Kapitel 14
A ls Kristen das Büro des Captains verließ, wartete Jonesy bereits auf sie. »Was zum Teufel sollte das, Red?«
Sie schob sich an ihm vorbei. »Wenn ich es wüsste, würde ich es dir sagen.«
Er ging hinter ihr her. »Ach, komm schon, Red. Waren diese beiden verdammten Dandys Freunde von dir?«
»Nein.«
»Familie also? Vielleicht ehemalige Chefs?«
Sie erreichte den Pausenraum, in dem sich der Großteil des Teams bereits versammelt hatte. »Ich sage es noch mal, ich weiß es nicht.«
»Was nicht wissen?«, fragte Butters neugierig.
»Wer diese beiden komischen Gestalten waren, die gerade das Revier verlassen haben«, erklärte Jonesy.
»Du musst doch wenigstens eine Ahnung haben«, sagte der Scharfschütze. »Ihre Klamotten verlangen geradezu nach einer Geschichte.«
»Drachen?«, meinte Beanpole zweifelnd.
»Ja, wahrscheinlich.« Kristen holte tief Luft.
»Drachen, hm? Was zum Teufel wollten sie von dir? Eine Modeberatung?«, grinste Hernandez herausfordernd. »Wäre zumindest nötig gewesen, grässliche Farbwahl.«
»Ich habe Jonesy schon gesagt, dass ich nicht weiß worum es geht, okay? Ich habe sie gefragt, warum sie mich zum SWAT geschickt haben, obwohl ich nicht qualifiziert genug bin, aber sie haben mir nicht geantwortet.«
»Du warst nicht qualifiziert, aber jetzt bist du es«, zwinkerte Butters ihr zu.
»Danke, Butters, ich weiß das zu schätzen.«
»Vielleicht ist das der Grund, warum du beim SWAT bist und nicht für die normale Polizei arbeitest. Deine detektivischen Fähigkeiten sind beschissen«, gab Jonesy grinsend zu bedenken. »Du hast wirklich keine Ahnung, warum die Drachen nach dir gefragt haben, Red?«
»Nein, Jonesy, das habe ich wirklich nicht.«
»Vielleicht haben sie mit dir darüber gesprochen, das nächste Mal behilflich zu sein, wenn wir eine Runde Softair spielen gehen.«
»Ich brauche keine Hilfe in Sachen Softair. Ich habe euch alle vernichtend geschlagen, wisst ihr noch?«
Gerade jetzt trat Drew mit Keith auf den Fersen in den Raum und ließ seinen Blick schweifen. »Worum es auch geht, lasst es gut sein.«
»Wir haben wichtigere Dinge, um die wir uns kümmern müssen«, fügte Keith hinzu.
»Halt die Klappe, Frischling.« Trotz der harten Worte lächelte Jonesy.
»Halt du die Klappe, Jonesy«, erwiderte der andere Mann.
»Kinder, es reicht.« Der Blick des Teamleiters brachte alle im Raum schließlich zum Schweigen. »Es kam ein Anruf. Ein Banküberfall läuft gerade und die Kriminellen sind schwer bewaffnet. Wir reden von ernsthafter Feuerkraft, erstklassiger Panzerung und einer Bombendrohung. Also das schlimmste Szenario, dass man sich vorstellen kann, also macht euch fertig und wir treffen uns am Van.«
»Ja, Sir!«, hieß es wie aus einem Munde und das Team verließ den Aufenthaltsraum, um nebenan die Ausrüstung zu holen.
Jonesy marschierte neben Drew. »Glaubst du, es sind diesmal wieder die Breaks?«
»Angesichts der zunehmenden Aktivitäten und der Waffen, die wir in der Pfandleihe gesehen haben, ja. Ich denke schon und das bedeutet, keine Zeit zum Trödeln. Es wurde noch kein Fluchtauto identifiziert, aber es wird erwartet, dass sie einen Fluchtversuch unternehmen wollen.«
»Ah, Scheiße, ja. Ich habe noch ein Hühnchen mit diesen Hotrod-Fickern zu rupfen.«
»Heute nicht, sie haben Geiseln.«
Kristen rutschte das Herz in die Hose. Trotz ihrer monatelangen Dienstzeit war sie noch nicht bei einer tatsächlichen Geiselnahme dabei gewesen. Sie hatte mit ihren Kollegen das gewaltsame Eindringen in Gebäude geübt, aber das war etwas völlig anderes, als wenn wirklich Geiseln genommen worden waren. Wenn sie heute Mist bauen würden, könnten Menschen sterben – unschuldige Menschen.
