Kapitel 7
D er ausgemusterte SWAT-Van fuhr auf den Parkplatz und machte trotz der holprigen Schotterpiste keine Anstalten zu bremsen. Wie Jonesy in den Besitz des Fahrzeugs gekommen war, wollte Kristen nicht einmal erraten. Sie hoffte, dass Captain Hansen, wie auch immer er seinen fahrbaren Untersatz erworben hatte, zumindest ein Auge darauf hatte. Im Hinterkopf hatte sie Visionen, wie er sich in ein Parkhaus schlich und den Van von Hand ankurbelte, aber sie redete sich ein, dass das reine Fantasie wäre. Hoffentlich.
Sie waren in der alten Klapperkiste meilenweit gefahren, angeblich zu einer Bar, aber nun registriere Kristen, dass sie davon weit entfernt waren.
»Ich dachte, wir wollten einen angenehmen, entspannten Abend verbringen. Eine Softair-Runde klingt nicht gerade entspannend«, sagte sie zu Keith, bevor der Van über eine Bodenwelle rauschte und sie sich ihre roten Haare aus dem Gesicht wischen musste. Sie und Keith saßen hinten im Van – zusammen mit Hernandez und Butters – auf einer Bank an der Seite und ausgestattet mit ausgesprochen unscheinbaren Sicherheitsgurten. Jonesy und Beanpole saßen vorn.
Kristen hatte sich für Jeans und flache Schuhe entschieden. Sie hatte seit Jahren davon geträumt, für die Polizei zu arbeiten, also waren ihr Hosen schon lange lieber als Röcke. Das hier war trotzdem eine Überraschung, nachdem sie zur ›Happy Hour‹ an ihrem ersten Donnerstag im Job eingeladen worden war. Sie dachte, ihr neues Team wüsste einen Ort, an dem es anständige Getränke gab.
»Wir entspannen uns danach«, sagte Keith und versuchte, seine Stimme hart klingen zu lassen.
»Ganz sicher nicht«, meinte Hernandez. Außer dem einen Moment in der Umkleidekabine hatte diese Frau Kristen immer noch nicht sonderlich freundlich behandelt. Ein bisschen tröstlich war, dass sie auch sonst niemandem viel Respekt entgegenbrachte. »Keith hat eine Woche lang geflennt wie ein Baby. Er winselte, die Striemen auf seinem Pompis seien soooo schmerzhaft. « Sie schlug sich auf den Hintern, um den spanischen Ausdruck zu erklären, ehe Hernandez Kristen anstarrte. »Wir werden sehen, ob du das besser kannst.«
»Glaubst du wirklich, ich habe noch nie Softair gespielt?« Das waren natürlich nur Sprüche, aber das musste ja keiner wissen.
»Du siehst aber so aus, als ob du bisher lediglich Pilates und CrossFit gemacht hättest«, höhnte Hernandez mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Ob das eine Beleidigung sein sollte, war nicht klar zu erkennen. Hernandez jedenfalls kicherte, als würde Kristen ein beleidigtes Gesicht ziehen.
»Hab keine Angst vor Hernandez. Höchstwahrscheinlich sprengt sie sich da draußen eh mal wieder in die Luft», sagte Butters beschwichtigend.
»Oh, halt bloß die Klappe, Butters. Wir wissen beide, dass du das leichteste Ziel auf dem ganzen verdammten Feld bist.«
»Was wir alle wissen, ist, dass ich trotz meiner Liebe für alles Frittierte viel früher Treffer platzieren werde.« Er tätschelte seinen großen, runden Bauch, als wäre das nur ein Witz, aber Kristen war begierig darauf, den Scharfschützen in Aktion zu sehen, auch wenn er nur Softair-Pistolen benutzen würde.
Der alte SWAT-Van hielt mit einem Ruck an und nach einem kurzen Moment öffnete Jonesy schwungvoll die Tür und zeigte damit den verwahrlosten Zustand seines Fahrzeugs deutlich auf.
»Seid ihr Arschlöcher jetzt bereit oder was?«, grinste der Sergeant.
»Pass auf, was du sagst, Jonesy, eine Dame ist anwesend«, sagte Hernandez und drängte sich an Kristen vorbei.
