Kapitel 13
Z urück im Büro, schlüpfte Kristen als Erstes unter die Dusche. Sie wusste, dass sie sich in der vergangenen Situation gut geschlagen hatte. Aber das bedeutete nicht, dass es sich nicht um harte Arbeit handelte, die sie genug ins Schwitzen gebracht hatte, um ihre Kleidung zu durchnässen. Bevor sie jedoch in der Umkleidekabine ankam, rief Captain Hansen aus ihrem Büro durch das Revier. »Hall, reinkommen.«
Mit einer unwilligen Grimasse – aber entschlossen, ihren bisher fast perfekten Tag fortzusetzen – gehorchte sie dem Befehl.
Sie betrat das Büro ihrer Vorgesetzten und hielt sofort inne, weil sie zwei Fremde dort sah. Allein deren Anwesenheit war schon ungewöhnlich, aber noch seltsamer war die Tatsache, dass einer von ihnen auf Captain Hansens Stuhl saß, während der andere – noch verwirrender – rauchte.
»Hall, das sind unsere Gäste, Mister Lyra und Miss Damos«, erklärte Hansen. Obwohl jemand anderes an ihrem Platz saß, verhielt sie sich als wäre scheinbar alles wie immer.
»Eine Freude, Sie kennenzulernen, Kristen Hall«, sprach Mister Lyra vom Stuhl des Captains. Er trug einen schwarzen Anzug mit einer silbernen Krawatte und – das war wirklich schräg – ein Seidenhemd mit aufwendigen Manschetten und Rüschen an der Knopfleiste, die unter seinem Jackett hervorquollen. In ihren Augen sah er aus wie ein Profipirat, ein besserer Ausdruck fiel ihr nicht ein.
Miss Damos nickte ihr anerkennend zu: »Wir haben schon so viel von Ihnen gehört.« Sie trug ein grellviolettes Kostüm mit einem roten Schal. Beide Farben waren einzeln schon viel zu bunt für die SWAT-Büros, aber zusammen taten sie beinahe in den Augen weh. »Captain, ein Aschenbecher?«
»Ja, hier ist der verdammte Aschenbecher«, sagte Captain Hansen, brachte den Papierkorb herüber und hielt ihn, während die Miss die Asche ihrer Zigarette abklopfte.
Kristen hatte keinen Zweifel daran, dass die beiden Gäste Drachen waren. Zum einen würde sich sonst niemand so kleiden, zum anderen war ihren langsamen und fast lethargischen Bewegungen eine große verborgene Kraft anzumerken. Dann war da noch die Tatsache, dass ihre Chefin einem von ihnen erlaubte, auf ihrem Stuhl zu sitzen. Drachen umgab eine Aura, welche die meisten Menschen dazu brachte, ihren Wünschen zu gehorchen. Sogar die mit starkem Willen – wie Captain Hansen – gehorchten, murrend aber mit Haltung, das war ganz normal.
Nichts davon konnte Kristen jedoch beeindrucken. »Was zum Teufel kann ich für Sie tun?«
Die Besucher tauschten einen Blick und ein Lächeln aus, das Kristen gründlich verärgerte.
»Wir sind nur gekommen, um uns über deine Fortschritte zu informieren«, sagte Mister Lyra und legte seine Füße bequem auf den Schreibtisch.
Der Captain blickte ihn böse an, sagte aber nichts.
»Sie meinen wohl, Sie sind gekommen, um mir endlich zu sagen, was zum Teufel hier los ist?« Kristen warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Was willst du damit sagen?«, fragte Miss Damos und kam näher. Ihre High Heels – die natürlich zum Schal passten – klackten irritierend auf dem Boden.
»Sie sind offensichtlich Drachen. Niemand sonst trägt Rüschen oder was auch immer Sie da in Kombination tragen.« Sie deutete auf die bunten Kleidungsstücke der Frau. »Also, sind Sie hier, um mir zu sagen, warum Sie mich zum SWAT-Team geschickt haben?«
»Aber Kristen...« Als die Besucherin lächelte, wurde klar, dass auch ihre Zähne seltsam waren. Nicht unattraktiv oder so, sondern eher makellos und sichtbar scharf. »Wir hatten nichts mit deinem Einsatzbefehl für hier zu tun. Es war deine harte Arbeit an der Akademie und die Tests, die du bestanden hast, die deinen Platz in der Truppe rechtfertigten. Wir sind nur hier, um uns danach zu erkundigen, wie es dir geht. Die Tests sind leider nicht immer ganz genau.«
»Es geht ihr gut«, bestätigte Captain Hansen ungefragt und unfähig der Bitte der Drachenlady um Informationen zu widerstehen. »Besser als erwartet, in der Tat. Halls Trainingsleistung entspricht aktuell fast den Mindestanforderungen. Ehrlich gesagt erwarte ich das so nicht von Rekruten, die ohne meine Erlaubnis in mein Team gesteckt werden«. Sie hielt einen Moment inne, um die Drachen anzustarren. Es war seltsam zu sehen, wie sie trotz der Macht, die die Geschöpfe ausstrahlten, immer noch versuchte, ihre eigene Meinung kundzutun. Hansen behandelte sie wie die aufdringlichen, unwillkommenen Gäste, die sie waren und doch protestierte sie weder gegen Mister Lyras Füße auf ihrem Schreibtisch noch gegen Miss Damos, die in ihrem Büro rauchte.
