Das aktuelle Buch von Toni Schumacher, Einwurf, hatte ich mir bereits gekauft, als er noch nicht mein Patient war. Auf der Rückseite des Buchdeckels prangen fast schon ikonisch zehn sichtbar geschundene Finger.
So wie Deine und meine Hand besteht auch das Arbeitsgerät und Markenzeichen meines prominenten Patienten aus 27 Knochen. Beide Hände zusammen vereinen etwa ein Viertel der Knochen 40 des Menschen. Entsprechend viele Gelenke können an diesem Körperteil verschleißen und wehtun.
Im Fall Toni Schumacher reichte mir ein Blick auf die Röntgenbilder, um zu wissen, dass es hier mit einer einmaligen Stammzellbehandlung nicht getan sein wird. „Da sind einige knöcherne Anbauten, die die Mechanik der Finger so gravierend behindern, dass Sie die ursprüngliche Beweglichkeit nie wieder erlangen werden“, versuchte ich unrealistische Erwartungen zu dämpfen.
„Durch die zusätzliche Schwellung gibt es weitere Einschränkungen. Und die können wir behandeln. Allerdings bedürfen Ihre Hände ein bisschen mehr Zuwendung als Knie und Schulter – und vor allem plättchenreiches Plasma.“
Die Bezeichnung Autologes Conditioniertes Plasma (ACP) begegnete mir das erste Mal während meiner Ausbildung zum Facharzt. Das Medizinprodukt ist eines der ersten und bis heute eines der am häufigsten verwendeten Ausführungen des plättchenreichen Plasmas.
Auf diversen orthopädischen und sportmedizinischen Kongressen gab es immer wieder Vorträge, wie ein bisschen eigenes (autologes) Blut (Plasma) so aufbereitet (conditioniert) wird, dass eine Spritze mit Blutplättchen dabei herauskommt.
Die kleinsten Zellen des Blutes spielen eine wichtige Rolle bei der Blutgerinnung, indem sie sich bei der Verletzung eines Blutgefäßes an das umliegende Gewebe anheften … oder aneinanderheften, sodass die Verletzung verschlossen wird.“ 41 Zusätzlich setzen sie Botenstoffe zur Wundheilung frei.
Auf unseren Kongressen wurde heftigst diskutiert, welche Wirkung die ärztliche Gabe angereicherter, körpereigener Thrombozyten bei Verletzungen der Muskeln, Sehnen, Bänder und des Knorpels spielen. Drei Jahre verfolgte ich die Debatte genau.
Die eine Hälfte der Referenten sagte: Es wirkt. Die andere sagte: Es macht keinen Unter schied. Immerhin hieß es nie (wie beim Kortison): Es schädigt den Knorpel.
Nachdem ich 2014 in Bonn angekommen war, störte es mich, dass ich zu oft auf Kortison zurückgreifen musste. Bei etwa jedem vierten Patienten konnte ich den nachvollziehbaren Wunsch nach Linderung nur mit Steroiden erfüllen.
Alternativ standen mir nur Hyaluronsäure oder Traumeel 42 zur Verfügung – letzteres ein gut untersuchtes, pflanzliches Kombinationspräparat u. a. aus Arnika, Beinwell, Ringelblume, Echinacea. So suchte ich nach weiteren Pfeilen für meinen Therapieköcher.
Ein Jahr später setzte ich die ACP-Therapie erstmals selbst ein. Das war quasi meine orthobiologische Geburtsstunde. Das erste Mal hatte ich den Eindruck, dass ich durch eine Injektion nicht bloß lindern, sondern weiteren Schaden, Operationen und Gelenkersatz abwenden konnte.
Stand 2023 blicke ich etwa auf 3.500 Injektionen zurück, was allerdings nicht der Patientenzahl entspricht. Bis zum Eintritt der Wirkung kann es bei der ACP-Therapie notwendig sein, dass sie zwischen ein und fünf Mal wiederholt werden muss.
Das ist unter anderem abhängig von Größe des Gelenks, vom Schadensbild und von den allgemeinen Lebensumständen (Raucher brauchen mehr als Nichtraucher), von der Beschwerdedauer, von den Vorbehandlungen (u. a. mit Kortison) und von der Bereitschaft der Patienten, entsprechend mitzuwirken.
Bei Toni Schumacher brach ich sogar meine 90-Tage-Regel. Mehr als drei Monate zog sich die Behandlung der Hände hin bis die Schwellung nachließ und die Finger spürbar und sichtbar beweglicher wurden.
