Kapitel 17
J onesy und Kristen waren in einem Streifenwagen unterwegs, als der Anruf kam.
»Da passiert etwas in der Innenstadt. Bewaffneter Raubüberfall.«
»Wo?«, fragte Jonesy.
»Wir haben noch keinen genauen Standort, nur mehrere Berichte über bewaffnete Schützen. Wir werden über die verdammten Notrufleitungen mit widersprüchlichen Angaben überflutet.«
Das war an sich schon seltsam, schließlich gaben die Kollegen beim Notruf lediglich Daten weiter. Wie viele Anrufe waren wohl nötig, um sie zu überfordern?
»Wir sollten lieber zur Basis zurückkehren.« Jonesy schaltete die Sirene ein und gab Gas.
Sie schafften es ein paar Blocks weiter durch die Innenstadt, bevor etwas das Glas eines der hinteren Fenster zerbrach.
»Was zum Teufel war das?«, schrie er und duckte sich unwillkürlich.
»Ich glaube...« Bevor sie antworten konnte, fielen noch mehr Schüsse und die Kugeln prallten von der Beifahrertür des Fahrzeugs ab . Die Wirkung war durch das Metall hindurch tatsächlich spürbar. »Irgendein Arschloch schießt auf uns.«
»Nicht zu fassen«, meinte er, wendete aber nicht.
»Jonesy, sollten wir diesen Arschlöchern nicht zeigen, wer der Boss ist? Die Bedrohung eindämmen?«, protestierte sie.
»Hör auf den Funk, Red.« Er stellte ihn lauter.
»Aktive Schützen auf dem Grand Boulevard und Woodward. Berichte über bewaffnete Personen beim Kunstmuseum DIA, bitte bestätigen. Einsatzbefehl für alle Einheiten. Ich wiederhole, alle Einheiten.«
»Wir sind eine Einheit, Jonesy. Wohin fährst du, verdammt?«
»Es klingt, als gäbe es mehr als ein Dutzend Schützen da draußen und du willst sie aus einem verdammten Polizeiwagen heraus mit ein paar Pistolen erledigen? Wir sind das SWAT, Red. Die Streifenpolizei muss die Arschlöcher aufhalten, bis wir da sind.«
Ihr Herz rutschte in die Hosentasche. Die Stadt hatte vielleicht nicht mal mehr ein paar Minuten. Wenn bereits gezielt auf vorbeifahrende Streifenwagen geschossen wurde, könnte die Situation bereits gekippt sein.
Jonesy raste auf das Revier zu und war ausnahmsweise still. Stattdessen drehte er den Funk auf, damit sie alles über die Sirene hinweg hören konnten.
»Es gibt kein offensichtliches Muster bei den Angriffen. Die meisten sind im Riverton-Warehouse-Distrikt, aber genaue Ziele sind nicht bekannt. Alle Beamten mobilisieren, ich wiederhole, wir brauchen alle Beamten.«
»Das klingt nach einem verdammten Kriegsgebiet«, murmelte er.
Kristen versuchte darüber nachzudenken, was das alles ausgelöst haben könnte, wurde aber unterbrochen, als eine kupferne Corvette um die Ecke raste und neben ihnen herfuhr.
»Jonesy!«
»Ich weiß, ich weiß!« Er versuchte zu beschleunigen, war aber der Corvette nicht gewachsen. Mit Leichtigkeit fuhr sie auf der Fahrerseite des Polizeiwagens nebenher.
In der Corvette saßen zwei Männer in Jeansjacken mit Spikes. Der Mann auf dem Beifahrersitz hielt ein Sturmgewehr in der Hand, wie Kristen es bisher nur in Filmen gesehen hatte.
»Eure korrupten Tage sind vorbei, ihr verdammten Schweine«, schrie der Mann über die dröhnenden Motoren der beiden Fahrzeuge hinweg.
Eine Salve von Schüssen wurde auf das Polizeifahrzeug abgefeuert.
»Scheiße!«, rief der Sergeant, riss das Lenkrad nach rechts und sie schleuderten eine andere Straße hinunter. Die Corvette versuchte zu folgen, aber sie waren zu schnell und die Kurve zu scharf. Die Reifen quietschten, bevor der Fahrer seinen Kurs korrigierte und auf der Straße, auf der sie zuvor unterwegs waren, weiterfuhr.
Obwohl der Kerl in der Corvette nur wenige Sekunden zum Schießen hatte, war die Seite des Polizeiautos völlig demoliert.
