Kapitel 2
E twas nervös stieg Kristen aus ihrem Auto, welches sie im Parkhaus des Detroit Police Department geparkt hatte. Sie lief an Polizeifahrzeugen und massiven pechschwarzen SWAT-Vans vorbei und hielt nur einmal inne, um ihre Uniform in der verspiegelten Heckscheibe eines der Autos zu überprüfen. Ihr rotes Haar war zu einem Knoten zusammengebunden und ihre Uniform war noch steif von der Stärke. Als sie auf ihre Schuhe blickte, spiegelte sich ihr Gesicht in dem polierten Leder. Sie atmete tief durch, um ihre Nerven zu beruhigen und drückte den Knopf für den Aufzug.
Erhobenen Hauptes trat sie aus dem Aufzug und begab sich über den Durchgang ins Revier. Der Detroit River leuchtete im frühen Morgenlicht blau und draußen auf dem Wasser zwischen den USA und Kanada strömten bereits Picknicker auf die Bell Isle. Ein Hauptsitz einer der Autokonzerne war in der Nähe. Für sie sah er aus wie ein Paar riesiger Batterien, die mit Bolzen zusammengehalten wurden.
Obwohl sie tatsächlich hier war, konnte sie immer noch nicht begreifen, dass dies tatsächlich geschehen war. Sie war nicht nur Polizistin wie ihr Vater, sondern auch noch in der aufblühenden Innenstadt ihrer Heimat stationiert? Ihr Herz schwoll vor Stolz an und als sie das Revier betrat, grinste sie von einem Ohr zum anderen.
Sie näherte sich einer Frau, die an einem großen antiken Holzschreibtisch saß und stellte sich vor.
»Kristen Hall, melde mich zum Dienst.«
»Zeigen Sie mir Ihre Befehle«, sagte die Polizistin und hielt die Hand auf, ohne vom Computer aufzuschauen.
Schweigend reichte sie der Frau die ausgedruckten Befehle.
Während Kristen den Schreibtisch bestaunte, überprüfte die Beamtin ihre ausgedruckten E-Mails. Die Möbel mussten hundert Jahre alt sein und waren so gut poliert, dass das dunkle Holz glänzte. Es gab hier und da ein paar Einschusslöcher, aber sie sahen aus, als wären sie bereits vor Jahrzehnten in einer schlimmeren Zeit entstanden. Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, zum SWAT zu gehören. Sie hatte sich mehrfach gefragt, ob das der richtige Ort für sie wäre, aber jetzt, wo sie tatsächlich dort war, erschienen ihr die Zweifel töricht.
»Sie sind Sergeant Jones zugeteilt.« Die Frau sah sie schließlich an. »Viel Glück dabei.«
»Wie bitte?«
Die Frau grinste. »Sie werden schon sehen. Er und Butters – das ist Sergeant Goodman – sind im Aufenthaltsraum.« Sie führte Kristen an der Rezeption vorbei und ins Revier, wo sie das Team finden würde.
Kristen hatte aufgrund des Zustands der Fahrzeuge auf dem Parkplatz und der gut erhaltenen Antiquitäten im Eingangsbereich des Reviers gedacht, dass sie einer der prestigeträchtigeren Einheiten zugeteilt worden war. Als sie sich durch das Gebäude bewegte, konnte sie jedoch sehen, dass sie sich geirrt hatte.
Die meisten Schreibtische lagen voller Papierkram – ein offensichtlicher Hinweis darauf, dass die Truppe unterbesetzt war – und die wenigen Kollegen, die sie sah, warfen kaum einen zweiten Blick auf ihre knappe Uniform.
Die Gefängniszellen an der Wand sahen in dieser Umgebung fast komisch aus. Die Gitterstäbe waren auf Brusthöhe blank poliert, zweifellos von den Gefangenen der letzten Jahrzehnte, die sich festhielten während sie sich bei den Polizisten über ihre Inhaftierung beschwerten. Beim Anblick der Zellen wurde ihr klar, dass die Schreibtische und der Papierkram nur eine vorübergehende Einrichtung dieses Raumes war.
Jenseits der Zellen und in der Nähe von zwei Sanitärräumen, die stanken als wäre eine Komplettreinigung dringend nötig, befand sich der Aufenthaltsraum.
Kristen betrat den schäbigen Raum und sah sich schnell um. Der Boden hatte schon bessere Zeiten gesehen und die Wände waren Richtung Decke vergilbt. Es roch nach kaltem Kaffee und frischen Donuts – was zugegebenermaßen nicht der schlechteste Geruch der Welt war.