Der Ablauf unterliegt dabei immer demselben Protokoll: Zunächst entnehme ich mit der patentierten Doppelkammerspritze aus der Armvene 15 Milliliter Blut.
Das Entnahme-Kit kommt anschließend in eine Zentrifuge, wird dort für fünf Minuten rund 7.500 mal rotiert. Durch die Fliehkräfte setzt sich unten im Spritzenkolben ein dunkelroter Propfen ab. Das sind die roten Blutkörperchen.
Von diesen körpereigenen Sauerstofftransportern hätten die Radrennfahrer der Tour de France gern mehr. Bei der ACP-Therapie können wir die sogenannten Erythrozyten nicht gebrauchen.
Was uns interessiert, ist der dünne gelblich-bernsteinfarbene Streifen darüber. Insbesondere die obere Fraktion. Da tummeln sich die Thrombozyten. Direkt darunter folgen die Leukozyten, auch weiße Blutkörperchen genannt. Sie konzentrieren sich in einem dünnen Streifen – dem buffy coat.
Letztere sind zentraler Bestandteil unseres Immunsystems. Und es gibt Hinweise, dass der heilende Effekt des Verfahrens umso größer ist, je weniger Leukos sich in der Spritze befinden.
Deshalb entnehme ich behutsam die Blutflüssigkeit (das Plasma) nur knapp bis an das Leukozytenkonzentrat und verschiebe so den Anteil Thrombozyten zu Leukozyten. Je nachdem wie viel der Patient getrunken hat, erhalte ich aus 15 Millilitern Blut drei bis fünf, manchmal auch sechs Milliliter plättchenreiches Plasma.
Per dünner Nadel und unter Ultraschallkontrolle gebe ich das körpereigene (autologe) Blutgemisch dann anschließend in das schmerzende Gelenk. Studien 43 haben ACP teils über mehrere Tage in den behandelten Gelenken nachgewiesen, die Aktivität der Zellen ist allerdings kürzer.
Im Gegensatz zur Sofortwirkung beim Kortison dauert es beim plättchenreichen Plasma ungefähr drei bis vier Tage, bis ein Effekt zu verzeichnen ist. Wir Ärzte sprechen von biochemischen Kaskaden. ACP stößt – bildlich gesprochen – nur den ersten Dominostein im Prozess der Selbstheilung an.
Es braucht also ein bisschen Geduld, bis die Entzündung gebremst wird, die Schwellung nachlässt und die Reparaturzellen die Bühne betreten. Dazu kommt noch ein geringer, gelenkschmierender Effekt, der jedoch vernachlässigt werden kann.
Gern erkläre ich meinen Patienten die Überlegenheit der ACP-Therapie zu Kortison mit einem Beispiel aus dem Leben: In einer Stadt kann man Verbrechen verhindern, indem man mehr Polizisten einstellt oder weniger Verbrecher herumlaufen lässt.
Jeder Medizinstudent lernt: Kortison eliminiert proinflammatorische Botenstoffe, fördert aber nicht die antientzündlichen Zytokine. In unserem Bild bedeutet das: Kortison sorgt dafür, dass dankenswerterweise viele Verbrecher auf frischer Tat verhaftet werden. Es sorgt aber nicht für mehr Polizisten.
Sobald neue Verbrecher in die Stadt kommen, steht die Bevölkerung erneut schutzlos da.
Mit der ACP-Therapie werden dagegen sowohl Verbrecher festgenommen, als auch die körpereigene Polizei aufgerüstet. Nicht so stark wie bei der Stammzelltherapie. Aber doch sehr wirksam.
Darüber hinaus hat ACP einen positiv regenerativen, sprich gewebeerneuernden, Effekt. Bei einer Meniskus-Naht heilt das halbmondförmige Gewichtsverteilungskissen im Knie zwischen Gelenkrolle und -kopf besser als ohne ACP-Gabe. Auch ein Anriss des vorderen Kreuzbands verheilt besser.
Mein Tipp, damit Du Dir ein eigenes Bild von der Potenz des plättchenreichen Plasmas machen kannst: Gib bei Gelegenheit bei Google den Suchbegriff Vampir- bzw. Dracula-Lifting ein. Dort gibt es etliche, beeindruckende vorher-nachher-Fotos.
Eigentlich ist es keine Überraschung: Schon bald nach Erstbeschreibung der Wirkung des plättchenreichen Plasmas in der Zahnheilkunde wurde das Verfahren unter einprägsamem Namen in der Schönheitsmedizin zur Aufpolsterung und Glättung von Falten und Narben, Verbesserung und Verjüngung der Hautstruktur im Gesicht, an Hals und Dekolleté und an den Händen eingesetzt.
