Kapitel 21
E iner der Rettungssanitäter riss die hintere Tür des Krankenwagens auf, als er sie mit Jonesy in den Armen kommen sah. Er wies sie an, ihn auf eine Trage zu legen.
»Er wurde angeschossen!«, schrie Kristen.
»Ja, Ma’am.«
»Im Nacken.«
»Wissen wir, Ma’am«, sagte ein anderer Sanitäter, als er die Wunde am Hals ihres Freundes verband.
»Und an der Seite.«
»Ma’am, treten Sie bitte zurück und lassen Sie uns unsere Arbeit machen.«
»Lass ihnen etwas Luft zum Atmen, Red, verdammt noch mal.«
»Sir, bitte nicht reden.«
»Halt die Klappe.« Jonesy lachte. »Siehst du? So geht das. Man muss es auch so meinen, wie man es sagt.«
Die Rettungssanitäter zogen ihm seine kugelsichere Weste und sein Hemd aus, um eine Reihe von schlechten Tattoos und ein Loch an der linken Seite seines Brustkorbes freizulegen. Sie musste sich fast übergeben, als sie die Größe der Verletzung und das dunkelrote Blut sah, das aus der Wunde sickerte.
»So schlimm, hm?«, lächelte er.
Einer der Rettungssanitäter brachte einen Verband über der Verletzung an. In wenigen Augenblicken war er vom Blut durchtränkt.
»Er braucht eine Transfusion«, sagte der Mann. »Ihre Blutgruppe, Sir?«
»Null Negativ, verdammt.«
Einer der Sanitäter machte Meldung an das Traumateam des Krankenhauses. Kristen hatte immer angenommen, dass die Sanitäter Blutkonserven in weiser Voraussicht bei sich haben würden. Sie hatte aber nicht wirklich Ahnung. Der Rettungsdienst sollte für Geiseln oder Menschen da sein, die ins Kreuzfeuer geraten waren und nicht für ihren verdammten Freund benötigt werden.
Der andere Sanitäter stach Jonesy mit einer Nadel und einem Schlauch in den Arm. Er befestigte einen Beutel mit klarer Flüssigkeit daran, Schmerzmittel, hoffte sie. Der andere Mann setzte die Untersuchung unter der Achselhöhle fort und sah besorgt aus.
»Das hast du gut gemacht, Red, im Ernst, du hast das Zeug dazu.« Jonesy zog eine Grimasse.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das tue ich nicht. Ich habe den Schützen nicht gesehen, bis es zu spät war. Ich hätte ihn erschießen können und dir wäre nichts passiert.«
»Sei nicht so verdammt gierig, Red. Du hast schon mal eine Kugel für mich abgefangen, was übrigens echt beschissen war.«
»Nun, jetzt hast du sieben für mich abbekommen. Wenn mich schon eine einzige zum Arschloch macht, was machen dann sieben...«
»Das macht mich zu einem richtigen Arschloch.«
»Du bist kein Arschloch, du bist mein Freund.«
»Oh, lass den Hallmark-Mist, wir sind keine Freunde.«
»Doch, das sind wir.«
»Wir sind keine Freunde! Ich will keinen verdammten Mandarinen-Martini mit dir trinken, um Himmels willen. Wir sind Teamkollegen... wir sind Partner.« Er bekam einen Hustenanfall.
»Ich glaube, er hat innere Verletzungen«, meinte einer der Rettungssanitäter. »Sein Blutdruck fällt rapide ab und das Blut, das ich an der Seitenwunde sehe, ist keine Erklärung dafür. Wie die beiden so ruhig bleiben konnten, wenn ein Mann unter ihren Händen verblutete, war für Kristen völlig unbegreiflich.
»Wir sind mehr als nur Freunde, Red. Für wie viele deiner Freunde hast du Kugeln abbekommen?«
»Ich weiß es nicht. Ein paar?«
Das war ein schlechter Scherz. Er lachte und die Rettungssanitäter fluchten, als der Verband unter Jonesys Achsel verrutschte und den Druck verlor, den der Sanitäter damit hatte erzeugen wollen.
»Sie müssen still liegen und aufhören zu reden.«
»Fick dich, verdammter Pisser. Ich habe schon genug Männer sterben sehen, um zu wissen, dass ich absolut und unwiederbringlich im Arsch bin.«
»Jonesy!«, keuchte Kristen.
