Kapitel 4
C aptain Juanita Hansen hatte kaum Zeit die Akte, die sie gerade ansah, in ihren Schreibtisch zu schieben, bevor Jonesy ihr Büro betrat und die neue Rekrutin – Hall war ihr Name – fast hinter sich herzog.
Sie überlegte, ob sie dem Mann einen Anpfiff wegen seines Vorgehens verpassen sollte, denn er war praktisch in ihr Büro geplatzt. Sie hatte keinen Zweifel, dass er es tatsächlich getan hätte, wenn sie nicht sofort auf sein Klopfen reagiert hätte. Trotz ihrer Vorliebe dafür hielt sie es für besser, wenn die Rekrutin ihren Captain etwas anderes tun sah, als einen ihrer neuen Teamkollegen zusammenzufalten, bevor sie überhaupt zusammengearbeitet hatten. Das wäre nicht gerade förderlich für die Moral der gesamten Mannschaft. Nicht, dass sie sein Gezeter vom Tisch fegen würde. Sergeant Jones hätte es mehr als verdient, etwas zu hören zu bekommen, aber sie würde ihm für den Moment seine Zweifel zugutehalten.
Anstatt ihn in der Luft zu zerreißen, gab sie der neuen Rekrutin einen Moment Zeit, sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden. Juanita hatte ihr Büro nie mit schicken Stühlen oder ungewöhnlicher Kunst eingerichtet. Sie brauchte die teuren Dinge nicht, aber ihr Büro war auch nicht karg. Sie ließ ihre Arbeit einfach für sich selbst sprechen.
An den Wänden hingen Bilder von ihr, wie sie sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hatte. Da war sie, lächelnd, nachdem sie ihren ersten Flüchtigen verfolgt hatte. Sie war gestürzt und hatte sich einen Zahn abgebrochen. Trotzdem hatte sie das Blut im Gesicht auf diesem Foto immer auf eine banale Art charmant gefunden. Auf einem anderen strahlte sie von einem Ohr zum anderen, nachdem sie knapp 450 Kilo beschlagnahmtes Kokain in Flammen hatte aufgehen lassen. Das hatte ihr eine Beförderung eingebracht und die Prioritäten einiger weniger skrupelloser Mitglieder der Truppe offengelegt. Andere zeigten sie zusammen mit dem Bürgermeister, mit ihrem lokalen Abgeordneten im Repräsentantenhaus und mit einem der beiden Senatoren von Michigan.
Die Bilder waren so angeordnet, dass die neue Rekrutin ihren jahrzehntelangen Aufstieg vor sich sehen konnte, als sie sich umdrehte. Als Kristen schließlich ihrem Captain in die Augen sah, war Juanita einigermaßen zuversichtlich, dass das Mädchen verstanden hatte, dass die Frau vor ihr nicht nur eine Beauftragte mit politischen Verbindungen war, sondern eine Polizistin, die hart gearbeitet hatte, um sich ihre derzeitige Position als Kommandantin aller Spezialeinheiten in Detroit zu verdienen.
Obwohl sie tatsächlich – so sehr sie es auch hasste, es zuzugeben – eine kleine Latina war, die auch ein paar Pfund zugenommen hatte seit sie hauptsächlich hinter dem Schreibtisch saß, reichte das normalerweise aus, um den Leuten klarzumachen, dass sie sich auf diese Position hochgearbeitet hatte. Die wenigen Frauen, die tatsächlich Zuwendungen erhielten, sahen eher aus wie... na ja, wie die attraktive rothaarige Frau, die vor ihr stand.
»Gibt es einen Grund, warum Sie mich in meinem Büro überfallen, wo wir doch beide wissen, dass Sie einen Berg von Papierkram nachzuholen haben?«, fragte sie kühl. Das hätte für einige Beamte als Verweis gelten können, aber Juanita und Jonesy wussten beide, dass es für den Captain eine ziemlich harmlose Frage war. Einige Beamte beschwerten sich über den Papierkram, aber es machte ihr nicht wirklich etwas aus, solange er trotzdem erledigt wurde. Der Papierkram war das Schmieröl, das den Motor des Detroit Police Department am Laufen hielt.
