Schnelle Hilfe aus der Hausapotheke

An den Anruf von Bord des Kreuzfahrtschiffs erinnere ich mich gut. Schließlich bin ich während des Studiums und danach selbst als Personal Trainer bei so einer Reise mitgefahren.

Am anderen Ende der Leitung: einer meiner Patienten.

Der Besitzer einer kleiner Möbeltischlerei war eigentlich wegen seiner Schulter bei mir in Behandlung. Doch nun ging es um sein linkes Sprunggelenk.

Der leicht übergewichtige Mann hatte kurz nach einem Stadtbummel durch Palma de Mallorca erhebliche Probleme und befürchtete nun, den nächsten Landgang auf Sizilien nicht mitmachen zu können. Ob ich vielleicht einen Geheimtipp habe?

Ohne den schmerzgeplagten Patienten in Augenschein nehmen zu können, sind konkrete ärztliche Diagnosen und Behandlungsempfehlungen selbstredend limitiert. Deshalb konnte ich ihm auch nur mit allgemeinen Ratschlägen dienen, wie ich sie meinen Freunden, meiner Familie oder auch Dir geben würde – selbstverständlich ohne Honorar.

„Mein erster Tipp ist ziemlich naheliegend“, antwortete ich dem Mann. „Gegen die Schmerzen und die potentielle Entzündung würde ich in der Akutphase ein gut verträgliches Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Diclofenac nehmen.

Das bekommen Sie beim Bordarzt, wenn Sie es nicht in der Reiseapotheke selbst dabei haben. Wobei die Betonung auf gut verträglich liegt!“

Die allermeisten Patienten, die unter Arthrose leiden, haben ja bereits in der Vergangenheit eine gewisse Erfahrung mit Schmerzmitteln gesammelt. Darauf solltest auch Du in einer solchen Situation zurückgreifen.

Der nächste Top-Tipp ist ebenfalls vielen bekannt: „Zusätzlich empfehle ich Ihnen die bewährte Thermo-Therapie. Ob Wärme oder Kälte besser hilft, probieren Sie selbst aus. Da gibt es keine goldene Regel. Landläufig gilt Kälte als hilfreicher bei Beschwerden, die aus dem Gelenk kommen, beziehungsweise von einer Entzündung stammen.“

Dagegen wird Wärme bei Schmerzen als wirksamer empfunden, wenn das umliegende Gewebe betroffen ist. Wie Du im vorherigen Kapitel erfahren hast, liegt ja meist ein Summenschmerz vor. Dementsprechend ist der Therapiegewinn für heiß oder kalt ähnlich verteilt wie für Rouge und Noir beim Roulette.

„Stellen Sie sich vor Ihrem geistigen Augen kurz vor, ob Sie Ihren Knöchel lieber mit einem Eisbeutel bedecken oder von einer Rotlichtlampe bescheinen lassen möchten. Das intuitive, eigene Gefühl ist meist hilfreicher als die Recherche bei Dr. Google,“ sagte ich ins Telefon.

Mein Extra-Tipp sind Quarkwickel, die an Bord eines Schiffes zugegebenermaßen schwierig zu bekommen sind. Oder auch Wickel mit Retterspitz. Dafür brauchst Du schon einen Supermarkt oder eine Apotheke. Gleiches gilt für Hausmittel wie Pferdesalbe oder Tigerbalm.

„Vielleicht haben Sie ja die Möglichkeit, sich eine Bandage zu organisieren, mit der Sie das Sprunggelenk kreuzweise umwickeln und ein bisschen entlasten können“, legte ich meinem reiselustigen Patienten ans Herz. „Achten Sie auf bequemes, stabiles Schuhwerk in den nächsten Tagen.“

Eines wollte ich auf jeden Fall vermeiden: Dass sich der Mann für den Rest der Reise in seine Kabine zurückzieht, sich zur Schonung eventuell gar ins Bett legt.

„Am besten versuchen Sie, sich bis zum nächsten Landgang gegen die Schmerzen zu desensibilisieren“, ermutigte ich ihn. „Wenn Sie nach zehn Gehminuten Beschwerden haben – egal ob auf der Treppe oder in der Ebene, dann gehen Sie einfach zehnmal eine Minute pro Tag.“

Das gilt auch für Dich, wenn Du nicht auf Kreuzfahrt bist: Gar nichts zu machen, darf nie die Konsequenz von Beschwerden sein. Niemals.