Heute findet PRP – so die Abkürzung – in der Orthopädie, Dermatologie (z. B. zur Behandlung des kreisrunden Haarausfalls 44 ), in der Zahn-, Mund- und Kieferchirurgie, in der Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie und bei der Behandlung diabetischer Wunden Anwendung. 45
Der neue Markt ist riesig. Die einzelnen Zubereitungsmethoden sind selbst für mich kaum zu überblicken. Unter den Begriffen Plasma und PRP werden zahlreiche Verfahren ungeordnet zusammengefasst.
Gleiches gilt für die Studienlage mit über 3.000 Veröffentlichungen. Ohne genaue Kenntnis ist eine Beurteilung kaum möglich. Schreiben heute zwei Autoren über PRP, dann beziehen sie sich leider selten auf dasselbe Verfahren.
Deshalb spreche ich ganz bewusst von der ACP-Therapie. Das ist – zugegebenermaßen – werblich, wie das Tempo-Taschentuch oder der Inbus-Schlüssel; es hilft Dir aber eventuell bei deiner Recherche weiter.
Was Dir vermutlich dabei als Erstes auffällt: In den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie 46 werden weder Stammzellen noch plättchenreiches Plasma empfohlen.
Neben der Überschreitung des selbstauferlegten Haltbarkeitsdatums 29.11.2022 – die Leitlinien sind schlichtweg veraltet – liegt die Nichtlistung mutmaßlich daran, dass alle gesetzlichen Krankenkassen – und sogar ein paar private – eine Erstattung der ACP-Therapie, die pro Spritze circa 150 Euro kostet, mit Hinweis auf eine widersprüchliche Studienlage ablehnen.
Das Paradoxe: bei der ACP-Therapie geht es um die Streitfrage der Wirksamkeit. Bei der Kortison-Spritze gibt es inzwischen eindeutige Studien, die belegen, dass die Therapie knorpelschädigend wirkt.
Trotzdem werden Injektionen mit Kortison sowohl von allen privaten, als auch den gesetzlichen Kassen übernommen. Vermutlich weil es billig ist. Unberücksichtigt bleiben die Kosten, die am Ende ein künstliches Gelenk verursacht.
Was mir Orientierung bietet: Europas größte Fachgesellschaft für Arthroskopie, die AGA 47 und auch die European Society of Sports Traumatology, Knee Surgery und Arthroskopy (ESSKA) 48 – mit gemeinsam 4.000 Mitgliedern, empfehlen mehrheitlich den Einsatz von Plasma bei Gonarthrose. 49
Mittlerweile gehöre ich in Deutschland zu einem der erfahrendsten Anwender der ACP-The rapie. Mit Stammzellen aus dem Fettgewebe habe ich mutmaßlich bislang die meisten Arthrose-Patienten behandelt. Seit acht Jahren habe ich den Therapieverlauf bei über 80 Prozent meiner Patienten nachverfolgt.
Die webbasierte Auswertung erfolgt anonymisiert mit dem üblichen Beschwerden-Score zwischen eins und zehn und weiteren Funktions-Scores. Im Abstand von zwei und sechs Wochen, drei und sechs Monaten, einem, zwei und fünf Jahren nach dem Eingriff wird der Link per E-Mail verschickt.
Dadurch bekomme ich regelmäßig Feedback. Und dieses hat mir bei der ACP-Therapie eine derartige Sicherheit gegeben und ein starkes Vertrauen in mein Handeln aufgebaut, dass ich nicht mehr bereit bin – selbst auf Patientenwunsch –, mal eben so Kortison zu spritzen.
Der Erfolg ist, dass ich in meinem Alltag Kortison nur noch maximal in einem von 100 Fällen gebe. Aus meiner Überzeugung und Erfahrung heraus nehme ich mir die dafür notwendige Zeit für die Erläuterung der Therapie.
Besonders bei ACP ist eine umfangreiche Aufklärung wichtig. So wird das aufbereitete Eigenblut generell ohne lokale Betäubung und auch ohne vorherige Einnahme von Diclofenac oder Ibuprofen gespritzt.
Die Erklärung dafür ist, dass sogenannte nichtsteriodale Antirheumatika (NSAR) die Wirkung des plättchenreichen Plasmas verschlechtern. Keine Sorge: Auch ohne lokales Betäubungsmittel ist die Behandlung in den allermeisten Fällen sicher, schnell und umfassend schmerzfrei.