Sie kletterten in den Van und fuhren zur Bank. Es war eine der schöneren Filialen in der Innenstadt in der Griswold Street. Die Lobby befand sich im Erdgeschoss mit Büroräumen darüber, die sich in die Skyline der Autostadt erstreckten. Klassische amerikanische Architektur definierte den Eingangsbereich mit seinen Glastüren, die hinter einem Ziegelbogen lagen. Um die Ziegelmauern herum waren zur Dekoration Säulen angebracht.
Die Glasscheiben waren bereits durch Kugeln zerfetzt worden und zwei durch Schüsse zerstörte Polizeiautos auf beiden Seiten des Bogens ließen das Ganze ausgesprochen post-apokalyptisch wirken. Diese Art von Aktivität sollte in Detroit nicht mehr vorkommen – jetzt nicht und auch nicht in Zukunft.
»Also gut, passt auf. Wir sind Team A. Butters und Beanpole, ihr postiert euch auf der anderen Straßenseite, im zweiten oder dritten Stock des Gebäudes. Keith, Jonesy und Hernandez bleiben bei mir. Wir werden laut reingehen und die Eingangstür stürmen – so soll es zumindest aussehen. Während Team A die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird sich Team B durch die Hintertür hineinschleichen.«
»Und die Bombe, Sir?«, fragte Hernandez.
»Die Arschlöcher sagten, es sei eine Bombe im Gebäude, aber wir wissen nicht, wo. Sie könnte in den Büros oben oder in der Bank selbst sein oder es ist einfach ein Bluff. Fürs Erste, Hernandez, bist du bei uns. Sobald wir irgendwelche genaueren Informationen darüber haben, gehst du hin.«
»Ja, Sir.«
»Was ist mit mir?«, fragte Kristen. »Bin ich im Team B?«
»Auf keinen Fall. Ich will, dass du im Van bleibst. Du wirst ihn näher ranfahren, wenn wir reingehen, damit wir einen Rückzugsort haben, der bessere Deckung zu bieten hat als diese Polizeiautos, die sie bereits zerlegt haben.«
»Aber Drew, ich habe trainiert! Ich kann da mit euch reingehen.«
»Nicht heute.«
»Aber...«
»Das ist ein Befehl!«
Sie fluchte leise, nickte aber.
»Gut, lasst uns gehen.«
Innerhalb von drei Minuten bestätigten Butters und Beanpole, dass sie in Position wären und das Team vordringen könne. Team A rannte gebückt zu den Polizeiautos – alle außer ihr – und zog weitere Schüsse aus dem Inneren der Bank auf sich.
Kristen seufzte und trat mit dem Fuß auf das Gas, um den Wagen vorwärts zu bewegen. Es wurden weitere Schüsse abgegeben, die aber von der Front des Fahrzeugs abprallten. Einige Monate zuvor wäre sie vielleicht noch erleichtert gewesen, aber jetzt empfand sie das als Verschwendung ihrer Talente. Warum hatte sie so hart trainiert, wenn man sie einfach auf der Ersatzbank sitzen ließ?
Weitere Schüsse aus der Bank wurden von Butters und Beanpole beantwortet, der Plan schien aufzugehen. Die Gespräche über Funk zeigten an, dass sich Team B bereits im Inneren der Bank befand und sich langsam durch die Innenräume bewegte.
Plötzlich war eine donnernde Explosion über das Funkgerät zu hören und für einen Moment entstand eine Rückkopplung.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, sprach eine Stimme über die Funkverbindung. »Wir haben Männer am Boden, eine gottverdammte Bombe ist hochgegangen. Wir... wir brauchen Unterstützung. Ich habe hier überall blutende Leute!«
Drew meldete sich über Funk. »Planänderung! Wir gehen rein! Kristen kann dich...«
Seine Worte wurden abrupt unterbrochen und durch Rauschen ersetzt. Sie dachte sofort an das Pfandhaus zurück, hatte da nicht auch etwas die Funkgeräte gestört?
Butters begann zu schießen und gab ein Deckungsfeuer auf die Vorderseite der Bank ab, während Jonesy, Keith, Drew und Hernandez sich von einem der zerstörten Polizeiautos an den Rand des Eingangsbogens bewegten.
Kaum hatten sie ihn erreicht, explodierte eines der Polizeiautos. Die Explosion war höllisch und stark genug, das Auto auf dem Dach landen zu lassen.
Drew gestikulierte, dass alle zurückweichen sollten, aber eine Salve aus der Bank zwang das Team hinter den Ziegelmauern auszuharren. Sie hatten keine Möglichkeit, von dort wegzukommen. Ohne das Polizeiauto gab es einfach keine weitere Deckung.
