Kapitel 6
E s stellte sich heraus, dass es weit mehr Unterschiede zwischen verdecktem und gewaltsamem Eindringen gab als sie vermutet hatte. Kristen hatte Angst, dass, wenn sie noch mehr Variationen des gewaltsamen Eindringens ausprobieren würden, ihr Gehirn ebenso leiden würde wie die Türen, die sie immer wieder aufbrachen.
Sie waren draußen, am anderen Ende der Stadt auf einem Trainingsgelände, auf dem einige leere Gebäude standen. Ein kleines Haus, ein großes Haus und ein einfacher Wohnblock waren von einem glühend heißen Parkplatz umgeben. Vieles von Detroit war verlassen, dann aber wiederbelebt worden als die Reichen zurück in die Stadt zogen. SWAT hätte auch ein paar verlassene Häuser in echten Wohnvierteln ausfindig machen können, aber es schien als würden sie es vorziehen, auf einem trostlosen Parkplatz zu arbeiten.
Kristen wusste, dass diese Gedanken nur ihrer Verbitterung geschuldet waren. Der unablässig strömende Schweiß trug wesentlich zu ihrer aktuellen Einstellung bei.
Jede Übung war im Grunde genommen die gleiche – rein ins Gebäude, sicherstellen, dass in keinem Raum ein Gegner war, alle Geiseln befreien und wieder heraus – und doch kannten ihre neuen Kollegen unzählige Variationen dieses einfachen Themas.
»Aufbrechen!«, lautete Jonesys Anweisung.
Hernandez grunzte bejahend und hämmerte mit etwas gegen die Tür, das Kristen nur als Miniatur-Rammbock bezeichnen würde. Die Tür flog auf, was bedeutete, dass es für sie wieder an der Zeit war, in Aktion zu treten.
Sie rannte in das kleine Haus mit Keith und Jonesy an ihrer Seite.
»Das Wohnzimmer ist sauber!«, rief sie.
»Nimm die Küche, Red«, ordnete Jonesy an.
Ohne Rückfrage gehorchte sie, ließ ihr Team zurück und betrat die Küche.
Sie fand Butters gebückt und tief im Kühlschranks wühlend, sein riesiger Hintern ragte in die Küche.
»Butters? Was machst du da?«
»Ich bin eine Geisel«, sagte er, als wäre das für jeden offensichtlich.
Im nächsten Moment fühlte sie einen harten Schlag und einen stechenden Schmerz in ihrer Schulter durch ein Gummigeschoss.
»Au! Scheiße!«, schrie sie aufgebracht.
»Du bist tot.« Das war Drew. Er war der Feind, was bedeutete, dass er sich im Grunde im Haus versteckt hatte und auf sie schoss. Der Mann war wirklich viel zu gut in seinem Job.
»Und die Geisel?«, protestierte sie. »Butters hat im Kühlschrank herumgewühlt. Ich dachte, er wäre noch nicht fertig.«
Der Teamleiter stand hinter dem Küchentisch. »Erwartest du immer Geiseln auf den Knien mit den Händen hinter dem Kopf?«
»Nein, natürlich nicht, aber im Kühlschrank wühlend?«
»Das kann passieren.« Der runde Mann schloss den Kühlschrank. »Manchmal verlangt ein Gauner auch ein Sandwich. Glaubst du, der Typ mit der Waffe schmiert sich die Mayo selbst auf sein Brot?«
Kristen biss die Zähne zusammen. Sie musste alles in ihrer Macht Stehende tun, um nicht mit den Augen zu rollen. Sie war bereits von unzähligen Gummigeschossen getroffen worden und nun sprach man mit ihr über Sandwiches?
»Auf ein Neues«, kommandierte Drew.
»Reicht es immer noch nicht?« Sie wollte nicht aufgeben, hatte aber das Gefühl, es tun zu müssen. Das war ein langer, harter Tag gewesen und ihr war heiß, sie war müde und ausgezehrt. Sie könnte morgen oder übermorgen weitermachen oder jederzeit, aber eben nicht jetzt.
