Nach der Geburt meines Sohns Leo habe ich mein zweites Buch Ich will meinen Körper zurück 101 geschrieben. Wenige Wochen nachdem ich mit dem jetzt vorliegenden Buch angefangen habe, wurde meine Tochter Romy geboren.
Das Besondere an diesen beiden überwältigenden Ereignissen ist nicht bloß, dass sie mich als Mensch privat unglaublich bereichern und beglücken; sondern dass die Zwei mir als Arzt, als Orthopäde und Sportmediziner mit jedem ihrer Fortschritte das Fundament meiner Arbeit vor Augen führen:
Die Bewegungsanalysen und -übungen aus dem vorherigen Kapitel sind mir nicht als Eingebung in den Schoß gefallen, sondern orientieren sich an der Entwicklung des Menschen von seiner Geburt bis zum ersten Schritt.
Wenn Du also nach dem letzten Kapitel sagst:
„Lieber Markus, das ist ja alles schön und gut. Aber aufgrund meiner Beschwerden an Hüfte, Knie oder Sprunggelenk bin ich nicht in der Lage, zehn Sekunden auf einem Bein zu stehen.
Deshalb werden mir Deine Übungen nicht helfen.“
Dann lautet meine Antwort:
„Ohne individuelle Anpassung werden Dir die Übungen eventuell nicht helfen, das stimmt.
Das bedeutet aber nicht, dass Dir überhaupt keine Übungen helfen. Wir müssen sie nur für Dich individualisiert zusammenstellen.“
Jede Bewegung, die wir als Erwachsener machen, ist Bestandteil des Lernfortschritts, den ein Baby bis zum aufrechten Gang bewältigt. Das hat mich bei Leo fasziniert. Und das verfolge ich gerade andächtig noch einmal bei Romy: Ein Baby lernt als erstes den Kopf und die Augen zu kontrollieren.
Dann kommen die Extremitäten. Das Baby rollt sich, lernt zu robben, später zu krabbeln.
Anschließend kommt es in den Kniestand, steht auf – und irgendwann läuft es los.
Das sind die wichtigsten Enwicklungsschritte, die auch meinem Rehaprogramm zu Grunde liegen: Ich kann zu jemandem, der – wie Du – zum Beispiel am Einbeinstand scheitert, nicht sagen: Halte Dich fest und trainiere.
Was ich mache, wenn Du den Einbeinstand nicht beherrschst, weil Dein Sprunggelenk weh tut: Ich gehe einen Schritt in Deiner Entwicklung zurück. Bedeutet, ich bringe Dich in den einbeinigen Kniestand und nehme Fuß und Unterschenkel aus dem Training heraus.
Ich reduziere die Trainingsanforderung bis auf die Entwicklungsstufe, die Du beherrschst.
Back to the roots. Wenn Du die Übung später wieder gut beherrschst, gestalte ich sie schwieriger. Zum Beispiel, indem Du beim einbeinigen Kniestand inline gehst, den Standfuß weiter nach innen Richtung kniendes Knie stellst.
Kannst Du das nicht, weil auch Dein Knie betroffen ist, ist das kein Problem. Dann bringe ich Dich in den doppelten Kniestand. Wenn Du das wegen Hüftbeschwerden nicht kannst, bleibt Dir der Vierfüßlerstand. Wenn auch das nicht geht, lege ich Dich auf den Bauch oder auf den Rücken.
Ich führe Dich auf die Entwicklungsstufe bei den Übungen zurück, die Du benötigst, um die Ausführungen zu beherrschen. Und dann arbeiten wir uns wieder hoch. Wir arbeiten nicht über Kompensation. Ich gebe Dir keine Krücke und keinen Stock. Sondern ich gehe bis zu jener Entwicklungsstufe zurück, die Du einwandfrei beherrschst.
Wenn es dann immer noch Probleme gibt – in Bauch- oder Rückenlage – gehen wir noch einen Schritt zurück. Damit, womit das Leben beginnt und die Geburt endet. Mit dem ersten Schrei. Dein erster Schrei ist Atmung.
Du kannst wirklich auch mit Atmung trainieren. Im Internet findest Du jede Menge Anleitungen, wenn Du zum Beispiel den Suchbegriff Feldenkrais eingibst. Viele der Übungen sind unmittelbar mit Bewegung verbunden. Du kannst aber auch einfach nur mal bewusst atmen.
Die Anleitung zum Box Breathing der Navy Seals habe ich Dir in den vorherigen Kapitel gegeben.
