„In der Ebene steht weicher und, fast möchte ich sagen, wogender Akanthus.“ (Plinius d. J., Brief an Apollinaris)
In einem antiken römischen Garten kann heute niemand mehr spazieren gehen. Wir können uns nicht mehr selbst davon überzeugen, was darin wuchs und wie die Gärtner und Planer einmal die Beete und Hecken angelegt haben. Ausnahmslos alle römischen Gärten – in Italien und anderswo – sind mehr oder minder gelungene Nachschöpfungen, die an den ursprünglichen Orten neu angelegt und nach Dokumenten, Bildern und archäologischen Erkenntnissen rekonstruiert wurden. Wenn wir heute über die Gärten der Römerzeit sprechen, reden wir daher vor allem über Gartenbilder. Über solche, die von den Römern überliefert wurden, ebenso wie über die Bilder in unseren Köpfen, die sich aus Träumen, Erzählungen, Büchern, Filmen und den archäologischen Interpretationen der historischen Stätten speisen. Sie alle prägen unsere Vorstellung von römischen Gärten. Diese Bilder spiegeln jedoch auch den Standpunkt ihrer Schöpfer und ihre ganz persönliche Vision vom Leben im und mit dem Garten in der Römerzeit. Dieser Punkt wird ganz besonders deutlich, wenn man die Werke des niederländisch-britischen Malers Sir Lawrence Alma-Tadema (1836–1912) genauer betrachtet. Wie kein anderer Maler vor ihm hat Alma-Tadema in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit seiner Kunst die Welt der alten Römer und ihre Gärten zum Leben erweckt.
Bunte Blumenbeete im Innenhof eines römischen Hauses hat er gemalt. Mit Wein bewachsene Säulen, ein Hausaltar, in dem eine Flamme brennt, ein figurengeschmückter Brunnen, bemalte Mauern und in antike Gewänder gekleidete Figuren verlegen das Geschehen auf dem Bild in die Zeit der alten Römer. Die junge Mutter, die ihre Tochter umarmt, ein Kind, das mit einem kleinen Hund spielt, ein Mann in der Toga auf der Treppe zum Garten und eine Frau hinter den Säulen beleben die detailreiche Darstellung eines Gartens aus römischer Zeit.
Das Gemälde mit dem doppelten Titel „A Roman Garden – A Hearty Welcome“ wird im Ashmolean Museum in Oxford bewahrt. Der Künstler malte es im Jahr 1878 und schenkte es seinem Freund, Schüler und Arzt Henry Thompson. Das Bild scheint beides zu sein: archäologische Rekonstruktion eines Gartens aus der Römerzeit ebenso wie ein idyllisches Familienbild aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich porträtierte Lawrence Alma-Tadema auf dem Bild seine zweite Ehefrau Laura und die Töchter aus seiner ersten Ehe. Sich selbst hat er am Eingang zum Hof auf der Treppe eingefügt.
In Alma-Tademas Gemälde spiegeln sich zeitgenössische Vorstellungen vom Leben in der Antike. Es zeigt aber ebenso das Familienbild der viktorianischen Zeit und die Vision des Künstlers vom guten Leben mit der Familie. Die Hausfrau sorgt sich liebevoll um ihre Stiefkinder und nimmt ihre Tochter vor dem Altar in den Arm, dort wo die Hausgötter und Ahnen verehrt werden. Die Flamme deutet an, dass die Hausbewohner ihren Pflichten nachgekommen sind; die Mutter ist als Hüterin der Flamme das ‚Herz‘ des Hauses. Ehefrau und Kinder haben ihren Platz in dem idyllischen Innenhof. Von der Außenwelt hinter den Mauern sind nur die Dächer der benachbarten Häuser und ein wenig blauer Himmel zu sehen.
Alma-Tademas Zeitgenossen schätzten den Detailrealismus seiner Gemälde und die archäologische Sachkenntnis des Künstlers. Sie liebten sie als Projektionsflächen, mit denen sie sich in eine andere Zeit und in eine andere Kultur träumten. In den Bildern konnten sich die Betrachter spiegeln, weil Zeitgenössisches und Vergangenes dort gleich zeitig und gleichwertig nebeneinanderstehen. Genau das aber war es, was die Kritiker auf der anderen Seite an den Gemälden bemängelten: Alma-Tademas Figuren wurden als ‚Viktorianer in Toga‘ belächelt und seine Bilder galten als pedantische, detailversessene Genremalerei.