»Das war keine Bitte.«
Fix und fertig schleppte sie sich zur Haustür. Hernandez hatte sie schon eingetreten. Jonesy und Keith waren wieder mit Kristen unterwegs. Diesmal übernahm der dünne Mann die Küche, für die anderen beiden blieb der Flur zum Schlafzimmer.
Schulter an Schulter bewegten sie sich den Korridor entlang und traten auf der Suche nach Beanpole, Butters und Drew Türen ein. Bei einem tatsächlichen gewaltsamen Eindringen wären Beanpole und Butters irgendwo in der Nähe, wahrscheinlich auf der anderen Straßenseite – der eine mit einem Scharfschützengewehr und der andere mit einem Fernglas, um ihm den Rücken frei zu halten – aber Drew wollte sie heute im Gebäude haben, damit sie sich besser mit ihr anlegen konnten.
Sie trat eine Badezimmertür auf und fand Beanpole auf der Toilette.
»Hände hoch!«
Beanpole – seine Hose saß zum Glück noch da, wo sie hingehörte – streckte die Hände hoch.
»Ich nehme das nächste Zimmer.« Keith trat zurück und wollte gerade sein Bein heben, als er stolperte. »Schnürsenkel«, schrie er und landete unsanft auf dem Boden.
Kristen ging in die Knie. »Keith, bist du okay?«
Als sie sich umdrehte, hatte Beanpole eine Pistole auf ihre Stirn gerichtet.
»Nochmal!«, schrie Drew wütend.
»Ach, komm schon!« Inzwischen war sie wirklich gefrustet. »Ein Schnürsenkel?«
»Ob du es glaubst oder nicht, auch das kommt vor«, sagte der Teamleiter, als er aus dem Schlafzimmer am Ende des Flurs trat.
»Das haben wir dank des Frischlings hinzugefügt.« Jonesy kam nach Drew aus dem Zimmer.
Keith band sich die Schuhe neu. »Jetzt ist aber sie die Anfängerin.«
»Sie hat keinen unserer Versuche verpfuscht, weil sie vergessen hat, ihre Schuhe zu binden«, sagte Drew ungehalten. »Raus hier, sofort!«
Wieder gingen alle zurück zur Haustür, traten sie ein und betraten das Haus. Diesmal fand sie Beanpole mit einer Pistole in der Hand auf Butters’ Kopf gerichtet.
»Zurück, du Schwein!« Während Beanpole mit der Pistole herumhantierte, sprang sie. Sie bückte sich, brachte die Geisel zwischen sich und Beanpole, bewegte sich dann um ihn herum und trat dem dünnen Mann von hinten hart ins Bein, um ihn in die Knie zu zwingen.
»Gut gemacht«, keuchte er. Das klang, als bekäme er keine Luft mehr.
Drew betrat den Raum. Sie hatte keine Ahnung, wo er sich versteckt hatte. »Du hast gute Instinkte und jetzt, auf ein Neues.«
Zurück an der Tür begann das gleiche Spiel von Neuem. Diesmal war der Kühlschrank mit C4 manipuliert und alle flogen in die Luft.
»Nochmal.«
Wieder einmal wurde die Haustür eingetreten. Kristen fand zwei Geiseln – Drew und Beanpole – bevor sie von Butters angegriffen wurde, der sich wie ein Kind beim Spielen, hinter einer Tür versteckt hatte.
»Kein Geiselnehmer würde so was tun. Dazu müsste er wissen, dass wir kommen«, klagte sie unter seinem Gewicht.
»Auch schon mal da gewesen. Nochmal!«
Tür eingetreten und durch das Wohnzimmer gerannt. Diesmal wurde sie durch eine geschlossene Tür hindurch erschossen.
»Nochmal!«
Tür eingetreten... Wohnzimmer... Gegner versteckt Waffe hinter einem gottverdammten Blumenstrauß.
