Lulu schrie, als ob ein Schwarm Kampfbienen sie angegriffen hätte. Albi schaute zuerst auf ihre Füße. Vielleicht war seine Freundin ja auf einen spitzen Gegenstand getreten? Schließlich hatte sie keine Hausschuhe an. Außer ein paar zerknitterten Kleidungsstücken konnte er auf dem Teppich aber nichts entdecken. Er wollte gerade fragen, ob sie sich verletzt hätte, da begann Lulu zu brüllen: „Was hast du getan? Du spinnst doch total!“
Albi, der im Gegensatz zu Lulu immer noch nicht in das Puppenbettchen geschaut hatte, verstand gar nicht, was los war. War sie etwa so wütend, weil er angefangen hatte, ihr Arbeitsblatt auszuschneiden? Verwundert hielt er die Schere hoch.
„Wolltest du es lieber selbst machen?“, fragte er verlegen.
„Natürlich nicht! Du hast ja nicht mehr alle Tassen im Nähkästchen! Ich hätte das GAR NICHT gemacht!“
Lulu brüllte immer lauter.
Ein bisschen verrückt war sie schon, fand Albi. Man musste doch seine Hausaufgaben erledigen! Allerdings hätte er sie vielleicht doch zuerst um Erlaubnis fragen sollen ...
„Tut mir echt leid! Ich dachte, so geht’s schneller, wirklich“, entschuldigte er sich.
„Weil du jetzt nicht mehr wickeln musst, oder was?“, zischte sie ihn an und schniefte.
„Genau, jetzt können wir gleich anfangen zu kleben!“, erklärte Albi verwirrt.
Lulu meinte dagegen, er würde sich über sie lustig machen.
„Ich kleb DIR gleich eine!“ Sie stürmte auf Albi zu.
Weil der als Einzelkind im Raufen nicht so geübt war, rannte er vorsichtshalber davon. Beim Laufen gehörte er nämlich zu den Schnellsten.
„Ich wusste von Anfang an, dass du Baby Teddy nicht leiden kannst!“, kreischte Lulu, während sie durch ihr Zimmer hinter ihm herjagte.
„Na ja, ich spiel schon lieber Auto“, gab Albi keuchend zu.
„Aber deswegen musst du mein Lieblingsstofftier doch nicht gleich abmurksen!“, schrie Lulu empört. „Teddy ist total im Eimer!“
Albi blieb so plötzlich stehen, dass Lulu mit vollem Schwung auf ihn prallte und dann rückwärts in die Obstteller fiel.
Redete sie etwa gar nicht von den Hausaufgaben? Und wieso steckte der Teddy plötzlich im Eimer und nicht unter seiner Decke?
Mit einem Satz war Albi beim Puppenbett und sah auf einen Blick, warum seine Freundin so durchgedreht war: Da lag zwischen Strampelanzug, Jäckchen und Halstuchwindel ein ohrenloser Plüschlumpenknödel mit einem heraushängenden Glasauge. Von Baby Teddy war tatsächlich nicht viel übrig geblieben.
„Au weia“, rutschte es Albi heraus. „Der sieht aber böse aus.“
Er beugte sich über das zerfetzte Stofftier.
„Das hättest du dir mal vorher überlegen können, du Grobian!“, schluchzte Lulu und zupfte sich die zermatschten Bananen und Schokoriegel vom Popo.
„Du glaubst doch nicht, dass ich das war?“, rief Albi bestürzt.
„Klar! Wer denn sonst? Du warst doch ganz allein hier oben und hast die Schere ja noch in der Hand. Oder willst du behaupten, es war ein böser Kobold, hä?“, fragte Lulu, und der Zorn blitzte aus ihren blauen Augen.
Ein Kobold nicht, aber vielleicht ... Albi schaute sich bestürzt um. Das Fenster stand weit offen. Egon war heute Vormittag so wütend und enttäuscht gewesen. Doch wäre er wirklich frech genug, ihm nachzulaufen und dann aus lauter Eifersucht Lulus Bären mit seinen spitzen Zähnchen zu zerstören? Nachdenklich stapfte Albi zum Fenster und schaute in den Garten.
Nein. Sein kleiner Krumpfling würde so etwas bestimmt nicht machen. Doch plötzlich bemerkte Albi zwischen den gelb blühenden Astern am Zaun ein kugelrundes Wesen, kaum größer als eine grüne Ratte, das flink durch den Zaun in den Garten der Artichs kletterte.