Kapitel 20
D rew wies sie an, auf den Eingang der Fabrik zu feuern. Kristen hoffte, dass das die Gegner in der Halle ausreichend ablenken würde, sodass Butters sie zumindest eliminieren konnte, ohne selbst unter Feuer zu geraten, aber der Plan wollte nicht funktionieren.
Das Problem war, dass es mehrere Eingänge zu dem Gebäude gab und ihre Gegner das wussten. Folglich mussten Drew, Keith und Hernandez versuchen eine weitere Gruppe davon abzuhalten, das Gebäude aus der entgegengesetzten Richtung zu betreten, während Kristen und Jonesy den Eingang unter Dauerbeschuss setzten.
Das Ganze funktionierte etwa dreißig Sekunden lang. Es waren viel zu viele Kisten aufgestellt. Für Kristen war es offensichtlich, dass die Gangs den Müll in dieser verlassenen Fabrik so positioniert hatten, um eine möglichst vorteilhafte Deckung zu gewährleisten. Sie und der Sergeant erschossen jeweils ein eintretendes Gangmitglied, aber zu viele kamen bis hinter die Kisten und erwiderten sofort das Feuer.
Schlimmer noch, Drew war ebenso erfolglos, sodass sie kaum in der Lage waren, sich vor den sechs Leuten im Raum zu verbergen, geschweige denn vor weiteren fünfzig.
»Wir müssen verdammt noch mal hier raus!«, schrie Jonesy über das ständige Knallen der Schüsse.
Er wurde abrupt unterbrochen, als eine weitere Gruppe der Gangmitglieder durch die Tür brach und einen konzertierten Angriff auf das eingeschlossene SWAT-Team entfesselte.
»Diese Arschlöcher kommen immer näher«, warnte Jonesy. »Der Kistenstapel, Kristen, pass auf!«
Er stürzte sich auf sie und die Zeit lief langsamer für sie. In einem Moment stand sie noch und konzentrierte sich auf den Feind. Im nächsten wurde sie hart von Jonesys Körper getroffen und stürzte. Ihr Blick richtete sich auf seinen Oberkörper und den Ausdruck des Schmerzes auf seinem Gesicht. Eine Kugel hatte ihn direkt in die Brust getroffen.
Sie war so voller Adrenalin, dass sie tatsächlich erkennen konnte, wie sich eine Schockwelle vom Auftreffen über seine Brust ausbreitete.
Im gleichen Atemzug traf eine weitere Kugel, gefolgt von noch einer.
Insgesamt sieben Schüsse trafen den Mann vor seiner Landung und nur fünf davon waren durch die Weste abgefangen worden.
»Jonesy!«, schrie sie, die Zeit lief wieder normal. Ihre Waffe war angehoben und der Mann, der ihren Teamkollegen angeschossen hatte, war tot.
Kristen fiel auf die Knie. Er schaute sie an und Blut lief aus seinem Mund. Eine der Kugeln hatte ihn am Hals und die andere unter seiner Achselhöhle gestreift – oder zumindest floss dort das meiste Blut.
»Er wird doch wieder gesund, oder?«, fragte sie und sah Drew mit wilden Augen an.
Drew antwortete nicht, aber das war auch nicht nötig. Sein offener Mund und der kalte Blick verrieten ihr alles, was sie wissen musste.
»Er braucht einen Arzt, verdammt«, rief Keith und feuerte auf einen nicht enden wollenden Strom von Gegnern.
»Wie sieht der verdammte Plan aus, um Jonesy zu retten?« Wut schlich sich in Hernandez’ Stimme.
»Wir kriechen unter das Förderband, kommen so nah wie möglich an die Tür und rennen raus. Dann warten wir auf Verstärkung, um Butters und Beanpole herauszuholen.«
»So viel Zeit hat er nicht«, sagte Kristen. »Ich bringe ihn raus.«
»Hall, das schaffst du nie«, protestierte Drew.
»Einen Scheiß tu ich!«
Sie war schon immer sportlich gewesen und in letzter Zeit hatte sie verdammt hart trainiert. Nicht nur das, ihr bester Freund – denn genau das war es, was Jonesy für sie geworden war – lag im Sterben. Sie nahm ihn einfach in die Arme, schaute auf den Ausgang und rannte.
Die gesamte Fabrik und der Kugelhagel verblassten zu etwas Abstraktem. Alles, was sie hören konnte, waren ihre eigenen Schritte, das Geräusch der Kugeln, die den Beton um ihre Füße herum trafen und Jonesy, der weiter redete, obwohl sie ihm gesagt hatte, er solle den Mund halten.
»Du weißt, dass du solche Opfer nicht tragen sollst«, hustete er. »Ich habe vielleicht eine Wirbelsäulenverletzung.« Er lachte.
»Ich lasse dich zusammenflicken.« Sie donnerte in einen Kistenstapel und fühlte, wie die andere Seite der Kisten zerbrach, als die Feinde ihre Waffen auf sie richteten.
»Sag Hernandez mindestens einmal am Tag, sie soll sich selbst ficken. Sonst fühlt sie sich nicht gewürdigt.«
»Wirst du wohl die Klappe halten?«
Er nickte und spuckte Blut. »Das ist gut, aber du brauchst wirklich ein ›fick dich‹ in dem Satz, sonst glaubt sie es nicht.«
»Halte durch«, erwiderte sie beschwörend und als eine kurze Pause im Schusswechsel eintrat, rannte sie den Rest des Weges zur Tür. Etwas erwischte sie im Rücken – eine Kugel, kein Zweifel – aber ihre Weste schützte sie. Wieso hatte es bei Jonesy nicht funktioniert? Warum war sie bei ihm wertlos?
Schließlich waren sie draußen.
Fahrzeuge aller Marken und Modelle umgaben das Lager. Da stand eine unendliche Vielfalt an alten Hotrods, winzigen Straßenflitzern, Schiffen von Autos mit modifizierter Federung und sogar rosa Roller.
Kristen hätte am liebsten jeden einzelnen Reifen aufgeschlitzt.
Stattdessen rannte sie weiter zu den Fahrzeugen dahinter – Polizeiautos, SWAT-Vans und – glücklicherweise – ein paar Krankenwagen.
»Wir sind fast da, Jonesy. Halt bitte durch.«