Egon schleicht davon

Wütend warf Egon den Bleistiftstummel beiseite. Warum musste Professor Honigschwamm den kleinen Krumpflingen immer so blöde Hausaufgaben geben? Diesmal wollte er, dass die Schüler über das Wochenende einen Aufsatz zum Thema „Mein fiesester Trick“ verfassten ... Doch was sollte Egon dazu schon schreiben? Wenn er am Montag im Unterricht vorlesen würde, wie er versucht hatte, vor Zwurz Seife auszuschütten und dabei selbst ausgerutscht und auf seine empfindliche Schnauze gefallen war, würden ihn die anderen doch wieder nur auslachen.

Er war der jüngste Krumpfling und konnte einfach nicht so gut gemein sein wie seine Klassenkameraden. Obwohl er sich wirklich mächtig anstrengte, taten ihm seine Bosheiten sofort wieder leid. Und die Sechs mit Spinne, die schlechteste Note, die für die Krumpflinge die beste Note war, die bekam immer nur der schleimige Schorschi – wie gestern erst für das gemeine Lied, das er sich über Egons herzförmigen Fellfleck ausgedacht hatte.

Nein, Egon hatte wirklich keine Lust auf Hausaufgaben. Er zerknüllte das Blatt mit dem angefangenen Aufsatz und schleuderte es in hohem Bogen aus der roten Kindergießkanne mit den weißen Punkten, die ihm Oma Krumpfling, die Chefin der Sippe, als Wohnhöhle zugewiesen hatte. Dann kletterte Egon aus der Öffnung und sah sich um. Keiner war zu sehen, nur vom Sportplatz, der hinter dem Festsaal im alten Drehorgelkasten lag, drang Gekreische.

Dort trainierte die Teelöffelhockeymannschaft für das nächste Turnier. Dabei schauten die anderen Krumpflinge immer gerne zu. Denn beim Training wurde viel geschubst und getreten und manchmal verbog der Torwart einem Torschützen sogar den Teelöffel. Obwohl Egon eigentlich ein geschickter Spieler war, durfte er heute nicht dabei sein. Er hatte Spielverbot, weil er sich beim letzten Turnier beim Schiedsrichter aus Versehen für ein beabsichtigtes Foul entschuldigt hatte.

Aber er war gar nicht traurig darüber. Er hatte nämlich etwas viel Besseres vor: Er wollte nach oben schleichen und seinen Freund Albi besuchen. Natürlich heimlich, wie immer. Keiner der anderen Krumpflinge wusste, dass Egon sich mit Albert Artich, dem Sohn des Hausbesitzers, angefreundet hatte. Und das durfte auch keiner wissen – vor allem Oma Krumpfling nicht. Wenn die nämlich herausfand, dass ein echter Mensch von der Krumpflingsippe im Keller der Villa Artich wusste, dann würde sie Egon nie wieder Krumpftee abgeben. Dabei war es doch genau dieser Freundschaft zwischen Egon und Albi zu verdanken, dass sie täglich genug frische Menschenschimpfwörter aus dem großen Duschkopf ernten konnte. Die trocknete sie dann und zerstieß sie zu Krumpfteekrümeln.

„Galleglitschige Rüsselnase“ oder „popelpaniertes Pinselohrschwein“ – Albi trötete solche Leckereien nur Egon zuliebe nach jedem Zähneputzen in den Abfluss des Waschbeckens.

Aber auch das musste Oma Krumpfling nicht unbedingt wissen.

Auf Zehenspitzen schlich Egon über den Hauptplatz, wo der große Duschkopf im schummrigen Licht des Kellers silbern glänzte. Dann lief der kleine Krumpfling weiter an der Schulschachtel entlang. Darin raschelte Professor Honigschwamm herum, der die letzten Rechenproben korrigierte. Und jetzt war Egon auch schon beim alten Ofenrohr, dem Hauptzugangstor der Krumpfburg. Egon sah über die Schulter, ob ihn auch niemand beobachtete. Nur noch ein Schritt nach drau ... da wäre er beinahe auf Oma Krumpfling gestiegen! Egon sprang vor Schreck in die Luft. Die Sippenchefin hatte sich genau in die Öffnung des Ofenrohrs gelegt, den Kopf auf ihre Lieblingshandtasche gebettet, und stieß einen lauten Schnarcher aus. GGGGRRCHH!

Was sollte Egon nun machen? Oma Krumpfling verstopfte fast den ganzen Durchgang. An ihr könnte sich Egon nie vorbeizwängen – und das obwohl er nicht viel größer als ein Bleistift war ... Aber Umdrehen kam jetzt auch nicht mehr infrage. Auf keinen Fall! Egon freute sich doch schon so auf seinen Freund Albi. Also nahm er seinen ganzen Mut zusammen und packte mit beiden Pfoten fest Oma Krumpflings geblümte Kittelschürze. Dann begann er vorsichtig, gaaanz vorsichtig, das Familienoberhaupt aus dem Rohr zu ziehen.

Oma Krumpfling war schwer, aber es funktionierte. Nur rutschte dummerweise ihr Kopf von der Handtasche und knallte hart auf das Ofenrohr. Die Schrauben, die sie sich heute als Lockenwickler in ihre spärlichen Haare eingedreht hatte, schepperten laut auf dem Metall. Egon erstarrte vor Schreck.

„Keiner geht ohne mein Kommando“, ächzte Oma Krumpfling, aber sie machte die Augen nicht auf. „GRRRSCHPJJUH. Nienichtniemals.“

Sie kratzte sich ihren runden Bauch, drehte sich auf die Seite und begann leise zu schmatzen.

Was sollte Egon nur machen, damit sie jetzt nicht richtig aufwachte?

Er sang leise: „Schlaf, Oma, schlaf, deine Mami war nie brav, dein Papi schwenkt den Maulbeerbaum, heraus haut’s einen Mordsalbtraum ...“

Dabei schob Egon sanft ihre Pfote in Richtung ihres Maules. Es funktionierte! Oma Krumpfling schnappte mit den Lippen nach ihrem Daumen und begann sofort, daran zu nuckeln. Kurz darauf schnarchte sie wieder friedlich.

Erleichtert machte Egon einen großen Hopser über Omas Pantoffeln und verkrümelte sich wieselschnell durch das Ofenrohr in den Keller.

Ein Glück, es ist alles gut gegangen!, dachte er.

Dummerweise hatte Egon nicht bemerkt, dass ihn zwei leuchtende runde Glupschaugen aus einem Wollkorb beobachteten. Die Augen des schleimigen Schorschi.