»Du hast geglaubt, ich würde es schaffen? Vielleicht bist doch du der verdammte Frischling.«
»Jonesy, hör auf zu reden.«
»Auf keinen Fall. Fick dich und scheiß auf sie und scheiß auf alle.« Er lachte wieder. »Du hast eine Kugel für mich abgefangen, Red. Darum geht es in einem Team. Wir passen aufeinander auf und schießen füreinander, wenn es nötig ist, um uns gegenseitig zu beschützen.«
»Aber du bist auch jetzt noch nicht in Sicherheit.«
Jonesy grinste. Seine blutigen Zähne ließen sie vor echter Angst zittern, dass sie sich kaum zusammenreißen konnte, weil es für sie unvorstellbar war, ihn zu verlieren. »Aber du bist es und wir beide wissen, dass du die Einzige bist, die den Rest unseres Teams da rausholen kann.«
»Ich gehe hier nicht weg!«
»Ich wusste, dass du das sagen würdest, aber keine Sorge, ich werde dich nicht zwingen. Denk nur daran, das Team braucht dich... du musst... zu ihnen gehen... um sie zu beschützen... nur...« Er musste wieder husten und diesmal war es schlimmer, Blutspritzer färbten seinen Speichel rot. Erst da wurde ihr bewusst, dass eine seiner Lungen gerissen sein musste, von da kam all das Blut.
»Nur was?«
»Nur lass dich nicht wieder anschießen... Es... es... es ist verdammt beschissen...«
Er atmete aus, sein Brustkorb sank und hob sich nie wieder.
Einen Moment lang hörte Kristen nichts als hohes Piepen. Sie erkannte nach einem Moment, dass es der Überwachungsmonitor war, der den Sanitätern so mitteilte, dass Jonesys Herz stehen geblieben war.
»Es tut uns leid, Officer«, sagte einer der Rettungssanitäter, aber sie konnte ihn nicht hören. Sie konnte nichts hören, außer die nachklingenden Worte von Jonesy und sein stoppendes Herz. Ihr eigenes Herz hatte vor Aufregung bis in den Hals herauf geschlagen, während seines einfach aufgehört hatte seinen Dienst zu tun. Das war nicht fair! Das hätte er nicht tun sollen! Wenn er das nicht getan hätte...
Eine Explosion ertönte und holte sie aus der Trauer, die ihr die Kehle zuzuschnüren drohte. Die Leute, die Jonesy ermordet hatten, waren immer noch in diesem Lagerhaus. Ihr Team war da drin, sie waren ihnen zahlenmäßig weit unterlegen, festgenagelt und, um Jonesy zu zitieren, völlig am Arsch.
Kristen atmete ein und schaute sich um. Die SWAT-Teams vor dem Gebäude bereiteten einen Entlastungsangriff vor. Sie hatten aber nicht die Zeit, sich vorzubereiten. Sie mussten handeln und zwar sofort. Ihr Team war da drin, umgeben von einer Horde verdammter Verrückter und der Rest der Polizei war hier draußen und sprach darüber, Gefangene zu machen und Verteidigungszonen aufzubauen?
Sie wollte schreien, dass für diesen Unsinn keine Zeit wäre und sie endlich handeln mussten, aber es war sinnlos. Sie würden nicht handeln, nicht rechtzeitig. Nur sie würde es tun.
Ihr Kummer kam hoch und löste sich in Luft auf. Unbändige Wut füllte den leeren Raum in ihr. Sie entstand durch den Verlust ihres Freundes und konzentrierte sich auf die blutrünstigen Schwachköpfe, die dachten, sie könnten eine Stadt – ihre Stadt – von den Menschen, die dort lebten, übernehmen.
Ihre Wut schwoll an und sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
Es entwickelte sich eine unerbittliche Entschlossenheit in ihr – sie wollte nicht zulassen, dass diese Arschlöcher ihre Stadt einnehmen, aber sie ließ sich auch nicht von ihrer Wut blenden. All die Monate des harten Trainings hatten sie auf diesen Moment vorbereitet. Sie kanalisierte ihre weiß glühende Wut in das, was sie konnte und ließ sie abkühlen und zu Eis erstarren.
Einen Moment später rannte sie wieder ins Lagerhaus, um ihre Freunde zu retten.