»Nochmal!«
Tür... Wohnzimmer... einer ihrer Leute wurde mit einem Stuhlbein am Kopf getroffen und starb.
»Nochmal!«
Tür... Wohnzimmer... Flur... seltsamer Geruch... Gasaustritt... der Geiselnehmer feuert einen Schuss ab... alle tot.
»Ernsthaft jetzt?«
Drew nickte. Mittlerweile hasste Kristen sein Nicken. »Ist einmal in 96 Jahren passiert.«
»Das war tragisch«, grinste Jonesy. »Da war ein Kuchen im Ofen. Die Geiselnehmer hatten aufgehört zu kämpfen und sich anscheinend beruhigt, aber als es an der Tür klopfte, griff einer zur Waffe, statt einfach zu antworten. Die Polizei hat die Tür dann eingetreten. Er hat geschossen. Bumm. Ich schätze, die Zündflamme am Ofen war schon aus.«
»Dann ist es nicht dem SWAT passiert«, murmelte sie, als sie sich wieder einmal für einen weiteren Versuch zur Haustür schleppte.
»Es ist bisher nicht dem SWAT passiert, weil wir eben trainieren.« Keith presste die Zähne zusammen und versuchte, hart auszusehen. Sie verstand, warum alle anderen im Team Keith Frischling nannten – er kam ihr vor wie ein Kind, das verzweifelt versuchte, sich wie ein Polizist zu benehmen, statt ein echter Polizist zu sein – aber er nervte sie lange nicht so wie Jonesy und Drew.
»In Ordnung, fertig«, seufzte Kristen. Sie machten das schon seit Stunden. Sie war völlig erschöpft, aber aufzugeben kam nicht infrage. Nicht am ersten Tag und schon gar nicht bei einer Übung, die der Rest der Truppe für wichtig genug hielt, einen ganzen Tag damit zu verbringen.
»Themenwechsel«, sagte Drew. »Du hattest genug gewaltsames Eindringen für heute und bist etwas besser geworden.«
»Ich bin fast jedes Mal gestorben.«
»Stimmt, aber eben nicht jedes Mal. Das ist auf jeden Fall besser als der erste Tag von Keith.« Das war schon fast ein Kompliment von Drew. »Du hast wirklich gute Reflexe, damit kannst du weit kommen. Du musst nur weiter üben und die einzelnen Bewegungen laufen irgendwann instinktiv ab, das wird langsam.«
Sie strahlte. Das war jetzt ein echtes Kompliment.
»Wobei soll sie jetzt versagen?«, grinste Hernandez. »Schießübungen? Sprengstoff entschärfen?«
»Gefechtsübung?«, schlug Jonesy ironisch vor.
Drew überlegte einen Moment, dann nickte er. »Wieso nicht?«
Daraufhin kletterten alle in einen SWAT-Van. Beanpole fuhr, Drew war Beifahrer und die anderen saßen hinten. Der Van war zwar glücklicherweise klimatisiert, aber die Fahrt war zu kurz für eine Wirkung. Sie war so müde, dass sie fast eingenickt wäre, aber bevor das tatsächlich passierte, kamen sie schon an einer Sporthalle an.
Sie trennten sich zum Umziehen und Hernandez zeigte ihr widerwillig den Weg in die Umkleidekabine der Frauen.
»Erwarte nicht, dass sie dich schonen, weil du eine Frau bist«, sagte sie, als sie vor geöffneten Schließfächern standen. »Die haben mich verdammt noch mal auch nicht geschont.«
Kristen hätte gerne gewusst, ob das der Grund für Hernandez’ Härte ihr gegenüber war, aber sie entschied, dass heute wahrscheinlich nicht der richtige Zeitpunkt für Fragen war. Außerdem wäre die Frage »Bist du deshalb so ein Miststück?« keine Frage, die bei irgendjemandem gut ankommen würde.
Stattdessen schwieg sie und zog schnell ihre Schutzkleidung aus – nicht so sehr wegen des Gewichts, sondern weil ihre Haut nun endlich wieder atmen konnte.