»Papierkram ist genau der Grund, warum ich hier bin, Captain.« Er versuchte nicht einmal, die Feindseligkeit aus seiner Stimme zu nehmen. »Diese kleine Prinzessin denkt, sie sei wegen einer verdammten E-Mail beim SWAT und ich möchte, dass sie einen Realitätscheck von der Königin des Protokolls erhält, bevor sie es sich hier zu bequem macht.«
Juanita faltete die Hände vor sich zusammen. »Bist du darum immer noch hier, Jonesy? Weil du es dir beim SWAT-Team bequem gemacht hast?«
Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich. »Verdammt, Captain. Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie sie wirklich ausgewählt haben?«
»Sie hat einen Namen, weißt du. Benutze ihn.« Es war sicherlich ein Kraftakt und vielleicht ein bisschen kleinlich, aber sie konnte sich im Moment wirklich nicht an den Namen der Frau erinnern. Chrissy? Christina? Sie war genauso frustriert wie er, als sie den Befehl erhalten hatte und hatte den Details nicht so viel Aufmerksamkeit gewidmet, wie sie es normalerweise getan hätte.
Das war vielleicht ein bisschen viel. Jonesy wurde knallrot und verriet seine walisischen Wurzeln. »Entschuldigung, Ma’am. Das ist Kristen Hall, die neue Rekrutin, die per E-Mail in unser Team berufen wurde«. Ah... das war schon besser. Seine Wortwahl war korrekt, aber die Art und Weise wie er ›E-Mail‹ sagte, ließ es so klingen, als ob er seinen eigenen Finger mit einer rostigen Metallsäge abschneiden müsste. Das zauberte ein faszinierendes Bild vor ihr inneres Auge, das sie beinahe zum Lächeln brachte.
»Es freut mich, dass du bereits ihre Bekanntschaft gemacht hast«, antwortete Juanita mit einem Lächeln, das sie normalerweise für Politikerbesuche reserviert hatte. Auf Fotos sah es gut aus, aber er wusste besser als jeder andere, was es zu bedeuten hatte. »Schön, Sie kennenzulernen, Kristen. Ich gebe allem gerne einen Namen. Ihre Bilanz aus der Akademie ist beeindruckend, sodass Sie sicher erkannt haben, dass ich Ihre Chefin bin, obwohl wir eigentlich nie ein Vorstellungsgespräch geführt haben«.
»Es ist auch mir ein Vergnügen Sie kennenzulernen, Captain Hansen. Mein Vater hat mir alles über Sie erzählt.«
»Ihr Vater ist?« Sie hasste es, unhöflich zu sein, aber vielleicht hatte sie etwas in der Familiengeschichte des Mädchens übersehen.
»Frank Hall?«, stammelte Kristen. »Er war über dreißig Jahre lang Polizeibeamter. Er ist der Grund, warum ich Polizistin werden wollte.«
»Ah. Er hat es aber nie zum SWAT geschafft, oder?«
»Nein, Ma’am.«
»Das erklärt, warum ich noch nie von ihm gehört habe.« Die junge Frau sah enttäuscht zu Boden, aber das ließ sich nicht ändern. Der Captain fuhr fort. »Trotzdem ist es gut zu wissen, dass Sie wissen, was Polizeiarbeit bedeutet. Normalerweise haben die Mitarbeiter, die mit dieser Art Referenzen kommen, keine Ahnung davon. Wenigstens verstehen Sie, dass es in Ihrer Zukunft lange Tage und noch längere Nächte geben wird.«
Kristen bewegte sich einen Moment lang nervös, bevor sie antwortete: »Natürlich, Ma’am.« Es war offensichtlich, dass sie etwas beunruhigte.
»Gibt es ein Problem?«
»Was zum Teufel sind ihre Referenzen?«, mischte sich Jonesy ein. Juanita hatte bereits auf diese Unterbrechung gewartet. Es war nicht Patrick Jones’ Art, den Mund zu halten. Wirklich, sie war dankbar. Dass er motzte, bedeutete, dass sie in ihn zurechtweisen konnte, ohne vor Kristen ihr Gesicht zu verlieren.