»Wir bitten um sofortige Unterstützung«, sagte der Beamte von Team B über Funk, er schien sich über den Störsender kurzzeitig hinwegsetzen zu können. »Mitch hustet Blut und Garcia... Garcia ist raus. Er braucht einen verdammten Arzt. Vielleicht auch einen Scheiß-Priester. Scheiße!« Schüsse fielen im Hintergrund, gefolgt von noch mehr Rauschen. Was auch immer das Funkgerät störte, es war wieder eingeschaltet.
Sie mussten handeln, und zwar sofort.
Aber sie konnten es nicht, bemerkte Kristen mit wachsender Frustration. Das gesamte Team war festgenagelt und es gab nichts, was Butters von seiner Position aus tun konnte.
Eine weitere Kugel aus der Bank hatte den Van getroffen.
Kristen versuchte nicht zu lächeln, als ein Plan in ihrem Kopf Gestalt annahm. Als sie in einen niedrigen Gang schaltete und das Gaspedal durchdrückte, grinste sie.
Das gepanzerte Fahrzeug beschleunigte und sie raste auf das Gebäude zu während die Kugeln an der Panzerung abprallten. Sie hatte recht mit dem Platz zwischen den Säulen – er war nicht groß genug – und als sie den Van mitten hindurch steuerte, zerstörte er sie einfach komplett, offensichtlich waren sie nur dekorativ und nicht tragend.
Dahinter befand sich das, was von den Glasscheiben an der Vorderseite des Gebäudes übrig geblieben war.
Das bot keinerlei Widerstand, der Wagen preschte durch und ließ Glassplitter in die Lobby spritzen, aber Kristen nahm den Fuß nicht vom Gas. Es wurden weiterhin Schüsse von hinter einer langen hölzernen Abtrennung, die normalerweise die Kassierer von den Besuchern der Bank trennte und nun den Verbrechern Deckung gab, abgefeuert.
Mit grimmigem und fokussiertem Ausdruck krachte sie mit dem Van auch durch die Holzwand und verlor kaum an Geschwindigkeit, bis sie auf die dahinter liegende Wand traf. Diese war offensichtlich belastbarer und stoppte ihre Fahrt abrupt.
Der Airbag löste aus und Kristen verlor für ein paar Sekunden das Bewusstsein.
Sie öffnete die Augen und blinzelte in ihre Umgebung, bevor sie erkannte, dass sie, wenn ihr jemand eine Kugel in den Kopf hätte jagen wollen, ihm jetzt die Gelegenheit gegeben hatte.
Zum Glück war Team A sofort hinter ihr hergekommen und hatte nun die Waffen erhoben und die Verbrecher ins Visier genommen. Wahrscheinlich half es auch, dass die Kriminellen – deren Tarnung sie zerstört hatte – noch fassungsloser waren als ihre eigenen Teamkollegen.
»Waffen fallen lassen, Arschlöcher oder wir sagen dem Van, er soll den Rückwärtsgang einlegen.« Das war Jonesy, meldete Kristens Kopf.
Das Geklapper von Waffen folgte, aber keine Schüsse mehr, sodass Kristen annehmen konnte, die Verbrecher hätten aufgegeben.
»Das Gebäude ist sicher«, meldete Drew über Funk. »Ich brauche so schnell wie möglich Sanitäter hier drinnen. Ich habe drei Beamte, die ärztliche Hilfe benötigen.«
»Was ist, wenn da noch mehr Bomben sind?«, fragte jemand über Funk.
»Diese Jungs hier haben keine Zeit mehr.«
»Diese Bombe wurde sowieso per Hand ausgelöst«, warf Hernandez ein. »Wir haben die Verbrecher. Jetzt kommt rein und rettet unsere Kollegen.«
Schritte hallten in der seltsamen Blase wider, die Kristen zu umgeben schien und Leute rannten mit Tragen an ihr vorbei. Bevor sie sehen konnte, ob sie zurückkehrten, lehnte sich Drew durchs Fenster.