»Nun, ich nehme an, das beantwortet dann wohl alle unsere Fragen. Mister Lyra, wollen wir?«
»In der Tat, Miss Damos, wir gehen.«
Damit hob er seine Füße vom Schreibtisch, stand auf und glättete seinen Anzug. Miss Damos löschte ihre Zigarette an der Sohle eines ihrer High Heels – und demonstrierte dabei ein unglaubliches Gleichgewichtsgefühl – warf die Kippe in den Papierkorb und ging voraus.
»Hall, die Tür«, befahl Captain Hansen, als sie ihren Stuhl zurückhatte.
»Ja, Ma’am.« Kristen schloss die Tür zum Büro des Captains.
»Ich hasse diese verdammten Viecher. In ihrer Nähe zu sein, ist wie im Nebel zu stehen. Aber Sie schienen in Ordnung zu sein.«
»Ma’am?«
»Lassen Sie den Scheiß, Hall. Wer zum Teufel sind Sie wirklich und was zum Teufel haben Sie getan, um diese Art von Aufmerksamkeit zu erregen? Ich hatte noch nie einen Drachen in meinem Büro und jetzt waren es gleich zwei. Spucken Sie es aus.«
»Ich weiß es ehrlich nicht.« Sie versuchte nicht mit der Wimper zu zucken, aber sie scheiterte. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Ich habe einen bei einem Konzert getroffen, er schickte mich auf das Testgelände, dann in die Akademie und dann hierher.«
»Es ist also ein Rätsel?«
»Ja, Ma’am, ich nehme es an.«
»Ich hasse Geheimnisse, verdammt noch mal.« Der Captain atmete tief ein und durch die Nase wieder aus. »Und ich mag keine Drachen oder andere, die sich bei meinen Leuten einmischen.«
»Sir, ist das... bin ich einer Ihrer Leute?«
»Oh, kommen Sie schon, Hall, Sie sind jetzt seit Monaten bei uns. Sie haben eine Kugel für Jonesy abgefangen und Hernandez auch irgendwie auf Ihre Seite gezogen. Natürlich sind Sie einer meiner Leute.«
Kristen musste grinsen. Sie konnte ehrlich gesagt nicht anders. »Hernandez hat gesagt, sie mag mich?«
Captain Hansen schnaubte. »Natürlich nicht! Bei Hernandez ist es mehr das, was sie nicht sagt.«
»Natürlich, Ma’am.«
»Ihre Akte spricht für sich selbst. Sie haben sich hier gut geschlagen, aber bei diesen Drachen... Ich will nicht, dass mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird.«
»Ich auch nicht, Ma’am.«
»Nun, ich schätze, wir haben vorerst keine andere Wahl als weiterzumachen. Sie können gehen, Hall.«
»Ja, Ma’am!« Sie drehte sich um, um zu gehen, blieb aber stehen, weil der Captain sich räusperte.
»Oh, und Kristen? Gehen Sie duschen, Sie stinken.«
* * *
»Unsere Anwesenheit hatte keine Wirkung auf sie«, sagte Damos, als sie das Revier verließen.
»In der Tat nicht«, antwortete Lyra.
»Das ist ein Hinweis darauf, dass sie eine von uns ist.«
»Das sage ich, seit sie unsere Tests gemacht hat.«
»Die Ergebnisse waren aber nicht schlüssig.«
»Ein nicht eindeutiges Ergebnis bedeutet, dass sie nicht nur ein Mensch ist, was darauf hindeutet, dass sie ein Drache sein muss.«
»Pah!«, schnaubte seine Begleiterin. »Es gab schon mal Falschmeldungen. Ein nicht eindeutiges Ergebnis bedeutet nur genau das. Selbst wenn sie eine von uns wäre, wo kommt sie her? Wie ist sie entstanden?«
»Du stellst die Fragen, die ich bereits gestellt habe. Erwarte nicht, dass ich jetzt so ganz spontan die Antworten darauf habe.« Er knurrte vor Ärger. Es war ein tiefer Ton, der eher zu einem Tiger oder Bären passen würde als zu einem Menschen, aber der Ton wurde ja auch nicht von einem Menschen erzeugt.
»Die Fragen ihretwegen sind wie Rauch im Wind«, murmelte Miss Damos.
»Deshalb war die Polizeiakademie die richtige Wahl für sie. Wir konnten sie leicht überwachen und sie hat sich dort wie nur wenige Menschen hervorgetan.«
»Und du stehst zu deiner Entscheidung, sie zum SWAT-Team zu schicken?«
»Natürlich tue ich das!« Er mochte die Fragerei nicht. »Schon jetzt kann sie unserer Aura widerstehen. Je mehr Gefahren sie überlebt, desto mehr werden sich ihre Kräfte manifestieren. Wenn sie ein Drache ist, werden ihre Fähigkeiten sie nicht sterben lassen und sie wird nicht wie ein gewöhnliches Tier in der Gosse bluten.«
»Und wenn du dich irrst? Wenn die Tests nicht schlüssig waren, nur weil sie ein wenig begabter ist als die meisten ihrer Artgenossen?«
»Niemand wird über den Verlust eines weiteren Menschen trauern.«
Damos nickte zustimmend.
Gemeinsam legten die beiden Drachen ihre menschliche Gestalt ab und begaben sich in ihrer wahren Gestalt in den Himmel – ein purpurner Drache mit roten Krallen und ein großer schwarzer Drache mit silbernen Kämmen, der den Wind aufnahm und sich hoch über die Stadt anheben ließ. Das Paar hatte aus dem Schatten regiert, seit es Jahrhunderte zuvor von ihresgleichen geschaffen worden war.