Für einen Moment dachte sie nach und schwieg – sie nutzte ihr Schweigen gern, um ihn zum Schwitzen zu bringen – aber sie gab nach. Er würde es sowieso bald herausfinden und es wäre besser, es von ihr zu hören als über die Gerüchteküche. »Die E-Mail, die ich von ›Dragon Special Operations‹ erhielt, machte deutlich, dass sie Kristen im SWAT haben wollen und dass sie ein Nein nicht akzeptieren werden. Nicht, dass sie das jemals überhaupt täten.«
»Das Drachen-Sondereinsatzkommando?« Er wandte sich ungläubig zu Kristen. »Ein verdammter Drache hat dich zum SWAT-Team geschickt? Hat einer von denen deine Oma gefickt oder so was und fühlt sich verpflichtet, dir einen Job zu verschaffen?«
»Nur weil die Großmütter, die du dir für Sex leisten kannst, sich voller Mitleid mies fühlen, wenn sie mit dir fertig sind, heißt das nicht, dass es immer so läuft«, verhöhnte Kristen ihn und blickte ihn herausfordernd an.
Juanita achtete darauf ja nicht zu lächeln. Nicht viele Leute – ganz zu schweigen von Frauen – konnten ein verbales Sparring mit Jonesy eingehen, aber sie schien dazu mehr als fähig zu sein.
»Jonesy, ich würde dir normalerweise jetzt sagen, du sollst die Klappe halten, aber es sieht ganz so aus, als hätte Kristen das schon getan.«
»Ich... verdammt, Captain«, murmelte er. Sie wusste nicht, ob er durch die Referenzen der Frau verwirrt war oder ob eine Anfängerin ihn mit ihren scharfen Worten beleidigt hatte. »Drachen-Sondereinsatzkommando? Wirklich?«
Der Captain hob eine Augenbraue. Sie wollte nicht, dass die neue Rekrutin dachte, sie hätte gewonnen. »In der Tat. Es scheint, dass Kristen Freunde in hohen Positionen hat.«
»Bei allem Respekt, Captain, das tue ich nicht. Ich bin ausgerechnet bei einem Konzert auf einen Drachen gestoßen. Er sagte mir, ich solle ein paar Tests machen und anschließend schickten sie mich auf die Akademie. Ich wollte schon immer Polizistin werden, aber ich hätte niemals gedacht, dass ich es zum SWAT schaffen würde, vor allem wegen meiner Unerfahrenheit.«
Sie ließ Kristens Aussage für einen Moment so stehen. Vom Gesichtsausdruck des Mädchens her nahm sie an, sie wäre ehrlich. Wenn sie wirklich keine Verbindung zu den Drachen hatte, musste zumindest etwas Ungewöhnliches an ihr sein, aber was? Juanita war jedoch ein zu guter Polizist, um voreilige Schlüsse zu ziehen. Sie würde dem Ganzen Zeit geben und die Beweise würden sich schon noch im Laufe der Zeit offenbaren.
Das aktuell Wichtigste war, dass Jonesy verstand, dass ihr Platz in seinem Team nicht zur Debatte stand. »Siehst du, Jonesy? Was will man mehr? Sie ist ehrlich, bodenständig und hat nicht vor, etwas anbrennen zu lassen und ihre eigene und die gottverdammte Zeit ihres Captains zu verschwenden.«
»Captain?« Zuvor hatte Jonesy so ausgesehen, als würde seine Wut langsam verrauchen. Jetzt sah er aus wie ein begossener Pudel. Sie war irgendwie stolz, dass ihr das mit nur wenigen Worten gelungen war. Sie musste ihn sonst immer anbrüllen, dass das ganze Gebäude mithören konnte, damit er den Mund hielt.
»Um deine ursprüngliche Frage zu beantworten, nein, Jonesy, ich habe sie nicht für meine Truppe ausgewählt.«
»Dann...«
»In Beantwortung der Frage, die du gerade stellen möchtest: Ja, sie gehört zu deinem Team.«
»Aber...«
»Ich erwarte nicht, dass es dir gefällt. Aber wir wissen beide, dass ich meinen Morgen lieber damit verbringe, Strafzettel zu schreiben, als mich damit zu beschäftigen, darüber nachzudenken, was dir in den Kram passt und was nicht. Was nun? Willst du dich auch noch darüber beklagen, dass Sergeant Goodman alle gefüllten Donuts gegessen hat?«
»Er isst IMMER die gefüllten Donuts«, maulte er.