Mit über hundert Jahren Distanz zwischen der Entstehung von Alma-Tademas „Roman Garden“ ist es heute einfacher geworden, das Bild unbefangen zu betrachten und neu zu befragen. Tatsächlich vermittelt es anschaulich, wie man sich Aussehen und Nutzung der römischen Gärten im späten 19. Jahrhundert vorstellte und wirkt in der Vermittlung dieses Wissens erstaunlich zeitgemäß. So gelten Alma-Tademas Gemälde bis heute als überzeugende Rekonstruktionen des antiken Alltags. Populäre Sachbücher, die von römischer Geschichte und Kultur handeln, sind mit ihnen illustriert. Und wie in Alma-Tademas Gemälden, werden in archäologischen Sammlungen, Museen und archäologischen Parks Kostüme und Requisiten eingesetzt, um Kindern wie Erwachsenen das Leben in der Römerzeit zu erklären, die Vergangenheit vorstellbar zu machen und zum Leben zu erwecken.
In diesem Sinne möchte ich Alma-Tademas „Roman Garden“ näher betrachten. Was für ein Bild von einem römischen Garten entwirft der Maler in dem Gemälde? Was interessierte ihn daran und woher bezog er seine Ideen?
Auf den ersten Blick schon ist erkennbar, dass die Bepflanzung auf dem Bild viel zur Atmosphäre und heiteren Stimmung des Innenhofs beiträgt. Die Mohnblumen auf dem Beet in der Bildmitte und die Sonnenblumen an der Mauer verleihen dem Bild eine warme Atmosphäre. Die über die Säulen rankenden Weinstöcke lassen den hinteren Teil des Gartens in einem sonnengesprenkelten Halbschatten erscheinen. Am linken Bildrand wachsen stachelige Blätter und kleine Blüten in die Höhe. Ein paar gelbe Blumen haben sich an den Rand des Mohnblumenbeets verirrt, das von einer exakt geschnittenen Rasenkante abgeschlossen wird. Palmwedel vor dem Springbrunnen vervollständigen die Pflanzenauswahl. Der Maler vermittelt die entspannte Atmos phäre eines späten Nachmittags unter südlicher Sonne. So könnte er also ausgesehen haben, der Innenhof eines römischen Hauses.
Dass Gärten für die Römer und für die Bewohner Pompejis eine wichtige Rolle spielten, wusste Alma-Tadema aus der Lektüre der lateinischen Klassiker. Der ältere und der jüngere Plinius, Cato, Varro, Horaz, sie alle haben über die Schönheit und Pracht der antiken Gartenanlagen geschrieben. Und natürlich kannte Alma-Tadema auch Edward Bulwer-Lyttons (1803–1873) be rühm ten Roman „The Last Days of Pompeii“, in dem das Schicksal der Bewohner Pompejis vor und während des Vesuvausbruchs im Sommer des Jahres 79 n.Chr. geschildert wird. 1834 hatte sich der Autor von den Funden der verschütteten Städte am Golf von Neapel zu einer Geschichte inspirieren lassen, die bis heute in der Beschäftigung mit den antiken Stätten nachwirkt und die auch einigen Bildern Alma-Tademas zugrunde liegt. Autor wie Maler haben versucht, die antiken Ruinen mit Geschichten lebendig und für Leser und Betrachter erfahrbar zu machen.
Als begeisterter Amateurhistoriker vermehrte Alma-Tadema seine archäologischen Kenntnisse auf Reisen zu den antiken Stätten und bei Besuchen archäologischer Sammlungen. In seiner Referenzbibliothek hütete er dicke Mappen mit Vergleichsabbildungen, Skizzen und Fotografien. Beinahe jedes Detail auf seinen Gemälden rekonstruierte er nach Museumsstücken oder nach archäologischen Ausgrabungen. Dennoch irritieren bei genauerer Betrachtung einige Kleinigkeiten auf diesem detailgetreuen Bild: Sonnenblumen (Helianthus annuus) etwa, waren in der viktorianischen Ära nicht nur in England allgegenwärtig. Oscar Wilde trug sie im Knopfloch, die französischen Impressionisten malten sie auf ihre Bilder. Gärtner in ganz Europa tauschten Samen und Sorten und füllten ihre Gärten mit immer neuen Varianten und Arten. Jedoch: die Römer kannten die schöne Pflanze noch nicht.