Auf einem winzigen Sofa lag ein übergewichtiger Mann, der Puderzucker von seinen dicken, braunen Fingern leckte. Seine Uniform spannte eng über seinem Bauch, er sah aber nicht schlampig aus, sondern lediglich rundlich. Dennoch wanderten ihre Gedanken zurück zu ihrer Ausbildung. Wie hatte dieser Mann das alles überstanden? Er hatte den Körperbau ihres Vaters und Frank Hall hatte seit seiner Pensionierung nicht ein einziges Mal trainiert.
Ein anderer Mann stand mit dem Rücken zu ihr in der Nähe der Kaffeemaschine. Er war schlank, aber sie konnte an seiner Art zu stehen erkennen, dass er sehr wohl muskulös war und sich im Kampf wahrscheinlich behaupten konnte.
»Glaubst du, dass diese Erstsemester-Schlampe jemals auftauchen wird?«, rief der dünne Mann über die gurgelnden Geräusche der Kaffeemaschine hinweg.
»Das kommt darauf an, Sergeant Jones«, antwortete der größere Mann und hob in offensichtlicher Verlegenheit die Augenbrauen. Er hatte einen Südstaatenakzent, den sie sofort liebenswert fand. »Haben wir zwei neue Rekruten bekommen oder nur diesen einen?«
Sergeant Jones schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. »Jesus, Butters, tust du irgendetwas anderes als diesen verdammten Pausenraummüll zu essen? Nur eine. Irgendeine Frau, sagten sie. Als ob ich Zeit hätte, den verdammten Toilettensitz herunterzuklappen.«
»Jonesy!« schnappte der größere Mann. Es gab also wirklich einen Mann namens Butters? Das konnte nicht stimmen. Er stand auf und näherte sich ihr mit ausgestreckter Hand. »Ich nehme an, Sie sind Kristen Hall. Ich bin Sergeant Hank Goodman. Willkommen.«
Jones erschrak und verschüttete seinen Kaffee. »Sie ist hier? Scheiße, Butters, warum hast Du mich nicht gewarnt? Warst du mal wieder zu sehr damit beschäftigt, etwas in dein fettes Maul zu stopfen?«
Kristen nahm die Hand des Sergeants und schüttelte sie. »Schön, Sie kennenzulernen, Sergeant Goodman.« Zum Glück hatte er den Donut mit der linken Hand gegessen, sodass ihre Finger sauber blieben und sie diese nicht an ihrer makellosen Uniform abwischen musste. Sie wollte nicht um einen Lappen zum Händeabwischen bitten.
»Butters ist in Ordnung. Alle anderen nennen mich auch so. Ich gehe nicht davon aus, dass Sie sehr lange bei Goodman bleiben würden. Das ist Sergeant Jones. Er zieht Jonesy vor.«
Kristen konnte an der Art und Weise, wie Butters eine Augenbraue hochzog, erkennen, dass Jones den Spitznamen nicht mochte.
Der andere Mann wandte sich um und zeigte kein Bedauern als er sie ansah, obwohl er sie nicht nur einmal, sondern gleich zweimal beleidigt hatte. Tatsächlich starrte er sie an, schnüffelte zweimal und weitete die Nasenlöcher seiner sommersprossigen Nase. »Riechst du das, Butters? Gestärkte Bettlaken, miefige Zimmer und Gruppenduschen. Wann haben Sie die Akademie verlassen, Miss Hall? Vor zwanzig verdammten Minuten?«
»Jonesy. Benimm dich. Offensichtlich ist Miss Hall hier richtig.«
Jonesy schnaufte. »Ich wusste nicht, dass wir hier in einer Metzgerei sind. Das ist kein Ort für Frischfleisch, Mädchen. Verschwinde, solange dein Haar noch in dem sauberen Knoten steckt. Wir erzählen ihnen, dass du nie aufgetaucht bist und dann vergessen wir die ganze Geschichte einfach.«
Kristen wurde sofort wütend und sie kämpfte gegen den Drang, ihre Fäuste zu ballen, an. Wie konnte er es wagen, so mit ihr zu reden? Sie wollte ihn mit den Ausdrucken ihrer Befehle am liebsten ohrfeigen, wusste aber, dass das jemanden wie ihn nicht überzeugen würde und das war es, was sie erreichen wollte.
»Warum sollte ich gehen? Ist Ihnen plötzlich klar geworden, dass keiner mehr ein ranziges Stück Hüftsteak oder einen rekordverdächtig gemästeten Truthahn haben will, wenn man mich erst sieht?«
Einen Moment lang sagte keiner der beiden Männer etwas. Sie starrten sie einfach an und waren schockiert über ihre Erwiderung. Dann wurde deutlich, dass die beiden schon seit einiger Zeit zusammenarbeiteten, denn sie reagierten fast unisono und begannen zu reden. Nun, Jonesy fing an, Butters lachte nur – ein tiefes, herzliches Lachen, das sie an eine Baptistengemeinde mit einem charismatischen Prediger denken ließ, statt an einen Polizisten, der sich Puderzucker von den Fingern leckte.