Kristen kletterte als Nächstes aus dem Wagen. Während sie auf Keith und Butters wartete, stieg Beanpole vorne aus.
»Bist du bereit, den Abend zu genießen?«, fragte er Kristen freundlich. Seine ständige Höflichkeit stand im Widerspruch zu allem anderen.
»Die große Schlacht beginnt in zehn Minuten«, brüllte eine Stimme aus der Lautsprecheranlage.
»Geil! Wir haben noch genug Zeit, schnell in einen Anzug zu schlüpfen«, sagte Jonesy, holte die Softair-Pistolen hinten aus dem Van und verteilte sie. »Ich regele das mit den geldgierigen Bastarden, während ihr euch umzieht. Wer von euch Schwächlingen will ein Leinenhemd?« Er deutete auf den Stand, an dem sie für die Benutzung der Anlage bezahlen mussten.
Hernandez zeigte mit dem Daumen auf Kristen. »Weiße Mädchen brauchen das.«
»Noch jemand?«, fragte er.
Butters kicherte. »Meine Größe haben die sowieso nicht!«
»Nein, danke«, sagte Beanpole.
»Keith?« Jonesy hob fragend eine Augenbraue.
»Du weißt… Sir. Ich will kein Hemd, es sei denn, du rätst mir...«, stammelte Keith vor sich hin, bis Jonesy ihm das Wort abschnitt.
»Ja, ja, ja. Verdammt noch mal, du kleiner Arschkriecher. Ich nehme keines, also bekommst du auch keines. Also nur Red?«
»Brauche ich nicht«, sagte Kristen schnell.
Er lächelte. »Bist du dir sicher? Diese Waffen entsprechen dem gesetzlichen Limit ganz genau. Die Scheiße brennt wirklich.«
»Nach welchen Regeln wird gespielt?«, fragte sie unsicher in der Hoffnung, dass es unterschiedliche Regelwerke gab und ihr Schwindel nicht aufgedeckt würde.
»Jeder hat neunzig Sekunden, um die gewünschte Position zu erreichen, dann komme ich und knall dich ab, dann haben alle freie Bahn«, erklärte Jonesy. »Wenn du getroffen bist, hisst du deine Totenflagge, damit keiner auf dich schießt, während du dich an die Seitenlinie verdrückst.« Er warf ihr ein rotes Halstuch zu. »Wer als Letzter steht, hat gewonnen.«
»Oder als Letzte«, meckerte Hernandez.
»Oder so. Das glaube ich aber erst, wenn ich es sehe«, blaffte Jonesy zurück und eilte los, um für ihre Teilnahme zu bezahlen, während der Rest des Teams die Waffen überprüfte und die Schutzbrillen aufsetzte.
Ein paar Minuten später ertönte ein Horn und alle rannten in die Arena.
Kristen musste zugeben, dass sie cool aussah. Das Gelände war etwa so groß wie ein Fußballfeld, gefüllt mit Bauten aus Holzpaletten – eines davon war sogar mehrstöckig – mit Fässern und sogar ein Paar ausgebrannte Müllcontainer standen in der Mitte. Es fühlte sich herrlich post-apokalyptisch an, hier herumzulaufen, ihren Kollegen zu entkommen und sich gegenseitig zu jagen.
Außer, dass sie noch nie etwas gejagt hatte, das auch hinter ihr her war.
Das Horn ertönte wieder und das weiche Plop-Plop-Plop der Softair-Waffen war in der Arena zu hören. Sie musste sich ducken und hinter einen Palettenstapel rutschen, um nicht getroffen zu werden, kam aber leicht wieder auf die Beine. Zum Glück hatte sie fast jede bekannte Sportart ausgeübt, also war es für sie selbstverständlich, auch mal durch den Dreck herumzurutschen.
Sie hielt den Lauf ihres Gewehrs durch die Paletten und versuchte ein Gefühl dafür zu bekommen, wo sich die anderen befanden. Es gab auch andere Leute in der Arena – hauptsächlich Jugendliche und einige Möchtegern-Jäger – aber die waren ihr egal, da schnell klar war, dass ihr Team das Spiel dominieren wollte.
Ein riesiger Schatten bewegte sich durch die oberste Ebene einer der Palettenkonstruktionen. Butters?