»Und doch lebst du irgendwie mit dieser Ungerechtigkeit.« Juanita lächelte ihn an. Er schluckte verängstigt. Sie fuhr mit zuckersüßer Stimme fort. »Ich erwarte, dass du auch hiermit lebst, Sergeant Jones. Genau so wie ich jetzt erwarte, dass du aus meinem Büro verschwindest und an deine Arbeit gehst. Und denk dran, Jonesy, wenn es dir nicht passt, kannst du jederzeit beim SWAT aufhören und zur Verkehrspolizei versetzt werden.« Sie lächelte, zog die Nase kraus und blinzelte.
Jonesy starrte sie wütend an. Sie wussten beide, dass er niemals eine Chance hätte, etwas über ihren Kopf hinweg zu tun, denn wenn er sauer wurde begann er zu fluchen und wenn sie sauer wurde, lächelte sie nur, bis sie gewonnen hatte. Also schaute er einfach finster drein und stürmte aus ihrem Büro, zweifellos um gleich Sergeant Goodman anzuschreien, weil er zu viele Donuts gegessen hatte. Das war aber auch gut so. Jemand musste den Scharfschützen dabei unterstützen, sein Gewicht zu halten und sie als Chefin hatte keine Zeit dafür, auf ihn aufzupassen.
Normalerweise würde sich diese Einstellung auch auf die frischen Rekruten erstrecken, aber Juanita fand, sie schulde dem Neuankömmling eine Minute – oder besser – nicht dem Mädchen selbst, sondern eher den Fragen, die ihre bloße Anwesenheit ins Leben rief. »Bitte, setzen Sie sich.« Sie zeigte auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch. »Also, wenn Sie keinen Drachen kennen, warum sind Sie dann hier?«
Kristen nahm den angebotenen Stuhl. »Ehrlich gesagt, Captain, ich hatte gehofft, Sie könnten diese Frage beantworten. Als ich meinem Dad sagte, dass ich es zum SWAT geschafft habe, war er noch mehr überrascht als ich. Er sagte, ich hätte mindestens ein Jahr bei der Truppe sein sollen, bevor sie mich hierher befördern würden. Okay, ich war gut in der Akademie...«
»Nicht so gut. Ich habe mir Ihre körperlichen Untersuchungen angesehen und Sie waren dort erstklassig, aber trotzdem wurden Sie nie unter realen Bedingungen getestet. SWAT ist ganz anders als die normale Polizeiarbeit. Wir wählen gerne unter denjenigen aus, die über die für die Position erforderliche Erfahrung verfügen«.
»Also, wenn es nicht die Akademie war, warum bin ich dann hier?«
Juanita war aufgestanden. Als Kristen sich ebenfalls erhob, schüttelte sie den Kopf. »Hinsetzen.« Sie schritt langsam durch ihr Büro, während sie sprach. »Der einzige Hinweis, den ich habe, ist, dass die Drachenspezialeinheit Sie hier haben möchte. Aber in der Regel ist es sehr schwierig, in den Kopf und die Gedankengänge von allmächtigen, uralten, formwandelnden Drachen zu gelangen.«
»Haben Sie je einen getroffen?«, fragte die junge Frau. »Einen Drachen, meine ich.«
Juanita schüttelte den Kopf und ging dann hinter Kristen, während sie ihr Büro durchquerte. »Nein. Ich kam nie weiter als bis zum Senator.« Sie deutete auf das gerahmte Foto. »Es gab Gerüchte, dass er seine Befehle direkt von einem Drachen erhielt, aber darüber haben wir natürlich nicht gesprochen. Glauben Sie mir, wenn ich wüsste, was die Drachen mit Ihnen wollen – oder mit irgendetwas anderem, was das betrifft – würde ich es nicht geheim halten. Sie haben aber einen getroffen und sind zu einer ihrer Testeinrichtungen gegangen. Wie war es dort?«
Der Captain stand mit dem Rücken zu Kristen vor dem Bild von sich und dem Senator. Sie wollte, dass die Rekrutin lernte, wo ihr Platz ist, hoffte aber auch, sie so zum Reden zu bringen. Vielleicht gab es einen versteckten Hinweis darauf, warum sie dort gewesen war, auch wenn sie es nicht zum Zeitpunkt ihrer Tests nicht als Hinweis wahrgenommen hatte.
