Kapitel 18
E in einzelner SWAT-Van stoppte vor dem Lagerhaus.
»Sollen wir ihn zur Hölle schicken, Euer Ehren?«
Für einen Moment vergaß der schwarze Drache die Arme seiner menschlichen Gestalt zu bewegen. Es war einfach erniedrigend, so viel Zeit in menschlicher Form zu verbringen. Schlimmer noch, er musste ihre Ausdrucksweise und die Veränderungen der Körpersprache über die Jahrzehnte hinweg erlernen. Es hätte nicht so kommen müssen. Na ja, die menschlichen Bauern hatten ja andererseits auch nicht viel Respekt vor ihren Kühen.
»Mister Black, Ihre Befehle?«
Er konnte nicht einmal seinen richtigen Namen vor diesen armseligen, kurzlebigen Ratten benutzen. Sie könnten ihn sicher nicht einmal aussprechen, aber es war noch viel mehr an dem Drachen, der sich Mister Black nannte. Es wäre nicht gut, wenn die anderen Drachen aus Detroit herausfinden würden, dass ausgerechnet er derjenige war, der in ihrer Stadt Unruhe gestiftet hatte. Jedenfalls nicht vor heute Abend, erinnerte er sich selbst – nicht bevor es zu spät sein würde.
»Sir? Soll ich auf den Einsatzwagen schießen?«
Er wandte sich an den Mann. Murray von den Breaks war ein erbärmliches Abziehbild eines Anführers und doch war er der beste verfügbare Ganove in dieser erbärmlichen Stadt. Doch mit den Waffen, die ihnen die Schergen des Drachen beschafft hatten, konnten selbst er und seine erbärmliche Bande von Kleinkriminellen der Stadt echten Schaden zufügen, solange sie im Dunstkreis des Drachens blieben.
»Warte«, sagte er.
Er hatte die ganze Nacht mit seiner angeborenen Kraft experimentiert. Es brauchte nicht viel, um die Ratten, die sich Banden nannten, über die Klinge springen zu lassen. Sie waren offensichtlich bereits wertlose Kreaturen für alle anderen und anfälliger für Gewalt als der Durchschnittsmensch. Die Aura eines Drachen – selbst wenn er so mächtig war wie er – konnte die angeborene Natur eines Menschen nicht ändern. Ein Drache konnte einen Heiligen nicht in einen Sünder verwandeln – so lautete eine oft verwendete und sehr richtige Redewendung – aber er konnte Menschen in die Richtung drängen, zu der sie ohnehin tendierten. Praktischerweise war keiner dieser hier anwesenden Leute ein Heiliger.
Die Tatsache, dass es so wenig Mühe gekostet hatte die Gangs zu zwingen, ihre Heimat und ihre eigenen Nachbarn anzugreifen, zeigte deutlich, wie dringend diese Stadt eingerissen und wieder aufgebaut werden musste. Er hatte ihnen nicht befohlen zu töten oder ihre Herzen mit Wut und Terror gefüllt. Stattdessen hatte er sie einfach von ihrer Angst und Hemmung befreit, ihrer eigenen Art Schaden zuzufügen und sie hatten wie Vögel ihre Arme gehoben und flogen los.
Aber es brauchte schon einiges an Konzentration, eine solche Aura über mehrere Stadtblöcke hinweg auszustrahlen und wenn man sich konzentrierte, verpasste man oft Dinge, die man eigentlich nicht verpassen sollte.
Wie zum Beispiel den Drachen, der aus dem Einsatzwagen stieg.
Mister Blacks Augen richteten sich auf die Frau, die einen Helm über ihrem roten Haar trug. Sie war ein Drache. Er konnte es fühlen. Ihr menschlicher Körper glühte vor Energie, stärkte ihre Muskeln über das hinaus, was die menschliche Gestalt zu leisten vermochte, schärfte ihre Reflexe und beschleunigte ihre Reaktionen. Aber wie konnte es einen neuen Spieler in der Stadt geben, von dem er nichts geahnt hatte? Wer war sie und warum hatte sie ihre vollen Kräfte bisher nicht eingesetzt? Das könnte alles ruinieren. Sie alleine könnte buchstäblich Monate der Planung einfach in Rauch aufgehen lassen.