Schaue stets, was die kleinste, vertretbare Belastungsdosis ist, die Du einigermaßen schmerzfrei oder mit erträglichen Beschwerden absolvieren kannst. Genau die setzt Du wiederholt ein.

Ähnlich wie beim Schrittzähler geht es beim Gelenk nicht um Einzelposten, sondern um die Summe. Abgerechnet wird am Ende des Tages, am Ende der Woche, am Ende des Monats.

Und ähnlich wie bei der Behandlung von Allergien steigerst Du die Bewegungsdosis peu à peu, bis am Ende ausreichend Toleranz erreicht ist.

Unterstützen kannst Du die Schmerz-Desensibilisierung durch das Knubbeln von gelenknahen Schmerzpunkten. Am Anfang wird das für Dich ein Ausprobieren sein. Es wäre Blödsinn, wenn ich sage: Alle drücken am Knie immer auf den gleichen Punkt.

Taste Dich an Deine Triggerpunkte heran. Und dann umkreise sie kräftig mit zwei, drei Fingern für ein bis zwei Minuten – bis der Schmerz spürbar nachlässt.

Eine weitere, gute Chance, die Intensität der Schmerzen direkt zu beeinflussen, ist unsere individuelle Bewertung des Beschwerdesignals. Denn am Ende entsteht das unangenehme Gefühl einzig und allein im Gehirn.

Die Rezeptoren um das gereizte Gelenk schicken nur eine Art biologische E-Mail mit dem Inhalt, dass etwas nicht stimmt. Unser Gehirn liest diese Nachricht und bewertet den Inhalt.

Medizinisch heißt das Schmerzwahrnehmung. Und diese Reizinterpretation ist nicht nur von Mensch zu Mensch unterschiedlich, sondern auch bei ein und dem selben Menschen abhän gig von Faktoren wie Tageszeit oder Stressbelastung.

Letztendlich kann sie willentlich beeinflusst werden. Ich habe dazu in Bonn an einer Studie mitgearbeitet, mit der in der Radiologie die Schmerzwahrnehmung bei erfahrenen Marathonläufern erforscht wurde. 20

In diesem Rahmen wurde im Kernspin die Hirnaktivität gemessen, die ausgelöst wird, wenn Läufer einem Kältereiz ausgesetzt werden. Das verblüffende Ergebnis: Nach einem langen Lauf reagierte das Gehirn der Sportler messbar weniger sensibel auf den Kältereiz als vor dem Ausdauertraining.

Sport kann die Schmerzwahrnehmung modulieren – und nicht nur Sport. Auch Meditation und sogar die Art und Weise wie wir unsere Atmung beeinflussen, wie stark wir den Schmerz empfinden.

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass in meinem oft stressigen Alltag sowohl als Arzt als auch als frischgebackener, zweifacher Vater bewusstes Atmen ein wichtiges Instrument ist, das mir immer schnell und direkt geholfen hat.

Auch bei unseren Patienten mit akuten Schmerzen setze ich dieses Tool ein. Zum Beispiel während unserer Notfallsprechstunde am Wochenende. So legte ich es auch meinem Kranken nahe, der sich auf der Kreuzfahrt befand:

„Wenn die Schmerzen ganz schlimm sind, denken Sie an unser Telefonat. Nehmen Sie eine bequeme Position ein und konzentrieren Sie sich auf die nächsten zehn Atemzüge.

Legen Sie eine Hand auf die Brust, die andere auf den Bauch. Nun atmen Sie vier Sekunden langsam in den Bauch und danach vier Sekunden langsam wieder aus.

Wenn es sich gut anfühlt, können Sie vier Sekunden einatmen und sechs Sekunden ausatmen. Oder machen Sie es wie die Navy-Seals, eine Spezialeinheit der US-Armee: vier Sekunden einatmen, vier Sekunden halten, vier Sekunden ausatmen, vier Sekunden halten.“ 21

Das Minimum, das ich empfehle, sind zehn bewusste Atemzüge. Das sind ein bis zwei Minuten, die Du innehältst, entspannst und den parasympathischen Teil des Nervensystems ansprichst. In vielen Fällen führt das zu einem spürbaren Nachlassen der Schmerzen.