Das junge Polizistin strich nachdenklich mit den Schuhen über den Boden. »Die körperlichen Tests schienen normal zu sein – nicht so anders als auf der Polizeiakademie.«
»Sie mussten nicht aus tausend Schritten Entfernung einen Pfeil in ein Ziel schießen oder ein Schwert aus einem Stein ziehen?«
Kristen lachte herzlich. Gut, dachte Juanita, sie soll mir mehr vertrauen als den Drachen.
»Nein, keine Kraftakte. Aber glauben Sie wirklich, dass sie wollen, dass Leute so etwas tun? Die letzten beiden Male, als jemand rebelliert hat, haben die Drachen uns in den Boden gestampft.«
»Uns?«, fragte sie.
»Menschen, meine ich.«
»Richtig.« Sie kehrte zurück, um sich zu setzen als sie erkannte, dass sie lieber aus der Mimik des Neuankömmlings lesen sollte, als passiv-aggressiv ihre Macht zu demonstrieren. Außerdem hatte sie ihren Standpunkt bereits klargemacht. »Sie sagten, die körperlichen Tests wären normal abgelaufen. Gab es bei den Befragungen irgendwas, was ungewöhnlich war?«
Kristen zuckte die Achseln. »Vielleicht? Ich weiß es nicht. Sie fragten nach den Rebellionen.«
»Was haben Sie ihnen gesagt?«
»Im Wesentlichen das, was ich in der Schule gelernt hatte. Dass in der ersten Rebellion menschliche Magier Zwerge erschufen, um gegen die Drachen zu kämpfen. Sie hätten sich vielleicht gegen sie stellen können, da sie stärker als die Menschen sind, aber stattdessen haben sie einen Deal mit den Drachen gemacht und besitzen deshalb immer noch Kanada.
»Was haben sie dazu gesagt?« Juanita kratzte sich am Kopf. Das war im Grunde das, was in den Geschichtsbüchern stand.
Die junge Frau lachte. »Eigentlich nichts. Ehrlich gesagt, es fühlte sich an, als würde ich einen Geschichtstest machen und ihn kaum bestehen können. Ich habe das Gefühl, dass... egal, es ist albern.«
»Sie haben das Gefühl, dass...?«
Kristen richtete sich in ihrem Stuhl auf. »Nun, wie ich schon sagte, das wird sich dumm anhören, aber ich hatte das Gefühl, dass sie nach Details suchten – als ob sie dachten, ich würde etwas vor ihnen verbergen. Wie zum Beispiel, dass sie mir immer wieder komische Fragen über Pixies gestellt haben.«
»Pixies?« Juanita hob eine Augenbraue.
»Ja, Pixies. Die Magier haben die Feenwesen in der zweiten Rebellion erschaffen, aber es gelang ihnen nicht, die Drachen weiter in die Knie zu zwingen als bei dem Versuch mit den Zwergen«.
»Ich bin mit den Dingen vertraut. Was fragten sie nach den Pixies?«
»Zuerst waren es nur normale Dinge, zum Beispiel ob ich einen Pixie gesehen hätte. Wenn ja, wo? Was habe ich sie tun sehen? So was in der Art.«
»Haben Sie das?«
»Ja, tatsächlich. Hat das nicht jeder?«
Der Captain zuckte mit den Achseln. »Ich nehme an, ich habe schon ein paar gesehen.«
Kristen nickte. Juanita dachte, sie sähe erleichtert aus. »Genau wie ich. Ich sehe sie manchmal, wenn ich aus der Stadt komme oder auf die Bell Isle gehe. Pixies mögen wohl Grünflächen. Ich habe den Drachen gesagt, dass sie, wann immer ich sie sehe, das tun, was Pixies immer tun – mich mit ihren großen Augen, die alle die gleiche Farbe haben, unbeholfen anstarren.«
»Pixies starren Sie an, hm?« Sie versuchte, den Kommentar so lässig wie möglich wirken zu lassen. Um ehrlich zu sein, sie hatte noch nie einen Pixie lange genug still sitzen sehen, um seine Augenfarbe zu erkennen.