Sonnenblumen stammen aus Südamerika. Erst die Spanier brachten sie im 16. Jahrhundert mit nach Europa.
Bei den kleinen Palmen am Brunnen müsste es sich – wenn man es gartenhistorisch ganz genau nimmt – um die Zwergpalme (Chamaerops humilis) handeln, die einzige europäische Palmenart, die bis heute in Italien auch wild wächst. In viktorianischer Zeit war diese Art mit einigen ähnlich aussehenden tropischen Verwandten in den Wintergärten und Wohnzimmern verbreitet. Auch die Kombination von Palmen und Zimmerspringbrunnen kennen wir aus Interieur-Darstellungen des 19. Jahrhunderts. Alma-Tademas dekorative Zusammenstellung von Palmwedeln mit plätscherndem Brunnen dürfte daher wohl vor allem die Wohnungseinrichtungen seiner Zeitgenossen spiegeln und die damit verbundene Sehnsucht nach südlichen Ländern. Als Gartenpflanzen der römischen Antike sind Zwergpalmen nicht gesichert. Da mals wurden – wie wir noch sehen werden – als einzige Palmenart in den Gärten Dattelpalmen (Phoenix dactylifera) gepflegt.
Auch der Mohn war im 19. Jahrhundert eine beliebte Gartenpflanze. Aus den bekannten Arten hatten Spezialisten zahlreiche Sorten gezüchtet, die in der Malerei häufig aufgegriffen wurden. Mohn blumen sind auf den Landschaftsbildern der Impressionisten ebenso zu finden wie auf den Werken der englischen Präraphaeliten und der symbolistischen Maler. Sie alle waren fasziniert von der Farbenpracht und Schönheit seiner Blüten und von den vielfältigen mythologischen Bedeutungen. Der Schlafmohn (Papaver somniferum) ist eine der ältesten Kulturpflanzen und wurde seit jeher als nährendes, heilendes, schmerzlinderndes und narkotisches Gewächs in Gärten angebaut und als Pflanze der Götter verehrt. Die Römer schätzten den Schlafmohn auch als Zierpflanze, wie wir von Wandmalereien wissen. Doch ein großes Beet mit nur kurz blühendem Schlafmohn im Zentrum eines römischen Gartenhofs? Diese Idee zur Gartengestaltung ist höchstwahrscheinlich der Phantasie des Künstlers entsprungen. Archäologische oder literarische Quellen für das Motiv gibt es nicht. Vielleicht spielen die Blüten und Kapseln des Schlafmohns auf den Tagtraum des Malers von der eigenen glücklichen Familie in römischem Kostüm an, vielleicht auch auf den Beruf des Bildbesitzers, der ja Arzt war. Oder sie sind eine scherzhafte Anspielung auf die Mohnblumenbilder der französischen Malerkollegen.
Von den kleinen gelben Blumen am Rande des Mohnbeets, die Margeriten, Chrysanthemen oder Kamillen gleichen, wissen wir hingegen, dass die Römer sie als Nutz- und Zierpflanzen schätzten. Dies gilt auch für die stachelige Pflanze am linken Bildrand, den Akanthus.
Akanthus (Acanthus mollis) zählt zusammen mit dem Wein zu den bekanntesten Pflanzen der antiken Welt. Dennoch ist er weniger den Gärtnern als vielmehr Archäologen und Architekten ein Begriff. Nach dem Akanthus wurde das gleichnamige Säulenkapitell benannt: Vitruv zufolge hatte der Bildhauer Calimachus nach der Betrachtung einer solchen Pflanze das mit Blättern verzierte Akanthuskapitell erdacht.