Er musste es sein. Jeder, der sich dem Bauwerk näherte, wurde in genau der Sekunde abgeknallt, in der er seine Waffe anhob.
Kristen würde ihn sich für später aufheben.
Fürs Erste musste sie...
»Ergib dich!« Keith hatte seine Waffe auf ihren Rücken gerichtet. Er hatte sich von hinten angeschlichen, während sie versuchte, ein Gefühl für das Spielfeld zu bekommen.
»Wie soll das gehen?«, fragte sie und drehte sich langsam zu ihm um.
»Du, äh... ergibst dich?«
Sie grinste ihn frech an. Keine Chance.
In der Hoffnung ihn unvorbereitet zu erwischen, rollte sie sich ab und versuchte, ihre Waffe in Position zu bringen, aber er hatte sie bereits im Visier. Sie musste die Waffe noch anheben und zielen, während er nur noch abdrücken musste. Natürlich tat er das und feuerte Dutzende von winzigen Kügelchen ab, die mit Hunderten von Metern pro Sekunde auf sie zuschossen.
Kristen blockierte sie mit ihrer Waffe – und zwar alle. Sie hielt einfach ihre Waffe hoch und lenkte die Kugeln ab, bis Keith – sein Unterkiefer hing vor Erstaunen praktisch am Boden – das Feuer einstellte. Während er sie völlig geschockt anstarrte, hob sie ihre Waffe und schoss ihm in die Brust.
»Au, Scheiße! Okay, okay. Du hast mich erwischt«, jammerte er und rieb sich die Brust, während er zur Seite ging und murmelte: »Ausgerechnet auf die verdammte Brustwarze. Autsch.«
Kristen grinste breit, aber ihr war auch bewusst, dass sie ihre erste Lektion in Sachen Softair hatte lernen müssen. Ähnlich wie in einem realen Kampf war es reiner Selbstmord, irgendwo still sitzen zu bleiben. Sie hatte keine Ahnung, wo sich der Rest von ihnen befand, aber weil sie davon ausging, dass Butters wahrscheinlich im Turm war, sprintete sie in diese Richtung und nutzte Paletten und Fässer als Schutz. Sie hatte einen Riesenspaß. Es war merkwürdig, im Grunde machte sie genau das, was sie die ganze Woche über getan hatte – durch die Tarnungsmöglichkeiten sprinten, Orte infiltrieren und vorgeben, gegen Feinde anzutreten – und doch fühlte es sich mit einer Spielzeugwaffe in der Hand so gar nicht nach Arbeit an.
Vielleicht konnte sie auf dem Weg zum Turm noch mehr von ihrem Team finden.
»Leck mich, Beanpole!«, schrie Jonesy, als er aus einem der Müllcontainer sprang und auf den anderen Mann schoss, der verzweifelt versuchte, seinen Boss zu überwältigen.
»Oje, es reicht, es reicht!«, protestierte Beanpole lautstark, während er unter Beschuss stand.
»Hey, Sergeant«, sagte Kristen und hielt ihre Waffe schussbereit hoch.
Der Gesichtsausdruck des dünnen Mannes, während er sich umdrehte und registrierte, dass der neueste Rekrut der Truppe bereits Kugeln auf seine Brust abfeuerte, war unbezahlbar. Jonesy war zuerst schockiert, dann entsetzt und schließlich ein bisschen erstaunt, bevor er aufrichtig lächeln musste.
»Du hast mich verdammt noch mal erwischt«, sagte er und rieb sich die Brust, wo die Kügelchen eingeschlagen waren. »Bleiben noch zwei. Wenn du das hier gewinnst, bist du offiziell härter als Keith oder Hernandez.«
Sie hörte kaum noch zu und rannte bereits in Richtung des Palettenturms, auf dem sich Butters versteckte. Wenn sie nicht hineinkam, gab es keine Möglichkeit, ihn zu erwischen.
Sie schlich von einem Fass zu einem weiteren Palettenstapel und robbte schließlich hinüber.
Es fielen Schüsse und sie krabbelte hinter einem Fass hervor. Verdammt, er hatte sie doch gesehen.