Trotz dieser Tipps blieb es beim vorliegenden Fall unwahrscheinlich, dass mein ratsuchender Patient bis zum nächsten Landgang komplett schmerzfrei sein würde. Deshalb legte ich ihm noch etwas ans Herz:

„So lange Sie Schmerzmittel nehmen, sollten Sie auf eine Omega-3-reiche Ernährung achten.

Studien haben ergeben, dass diese ungesättigten Fettsäuren die notwendige Dosis von Schmerzmitteln um die Hälfte senken können. 22

Das macht bei einem längerfristigen Einsatz von Ibuprofen oder Diclofenac für die Entgif tungsorgane Leber beziehungsweise Niere einen bedeutenden Unterschied.“

Wir werden uns später noch ausführlich mit dem Thema Arthose und Ernährung beschäftigen. Als Soforttipp gab ich dem Mann mit, dass neben Lein- und Walnussöl auch Leinsamen und Meeresfische wie Lachs, Makrele und Hering reich an ungesättigten Verbindungen seien – und zumindest letztere sollten im Bordrestaurant des Kreuzfahrers auf der Speisekarte zu finden sein.

Damit war ich mit den guten Ratschlägen fast am Ende. Einen hatte ich noch: „Das nächste Mal, wenn Sie auf Reisen gehen, sollten Sie auf jeden Fall Teleskopstöcke dabei haben. Motto: be prepared. Vielleicht haben Sie Glück und können beim nächsten Landgang welche kaufen.

Ich drücke die Daumen und wünsche eine gute und möglichst schmerzfreie Weiterreise.“

Solltest Du gerade dabei sein, Deine nächste Reise zu planen, lautet mein Rat für das Arthrose-Reisegepäck:

Einen wichtigen Hinweis darf ich nicht vergessen: Natürlich haben alle Selbsthilfetipps ein Haltbarkeitsdatum.

Werden die Beschwerden nach zwei, drei Tagen nicht spürbar besser, solltest Du immer beim Orthopäden einen Termin zur genaueren Abklärung vereinbaren. Das gilt gerade bei neuen, akuten Schmerzen.

Dabei denke ich zum Beispiel an den Strafverteidiger neulich, der versucht hatte, einen Heizkörper zu reparieren. Er musste dafür lang auf dem Fußboden knien, konnte anschließend kaum aufstehen, weil er das rechte Bein nicht mehr gerade ausrichten konnte.

Wie eingerostet kam er in die Notfallsprechstunde gehumpelt. Und das war genau richtig.

Denn es bestand die Gefahr, dass sich ein freies Gelenkstück oder ein Meniskus eingeklemmt hatte. Beides konnten wir zum Glück ausschließen. Doch auch die – aufgrund der ungewohnten Haltung – aktivierte Arthrose sollte möglichst früh und konsequent behandelt werden. Hit hard, hit early, lautet die passende Redewendung im englischsprachigen Raum.

Deshalb: Bei bislang unbekannten Gelenkbeschwerden, die nach einer ungewohnten Bewegung auftreten, solltest Du stets zum Arzt. Gleiches gilt bei akuten Bewegungseinschränkungen, die das Beugen oder Strecken verhindern, bei einem schmerzenden, geschwollenen Gelenk, bei starker Rötung, bei Hitzegefühl und insbesondere bei Fieber.

Die Arthrose-Faust-Formel, die ich Dir an die Hand geben möchte, ist: Gehe im Zweifel immer zum Knorpel-Doc. Lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig – auch wenn das den allgemeinen Leitlinien und den Wünschen der gesetzlichen Krankenkassen womöglich widerspricht.

Kurz zusammengefasst – was ich meinen Freunden, meiner Familie und Dir rate:

Was ist dein "Warum" - was willst du wieder können?
Was glaubst du selber bewirken zu können?
Hast du für dich ein klare Strategie für deine Behandlung?