Aus Schriften und von Bildern wissen wir, dass die Römer Akanthuspflanzen als Heilmittel gegen Magenprobleme verwendeten und in ihren Ziergärten pflegten. Viel weniger wissen wir jedoch darüber, wie und wo die Gewächse im Garten gepflanzt wurden, ob etwa als Teil einer Rabatte, als Gruppenpflanzung oder in einem Kübel. Auch Alma-Tadema lässt offen, wo sich der Akanthus auf seinem Bild genau befindet. Vom Bildrand überschnitten, bleibt die Position der Pflanze im Bildraum unbestimmt. Dieser Punkt hat den Maler offenbar weniger interessiert als die dekorative Wirkung des Akanthus.
Doch welche Arten säten die Römer eigentlich in ihre Blumenbeete? Und was wissen wir tatsächlich darüber, wie die Gärten bepflanzt wurden? Wie sahen die Gärten im Allgemeinen aus? Wie wurde zwischen Zier- und Nutzgarten unterschieden? Waren Nutzpflanzen auch Zierpflanzen, so wie wir das aus späteren Epochen kennen? Und was machten die Römer in ihren Gärten überhaupt?
Für Alma-Tadema war der Hofgarten offenbar ein Ort, an dem sich die Familie traf und wo Kinder spielten. Wir werden im Folgenden noch sehen, dass diese Einschätzung nicht in jedem Fall zutraf. Altertumswissenschaftler hingegen interessierten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als der Künstler sein Bild vom römischen Garten malte, kaum für die Gartenanlagen der römischen Zeit. Obwohl die Bedeutung, die Gärten für die römische Kultur hatten, bekannt war. Doch wurde die Archäologie als wissenschaftliche Disziplin in dieser Zeit gerade erst entwickelt. Ausgräber in Pompeji und an anderen Orten waren vor allem damit beschäftigt, Kunst und Alltagsgegenstände zu bergen und architektonische Überreste freizulegen. Ihre Beschreibungen konzentrierten sich vor allem auf Architektur, Ausstattung und Hausrat. Die Existenz von Gärten wurde zwar meist vermutet und gelegentlich durch Wasserrohre, Zisternen und Brunnenbecken belegt, doch gingen die Ausgräber oft nicht ins Detail. Entsprechend wurden auf gezeichneten und gemalten Rekonstruktionen der pompejanischen Häuser freie Flächen und Höfe meist ohne Gartenpflanzen dargestellt. Gemessen daran hat Alma-Tadema in einer Zeit, in der sich die archäologische Forschung mit dieser Frage noch überhaupt nicht beschäftigte, seinen Garten recht genau rekonstruiert. Er schmückte den Hof mit Gewächsen, die er in Italien gesehen hatte und ergänzte die Bepflanzung mit Arten, die ihm zur Gestaltung des Bildes passend erschienen.
Akanthus (Acanthus mollis)
Die auch als Bärenklau (nicht zu verwechseln mit Heracleum mantegazzium, dem Riesenbärenklau oder Herkulesstaude) bekannte robuste Staude stammt aus dem Mittelmeergebiet. Sie entwickelt kräftige, bis zu 2 m hohe weiße, rosa oder violette Blütenkerzen (vgl. Abb. S. 162). Akanthus lässt sich leicht aus Samen ziehen und wächst rasch zu einer kräftigen Pflanze heran, blüht aber erst im zweiten Jahr. Ein geschützter Standort, ausreichend Feuchtigkeit, ein nährstoffreicher Boden und ein Platz im Halbschatten fördern ihr Wachstum. Nach der Blüte im Frühjahr können die alten Blätter absterben. Acanthus mollis benötigt Platz im Garten. Er verbreitet sich durch unterirdische Rhizome und braucht als Südeuropäer einen Winterschutz.
Doch wenn selbst so ein kenntnisreicher Maler wie Alma-Tadema seine Bilder am Ende nach persönlichen Vorlieben gestaltete, wie verhält es sich dann mit den vielen anderen Bildern und Rekonstruktionen von römischen Gärten? Was entspricht der historischen Wirklichkeit? Und was ist der Fantasie von Künstlern oder den Interpretationsversuchen der Forscher zuzurechnen? Da nur wenige Dokumente erhalten geblieben sind, sind die römischen Gärten der Antike bis heute ein unvollständiges Mosaik aus Spuren, Fragmenten und Details geblieben, die je nach Standpunkt des Betrachters zu immer neuen Bildern zusammengesetzt werden.