Sie nahm ein Paar Jogginghosen, einen frischen Sport-BH und ein Tank-Top aus ihrer Tasche und drehte sich um. Vor ihr stand Hernandez, die sie mit offenem Mund anstarrte.
Instinktiv verschränkte Kristen die Arme vor der Brust. »Es ist mir egal, ob du ein Mann oder eine Frau bist, sexuelle Belästigung bleibt sexuelle Belästigung.«
»Nein, das ist es nicht. Weiße Mädchen sind sowieso nicht mein Ding.« Hernandez schien tatsächlich sprachlos zu sein.
»Warum zum Teufel hast du dann zugesehen, wie ich mich umziehe?«
»Wie oft wurdest du heute von einem Gummigeschoss getroffen?«, fragte Hernandez.
»Ich weiß es nicht. Oft?«
»Wo sind deine blauen Flecken?«
Kristen schaute auf ihre Arme, deine Blutergüsse. Sie spähte in ihr Tank-Top – sie war einmal direkt über ihrer Brust getroffen worden und das hatte höllisch wehgetan. Auch dort kein Bluterguss. »Vielleicht die kugelsichere Weste...«
»Die hast du an, damit du auch ganz sicher blaue Flecken bekommst. Sogar von diesen Gummigeschossen.«
Kristen zuckte die Achseln. »Ich habe eben gutes Heilfleisch.«
»Ja, kein Scheiß«, murmelte Hernandez und ging zur Tür. »Komm schon und äh... tut mir leid, dass ich dich angestarrt habe. Ich... ich wollte das nicht.«
»Alles in Ordnung.«
»Gut. Wenn es dir so gut geht, bedeutet das, dass ich dich nicht schonen muss.« Im Nu war ihre Boshaftigkeit wieder da.
Sie fanden den Rest der Truppe in einem großen Raum mit gepolstertem Boden, offensichtlich ein Sparring-Raum.
»Tut euch zu zweit zusammen«, befahl Drew und verschränkte die Arme.
Sie fand sich vor Keith wieder. Sie machten ein paar leichte Übungen, versuchten ein paar Tritte und wärmten sich allgemein auf. Nach ein paar Minuten war es Zeit zu kämpfen.
Hernandez und Jonesy waren zuerst dran. Kristen dachte, sie hätte noch nie einen so dreckigen Kampf gesehen. Keiner der beiden Kämpfer hatte ein Problem mit Tritten in den Bauch oder Schritt, Ziehen an den Haaren oder sonst etwas. Der Kampf sollte mit einem Sieg enden, aber er blieb ausgeglichen. Er hielt ihre Haare in den Händen und sie hatte ihn buchstäblich an den Eiern. »Netter Kampf, für eine Mexikanerin«, stöhnte Jonesy.
»Wir wissen beide, dass ich dich sehr schnell hätte schlagen können, wenn ich die verschrumpelten kleinen Blaubeeren, die du deine Nüsse nennst, nicht erst hätte suchen müssen.«
Drew löste die Situation auf. »Alles klar ihr zwei, guter Kampf. Nun ja, trotzdem gut für euch beide. Lasst uns sehen, was Kristen und Keith so drauf haben.«
Kristen hoffte, dass dieser Kampf eher eine Ausnahme darstellte und nicht die Regel.
»Frischling gegen Küken«, sagte Butters. Irgendwie klang es gar nicht so schlecht wie er es so ausdrückte.
Ihr Gegner trat in die Mitte des Raumes. Er setzte seinen Zahnschutz ein und schlug die Hände zusammen.
Sie nickte, verbeugte und stellte sich ihm gegenüber.
»Und los!«, gab Drew das Kommando.
Sollte Keith jemals Vorbehalte gegenüber einem Mädchen gehabt haben, so waren sie schon längst vergessen. Er griff sofort an und schlug zu, sobald er in Reichweite kam. Sie wich ihm aus und wollte sich mit einem Schlag rächen, aber er war größer als sie und deshalb außer Reichweite.