»Wie viele Finger halte ich hoch?«
»Einen. Den gemeinen.«
»So ist es, Hall und jetzt raus aus dem Wagen.«
Er half ihr mit dem Sicherheitsgurt, untersuchte sie kurz auf Wunden und als er keine fand, knöpfte er sie sich mit mehr Energie vor, als sie je von ihm gesehen hatte. »Das war das Dümmste, was ich je gesehen habe und ich arbeite sowohl mit Jones als auch mit Hernandez. Du hast ein Jahrzehnte altes Stück Architektur zerstört, ganz zu schweigen von den Antiquitäten, die du in Anzündholz verwandelt hast. Und dann der Van! Wenn das Getriebe ruiniert ist, wird Captain Hansen dein Gehalt anzapfen. Ich habe das schon mal erlebt und ich will verdammt sein, wenn ich für jemanden, der sich so unverantwortlich verhält, argumentieren würde.«
»Entschuldigung, Sir«, sagte Kristen und folgte ihm durch die verwüstete Lobby. Sie hatte mit dem Van wirklich eine große Nummer abgezogen. Wo vorher der Raum bis auf die Einschusslöcher weitestgehend intakt war, gab es nun einen Zerstörungspfad in Vangröße von der Vordertür bis zur hinteren Wand.
»Schau mal da raus.« Er deutete durch das Loch, das sie in der Fassade des Gebäudes hinterlassen hatte.
Sie gehorchte und sah, wie die drei verletzten Mitglieder des B-Teams in die Krankenwagen gebracht wurden. Zwei von ihnen erhielten bereits Infusionen. Sie fühlte ein schlechtes Gewissen. War das ihre Schuld?
»Sie sind am Leben, weil du etwas unternommen hast. Dummes und rücksichtsloses Handeln war das, ja, aber du hast heute mindestens drei Leben gerettet, vielleicht mehr.«
Erschrocken blickte sie ihn an, sah sein Lächeln und die feuchten Augen. Eine Träne – eine echte Träne – lief ihm über die Wange. Er räusperte sich. »Mitchs Frau bekommt in einem Monat ein kleines Mädchen. Ihr erstes Kind. Das ist alles, worüber er immer redet, verdammt. Jetzt hat die Kleine dank dir immer noch einen Daddy.«
Kristen nickte, dachte an ihren Vater und schluckte ihre eigenen Tränen hinunter. Bevor sie jedoch sprechen konnte, sagte Drew einem Sanitäter, dass sie eine Gehirnerschütterung haben könnte und sie wurde zur Überwachung in einen Krankenwagen verfrachtet.
Sie schlossen Kristen an Maschinen an, die sie nicht kannte und stellten ihr Fragen, die sie nicht beantworten wollte, denn in diesem Moment war ihr alles egal. Sie hatte heute Leben gerettet. Nach ihrer monatelangen Ausbildung hatte sie es endlich geschafft. Das war der Grund, warum ihr Vater so lange gearbeitet und so viel von sich selbst für seinen Job gegeben hatte – weil sich das Retten von Menschen gut anfühlte.
Zum ersten Mal seit sie beim SWAT war, stellte sie ihre Position nicht infrage und wunderte sich auch nicht über den Drachen, der sie auf diesen Weg geführt hatte. Und zum ersten Mal hatte sie auch das Gefühl, dazuzugehören.
Der Sanitäter stellte ihr noch ein paar Fragen, war aber anscheinend zufrieden mit ihren Antworten und ließ sie aus dem Krankenwagen aussteigen.
Jonesy wartete auf sie mit etwas im Gesicht, das sie nur als scheiße-fressendes Grinsen beschreiben konnte. »Verdammt gute Arbeit da drinnen. Ich habe die Vorderseite dieser abgrundtief hässlichen Bank immer gehasst.« Er führte sie zum Rest des Teams. »Ich glaube, du brauchst einen neuen Spitznamen, Red.«
»Wie wär’s mit Speed Racer?« grinste Keith.
»Ich mag das, ich mag das«, sagte Butters und rieb sich das Kinn, bevor er zu singen begann. »Speed Racer los, Speed Racer los, los Speed Racer, los!«
»Schmeiß deinen Hauptjob bloß nicht hin!« Hernandez hielt sich die Ohren zu, als ob sein Gesang bleibende Schäden verursachen könnte.
»Ich bin etwas ausgetrocknet. Vielleicht sollten wir das bei einem Happen besprechen.« grinste der Scharfschütze.
»Ich hab einen, ich hab einen«, Hernandez musste sich das Lachen verkneifen und stimmte einen Song von Miley Cyrus an. »She came in like a wrecking baaaaall! Die verdammte Kristen Haaaaaall!...«
Alle lachten viel zu sehr darüber und Kristen musste in Betracht ziehen, dass dies der Moment sein könnte, der ihren Karriereweg – und viel wichtiger, wer sie für ihre neuen Freunde war – definieren würde.
Sie beschloss, dass das in Ordnung für sie wäre.