Jonesy war allerdings nicht sehr amüsiert. Er brüllte über das Lachen seines Begleiters. »Ein Stück Hüftsteak? Wenn ich ein Steak wäre, wäre ich natürlich ein T-Bone-Steak.«
Kristen hatte noch nie zuvor eine so bizarre Erwiderung gehört. Aber bevor sie über die Seltsamkeit eines Mannes nachdenken konnte, der sich mit einem Stück Fleisch verglich, schritt Butters ein: »Boney hat recht.«
»Und was zum Teufel meinst du mit ranzig?«, fuhr der dünne Mann fort. »Es ist nicht so, als ob du nach Blumen riechen würdest, die du in Franzbranntwein getränkt hast und jetzt als Parfüm ausgibst.«
»Gott sei Dank hat wenigstens einer von uns daran gedacht, gestern Abend zu baden.« Sie lächelte. »Und es ist eigentlich kein Parfüm. Das nennt man Seife. Sie sollten es vielleicht mal versuchen. Die gibt es übrigens auch für Uniformen. Es hilft ungemein gegen die Fleckenlandkarte, an der Sie fleißig arbeiten.« Sie zeigte mit den Fingern auf seine Brust.
Er sah nach unten und fand den Kaffeefleck, auf den sie deutete. Der finstere Ausdruck auf seinem Gesicht war alles wert, was sie hier bisher ertragen musste.
Butters warf den Kopf zurück und lachte so sehr, dass er fast wieder auf die Couch geplumpst wäre. »Miss Hall, Sie werden hier gut reinpassen, denke ich.«
»Blödsinn, das wird sie nicht«, sagte Jonesy und war immer noch wütend. »Das ist eine SWAT-Einheit, kein verdammter Spielplatz. Dass du mit ein paar beschissenen Beleidigungen um dich werfen kannst, na und? Das ist kein Kindergarten!«
»Ja, offensichtlich doch, sonst hätten sie nicht mitgemacht.« Kristen konnte sehen, dass sie den Mann nicht für sich gewinnen konnte, aber es musste einfach sein. Sie hatte gelernt, sich von niemandem etwas gefallen zu lassen und sie konnte ihren Vater sagen hören, dass sie keinen Kampf anfangen sollte, den sie nicht auch verdammt noch mal zu Ende bringen würde. Diese Maxime hatte sie schon immer auf verbale und körperliche Konfrontationen angewandt.
»Sie hat mehr Rückgrat als du, Butters, das muss ich ihr lassen«, spottete Jonesy. »Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass du für das hier nicht qualifiziert bist.«
»Ich wurde beauftragt...«
»Blödsinn. Jemand hat einen Fehler gemacht.« Er starrte sie hart und unnachgiebig an, während er weitersprach. »Als ich hörte, dass wir einen frisch gebackenen Absolventen der Akademie bekommen, nahm ich an, dass ein Ex-Militär-Typ kommt, vielleicht sogar einer dieser Survival-Freaks. Jemand mit Erfahrung – kein hübsches kleines Rehlein, das hofft, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.«
»Wissen Sie was? Ich hoffe, Sie haben recht. Ich hoffe, das ist alles nur ein Fehler.« Kristen fühlte eine weitere Welle von Emotionen in sich aufsteigen. Diesmal war es Angst gemischt mit Wut. Das Problem war, dass sie sich selbst auch nicht qualifiziert genug fühlte, also traf sie alles, was er sagte, persönlich. Trotzdem konnte sie ihn nicht gewinnen lassen. »Denn wenn es ein Fehler war, muss ich wenigstens nicht befürchten, dass meine Würde leidet, weil ich gezwungen bin, die gleiche Luft wie Sie zu atmen.«
Sie standen sich schweigend gegenüber. Sie bemerkte, dass sie einen Nerv getroffen hatte, aber sie bedauerte es nicht. Der Mann hatte sich schrecklich verhalten und verdiente ihren Respekt nicht. Er starrte sie streitlustig an und sie starrte zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie ließ ihn nicht sehen, dass er sie erwischt hatte.
»Haben Sie Ihre Befehle?«, fragte Butters nüchtern. Seine Frage unterbrach die Konfrontation, lockerte aber keineswegs die Spannung im Raum.
»Natürlich habe ich die.« Sie zog die ausgedruckte E-Mail mit ihren Befehlen heraus und übergab sie ihm.