Übrigens: Meine Kinder zeigen mir noch ein anderes, wichtiges Prinzip in der Orthopädie – den ständigen Wandel. Was macht das Baby? Das Baby opfert seine maximale Mobiliät – die es unter anderem für die Passage des Geburtskanals benötigt – für Stabilität. Wo endet dieser Prozess? In der zunehmenden Versteifung im Alter.
So sind auch die verschiedenen Verletzungsarten in den jeweiligen Lebensabschnitten diesem Prozess unterworfen. Bei jüngeren Menschen sind die Knochen oft stark, dafür die Bänder der Schwachpunkt. Im zunehmenden Alter brechen eher die Knochen als dass die Bänder reißen.
Dieses Grundprinzip des Wandels hat einen grundlegenden Einfluss auf die individuelle Auswahl der Therapiebausteine. Eingebettet in ein gut trainiertes, bewegliches Gelenk macht Arthrose viel weniger Beschwerden, als in einem untrainierten Gelenk.
Dafür brauchst Du in dem einen Stadium Lockerung, Gymnastik, Mobilität (also zum Beispiel Faszienball, -kugel oder -rolle und „Liebscher & Bracht“). In einem anderen Stadium brauchst Du Orthese, Muskelaufbau, Stabilität. Eine Grundregel lautet: Verbessere erst Deine Beweglichkeit, dann Deine muskuläre Stabilität und Deine neuromuskuläre Ansteuerung.
Diesem Wandel unterliegt grundsätzlich auch das Thema Sport bei Arthrose. Selbstverständlich ist Sport im Allgemeinen gut für den Knorpel. Erinnere Dich an die Studie aus dem vorherigen Kapitel, wie schlecht Dauersitzen ist.
Doch auf die Frage „Wann kann ich wieder joggen?“ gilt bei Arthrose eher die Regel: „Werde fit, um zu laufen und gehe nicht laufen, um fit zu werden.“
Auch Tennis ist, denke zurück an die Patientin, die regelmäßig unter Knieschmerzen leidet, seitdem sie wieder mit ihrem Mann spielt, eine sehr sportliche Sportart. Extrem fordernd, was die Hand-Augen-Koordination, die Armbewegungen über die Körpermitte und die Laufbewegungen in alle Richtungen betrifft. Vor allem fordern die zahlreichen Stop-and-Go-Bewegungen unsere Gelenke.
Hier findet eine gute, sportmedizinische Beratung eher eine Balance zwischen Einschränkung der körperlichen Belastung und Erhalt der Freude an der Bewegung. Wenn es Tennis sein soll, dann ist mein klassischer Ratschlag: ein Satz statt drei Sätzen, lieber Doppel als Einzel.
Ähnliches gilt für Squash, Volley- und Basketball, Golf, Skifahren. Es gibt Phasen bei der Arthrose, da muss erst wieder eine entsprechende Fitness hergestellt werden, damit Du dauerhaft Freude an Deiner Lieblingssport hast. Das gilt sogar fürs Schwimmen, wenn du keine gute Schwimmtechnik hast.
Also lass uns nochmal ein paar Sportarten screenen. Diesmal die guten und verträglichen Sportarten: Walking ist sehr gut. Wenn ich frei wählen dürfte, würde ich Dir sogar Nordic Walking empfehlen. Die Unterstützung durch Stöcke entlastet bei richtigem Einsatz Schulter, Hüfte, Knie und Sprunggelenk. Mein Extratipp: Gehen mit Steigung auf dem Laufband. Das ist sehr, sehr gut. Der hintere Fuß bleibt lange am Boden, dehnt die hintere Muskelkette.
Radfahren ist per se gut. Gleiches gilt für den Crosstrainer im Fitnessstudio. Merke: Alles, was Deinen Körper entlastet, hilft bei Arthose. Beim Radfahren solltest Du allerdings daran denken: Wer sein Knie und seinen Kreislauf auf dem Rad trainiert, sollte zum Ausgleich Hüfte und Rücken käftigen.
Hier kommen wir direkt zum nächsten Bereich, nämlich die Muskeln und Gelenke. Während die meisten Menschen über Adipositas (Fettsucht) Bescheid wissen und auch die weitreichenden Folgen zum Beispiel bei Arthrose erahnen, ist das Thema Sarkopenie bislang nahezu unbekannt.