»Diese Wichser kommen.« Jonesy presste den Kiefer zusammen, als sie sich der nächsten Kreuzung näherten und beide Beamten waren in höchster Alarmbereitschaft.
Die Corvette tauchte wieder auf und es wurde wild geschossen. Sie raste von hinten an das Polizeifahrzeug heran – die verdammte Corvette musste über neunzig Sachen auf dem Tacho gehabt haben – und die ersten Geschosse schlugen im Kofferraum ein.
»Red, glaubst du, du wirst mit diesen Arschlöchern fertig?«
»Ich kann es versuchen.« Kristen zog ihre Pistole, ließ sich Zeit zum Zielen und schoss. Die ersten drei Schüsse trafen die Windschutzscheibe, bevor sie zum Glück einen der Vorderreifen traf.
Die Corvette brach nach links aus und gab die Verfolgung auf.
»Verdammt guter Schuss, Red. Ich weiß nicht, ob Butters diesen Schuss hätte so platzieren können.«
»Ja, nun, fast von verdammten Autofuzzis das Licht ausgeblasen zu bekommen, ist ein alter Hut für mich.«
»Mach keine Witze. Hast du noch mehr von diesen Arschlöchern gesehen?«
Sie schaute hinten raus. »Ja. Heilige Scheiße, Jonesy. Es sind so viele Menschen dort hinten auf der Straße. Es sieht aus... es sieht aus wie ein gottverdammtes Kriegsgebiet.«
Er reagierte mit weiterem Druck auf das Gaspedal und das Fahrzeug schoss nach vorne. Der Gedanke, die Gewalt hinter sich zu lassen, anstatt sich ihr frontal zu stellen, machte Kristen krank, aber sie wusste, dass er recht hatte. Wenn sie in das Kriegsgebiet gehen wollten, mussten sie besser ausgerüstet sein.
In weniger als fünf Minuten kamen sie am Revier an. Sie war überrascht, dass es noch stand. Schließlich lag es in der Nähe der Innenstadt und den hereinkommenden Berichten zufolge klang es so, als ob versucht würde, die Innenstadt in die Luft zu jagen. Jonesy parkte vor dem Revier und das Duo rannte hinein.
»Wird auch Zeit, verdammt und jetzt aufrüsten!«, brüllte Drew sie an, sobald sie den Ausrüstungsraum erreichten. Er warf ihr und Jonesy kugelsichere Westen zu. Es war ein kleines Wunder, dass sie es lebend zurückgeschafft hatten und sie hatte noch nicht realisiert, in welcher Gefahr sie sich befunden hatten. Glücklicherweise hatte sie keine Zeit, sich lange mit den Gedanken an die geglückte Flucht aufzuhalten und schnappte sich ihren Helm, setzte ihn auf und zog den Kinnriemen fest, während sie die beunruhigenden Gedanken beiseite schob.
Das Team rannte durch das Revier zu ihrem SWAT-Van. Sie stiegen ein, Jonesy ans Steuer, der Teamleiter auf den Beifahrersitz und die anderen auf den Rücksitz.
»Wie ist der Plan?«, fragte der Sergeant Drew angespannt.
Dieser öffnete die Trennscheibe damit alle zuhören konnten und antwortete.
»Im Moment wissen wir nicht, wer diese Arschlöcher sind oder was sie wollen. Alles, was wir wissen ist, dass es eine beträchtliche Anzahl von ihnen gibt, sie schwer bewaffnet sind und dass sie sich auf das Lagerhausviertel konzentrieren. Wir sollen eine Straßensperre auf der Brücke zur Bell Isle errichten. Die Chefetage glaubt, dass sie das Lagerhausviertel als Sammelpunkt verwenden und dass sie versuchen könnten, die Insel als permanente Basis einzunehmen. Wenn das der Fall wäre, könnte es verdammt schwer werden, sie da rauszuholen, denn es gibt nur die eine Brücke um rein und rauszukommen.«
»Wer schickt uns auf die Bell Isle, wenn der Lagerhausbezirk im Mittelpunkt steht?« fragte Kristen.
»Das liegt über unserer Gehaltsklasse, Hall. Wir sind ein Team und jedes Mitglied des Teams muss seine zugewiesene Position einnehmen. Unser Job ist es, den Arschlöchern nicht zu erlauben, die Insel einzunehmen.«
Sie rasten die Lafayette Street hinunter, überquerten die East Grand und etwa die Hälfte der Brücke zur Bell Isle, bevor sie anhielten. Drei Polizeiautos standen bereits dort, plus ein weiterer SWAT-Van. Sie luden aus und Jonesy wendete das Fahrzeug, um die Straßensperre zu vervollständigen.