Er las sie durch und runzelte die Stirn, dann schaute er sie an. »Nun, ich muss zugeben, das ist eine ziemliche Überraschung. Herzlichen Glückwunsch zu den guten Noten in der Akademie und... und, na ja, ich schätze, wir werden wohl bald zusammenarbeiten.« Er nickte ihr freundlich zu. Obwohl er viel höflicher war als sein Kollege, war er über ihre Anwesenheit auch nicht unbedingt begeistert. Sie konnte das verstehen. Sogar ihr eigener Vater hatte gesagt, sie sei unterqualifiziert.
»Lass mich das verdammte Stück Papier sehen.« Jonesy riss es seinem Teamkollegen aus den Fingern.
»Das Schwarze sind die Buchstaben. In der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt bilden sie Worte«, säuselte Kristen. Sie hatte jahrelang mit ihrem Bruder Beleidigungen ausgetauscht. Dieser Idiot wusste einfach nicht, worauf er sich eingelassen hatte.
»Ja, ja, ich weiß, was ein verdammtes Wort ist. Halt mal kurz die Klappe und lass mich lesen.« Damit hörte er auf, sie anzustarren und las das Dokument tatsächlich durch.
Es brauchte ein gewisses Maß an Kontrolle von ihr, nicht zu kommentieren, dass sich seine Lippen beim Lesen der Worte bewegten. Für einen Moment dachte sie, die Befehle könnten tatsächlich etwas bewirken und er würde sich ein wenig beruhigen, aber das erwies sich als Wunschdenken.
»Und du erwartest, dass ich diesen Scheiß glaube, nur weil er auf ein Stück Papier gedruckt ist?« Jonesy wedelte mit dem Dokument herum, als wären sie gefährlich für seine Gesundheit. »Das ändert gar nichts. Irgendein Bürokrat, der nicht weiß, wie der Tag im Leben eines echten Cops aussieht, hat deinen schicken kleinen Lebenslauf modifiziert und dich zur SWAT-Einheit geschickt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass ein frischer Akademie-Absolvent das ganze verdammte Team in Gefahr bringen kann. Ich muss mich schon um Butterballs Snack-Pausen kümmern. Jetzt wollen sie mir eine weitere Belastung aufhalsen?«
»Nur weil ich besser essen und trotzdem besser schießen kann als jeder andere in der Truppe, heißt das nicht, dass du es an Miss Hall auslassen musst«, entgegnete der andere Mann.
»Du bist nicht der Advokat des Teufels, Butterball!« Der dünne Mann spuckte die Worte praktisch aus. »Lass uns mit dem Captain reden und das verdammte Chaos in Ordnung bringen.«
Kristen verschränkte die Arme und zuckte mit den Achseln. »Das ist für mich in Ordnung.«
»Hier entlang, Mylady.« Jonesy verließ den Pausenraum und sie folgte ihm.
Als sie durch das Polizeirevier gingen und an Bergen von Papierkram, gerahmten Fotos von toten Polizisten und den wenigen winzigen Haftzellen vorbeikamen, raste ihr Geist. Mochte sie Sergeant Jones wirklich nicht? Sie hielt ihn bereits für Jonesy, ohne seinen Rang, da sein Verhalten ihm nicht gerade ihren Respekt eingebracht hatte. Er war unhöflich und sexistisch und dennoch, ein Teil von ihr – nicht unbedingt ein kleiner – war besorgt, dass er wahrscheinlich recht hatte.
Sie sollte diese Befehle nicht haben. Kristen hatte sich in der Akademie gut geschlagen, das war korrekt. Sie wusste auch, dass Polizeiarbeit und Schularbeiten zwei Paar Stiefel waren und dass eine Abteilung wie SWAT noch weit darüber hinaus ging. Auf dem Weg zum Büro des Captains schossen ihr immer wieder Fragen durch den Kopf. Hatten die Drachen etwas mit all dem zu tun? Warum hatten sie sie zu diesem seltsamen Ort geschickt? Warum hatte man sie für die Polizeiakademie empfohlen?
Sie glaubte nicht, dass es nur daran lag, dass man wusste, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten wollte. Wenn die Drachen an all dem beteiligt waren, bedeutete das, dass sich der Captain entweder geehrt fühlen würde, sie in der Truppe zu haben oder wütend, weil er sich von anderen Lebewesen, die sich über die Menschheit stellten, herumgeschubst wurde? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden.
Jonesy klopfte an die Tür zum Büro des Captains. Kristen war ein wenig überrascht, dass er tatsächlich geklopft hatte. Er schien eher der ›geh rein und frag später‹-Typ von Polizist zu sein.
Eine Stimme rief: »Komm rein.«
Sie betrat das Büro, um ihren neuen Chef zu treffen und fühlte sich ehrlich gesagt, als ginge sie in eine Drachenhöhle.