Jetzt wieder auf den Beinen sprintete sie zur nächsten verfügbaren Deckung – zwei Fässer mit einem dritten obendrauf – aber es war zu weit. Ihr Gegner feuerte gezielt und Kristen – die sich jetzt nicht mehr zu verstecken brauchte – nahm ihre Waffe wieder hoch und benutzte sie noch einmal zum Blockieren der Kugeln.
Die Salve der wildesten Schimpfworte, die aus dem zweistöckigen Palettengebäude herunterprasselte, bestätigte deutlich, dass sich der Südstaatler tatsächlich da drin befand. Sie dachte nicht, dass irgendjemand anders das Wort ›deklarieren‹ mit so viel Gefühl und Nachdruck verwenden könnte, wie er es getan hatte.
Kristen schaffte es zu den drei Fässern und hielt inne, um Luft zu holen.
»Komm raus und ich frittiere dich wie einen Hähnchenschenkel«, brüllte Butters aus seinem Versteck.
»Du solltest wohl eher zu mir kommen. Macht das ein Südstaaten-Gentleman nicht so?«, schrie sie als Antwort.
»Warum sollte ich so etwas Blödes tun?«
»Weil ich dich erwischt habe, Butterball.« Jemand befand sich im unteren Teil des Turms. Kristen hatte Hernandez völlig vergessen. Die Frau stürzte hinter dem zweistöckigen Gebäude hervor und lachte wahnsinnig, als im Inneren etwas ertönte, das wie eine Reihe von Silvesterkrachern klang.
Nur hätten diese Kracher nicht das gesamte Bauwerk zum Knarzen und schließlich zum spektakulären Einsturz bringen können. Ein herrlicher Blitz schoss aus der unteren Etage, gefolgt von lautem Knacken des Holzes und schon kam die gesamte Konstruktion herunter. Noch bevor sich der Staub gelegt hatte, stürzte Kristen hinein, fand Butters inmitten der Einzelteile und zielte mit ihrer Waffe auf seinen großen Bauch. »Ergibst du dich jetzt?«
»Ha-ha, nein. Nicht jemandem, dem gleich in den Rücken geschossen wird.«
»Scheiße!« Kristen warf sich auf den Haufen zerbrochene Paletten unter ihr, als Hernandez das Feuer eröffnete. Es war eindeutig ihr Fehler gewesen, anzunehmen, dass die Sprengstoffexpertin warten würde bis sich der Staub gelegt hat, bevor sie sich auf den Weg machte. Sie hatte die Frau offensichtlich unterschätzt, das würde ihr nicht noch einmal passieren.
Aber was Butters vorher über Hernandez gesagt hatte war korrekt. Obwohl sie eindeutig im Vorteil war, konnte sie Kristen nicht überwältigen. Kristen benutzte erneut ihre Waffe als Schild – und zog den gleichen verwirrten Blick auf sich, den sie von allen anderen, die sie dabei beobachtet hatten, erhalten hatte – und erschoss auch die Sprengstoffexpertin.
»Okay, okay. Du hast mich verdammt noch mal erwischt.« Hernandez warf ihre Todesflagge angeekelt in die Höhe.
Kristen nahm sich keine Zeit, sich zu freuen. Stattdessen drehte sie sich um und erschoss auch noch Butters.
Zuerst grunzte er vor Schmerz, fing dann aber schnell an zu lachen. Sie wussten beide, dass er es verdient hatte, weil er nach seiner Waffe gegriffen hatte, während sie anderweitig beschäftigt war.
Sie half ihm auf die Beine und sie machten sich auf den Weg aus der Arena.
Die Polizisten trafen auf den Besitzer, Manager oder Betreiber des Platzes, der Hernandez anblaffte. »Ich habe dir gesagt, du hast Hausverbot, verdammt. Wir machen euch für den Schaden haftbar, den ihr verursacht habt.«
»Welchen Schaden? Sie hat lediglich einen Haufen beschissener Paletten umgeworfen«, argumentierte Jonesy.
»Diese Scheiß-Paletten waren versichert.«
»Zeig uns die Papiere«, sagte Kristen. »Es würde mich sehr interessieren, wie diese Konstruktion die offizielle Kontrolle bestanden hat.«
Der Sergeant hob eine Augenbraue. Das war beinahe so, als hätte er sie schon die ganze Woche wegen ihrer guten Arbeit gelobt. Aber wie immer sagte er gar nichts und wandte sich stattdessen an den verärgerten Manager. »Ich habe deine Papiere hier«, sagte er und klatschte ein Bündel Zwanziger auf den Tisch.