Solche aus vielen Einzelelementen zusammengesetzten Bilder manifestierten sich überall dort, wo die Gärten der Römer rekonstruiert werden. Mithilfe der Rekonstruktionen ist es möglich, die Ergebnisse der archäologischen Forschung auch an Besucher ohne spezielle Vorkenntnisse anschaulich zu vermitteln. Lässt sich das Leben im Altertum anhand von Gärten doch besonders gut und publikumswirksam darstellen, weil es einen unmittelbaren Bezug zum heutigen Leben der Besucher gibt. Auch aus diesem Grund sind Gartenrekonstruktionen auf öffentlich zugänglichen archäologischen Stätten so verbreitet.
Schon im 19. Jahrhundert durchstreiften Italien-Touristen die Ruinen auf der Suche nach Geschichten, die vom römischen Leben vor 2000 Jahren erzählen. Doch waren viele Besucher gerade von Pompeji und dem vermuteten perfekt konservierten Alltagsleben enttäuscht. Die ausgegrabenen Ruinen waren verfallen, die ungeschützten Wandmalereien verblasst und boten einen traurigen Anblick. Die Überreste schienen viel zu klein, gemessen an den großen Erwartungen.
Diese Enttäuschung beim Anblick der pompejanischen Ruinen veranlasste den bayerischen König Ludwig I. (1786–1868) dazu, ein pompejanisches Stadthaus mit einem Innenhof in seiner bayerischen Heimat, im Schlosspark von Aschaffenburg nachzubauen. Der König beauftragte den Architekten Friedrich von Gärtner (1791–1847) mit der Planung und dem Bau, der 1848 fertiggestellt wurde. Doch das Pom pe janum ist keine originalgetreue Kopie eines pompejanischen Wohnhauses. Von Gärtner hatte den am pompejanischen Haus der Dioskuren orientierten Grundriss etwas vereinfacht und das Obergeschoss nach den Wünschen des Königs mit einer Freitreppe und einem speziellen Aufenthaltsraum ergänzt. Als Wohnhaus war es jedoch von Anfang an nicht gedacht. Vielmehr ist das Pompejanum das begehbare Modell eines römischen Stadthauses, das nach dem Wunsch Ludwigs I. Kunstinteressierten in Deutschland das Studium der antiken Architektur ermöglichen sollte. Für uns ist das Pompejanum interessant, weil darin deutlich wird, wie ein Innenhofgarten in die Architektur eines römischen Hauses eingebettet war.
Das fensterlose Gebäude betrete ich durch eine schmale, hohe Eingangstür. Von dort schaue ich auf das dämmrige Atrium. Durch die Öffnung im Dach, die heute verglast ist, fallen Sonnenstrahlen und tauchen die vorderen Räume in ein wunderschönes Licht. Unter der Dachöffnung liegt das Impluvium, ein Wasserbecken, in dem man das Regenwasser auffing. Eine Rinne an der Impluviummauer leitete überfließendes Wasser in eine unterirdische Zisterne. Als in augusteischer Zeit ein Aquädukt Pompeji mit frischem Wasser versorgte, nutzte man das Impluvium als Zierbecken und Springbrunnen. Auch mich empfängt das angenehme Rieseln einer kleinen Fontäne. Hinter dem Atrium fällt mein Blick auf das Tablinum, einen weiten Empfangs raum mit prächtigen Wandmalereien. Hinter dem Tablinum öffnet sich die Wand zu einem Säulengang mit einem kleinen Innenhofgarten und Wandmalereien auf der hinteren Mauer.