Sarx steht für Fleisch und Penia für Mangel. Das zusammengesetzte Wort „bezeichnet den mit fortschreitendem Alter zunehmenden Abbau von Muskelmasse und -kraft und die damit einhergehenden funktionellen Einschränkungen des älteren Menschen.“ 102 Dafür gibt es seit 2018 einen internationalen, Krankheits-Code: ICD-M62-50. 103
Im Fokus der meisten Kollegen liegt jedoch das Gewicht ihrer Patienten. Dafür wird einfach der Body-Mass-Index (BMI) herangezogen. Eine Floristin, die sich nach jahrelanger Arzt-Odysee bei uns vorstellte, beschrieb ihren Frust darüber so: „Ich habe es satt, von den Ärzten immer auf mein Gewicht reduziert zu werden.“
Vielen Kollegen verbaut der sture Blick aufs Fett, dass auch die Muskulatur – als unser größtes und schwerstes Organ – eine entscheidende Rollen bei Arthrose einnehmen kann.
Es stimmt: Fettgewebe produziert schädliche, bioaktive Stoffe, wie zum Beispiel Leptine, die unter anderem die Knorpel-Matrix angreifen und in Folge zu Gelenkschäden führen können. 104
Ganz zu schweigen von der rein gewichtsbezogenen Mehrbelastung auf den Knorpel dazu mehr im letzten Kapitel).
Seit wenigen Jahren wissen wir aber auch, dass Muskeln Botenstoffe produzieren. So genannte Myokine 105 , die quasi als Gegenspieler zu den Leptinen antientzündlich wirken.
Im Laufe des Lebens nimmt die Fettmasse beim Menschen zu, während die fettfreie Masse (FMM), also die Muskulatur, abnimmt. Ab dem Alter von 50 Jahren um knapp ein Prozent pro Jahr.
Im weiteren Verlauf beschleunigt sich dieser Prozess und führt zur Beschleunigung arthrotischer Umbauprozesse in und an den Gelenken. Die Muskelkraft kann man gut repräsentiert über die Handkraft messen. Mehrere Studien belegen sogar einen Zusammenhang zwischen einer unterdurchschnittlichen Handkraft mit einem erhöhten Sterberisiko. 106
Zur Beurteilung von Sarkopenie und Adipositas testen wir Handkraft und Körperkomposition zusammen. Durch ein entsprechendes Training könnte die Sarkopenie verlangsamt oder verhindert werden.
Dazu kannst Du entweder die Übungen aus meinem Buch Return-to-Sport übernehmen oder Du machst zum Beispiel Kaatsu oder EMS. Das sind zwei Hightechverfahren zur Muskelstimulation. Die eine durch eine intelligente Einschränkung der Durchblutung. Die andere durch Strom.
Bei der elektrischen Muskelstimulation trägst Du während des Trainings eine Funktionsweste, durch die bioelektrische Impulse fließen. Wir haben uns in der Praxis aus organisatorischen Gründen dagegen entschieden, EMS anzubieten. Aber dankenswerterweise sind EMS-Studios in den meisten Städten vorhanden.
Wenn Du weißt, was Du trainieren sollst, kannst Du mit diesem Verfahren sehr effektiv mit ein bis zwei Trainingseinheiten pro Woche deine Muskulatur stärken. Durch den pulsieren den Stromimpuls wird der Trainingseffekt erheblich verstärkt. Die Erschöpfung der Muskulatur bei geringer Gelenkbelastung schont den Knorpel und die gelenknahen Strukturen.
Der Strom optimiert die Anspannungsmuster quasi von allein. Das macht die Übungen viel intensiver und wirksamer als bei einem normalen Fitnesstraining. Deshalb reicht die kurze Trainingszeit aus.
Ähnlich zeitsparend und gelenkentlastend ist Kaatsu. Um beim Beipiel des Fußballspielers zu bleiben: Hier kann er die Sumo-Kniebeuge sogar zu Hause machen, muss sich dafür nur zwei pumpengesteuerte Schlauchsysteme um die Oberschenkel binden. Die werden periodisch für 30 Sekunden aufgepumpt, dann für fünf Sekunden gelockert und anschließend wieder aufgepumpt.
Kaatsu kommt aus Japan, ist seit einem Vierteljahrhundert sehr gut erforscht. Der Druck auf die jeweilige Extremität schränkt die Durchblutung zwar teilweise ein. Doch das sorgt für einen Mehranfall von Stoffwechselprodukten, wie beispielsweise Laktat, und reaktiv zur erhöhten Ausschüttung von Wachstumsfaktoren.
Folge ist, dass ein effektives Training bereits mit zehn bis 20 Prozent der im regulären Fitnesstraining üblichen Gewichte möglich ist. Damit wird eine besondere Herausforderung gelöst, die bei Arthrose häufig auftritt: Oft sollen Muskeln gekräftigt werden, um die Gelenke zu entlasten. Da die Bewegungen zur Muskelkräftigung den Patienten wehtun, schonen diese sich lieber.