Sie seufzte erleichtert auf. Hier kam keiner durch.
Es war fast so, als wäre ihr Gedanke eine Art Auslöser gewesen.
»Nehmt eure Plätze ein, Leute und lasst keinen durch«, befahl Drew, als die ersten Schüsse fielen.
Vierzehn Mitglieder des SWAT und sieben weitere Polizisten bezogen hinter ihren Fahrzeugen Stellung und versuchten, die Brücke zu halten.
Es brachte Kristen beinahe um den Verstand, dass es mindestens zehn weitere SWAT-Blockaden wie diese geben musste. Wie konnte das sein? Sie wusste, dass es in Detroit Gangs gab, aber das hier war lächerlich. Hatten sie sich alle zusammengetan und beschlossen... Was? Die Stadt niederzubrennen? Es ergab einfach keinen Sinn. Gangs machten Dinge für Geld. Das hier war reine Zerstörung.
»Wir haben Kräfte, die sich auf den Lagerhausbezirk konzentrieren. Alle Einheiten...«
Die Funkmeldung wurde schlagartig durch Rauschen ersetzt.
»Verdammt noch mal!«, fluchte Drew zornig.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Keith unsicher.
»Halte deine verdammte Position, Frischling.« Jonesy nickte in Richtung Festland. Drei Autos rasten auf sie zu, auf das Dach von einem der Fahrzeuge war ein Maschinengewehr montiert.
Kristen wartete darauf, dass sie in Reichweite kamen, aber anscheinend hatte der Typ an der montierten Waffe weit weniger Geduld. Er eröffnete das Feuer und ließ Kugeln auf die Fahrzeugsperre regnen.
Butters gab einen sauberen Schuss ab und der Typ fiel – in die Brust getroffen – vom Dach des Fahrzeugs.
Die anderen beiden Autos kamen weiterhin näher und wurden auch nicht langsamer.
Die Reifen des einen Autos quietschten beim Anhalten. Ein weiteres Gangmitglied kletterte heraus und wollte die Kontrolle über das montierte Maschinengewehr übernehmen.
Der Scharfschütze schoss ihm prompt ebenfalls in die Brust.
Der Mann stolperte zwar, fiel aber nicht – eine kugelsichere Weste offensichtlich – also zielte Butters noch einmal und gab einen perfekten Kopfschuss ab.
Das brachte die Kriminellen davon ab, einen neuen Versuch zu wagen und schon hatte ein montiertes Maschinengewehr eine niedrige Priorität. Die anderen beiden Autos schossen nun auf die Blockade zu und ihre Motoren dröhnten. Die Polizeibeamten hatten bereits Schüsse auf die sich schnell nähernden Fahrzeuge abgegeben, in der Hoffnung, einen Treffer zu landen.
»Auf die Reifen«, befahl Drew, worauf Beanpole, Keith und Jonesy konzertiert auf das Auto auf der rechten Seite feuerten. Sie trafen die Vorderreifen,das Fahrzeug schleuderte seitwärts, durchschlug die kleine Mauer am Rand der Brücke und stürzte in den Detroit River.
Das dritte Fahrzeug kollidierte mit der Front eines Polizeiwagens, ließ ihn zur Seite driften und fuhr einfach durch ihre Blockade hindurch.
»Red, Hernandez, Jonesy, ihr schnappt euch die Wichser, die es geschafft haben. Alle anderen, da kommen noch mehr auf uns zu.«
Kristen drehte sich, um auf den Wagen zu feuern, der ihre Barrikade durchbrochen hatte. Sie bemerkte schockiert, dass zwei Beamte überfahren worden waren und versuchte sofort, über Funk den Rettungsdienst anzufordern, doch da war immer noch nur Rauschen.
Anstatt ihrer wachsenden Frustration über das was sie nicht tun konnte nachzugeben, biss sie die Zähne zusammen und schoss auf das Auto, das auf sie zukam. Jonesy und Hernandez eröffneten ebenfalls das Feuer und zielten auf die Räder und die Windschutzscheibe. Nach einem kurzen Moment war das Fahrzeug ausgeschaltet.
Zwei Männer stiegen aus dem nicht mehr fahrfähigen Fahrzeug und einer von ihnen warf etwas Richtung Straßensperre.
»Granate!«, schrie der Sergeant und alle warfen sich auf den Boden.
Das Wurfgeschoss rollte unter einen der SWAT-Vans und explodierte. Niemand wurde verletzt, aber das Fahrzeug war offensichtlich nicht mehr fahrbereit.