Zwischen den Säulen trennt ein kleiner Zaun Innenraum und Garten voneinander. Der Zaun wird als illusionistische Malerei auf der Mauer des Gartens fortgeführt. Auf der Mauer dargestellt ist eine Gartenlandschaft. Springbrunnen, phantasievoll gestaltete Vögel und Blumen sind zu sehen und ein Ausblick auf einen Strand, auf Meer und Himmel. Den Gartenmauern vorgeblendete Säulen erwecken den Ein druck eines umlaufenden Säulengangs oder Peristyls, der dieser Form des Innenhofs seinen Namen gegeben hat. Das Peristyl (griechisch peristylon; lateinisch peristylium) ist ein rechteckiger Hof, der an einer oder mehreren Seiten von Säulengängen, den Kolonaden umgeben ist. Das griechische Wort bedeutet ‚das von Säulen Umgebene‘. Ge legentlich werden auch nur die umgebenden Säulenhallen als Peristyl bezeichnet.
Der römische Architekturtheoretiker Vitruv empfahl, das Peristyl im römischen Stadthaus in der Mittelachse im hinteren, privateren Bereich des Hauses anzulegen, ganz so wie es im Pompejanum verwirklicht wurde. Deutlich zu erkennen ist, dass die Architektur des Pompejanums ganz auf Atrium und Innenhof ausgerichtet ist, die das Haus mit frischer Luft und Tageslicht versorgten. Im Vergleich mit dem Haus der Dioskuren ist aber auch zu erkennen, dass der Architekt des Pompejanums sich ebenso sehr von Vitruvs Architekturtheorie leiten ließ wie von den archäologischen Befunden. Tatsächlich war das Vorbild in Pompeji weit weniger regelmäßig und symmetrisch ausgestaltet als der Bau in Aschaffenburg. Im Haus der Dioskuren wichen zusätzliche Höfe und Zimmer deutlich von Vitruvs symmetrischem Ideal ab.
Der Garten des Pompejanums ist mit Kies ausgelegt. Philosophen- und Dichterhermen schmücken seine Ecken. Zwischen den Kiesflächen befinden sich zwei achteckige Beete. Sie sind mit Efeu eingefasst und mit Studentenblumen und Buntnesseln bepflanzt. In der Mitte stehen Zitrusbäumchen im Kübel. Weitere Töpfe mit Rosmarin und Lorbeer sind vor der rückwärtigen Mauer zu sehen. Vom heutigen Kenntnisstand betrachtet, gibt es an der Präsentation des Gartens manches zu bemängeln: Der gemalte Ausblick auf den Strand und die Phantasievögel und Blumen entsprechen ebenso wie die Farbauswahl eher dem Ge schmack des 19. Jahrhunderts und weniger den antiken Fresken auf Gartenmauern, wie sie in Pompeji gefunden wurden. Deutlich wird aber der Wunsch, mithilfe der Malerei den Garten optisch zu vergrößern und einen schönen Ausblick zu schaffen. Tagetes und Buntnesseln waren – wie die Sonnenblumen bei Alma-Tadema – den Römern noch unbekannt. Efeu, Lorbeer, Rosmarin und Zitronen hingegen wurden in römischen Gärten tatsächlich gepflegt. Der gekieste Boden wiederum hat sicher mehr mit praktischen Überlegungen zu tun als mit dem Versuch, einen echten Peristylgarten zu rekonstruieren. Auch fehlt ein Wasserbecken. Im Garten des Hauses der Dioskuren gab es eine unterirdische Zisterne und eine Brunnen einfassung, ein Puteal, aus der das Wasser geschöpft wurde. In Aschaf fenburg sind jedoch nur steinerne Rinnen zu sehen, die das Regen wasser vom Dach ableiten.
Wie Friedrich von Gärtner den Garten des Pompejanums ursprünglich gestaltet hat, wissen wir heute nicht mehr. Im Laufe der Zeit wurde der Garten verändert; auch Kriegszerstörungen haben dem Pompejanum zugesetzt. Die beiden achteckigen Beete stammen zwar aus der Entstehungszeit des Baus, für den Garten des antiken Vorbilds sind sie jedoch nicht belegt. Und während im Haus der Dioskuren ein Gartentisch und ein Lararium, also ein Schrein für die Hausgötter standen, finden wir diese im Garten des Pompejanums nicht.
