Drei

 

Als es am Abend Zeit ist, zu Bett zu gehen, ist Felix immer noch so aufgeregt, als läge unser Besuch auf dem Osterstadtfest noch immer vor uns. Er redet in einer Tour und erzählt mir, was er dort alles unternommen hat, obwohl ich die meiste Zeit dabei gewesen bin. Aber mein kleiner Sohn ist schon immer so gewesen, er scheint alles viel extremer und intensiver wahrzunehmen als so manch anderes Kind. Und genau das liebe ich so sehr an ihm.

„Du, Papa?“

„Hm?“

Ich bin gerade dabei, ihn erneut zuzudecken und dafür zu sorgen, dass er langsam zur Ruhe kommt, als er mich erneut mit großen Augen ansieht. Im Grunde weiß ich bereits, was er mich fragen möchte, und ich denke, dass ich es ihm definitiv möglich machen werde.

„Gehen wir noch einmal zum Osterfest? Das war so toll.“

„Es hat dir dort sehr gefallen, was?“

Felix nickt. „Und wie! Ich möchte unbedingt noch einmal so ein großes Ei anmalen!“

Mein Blick wandert zum Fenster, an dem nun zwei dieser großen Eier stehen, die Felix in diesem und letzten Jahr angemalt hat. Malen hat ihm schon immer sehr viel Spaß gemacht und ich bin immer wieder begeistert davon, wie gut er das bereits macht.

„Also ich denke, das lässt sich einrichten“, erwidere ich mit einem Lächeln auf den Lippen, woraufhin er mir erneut um den Hals fällt.

„Wirklich? Gehst du noch mal mit mir dahin?“

„Aber natürlich, wenn du es dir wünschst.“

Er nickt zustimmend und drückt mir einen Kuss auf die Wange. „Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch, aber jetzt wird geschlafen. Morgen früh ist wieder Kindergarten und ich muss auch zur Arbeit. Aber am Nachmittag, wenn ich dich abgeholt habe, können wir schauen, ob wir uns direkt auf den Weg machen. In Ordnung?“

Felix nickt erneut. „Nur wir beide oder Tante Kathi auch?“

„Tante Kathi muss arbeiten, aber ich denke, wir zwei werden auch allein viel Spaß haben. Oder?“

„Auf jeden Fall!“

„Na also.“ Ich hebe seine Bettdecke an, damit er wieder darunter kriechen kann. „Dann kuschle dich jetzt schön ein und träum von den Erlebnissen heute. Du kannst sicherlich sehr gut schlafen.“

„Ja, ganz bestimmt“, nuschelt er und zieht die Decke, die ich zuvor auf ihn gelegt habe, näher an sich heran. Anschließend erhebe ich mich und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, Papa.“

„Gute Nacht, Felix. Schlaf schön.“

Noch einmal streichle ich ihm sanft über die Wange, bevor ich das Licht an seinem Bett ausschalte und mich Richtung Zimmertür begebe. Noch ein letzter Blick, dann schließe ich die Tür mit einem guten Gefühl im Bauch. Wenn Felix glücklich ist, dann bin ich es auch. Es gibt nichts anderes, das in meinem Leben zählt.

 

Dennoch bin ich ganz froh darüber, dass dieser Tag endlich ein Ende findet. Ob ich es möchte oder nicht, die letzten Stunden sind anstrengend gewesen. Allein, weil wir uns einige Stunden auf dem Stadtfest aufgehalten haben. Kinderschminken hier, Karussell da und dann trifft man ja auch immer noch den einen oder anderen, dem man sonst nicht sehr oft begegnet und mit dem man sich stundenlang austauschen kann. So ist es uns an diesem Nachmittag oft ergangen. Und dann war da ja auch noch …

Noah …

Allein sein Name jagt mir eine Gänsehaut über die Arme und wenn ich dann an seine Augen denke …

Kopfschüttelnd lasse ich mich auf der Couch nieder und schiebe den Ärmel meiner Sweatjacke nach oben. Da ist sie, seine Nummer und der kleine Osterhase, den er direkt daneben gemalt hat, lacht mir auf urkomische Weise mitten ins Gesicht. So etwas ist mir wirklich noch nie passiert. Wenn ich mal einen Typen kennengelernt habe, dann sind wir entweder direkt zu ihm oder zu mir oder er hat mir seine Nummer nach einer heißen Nacht direkt in mein Handy gespeichert. Aber das … Das war süß und aufregend zugleich, auch wenn ich ehrlich gesagt nicht einmal weiß, wie ich darauf reagieren soll. Sicher, andere würden sich sofort bei ihm melden und eine Verabredung ausmachen, aber ich … Ich habe keine Lust mehr auf Verabredungen, die in meinem oder seinem Bett landen und anschließend auf Nimmerwiedersehen enden. Vor allem, wenn ich ihnen erzähle, dass ich …