Merkhilfe

„Der Geist setzt die Grenzen. Solange man sich im Geiste
vorstellen kann, dass man etwas tun kann, kann man es auch…“

Johann Wolfgang von Goethe, Faust

Kälte ist ein Wundermittel. Sie verbessert das Immunsystem, trainiert das Gefäßsystem 23 , stärkt die Willenskraft. Das Bad in der Eistonne wird seit Jahren im Profisport eingesetzt, es verbessert die Regeneration. 24

Genau das ist Deine dritte Challenge. Morgen früh stellst Du den Thermostat (beziehungsweise Hebelmischer) auf kalt und nimmst das freie Ende des Duschschlauchs in die rechte Hand.

Dann führst Du den kalten Strahl gleichmäßig und ruhig von hinten auf die aufgestellte, rechte Fußsohle; weiter über Ferse und Wade bis zur Kniekehle hoch, wechselst mit dem Guss auf die Beinvorderseite, kehrst über Schienbein und Spann zur rechten Großzehe zurück.

Du wechselst mit dem Duschschlauch in die linke Hand und wiederholst den Ablauf auf der linken Beinseite.

Anschließend kommt der rechte Unterarm dran: Schlauchende in die linke Hand. Rechte Handfläche nach vorn. Dann mit dem Strahl von den Fingern über den Puls bis zur Ellenbeuge hoch; die Hand nach hinten drehen, mit dem Strahl auf den Ellenbogen wechseln und über Handgelenk und Handrücken zurück zu den Fingerspitzen.

Den Abschluss bildet der linke Unterarm. Dazu wechselt der Duschschlauch in die rechte Hand. Die linke Handfläche drehst Du für den Guss in Herzrichtung nach vorn, für den herzfernen Guss nach hinten.

Tipp: Lege Dir ein schönes, kuscheliges Handtuch zum Abtrocknen bereit und stelle den Wasserstrahl nicht zu hart ein. Das Wasser soll breit, ruhig und gleichmäßig über die Haut laufen. Ist Dir richtig kaltes Wasser zu kalt, kannst Du auch mit zwölf bis 15 Grad beginnen.

Wichtig ist, dass Du die Challenge annimmst. Und dass Du sie weiterführst. Kälter werden kannst Du immer noch. Ausdauernder auch.

Zum Beispiel am nächsten Tag. Dann führst Du den Wasserstrahl jeweils bis zum Oberschenkel beziehungsweise bis zum Oberarm. Achte darauf, möglichst ruhig ein- und auszuatmen. Passe das Tempo des kalten Gusses an Deine Atmung an.

Beziehe am übernächsten Tag den Po, die Hüfte und die Leisten, beziehungsweise Schulterdach, Schlüsselbein und Schulterblatt mit ein. Am vierten Tag kannst Du ausprobieren, wie weit Du auf Rücken und Bauch kommst.

Am fünften Tag wiederholst Du den Guss vom Vortag, fügst die Einstiegschallenge vom ersten Tag an (Unterschenkel und Unterarm). Am sechsten Tag fügst Du die Übung vom zweiten Tag hinzu. Am siebten kombinierst Du Tag vier und Tag drei. Nach acht Tagen bist Du bereits bei zwei kompletten Arm- und Beingüssen inklusive Rücken und Bauch. Wenn Du willst (und herzgesund bist), kannst Du Gesicht, Kopf und Brust in den nächsten Tagen miteinbeziehen.

Fühlst Du Dich besser, führe es fort, eigne es Dir an, mache es zu Deiner Gewohnheit. Am besten für immer. Warum?

Hydrotherapeutische Güsse tragen signifikant zur Verbesserung chronischer Venenschwäche und damit der Mikrozirkulation bei – das ist gut für den Knorpel.

Auch für Bluthochdruck und Herzschwäche werden positive Effekte durch die Kneipp-Güsse beschrieben – gesunde Gefäße unterstützen den Gelenkstoffwechsel.

Darüber hinaus gibt es Hinweise auf Schmerzlinderung, Stimmungsaufhellung, Schlafförderung – alles wichtige Parameter bei einer chronischen Schmerzerkrankung wie Arthrose. (Quelle: Effekte der Kneipp-Therapie: Ein systematischer Review der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse (2000-2019)