Von diesen Kleinigkeiten einmal abgesehen, vermittelt das Pompejanum viel von der Atmosphäre eines antiken römischen Hauses. Ausgrabungsstätten hingegen etwa erlauben meist nur den Blick auf Grundmauern, vielleicht noch auf ein paar Säulen oder die Fußböden. Daraus einen räumlichen Eindruck zu gewinnen, ist auch für Archäologen nicht immer einfach. Rekonstruktionszeichnungen und Pläne verlangen ebenfalls viel Vorstellungsvermögen und richten sich eher an Spezialisten. Bilder wie Alma-Tademas „Roman Garden“ wiederum rekonstruieren wohl die Details, zeigen aber nur einen Ausschnitt.
Am besten machen Rekonstruktionen wohl deutlich, wie sehr sich die Wertschätzung der Römer für ihre Hofgärten in der Architektur der Häuser ausdrückt.
Römische Stadthäuser kamen weitgehend ohne Fenster zur Straße aus. Tageslicht erhielten sie hauptsächlich über den Hof und das offene Atrium. Das Atrium als Teil des Eingangsbereichs war zugänglich für Besucher und Gäste. Der Gartenhof hingegen war privat. Hierhin zogen sich die Bewohner nach Beendigung ihrer Geschäfte zurück. Im Pompejanum kann ich vom Eingang über Atrium und Tablinum bis zum Gartenhof und zur bemalten Mauer schauen. Auch wenn in römischer Zeit Vorhänge den Blick abfingen, ist die Architektur ganz auf die Abfolge der beiden Lichthöfe ausgerichtet, mit dem Garten als optischen Mittelpunkt. Auf ihn sind auch die Fenster der an den Hof grenzenden Speisezimmer ausgerichtet. So konnten Hausherr, Familie und Gäste beim gemeinsamen Mahl auf den Garten hinausblicken.
Das Pompejanum mit seinem Peristylgarten wurde 1848 fertiggestellt. Alma-Tadema malte sein Bild eines römischen Gartens etwa dreißig Jahre später. In Pompeji begann man jedoch erst um 1900, die Innenhöfe der Ruinen als Gärten herzurichten. Lorbeer, Dattel palmen und andere Gewächse sollten den Besuchern erstmals vor Ort einen Eindruck vom Aussehen der antiken Innenhofgärten geben. Doch haben die damaligen gärtnerischen Bestrebungen mit den antiken Pflanzplänen nicht viel zu tun. Tatsächlich war nämlich, trotz aller Bemühungen, immer noch wenig darüber bekannt, welche Gewächse in den römischen Gärten wuchsen und wie man die Pflanzen eingesetzt hat.
Zur Zeit Ludwigs I. oder Alma-Tademas gab es noch keine Gartenarchäologie. Tatsächlich ist der Zweig der Archäologie, der sich mit den Gärten beschäftigt, relativ jung. Sogar in den Vesuvstädten, wo man Gärten zumindest vermutete, blieb eine eingehende Beschäftigung mit ihnen lange aus. Es ist der amerikanischen Archäologin Wilhelmina Jashemski (1910–2007) zu verdanken, dass seit den 1970er-Jahren bei Grabungen erstmals auch die Gärten berücksichtigt wurden. Ihre Arbeit hat maßgeblich zum Wissen von der antiken Gartenkultur beigetragen. Jashemski hat danach gefragt, wie groß die Gärten in den pompejanischen Häusern tatsächlich gewesen sind. Sie suchte und fand Hinweise, die klärten, wie die Römer ihre Gärten nutzten. Sie hat erkannt, dass Gärten als Arbeitsräume, Plätze zur Erholung oder zum Essen, zum Anbau von Nahrungsmitteln, Blumen oder Heilkräutern für den Eigengebrauch dienten. Jashemski regte außerdem an, dass Pollenmaterial analysiert und Spuren der Pflanzenwurzeln mit Gips ausgegossen wurden. Ihre Pionierarbeit hat dazu beigetragen, dass wir uns heute ein wesentlich differenzierteres Bild vom Garten in der Römerzeit machen können als noch zur Zeit König Ludwigs von Bayern oder Lawrence Alma-Tademas. Viele Erkenntnisse aus Jashemskis Forschungen sind in die modernen Rekonstruktionen römischer Gärten mit eingeflossen, so etwa in die prächtigen Gartenanlagen der Villa Borg im Saarland, um die es im folgenden Kapitel geht.