Dazu nutze ich eine Thermoschock-Therapie mit einer Kältepistole mit flüssigem Kohlendioxid (CO2) 50 . So kühle ich das Einstichgebiet in Sekundenschnelle temperaturkontrolliert auf zwei bis vier Grad herunter.
Trotzdem wäre Toni Schumacher – ohne vorheriges Gepräch – nach der Erstbehandlung der Hand eventuell nicht nochmal gekommen. Das lag weniger an der eigentlichen Behandlung, als vielmehr an den Beschwerden in den darauffolgendenTagen.
Die Herausforderung bei der Behandlung der Finger ist die geringe Aufnahmekapazität der kleinen Gelenke – zwischen 0,15 und 0,3 Milliliter. Deshalb führt hier die ACP-Gabe häufig für zwei bis drei Tage zu weiteren Schwellungen und Schmerzen.
Wer das nicht weiß, wird vermutlich erstmal enttäuscht sein. Deutlich mehr Volumen vertragen Knie, Hüfte, Schulter und Sprunggelenk. Sie bereiten nur in Ausnahmefällen Probleme.
Aus meiner Sicht Hauptausschlusskriterium für die ACP-Therapie ist eine schwere Bluterkrankung – wie eine akute Leukämie. Bei blutverdünnenden Medikamenten besteht das Risiko, dass die Spritze einen Gelenkerguss hervorrufen kann.
Diese Gefahr ist jedoch gering, weil wir sehr dünne Nadeln verwenden. Außerdem sorgt die ultraschallgestützte Gabe dafür, dass das Medikament sicher das Gelenk erreicht.
ACP und Hyaluronsäure können kombiniert werden. Ob Hyaluron und dann ACP oder umgekehrt – darüber streiten sich die Geister. Ich entscheide das meist pragmatisch. Musst du 200 Kilometer oder mehr anreisen, dann werde ich Dir beides verabreichen.
Bist Du aufgrund des Therapieschemas sowieso bald wieder in meiner Praxis, so beginne ich mit ACP, wenn noch eine Entzündung oder Schwellung vorhanden ist. Ansonsten ist es egal.
Dann kann man auch mit Hyaluronsäure anfangen (mehr dazu im nächsten Kapitel).
Kurz zusammengefasst – was ich meinen Freunden, meiner Familie und Dir rate:
Auf meinem YouTube Kanal erhältst du kostenfrei weitere Informationen zu den hier beschriebenen Therapien.
Orthobiologische Therapie mit körpereigenen Stammzellen
Ein Patienten Feedback zur Stammzelltherapie des Kniegelenks
Die Knorpeltransplantation mit AutoCart
„Wir sind, was wir wiederholt tun. Exzellenz ist also
keine Handlung, sondern eine Gewohnheit“
Will Durant
Die Gelenke und Muskeln schmerzen? Massagen werden nicht verordnet? Dann wird es Zeit, Deinen Bewegungsapparat selbst zu behandeln.
Dafür musst Du kein ausgebildeter Therapeut sein.
Angefangen von der Dehnung der Muskulatur, über die Behandlung mit Faszienbällen und -rollen bis hin zum Wegknubbeln von Schmerzpunkten und Akupressur hast Du viele Möglichkeiten, Dich selbst zu behandeln.
Deine siebte Challenge besteht darin, etwas für Deine schuhverwöhnten Füße zu tun. Wenn Du einen Tennis- oder Golfball zur Hand hast, besteht eine der effektivsten Übungen darin, mit diesem Ball Deine Fußsohlen jeweils 30 Sekunden lang auszurollen.
Mit jedem Fuß drei Mal dreißig Sekunden, das ergibt ganz schnell die drei Minuten.
Du kannst mit den Bällen auch die Waden-, Oberschenkel-, Gesäß-, Oberarm-, Unterarm- und Handmuskulatur lockern.
Fühlst Du Dich besser, führe die Übung fort. Eigne sie Dir an, mache sie zu Deiner Gewohnheit. Am besten für immer. Warum?
Wer regelmäßig ausrollt, bekommt ein besseres Körpergefühl, stellt fest, welche Muskeln verspannt sind. Das hilft dabei, muskuläre Beschwerden von Gelenkschmerzen zu unterscheiden.
Eine entspanntere Muskulatur übt weniger Zug auf ein angegriffenes Gelenk aus. Das Gelenk läuft besser in seiner physiologischen Bahn und schmerzvolle Scherkräfte werden vermieden.