Er versuchte einen weiteren Schlag zu platzieren, aber sie blockte ihn ab und schon schoss ihm ein Bein in die Rippen.
Er grunzte und machte vom Aufprall einen Schritt zur Seite, aber ganz so leicht konnte sie nicht gewinnen. Seine beiden Fäuste landeten mit voller Wucht auf ihrem Rücken, um sie ins Straucheln zu bringen, aber zu Boden ging sie nicht.
Kristen hatte mit ihrem Bruder gekämpft, seit sie ein kleines Mädchen war. Ihr jetziger Gegner war offensichtlich stärker, aber er war nicht mit Brians Masse zu vergleichen, wenn dieser versuchte ihr die Luft aus den Lungen zu quetschen.
Den Abstand zwischen ihnen nutze sie, um vorwärts zu preschen, ging kurz nach links, um einem Schlag auszuweichen und platzierte einen sauberen Aufwärtshaken an seinem Kiefer, stark genug, um den Mann auf seinem Hintern landen zu lassen.
Keith wollte nicht unten bleiben, aber aufstehen war auch nicht drin. Er versuchte es zwar, fiel aber wieder hin.
»Sie hat ihm die Balance aus dem Leib geprügelt«, rief Butters begeistert aus.
»Das glaube ich verdammt noch mal nicht«, fügte Jonesy hinzu, als ob sein Gemotze tatsächlich zu einem Gespräch beitragen könnte.
Kristens Gegner schaffte es schließlich doch, wieder auf die Beine zu kommen – technisch gesehen gab es keine Entscheidung, aber Drew sprach den Kampf Kristen zu.
»Lass mich mal eine Runde mit Red«, leckte Jonesy sich die Lippen. Es schien, als hätte Hernandez nur gedroht, seine Nüsse zu zerquetschen. Er sah beeindruckend aus, als er vor sie trat und seinen Kopf von einer Seite zur anderen neigte, um seinen Nacken zu lockern.
Drew schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall, Jonesy, nicht heute. Sie hat ein Hühnchen mit mir zu rupfen.«
Zu ihrer Überraschung trat jetzt der Teamleiter vor sie hin.
Sie schluckte. Keith war groß, zwar kleiner als Beanpole, aber breiter und auch definitiv breiter als Jonesy. Aber verglichen mit Drew gehörte er nur zum Durchschnitt. Dieser Mann hier gab ihr das Gefühl, als stünde sie vor einer Wand oder vielleicht vor einem Gorilla – oder noch besser, einem gemauerten Gorilla.
»Bist du bereit?« Er schob den Zahnschutz in den Mund.
Mehr als nicken konnte sie nicht.
»Ich gebe jedem von euch eine Quote von 3 zu 1, jeden Betrag, wenn er auf die Rothaarige setzt.« Plötzlich war eine Handvoll Bargeld in Hernandez’ Hand.
»Ich setze fünfzig Mäuse, aber du musst mir fünf zu eins geben«, konterte Butters.
»In Ordnung!«, grinste die Frau.
Kristen wusste nicht, ob sie sich jetzt geschmeichelt fühlen sollte, weil Butters Geld auf sie gesetzt hatte oder eher beleidigt, weil er eine Quote von fünf zu eins gefordert hatte, um genau das zu tun.
»Ich habe hier zwanzig Mäuse, die behaupten, dass Red in zwanzig Sekunden untergeht«, sagte Jonesy und warf das Geld auf die Matte.
»Sie ist eine Kämpferin.« Beanpole legte einen Zwanziger dazu. »Mein Geld sagt, sie schafft es eine Minute.«
»Zehn Sekunden.« Hernandez legte einen Zwanziger auf den Haufen.