»Die erste Runde war bereits mit Karte bezahlt...«, sagte der Manager vorsichtig.
»Und auch die zweite Runde. Das hier gibt es nur, damit du dich immer an die Nacht erinnerst, in der ein verdammter Neuling das, was ich für die beste Truppe unter den Detroiter SWAT-Einheiten gehalten habe, in einem kleinen privaten Match geschlagen hat.«
Der Mann nickte und machte keine Anstalten, die Zwanziger zu zählen. Der Stapel war dick genug, dass es nicht nötig war. »Das sollte die Paletten abdecken...«
»Das ist verdammt noch mal wesentlich mehr«, sagte Hernandez.
Er sah sie nur mürrisch an. »Das betrifft nicht dein Hausverbot. Wir haben das schon besprochen, Mister Jones, sie darf keine Bomben mitbringen.«
»Das nennst du Bomben? Hätte ich eine Bombe mitgebracht, hättest du es bis in deine verkackte Hütte am Eingang gemerkt«, protestierte die Sprengstoffexpertin wütend.
»Ist in Ordnung. Ich wollte sowieso einmal aussetzen. Du kannst mir Gesellschaft leisten«, sagte Jonesy.
Sie schaute finster drein, lehnte aber nicht ab.
»Was sagt ihr dazu? Wollt ihr Jungs eine Revanche?«, fragte Kristen selbstbewusst. Trotz des intensiven Spiels war sie nicht wirklich ins Schwitzen gekommen, sondern hatte sich lediglich aufgewärmt. Es fühlte sich viel zu gut an, die Leute zu erschießen, die ihr die ganze Woche über Fehler vor die Nase gehalten hatten.
Butters warf einen Blick auf Beanpole, der nickte. Beide Männer sahen Keith an, der unentschlossen von einem Mann zum anderen blickte, bis Butters sich schließlich räusperte.
Sie verstand was die drei im Sinn hatten, bevor Keith es tat – wir machen die Neue fertig und so. Das war für sie in Ordnung. Sie hatte gewusst, dass das die Art von Behandlung war, die auf sie zukommen würde, sowohl als Anfängerin als auch als Frau. Womit sie nicht gerechnet hatte, war, dass sie beim ersten Mal bewaffnet sein würden. So wie die Dinge aktuell standen, hatte sie fast Mitleid mit ihnen.
»Es sei denn, ihr seid feige Hühner?«
»Der Einzige von uns der Angst hat, bin ich und das nur, weil ich einiges zum Mittagessen hatte«, kicherte der untersetzte Mann, aber es klang hohl. Oh ja, die drei hatten definitiv vor, sich zusammenzurotten und sie ein oder zweimal zu erledigen – oder es zumindest zu versuchen.
Das Horn ertönte und sie sprinteten wieder in die Arena. Sie war bis auf den Schutthaufen am hinteren Ende unverändert.
Die Jungs trennten sich sofort und sie hatte keine Zweifel an ihrer Strategie. Butters würde versuchen in Position zu gehen, während die anderen beiden sie ablenken sollten.
Fürs Erste hatte sie ein Auge auf den Scharfschützen geworfen. Er verschwand zwischen den Mülltonnen, die einzige Möglichkeit in der Arena, die groß genug war, seine Körperfülle komplett zu verbergen.
Die beiden anderen hatten in aller Eile bereits mehr oder weniger geeignete Positionen gefunden. Keith duckte sich hinter ein paar Fässern und Beanpole hinter eine Wand aus Paletten, die seine Größe aber in keinster Weise komplett verbergen konnte. Sie hätte ihn für dumm gehalten, wenn sie nicht gewusst hätte, dass die beiden sie absichtlich zum Angriff provozieren wollten.
Nun, der beste Weg einen Feind zu besiegen, war, seine Stärken als Schwächen zu nutzen, also spielte Kristen in ihren kleinen Hinterhalt hinein. Sie näherte sich kriechend bis Keith sie erblickte und das Feuer eröffnete. Schnell rollte sie sich hinter einen Stapel Paletten, fand eine lockere, hob sie mit ihrem linken Arm an und schwang sie wie einen Schild.