Er hatte geplant, diese Stadt von den beiden rückgratlosen Würmern zu übernehmen, die seit Jahrhunderten die Kontrolle über die Stadt hatten, aber anscheinend war er nicht der einzige, der sich im Schatten versteckt hatte.
Wer auch immer dieser weibliche, als Polizist verkleidete Drache war, sie wollte offensichtlich nicht das volle Ausmaß ihrer Kräfte offenbaren. Wenn sie bei der Polizei war, musste sie eine Weile verdeckt gearbeitet haben, aber warum? Offensichtlich musste sie ihre eigenen Pläne haben – Ambitionen, die den Rahmen dessen sprengten, was die meisten Menschen zu träumen wagten – und sie hatte diese Stadt im Visier.
Für Mister Black könnte das positiv sein. Der heutige Abend sollte seine große Offenbarung werden und am Ende würde es unweigerlich auf einen Zwei-gegen-Eins-Kampf hinauslaufen. Aber mit einem weiteren Spieler auf dem Brett müsste er sich vielleicht gar nicht offenbaren. Wer auch immer dieser Neuankömmling war, sie musste sich aus einem bestimmten Grund verbergen. Vielleicht wollte sie selbst die Motor City regieren. Vielleicht arbeitete sie auch verdeckt für diese Würmer Damos und Lyra. Was auch immer die beiden geplant hatten, sie verließen sich eindeutig darauf, dass sie als Mensch unentdeckt bleiben würde.
Es lag in seiner Macht, diese Pläne zunichtezumachen.
Es gab zwei Möglichkeiten, die er sich vorstellen konnte. Er würde sie zwingen, sich zu offenbaren oder sie töten. Welche Tarnung auch immer sie aufgebaut hatte, würde weggebrannt werden. Vielleicht würden Damos und Lyra es für angebracht halten, sich selbst einzubringen, um so die Chancen auszugleichen. Er entschied sich dafür, seinen geplanten Coup zu beenden.
»Schaltet den Funkstörsender aus«, befahl er.
Murray gehorchte und zappelte nervös mit der Steuerung. Der Drache konnte seine Sorge verstehen. Der letzte Mann, der den Störsender bedient hatte, hatte es vermasselt und der Polizei den Standort dieses Lagers preisgegeben, obwohl es jetzt so aussah, als ob nur eine Truppe den Funkspruch gehört hatte und hergekommen war. Trotzdem, Versagen war Versagen. Er hatte den Mann kurzerhand vom Dach geschleudert. Es schien, dass Murray von den Breaks die nicht ganz so unterschwellige Drohung verstanden hatte.
»Ist ausgeschaltet, Sir«, sagte der Bandenchef mit zitternden Händen.
»Sag allen, sie sollen sich am Lagerhaus versammeln. Ich will, dass die Karre voller Bullen Blei frisst. Ich will, dass sie von den Waffen, die ich dieser Stadt gegeben habe, lebendig geröstet werden.«
»Sir, wenn ich diesen Befehl gebe, kommt die Polizei auch.«
»Lass sie kommen. Mehr Körper heißt mehr Kugeln und mehr Gemetzel.« Mister Black mochte dieses Versteckspiel nicht, aber er wusste auch, dass es eine Täuschung sein konnte. Er würde sie zwingen, sich zu offenbaren und sobald er wusste, wer sie war, würde er sie entweder auf seine Seite ziehen oder ihren Leichnam im Schatten liegen lassen, während er ihr diese Stadt wegnahm.
»Breaks, Dead Reds, Knights, Eskeletos, Stray Cats – zurück ins Nest!«
Darauf folgte sofort die Anweisung der menschlichen Polizei über Funk, alle Beamten sollten sich zum Lagerhaus begeben.
Mister Black lächelte. Es war gut, dass er fliegen konnte. Er bezweifelte sehr, dass dieses Gebäude am Ende der Nacht noch stehen würde.