»Eine Minute dreißig«, Butters zwinkerte Kristen zu. »Ich muss meine Wette schließlich absichern.«
»Bereit?«, brummte Drew um seinen Zahnschutz herum. Sie wusste nicht, ob er sie oder Keith angesprochen hatte, der auf den Geldstapel starrte, aber dabei unfähig schien auch eine Zeit zu wählen, nachdem er schließlich schon gegen sie verloren hatte.
Sie nickte wieder.
Drew stürmte vorwärts.
Kristen versuchte, ihre Größe zu ihrem Vorteil zu nutzen und rannte wieselflink davon, in der Annahme, dass er langsamer war als sie.
Das stellte sich als Irrtum heraus.
Er kam ihr nach und ließ sie an Bergziegen denken, die – obwohl sie meist fünfzig bis achtzig Kilogramm wogen – auf nur wenigen Zentimetern Felskante balancieren konnten.
Als sie versuchte, um ihn herumzukommen, reagierte er mit einem Schlag und sie war gezwungen, stehenzubleiben und zu blocken. Es war, als würde man von einem Dampfhammer getroffen, der von einer Kanone abgefeuert wurde – außer dass diese persönliche Kanone über einen Schnellfeuer-Modus verfügte. Er schlug wieder und wieder auf sie ein, jeder Schlag war kraftvoll und kam aus einem etwas anderen Winkel und sie merkte, dass er ihre Abwehr auf die Probe stellte.
Kristen fing jeden Schlag mit den Armen ab und fühlte die Schläge direkt in den Knochen.
Bei seinem vierten Schlag – dem fünften oder vielleicht sogar neunten, sie hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen – war sie nicht sicher, warum er zurückging, aber sie ahnte, dass er es auf ihren Bauch abgesehen hatte.
Sie war flink auf den Beinen, bewegte sich aus dem Weg und schlug ihm mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, in die Niere.
Drew grunzte und verpasste ihr mit beiden Händen einen Schubs nach hinten.
Beinahe wäre sie gestürzt, aber sie schaffte es, sich auf den Beinen zu halten. Das war ein gutes Zeichen. Ein Schubser bedeutete, dass er Abstand gewinnen wollte, was sie vermuten ließ, dass sie ihn eingeschüchtert hatte... vielleicht.
»Guter Schlag. Du bist stark. Für ein kleines Mädchen.«
Er griff wieder an. Diesmal versuchte sie nicht, ihm auszuweichen. Stattdessen wand sie sich zwischen seinen hämmernden Schlägen hindurch und brachte selbst einen an seinem Kinn an. Er beugte sich zurück, um dem Schlag auszuweichen, aber die Überraschung auf seinem Gesicht war deutlich sichtbar. Er hatte geglaubt, er hätte sie am Haken und war jetzt überrascht, dass sie doch auch so nah dran war.
Ohne Zögern ging sie in die Offensive. Es hagelte Schläge auf seine Arme, während sie versuchte, an seiner Deckung vorbeizukommen, um ihn in den Bauch zu treffen, aber es gab kein Durchkommen. Als sie bemerkte, dass sie zu unkonzentriert wurde, traf eine behandschuhte Faust sie am Ohr und ließ sie stolpern.
»Du bist gut und schnell.«
Kristen beschloss, dass sie genug von seinen spärlichen kleinen Komplimenten hatte. Sie stürzte sich erneut in den Kampf und täuschte ein paar Mal an. Drews Block war fies und sie fiel auf ein Knie, versuchte aber sogleich, ihm die Beine wegzufegen.
Er sprang über diesen Kick, als hätte er ihn schon aus einer Meile Entfernung kommen sehen. Bevor sie wieder auf die Beine kommen konnte, stieß er sie von hinten an und sie lag mit dem Gesicht voraus auf der Matte.
Schnell stand sie wieder auf ihren Beinen, aber leider nicht schnell genug. Als sie sich Drew wieder zuwandte, sah sie nur noch eine behandschuhte Faust auf sich zukommen. Diese erwischte sie im Gesicht und sie verlor den Boden unter den Füßen, genau wie vorher Keith.