Keith keuchte auf – er keuchte tatsächlich – als sie die Palette mit einer Hand schwang. Sie nutzte die Gelegenheit, die seine Verwunderung ihr gab, um Kugeln auf ihn regnen zu lassen. Ihre Genauigkeit ließ zu wünschen übrig, da sie nur eine Hand zum Feuern hatte, sodass sie statt eines kleinen Kreises auf seiner Brust die Einschüsse auf seinem gesamten Oberkörper, seinen Beinen und seinem Gesicht platzierte.
Er fiel um und stöhnte vor Schmerzen.
Einer weniger. Ein Bier ausgeben, notierte sie gedanklich. Obwohl ihr erfolgreiches ›Töten‹ sehr befriedigend war, hatte sie nicht vorgehabt, ihn im Gesicht zu treffen.
Beanpole schoss auf sie bevor sie die Palette zum Blocken anheben konnte und eines der Geschosse prallte von ihrem Arm ab. Zählt das als Treffer? Sie hatte kaum etwas gespürt, war sicher nur ein Streifschuss.
Kristen brachte die Palette in Position, bevor der große Mann weitere Schüsse landen konnte, aber das war natürlich genau das, worauf Butters gewartet hatte.
Eine Salve von Geschossen kam auf sie zu. Sie hatte kaum Zeit, um sich auf den Bauch werfend in Deckung zu gehen.
»Das ist schlichtweg unmöglich«, schrie der Scharfschütze.
Sie hatte keine Ahnung, wovon er sprach – die Geschosse waren nicht so schnell gewesen und sie nahm an, dass seine Waffe wohl zu wenig Druck oder so hatte – aber verstehen konnte sie seine Überraschung nicht.
Auf allen Vieren kletterte sie auf Beanpole zu, ging in die Hocke, zielte und feuerte auf ihren großen Teamkollegen.
»Ich ergebe mich, bitte! Wir machen das bei den Neuen immer so, nicht nur bei Mädchen«, rief er und hob seine Waffe mit seiner Todesflagge in der Hand nach oben. Die Striemen am Hals und an der Brust berührte er vorsichtig mit der anderen.
In diesem Moment war ihr das ehrlich gesagt egal. Sie wollte einfach nur gewinnen und es war nur noch eine Person übrig.
»Bis zum Tod«, rief Butters.
Kristen schüttelte den Kopf, das war jetzt sein Fehler. Sie vernahm das Echo seiner Stimme, was bedeutete, dass das buchstäblich wie das Erschießen von Fischen in einem Fass enden würde.
Sie näherte sich den Müllcontainern und fand – wenig überraschend – heraus, dass Butters nicht dazwischen stand.
»Ohhhhh, ich frage mich, wo Butters hin ist?«, sagte Kristen so laut sie konnte, ohne dass es sich zu offensichtlich anhörte.
»Hier bin ich, du Yank-« Er konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. Sobald er sich in dem Müllcontainer, in dem sie ihn bereits vermutet hatte, erhoben hatte, ließ sie kleine Kugeln auf seinen Riesenbauch regnen.
Sofort brach er in seinem Versteck mit einem donnernden Scheppern zusammen, das durch die gesamte Arena hallte.
Der Ton wurde schnell von Jonesys schallendem Gelächter verschluckt. »Das war verdammt gut, Red! Ich bin froh, dass ich das ausgesessen habe.«
Kristen lächelte und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
Butters holte sie ein. »Hey, das war nicht fair«, sagte er. »Du wurdest getroffen.« Er zeigte auf ihren Arm.
»Ich dachte, du sagtest, es sollte wehtun.«
»Das sollte es«, sagte Beanpole. Er und Keith warteten am Ausgang auf sie und beide waren über und über mit Striemen bedeckt.
»Nächstes Mal nehme ich wohl lieber doch das Hemd«, sagte Keith schwach.
Jetzt lachte Jonesy sogar noch lauter als vorher.
Sie lächelte lediglich. Die Eskapaden heute Abend – und der abschließende Erfolg – ließen sie hoffen, dass sie es doch noch in dieses Team schaffen würde.