Das Mädchen lachte und schien völlig ahnungslos darüber zu sein, wie seltsam das war, was sie gerade gesagt hatte. »Die ganze Zeit. Brian – das ist mein Bruder – hat immer Witze darüber gemacht. Wir waren mal zelten und einer hat uns beim Feuermachen zugesehen. Er fing an, uns anzuschreien, dass wir ja keine Streichhölzer brauchen würden.«
»Keine Streichhölzer?«
Kristen grinste. »Ja, die Pixies können wahrscheinlich Funken erzeugen oder so?«
»Ich... nehme es an«, sagte Juanita vorsichtig und nahm sich vor, später noch über diese Anekdote nachzudenken. Da war etwas dran, da war sie sich sicher, denn das Verhalten der Pixies war abnormal. »Und Sie haben diese Geschichte den Drachen erzählt? Was haben sie dazu gesagt?«
Kristens Gesicht sagte dem Captain, dass sie jedes Wort glauben konnte, das sie sagte – Juanita war in genügend Verhörräumen gewesen, um eine Lüge zu erkennen, wenn sie eine hörte, aber das hier war definitiv ungewöhnlich.
»Nichts, wirklich. Sie machten sich Notizen, sahen sich gegenseitig an und stellten mir dann eine weitere Frage. Das war wirklich alles, was sie während des gesamten Interviews getan haben. Sie stellten noch ein paar andere Fragen über Pixies – ob sie mir jemals zugehört oder für mich gezaubert hätten, solche Sachen – aber natürlich haben sie das nie getan.
»Natürlich nicht«, sagte Juanita. Wenigstens das konnte sie nachvollziehen.
Pixies waren seltsame kleine Dinger. Sie hatte sie nie gemocht. Sie konnten zaubern, waren aber... seltsam. Es war, als hätten sie nicht die gleiche Beziehung zur Realität wie die Menschen, obwohl sie ursprünglich von Menschenhand geschaffen wurden. Sie hatten auch kein Konzentrationsvermögen. Pixies starrten die Leute nicht an. Sie starrten nichts an, weil sie nicht lange genug still halten konnten. Sie hatte noch nie von einem Pixie gehört, der sich auf etwas konzentriert hatte, geschweige denn auf einen Menschen.
Diese Kristen Hall hatte etwas Ungewöhnliches an sich, aber sie konnte nicht sagen, was. Dass sich Pixies auf sie konzentrierten, war sicherlich seltsam, aber das erklärte nicht genau, warum sie für die SWAT-Einheit ausgewählt worden war. Sie hätte vielleicht anders empfunden, wenn Kristen die Pixies dazu gebracht hätte, für sie zu zaubern. Man stelle sich vor, sie könnten die Waffe eines Feindes in einen Stock verwandeln oder besser noch, verschwinden lassen.
Juanita atmete tief durch und beschloss, dass sie wie in jedem komplexen Fall, der ihr jemals vorgelegt wurde, das tun würde, was sie immer tat. Aufpassen, abwarten und mehr Beweise sammeln. Sie würde herausfinden, was es mit ihrer neuen Rekrutin auf sich hatte. Dessen war sie sich sicher. Sie hoffte nur, es zu entdecken, bevor die Drachen mit dem, was auch immer sie taten, vorankamen.
Sie sah Kristen an und bemerkte, dass sie für einige Augenblicke nicht mehr gesprochen hatte. Das Mädchen versuchte verzweifelt, sich nicht auf ihrem Platz zu winden, aber obwohl sie von Drachen und Pixies auserwählt worden war, fühlte sie sich offensichtlich genauso unbeholfen, wenn sie ihrem Chef gegenüber saß, wie jeder andere auch.
Der Captain stellte sich ihr gegenüber. Es war an der Zeit für die ›Neues Kind‹-Rede. »Ob Drachen oder nicht, Sie müssen verstehen, dass ich es nicht zulassen werde, dass Sie jemand schont.«
»Ich würde nicht erwarten, dass sie...«
»Jetzt kommt der Teil, wo Sie nur zuhören müssen.«
Kristen nickte. Sie war beeindruckt. Jonesy hätte sich schon längst darüber beschwert, dass man ihm gesagt hatte, er soll den Mund halten.