»Da kommen noch mehr«, rief Drew und zeigte über die Brücke, wo weitere Autos auf sie zurasten. Die sahen aber nicht aus, als gehörten sie zu den Breaks. Eines war ein aufgemotzter Honda und ein Low-Rider mit Musik, laut genug, das nun andauernde Geballer zu übertönen.
Das Funkgerät erwachte zum Leben. »Alle Einheiten sammeln sich an Chene und Guoin. Wir versuchen zu umgehen, was auch immer unseren Funk stört. Bitte wiederholen, wenn das gehört wird, an der Ecke Chene und Guoin gibt es ein verlassenes Lagerhaus, halb von Weinreben bedeckt. Alle Einheiten...«
Die Übermittlung wurde wieder von Rauschen verschluckt.
»Ihr habt die Frau gehört, also rein in den verdammten Van«, ordnete Drew an. Zwei SWAT-Teams und sieben Polizisten gehorchten, stießen aber sofort auf Schwierigkeiten.
Es war schnell klar, dass sie nicht alle hineinpassen würden, also zwängten sich die beiden SWAT-Teams und zwei normale Polizisten in den Van, während die anderen Polizisten den verbleibenden Cruiser nahmen und den Motor hochdrehten.
Jonesy setzte das Fahrzeug in Gang und sie rasten in Richtung Lagerhalle.
Zum Glück waren es nicht die Breaks, auf die sie jetzt zufuhren. Kristen bezweifelte, dass Jonesy in der Lage gewesen wäre, einen dieser Autofreaks zu überlisten. Aber diesen hier fehlte eindeutig das fahrerische Können und die aufgerüsteten Fahrzeuge der anderen Bande, also hoffte sie, dass ihre Truppe hier tatsächlich lebend herauskommen könnte.
Der Low-Rider war leicht abzuhängen. Der Sergeant rammte eine Seite, was ausreichte, um die Federung zu ruinieren und damit das Fahrzeug unbrauchbar zu machen.
Den kleinen Honda loszuwerden war wegen seiner Geschwindigkeit etwas kniffliger. Aber er war zu leicht, sodass er dem größeren gepanzerten Fahrzeug nicht viel entgegenhalten konnte. Er versuchte ein paar Mal sie zu streifen, aber Jonesy war offensichtlich schon in solchen Situationen gefahren, weil er jeden geplanten Einschlag voraussah und auswich. Jemand im Honda war ebenfalls bewaffnet. Die Kugeln trafen den Van an der Seite, durchschlugen aber die kugelsichere Panzerung nicht.
Trotzdem waren es für die Leute hinten im Van ein paar durchrüttelnde Minuten. Sie waren dort eingepfercht, sodass Kristen in jeder Kurve gegen jemanden gepresst wurde. Mehr als einmal bedankte sie sich bei ihrem Schutzengel, dass wer auch immer im Honda saß, keinen Sprengstoff hatte.
Eine einzige Granate hätte ausgereicht, zwei SWAT-Teams zu vernichten.
»Er ist hinter uns«, rief Drew. »Wer schießt?«
»Ich mach es«, schrie eines der Mitglieder des anderen SWAT-Teams. Zwei seiner Teamkollegen hielten ihn an den Schultern fest und ein dritter Kollege öffnete das Heck des Vans.
Der Honda hinter ihnen näherte sich schnell und die Person auf dem Beifahrersitz feuerte recht ungezielt ein Sturmgewehr ab.
Der Beamte zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er zielte, atmete aus als wäre er auf einem Schießstand statt auf dem Rücksitz eines rasenden Fahrzeugs und schoss.
Er traf den Fahrer und der Honda drehte sich mehrfach um seine eigene Achse, weil keiner mehr das Steuer hielt.
»Du bist nicht der einzige Teufelskerl, Goodman«, scherzte der Mann.
Für einen Moment konnte Kristen nicht zuordnen, mit wem er gesprochen hatte, aber dann erinnerte sie sich, dass der Scharfschütze ihres Teams auch einen richtigen Namen hatte und der Mann diesen benutzte.
»Du lässt die ganze kalte Luft raus!«, antwortete Butters milde und einer der Teamkollegen des Schützen schwang die Tür wieder zu.
Sie fuhren noch einige Minuten weiter und konnten glücklicherweise allen anderen bewaffneten Fahrzeugen ausweichen, bevor der Van abrupt zum Stehen kam.
Sie hatten es geschafft und waren am Lagerhaus angekommen.
Sie biss die Zähne zusammen und gab sich das Versprechen, dass sie ihre Stadt retten oder bei dem Versuch sterben würde.