Beim Kaatsu und auch beim EMS – bleiben wir beim Beispiel Kniebeuge – kannst Du mit deinem Körpergewicht und gegebenenfalls vier bis fünf Kilo Zusatzgewicht die gleiche Kräftigung erzielen, für die sonst 30, 40 oder 50 Kilo Zusatzgewicht notwendig war.
Es gibt Bodybuilder, die stauen ihre Arme und Beine beim Training. Dieses Bloodflow Restriction Training (BFR) verschafft Dir zwar ein angenehm aufgepumptes Gefühl, stellt aber keine gezielte und kontrollierte Trainingsform dar. Vergiss das gleich. Genauso könntest Du Dir auch einen Schnürsenkel umbinden. Unkontrolliert kann eine Stauung des Blutflusses gefährlich sein.
Der Clou liegt im Wechsel von Einschränkung und Lockerung. Das ist wie bei der Sauna und dem Wechsel von warm zu kalt. Es geht um das Potential, um die Fallhöhe. Das ist der wesentliche Effekt des Kaatsu.
Ich selbst habe die Bänder immer auf Reisen dabei und arbeite beinahe täglich damit – ohne besondere Zusatzgewichte.
Es gibt tolle Studien. Vor allem aus Japan. Da wurden die Bänder im Rahmen der Schonung nach einer Kreuzband-OP eingesetzt und nur passiv aufgepumpt und gelockert. Ohne dass die Patienten weitere Übungen machen mussten. Ergebnis: Allein der passive Einsatz hat dazu geführt, dass es nahezu zu keinem Abfall der Muskelmasse gekommen ist.
Kurz zusammengefasst – was ich meinen Freunden, meiner Familie und Dir rate:
„Zum Erfolge gehört, sich von Misserfolgen nicht schrecken zu lassen“
Josef Ponten
Die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln im Leistungssport ist weit verbreitet. Von den 2.758 Sportlern bei den Olympischen Spielen in Sydney gaben knapp 79 Prozent an, Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen; 51 Prozent Vitamine, 21 Prozent Mineralstoffe und Aminosäuren – so der Deutsche Olympische Sportbund. 107
Arthrosepatienten und Leistungssportler haben in vielen Fällen ähnliche Ziele, wenn es um Nahrungsergänzungsmittel geht. Sie möchten die krankheits- beziehungsweise die leistungsbedingten Stressfaktoren auf den Bewegungsapparat reduzieren.
Grundsätzlich sind mit einer ausgewogenen, individuell abgestimmten Ernährung diese Ziele ebenfalls erreichbar. Allerdings ist der Aufwand im Alltag von vielen Menschen, insbesondere mit einem normalen Berufs- und Familienleben, schwer zu erreichen.
Deshalb befürworte ich für mich persönlich einen kontrollierten, selbstreflektierten Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln. Insbesondere wenn die Ziele der SMART-Regel folgen – wenn die Gabe spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert erfolgt.
Genau das ist Deine vierzehnte Challenge. Dazu schicke ich Dich bei nächster Gelegenheit in Deine Apotheke des Vertrauens, damit Du Dich dort über die Möglichkeit der Nahrungsergänzung individuell beraten lässt.
Aufgrund meiner Erfahrung halte ich den Einsatz von Omega-3-Fettsäuren , zwei Gramm täglich oder nach Blutbild, Vitamin D , gegebenenfalls nach Blutbild in Kombination mit Vitamin K, Kollagen, Eiweiß bei begleitendem Training bei Arthrose für sinnvoll.
Die Mindestdauer der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln sollte zwei bis drei Monate dauern, damit Du ihre Wirksamkeit einschätzen kannst.
Fühlst Du Dich besser, führe es fort, eigne es Dir an, mache es zu Deiner Gewohnheit. Am besten für immer. Warum?
Es ist wichtig, daß Dein Körper ausreichend mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt ist.
Unser individueller Bedarf variiert beträchtlich. Beispielsweise erhalten Schwangere auf Grund ihres erhöhten Bedarfs und zur Vermeidung einer Mangelsituation Jod und Folsäure.
Eine allseits bekannte Mangelversorgung der deutschen Bevölkerung mit Vitamin D wird hingegen nicht konsequent ausgeglichen.
Eine präventive Kontrolle der Blutwerte wird seitens der gesetzlichen Krankenkassen ebensowenig vergütet wie eine Knochendichtemessung. Deshalb empfehle ich Dir, diese Werte eigenständig bestimmen zu lassen.
Im Optimalfall kannst Du durch Umstellung Deiner Ernährung auf das eine oder andere Nahrungsergänzungsmittel verzichten.