etwas zu finden, was er sagen könnte. Es handelt sich nicht um Schüchternheit, mehr um eine Abneigung, weiterhin ein belangloses Gespräch zu führen. Ich versuche, ihm zu helfen.
»Woher kennst du Walsh?«, frage ich.
»Golfpartner«, antwortet er, dann sieht er sich in der Menge um. »Normalerweise hasse ich es, bei dieser Art von Feiern zu erscheinen, aber ich habe ihm versprochen, dass ich kommen würde.«
»Er wollte ein großes Fest für Jorie veranstalten«, erkläre ich, bevor ich einen Schluck Champagner trinke.
»Bist du mit ihr befreundet?«, will er wissen, als er den Gehstock mittig vor sich platziert und die Hände auf dem verzierten, T-förmigen Griff ablegt.
»Beste Freundinnen«, antworte ich und neige leicht den Kopf. »Wir sind zusammen aufgewachsen.«
Er nickt und lässt den Blick über die Gäste schweifen. Scheinbar weiß er nicht, was er noch weiter sagen soll. Deshalb frage ich: »Was machst du beruflich?«
»Ich bin Neurochirurg«, antwortet er und lässt mir seine Aufmerksamkeit zuteilwerden.
Ich blinzele überrascht, denn das ist beeindruckend. »Wow.«
Vielleicht fällt es ihm deswegen ein wenig schwer, sich zu unterhalten. Sind die klugen Köpfe nicht immer so?
Und trotzdem wendet er den Blick nicht wieder ab. Sein Gesichtsausdruck ist nachdenklich, als würde er versuchen, mein Geheimnis zu entschlüsseln. Aber ich bin bloß ich, deswegen kann es das nicht sein. Ich bin ein Mensch der Kategorie »Was man sieht, das bekommt man auch«.
Er sagt nichts und ich weiß ebenfalls nicht mehr, was ich noch erzählen könnte. Weil mir die Ideen ausgehen, denke ich darüber nach, wie ich dieses Gespräch beenden könnte, weil mir klar wird, dass sich unsere Chemie ausschließlich um Sex dreht. Was nicht schlimm ist. Wir brauchen nicht miteinander zu reden.
»Möchtest du mit mir ins Wicked Horse gehen?«, fragt er plötzlich und ich bin erstaunt darüber, wie klinisch er seine Frage stellt. Würde er versuchen, mich zu verführen, würde er zärtlichere Worte finden oder mir vielleicht über den Arm streicheln.
Stattdessen klingt es wie eine langweilige Geschäftsabwicklung.
Trotzdem will ich diesen Mann noch einmal. Ich habe nie versucht, das zu leugnen.
Jedes Molekül in meinem Körper vibriert und schreit: »Ja!« Ich wusste, dass ich die Chance ergreifen würde, noch einmal mit ihm zusammen zu sein, wenn sie sich bietet, aber ich ertappe mich dabei, wie ich bedauernd den Kopf schüttele. »Ich kann nicht. Meine Mitgliedschaft erlaubt mir nur zweimal pro Monat einen Besuch und für Januar habe ich meine Tage bereits aufgebraucht. Aber wir könnten … äh … stattdessen zu dir gehen?«
»Können wir nicht«, antwortet er tonlos und in mir regt sich ein Verdacht.
»Warum nicht? Bist du verheiratet?«
»Nein«, erwidert er ungerührt, dann verzieht er das Gesicht. »Ich bin lediglich ein zurückgezogener Mensch und möchte den Sex im Club behalten.«
Ich kann seinen Grund verstehen. Auch ich lebe nach dieser Devise und könnte mich ohrfeigen, dass ich überhaupt vorgeschlagen habe, zu ihm zu gehen. Es wirkt verzweifelt. Abgesehen davon ist es eine Missachtung aller Regeln, die ich für mich selbst aufgestellt habe, um nicht wieder in eine Falle zu tappen. Aus genau dem gleichen Grund beschränke ich den Sex strikt auf den Club.
Um Männer auf einer Armlänge Abstand zu halten.
Lerne ich denn nie dazu?
»Aber wenn du es mir gestatten würdest«, sagt er beinahe schon steif, als traue er den Worten nicht, die aus seinem Mund kommen, »würde ich gern die Eintrittsgebühr für dich übernehmen, damit du heute Abend Zutritt bekommst.«
Ich finde Jorie, die neben Walsh steht, und sehe ihr in die Augen. Sie sind voller Fragen, aber sie würde es mir niemals übel nehmen, wenn ich jetzt am Arm dieses Mannes hier rausmarschieren würde.
Trotzdem wende ich mich ihm mit einem kleinen, reuigen Seufzer zu. »Bevor Jorie nicht ihren Kuchen hatte, kann ich nicht gehen.«
Der Mann blickt zu Jorie und Walsh, dann sieht er wieder mich an. Enttäuscht neigt er den Kopf zur Seite. »Dann vielleicht ein anderes Mal.«
Mist. Ich hatte gehofft, dass er noch eine Weile bleiben würde, bis es ein für mich angemessener Zeitpunkt wäre zu gehen, aber ich war eindeutig nur eine einfache und verfügbare Eroberung auf seinem Weg. Er klingt, als würde er in den Club fahren und ohne Schwierigkeiten jemand anderen finden.
So sei es. Ich bettle nicht.
»Einen schönen Abend«, murmele ich mit einem Lächeln und hoffe, dass es mein Bedauern verbirgt.
Nachdem er mir zugenickt hat, geht er in Richtung Ausgang.
Ich beobachte, wie er sich trotz des Hinkens und des Gehstocks mit einer eleganten Anmut bewegt. Als er nicht mehr zu sehen ist, leere ich mein Glas mit Champagner und nehme mir von einem umhergehenden Kellner ein neues.