Die Matte bot keinen Schutz und bevor sie sich überhaupt bewegen konnte, saß Drew schon auf ihr.
Jonesy zählte: »Eins... zwei... drei!« Es war vorbei.
Drew stieß sich von ihr ab und griff dann nach unten, um ihr hoch zu helfen.
»Das war verdammt beeindruckend«, sagte er, nachdem er seine Handschuhe ausgezogen und den Zahnschutz entfernt hatte.
»Ich denke schon, aber gewonnen hast du trotzdem«, murmelte sie enttäuscht.
»Aber du hast mir 60 Mäuse eingebracht.« Butters sammelte die Scheine ein.
»Du schuldest mir immer noch 50, Butterball, also denk nicht, dass du nett essen gehen kannst oder so.«
Butters gab Hernandez ihr Geld, aber zu stören schien es ihn nicht. »Zehn Dollar reichen immer noch für Hühnchen und Waffeln. Das ist wenigstens eine Sache, die in dieser Stadt richtig läuft.«
Die beiden begannen sich zu streiten, wo man das beste Hühnchen und die leckersten Waffeln bekommt und ob zehn Dollar wirklich ausreichen würden, um das Essen zu bezahlen. Kristen ignorierte die beiden. Sie fühlte sich beschissen. Sie hatte wirklich gehofft, sie könnte gewinnen.
Drew fixierte sie und sprach sie direkt und ohne Spott an. »Ernsthaft, du hast echtes Potenzial. Du bist offensichtlich noch ungeschliffen, aber wenn du bereit bist, dich zu engagieren, kannst du mich vielleicht eines Tages schlagen.«
»Zu mir hast du das noch nie gesagt«, jammerte Keith.
»Weil das nicht wahr wäre, Frischling«, warf Jonesy ein.
»Aber ganz ehrlich, Kristen. Du magst das Zeug dazu haben, aber es wird nicht schnell gehen und es wird nicht einfach werden.« Drew starrte Kristen an. »Du wirst viel Arbeit investieren müssen.«
»Sir, langsam und einfach wollte ich nie. Ich bin zur Polizei gegangen, weil ich arbeiten wollte. Mein Vater hat diesen Job dreißig Jahre lang gemacht. Mein Ziel ist es, ihn so stolz zu machen, dass er ein bisschen eifersüchtig wird.«
»Sogar wenn das bedeutet, jeden Tag einen Arschtritt zu bekommen?«
Kristen musste grinsen. Wenn es das war, was man einen Arschtritt nannte, konnte sie damit umgehen. Die Gummigeschosse hatten ihr wehgetan und ja, ihr Stolz war verletzt worden, nachdem er sie auf die Matte gezwungen hatte, aber das bedeutete nicht, dass sie aufgeben würde.
Nicht jetzt und auch nicht später.
Die Übungen für das gewaltsame Eindringen waren hart gewesen, aber sie war bereit für jede Herausforderung. Die Polizeiakademie war schwer gewesen, aber sie hatte trotzdem mit Bravour bestanden. Vielleicht würde das SWAT-Team endlich die Herausforderung darstellen, nach der sie ihr ganzes Leben lang gesucht hatte.
»Sir, wenn das als Arschtritt zählt, dann seien Sie aber auch nicht sauer, wenn ich Ihnen irgendwann auch mal in den Arsch trete.«
Schließlich lächelte Drew – das tat er tatsächlich – und schlug die Hände zusammen. »Gut. Noch mal von vorn. Deine Augen müssen meinen folgen. Das wird dir helfen, meine Bewegungen zu erahnen.«
Sie gingen wieder an die Arbeit und sie versuchte – und scheiterte letztendlich daran – seinen Körper so zu bearbeiten, wie er den ihren. Als sie dann endlich fertig waren – gefühlt viele Stunden später – fühlte sie sich gut, aber erschöpft. Ihre Rippen schmerzten und sie wusste, dass sie, egal wie schnell sie heilte, dieses Training am nächsten Morgen spüren würde.