»Das SWAT-Team meint es ernst«, fuhr sie fort. »Hier stehen regelmäßig Leben auf dem Spiel, das gehört zum Job. Es ist für jeden anders, aber Sie müssen wissen, dass Sie Menschen sterben sehen werden. Ob es ein Täter ist, ein Zivilist, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war oder Ihr eigener Partner, Sie müssen sich darauf vorbereiten, sich dem zu stellen.«
Das Akademieabsolventin hielt den Mund, aber ihr Kiefer verhärtete sich bei der Erwähnung des Todes. Das war gut. Die Tatsache, dass sie nicht überrascht aussah, bedeutete, dass sie bereits darüber nachgedacht hatte.
»Darüber hinaus erwarte ich, dass Sie in Form bleiben und stark sind. Ich weiß, Sie haben Sergeant Goodman getroffen, aber glauben Sie mir, seine Fähigkeiten sind der einzige Grund, warum ich seinen Bauch in meiner Truppe dulde. Sergeant Jones auch. Er hat vielleicht ein loses Mundwerk, aber er ist verdammt gut in seinem Job. Ich verlange das Gleiche von Ihnen, verstanden?«
»Ja, Captain. Ich weiß es zu schätzen, auf hohem Niveau zu bleiben. Ich habe mich an der Akademie ausgezeichnet, weil ich nie weniger als hundert Prozent gebe und ich bin bereit, auch hier hart zu arbeiten. Ich wurde dort ausgezeichnet und hoffe, es hier noch besser zu machen.«
Juanita kicherte. »SWAT ist nicht die Akademie, aber wenn Sie mit dieser Einstellung an die Sache herangehen, schaffen Sie es vielleicht oder Sie stellen sich als Reinfall heraus, was – ehrlich gesagt – für mich auch in Ordnung wäre.«
»Wie bitte?« Das warf Kristen aus der Bahn.
»Wenn Sie selbst entscheiden, dass das nichts für Sie ist, sind Sie nur ein Problem weniger, mit dem ich mich befassen muss. Ob Sie es glauben oder nicht, die Stadt Detroit hält das SWAT-Team beschäftigt genug, ohne dass ich mir Sorgen machen muss, warum mir die Drachenspezialeinheit einen Rekruten schickt, um den ich nicht gebeten habe.«
Kristen biss jetzt die Zähne zusammen. Der Captain ließ sich ihren Spaß nicht anmerken, aber sie mochte den Neuankömmling bereits. Sie schien ein Herz aus Stahl zu haben und wenn sie Hitze und Druck ausgesetzt war, benutzte sie es, um sich zu stärken, statt sich unterkriegen zu lassen. Das war eine gute Einstellung in der Autostadt und eine besonders gute Aussicht für das neueste Mitglied des Detroit SWAT.
»Glauben Sie nicht ich will, dass Sie versagen oder so was. Gott weiß, dass wir immer Frauen in der Truppe gebrauchen können, aber ich werde Ihnen auch bestimmt keinen Gefallen tun. Ich werde versuchen, Sie auf Erfolg einzustellen, wie ich es bei jedem Rekruten getan habe, der durch mein Büro gekommen ist, aber wenn Sie nicht vorankommen? Nun, das geht dann auf Ihr Konto, nicht auf meines.«
»Ich verstehe, Captain«, sagte Kristen. Ihr Lächeln und ihr Achselzucken waren zusammengebissenen Zähnen und einem störrischen Gesichtsausdruck gewichen.
Juanita mochte dieses Mädchen wirklich. »In Ordnung, jetzt lassen Sie uns den Rest der Truppe treffen.
»Ja, Captain Hansen.« Kristen stand auf und folgte ihr zur Tür.
Sie wollten gerade gehen, als die ältere Frau sich räusperte und sich zu ihr umdrehte. »Und Kristen, wenn Sie irgendwelche Drachen in meiner Station herumlungern sehen, sagen Sie ihnen, sie sollen verdammt noch mal weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen.«
»Ja, Ma’am!«