Seufzend lasse ich mich nach hinten fallen und schließe die Augen. Noah sah nicht danach aus, als würde er nur jemanden fürs Bett suchen, aber wer weiß schon, wie oft er seine Nummer auf dem Fest auch an andere verteilt hat. Niemand weiß das, allerdings werde ich es auch nicht herausfinden, wenn ich mich nicht bei ihm melde, und das Risiko werde ich eingehen müssen, wenn ich … Das ist doch alles Mist. Am Ende wird er sich nie wieder bei mir melden und ich stehe wieder wie der Dumme da. Auf der anderen Seite habe ich mich seit einer gefühlten Ewigkeit mit niemandem mehr getroffen, doch ich hatte eben auch nicht vor, das in absehbarer Zeit zu ändern. Aber diese Augen.

Die Augen geschlossen, nehme ich einen tiefen Atemzug und ziehe anschließend das Handy aus meiner Hosentasche. Seufzend öffne ich die Augen, nur um kurz darauf die Displaysperre zu lösen und Noahs Nummer in meine Kontaktliste einzuspeichern. Ich habe keine Ahnung, was ich mir davon verspreche, denn ich bin mir sicher, dass sich die Euphorie meines Gegenübers spätestens mit der Tatsache, dass ich einen Sohn habe, erledigt haben wird. Denn wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann, dass die wenigsten Typen in meinem Alter einen Partner wollen, der ein Anhängsel mitbringt. Was heißt die wenigsten? Mir ist ehrlich gesagt noch keiner begegnet. Sex, ja. Party, ja. Aber Verantwortung? Niemals und auf keinen Fall.

Trotzdem und obwohl ich weiß, dass das alles eh keinen Sinn macht, öffne ich kurz darauf einen WhatsApp-Chat mit ihm und starre Minuten lang auf das Display. Sein Profilbild kann ich natürlich noch nicht sehen, da er mich nicht eingespeichert hat, aber das wird nur eine Frage der Zeit sein, wenn ich ihn angeschrieben habe. Aber wozu? Ich meine …

Kopfschüttelnd tippe ich ein paar Worte in den Chat ein, lösche sie jedoch direkt wieder. Immer und immer wieder, weil mir einfach nichts als passend erscheint und mich jede Minute, die ich länger vor diesem verdammten Teil sitze, nervöser macht. Wir haben uns keine zwei Minuten unterhalten , denke ich und schüttle erneut den Kopf. Doch genau diese zwei Minuten haben ausgereicht, dass er mir genau diesen verdrehen konnte. Mein Herz klopft noch immer viel zu schnell, wenn ich an sein Lächeln und die wunderschönen grünen Augen denke. Seine Stimme. Die Grübchen an seiner Wange.

„O Mann, Nick“, sage ich nach einer ganzen Weile zu mir selbst und tippe die wohl idiotischsten Worte ein, die mir in diesem Moment einfallen.

 

‚Hey, Nick hier‘, ist alles, was ich zu Stande bekomme, und wenn ich Glück habe, wird er erst gar nicht darauf reagieren.

Es ist besser für alle. Besser für mein Herz und mein Wohlbefinden. Aber lassen … lassen konnte ich es eben auch nicht.

Mein Herz macht einen Sprung, als ich registriere, dass plötzlich sein Profilbild sichtbar und mir klar wird, dass er mich gerade eingespeichert hat. Mit zitternden Fingern tippe ich auf das kleine, runde Bild und muss sofort lächeln, als ich einen Minihund entdecke. Ein Welpe , denke ich und glaube zu wissen, dass es ein brauner Labrador sein könnte. Sicher bin ich mir aber nicht. Hunde sind nicht gerade das Thema, von dem ich sonderlich viel Ahnung habe.

 

‚Du hast mich ganz schön lange warten lassen :)‘ , antwortet er kurze Zeit später, ich warte jedoch, da er noch immer zu schreiben scheint. ‚Ehrlich gesagt dachte ich schon, dass ich mit dieser Aktion etwas übertrieben habe, lach.‘

 

Auch wenn das nicht gerade danach klingt, als würde er am Tag zig Typen seine Telefonnummer geben, bleibe ich zunächst skeptisch. Ich schätze, ich hätte mich das auch unter anderen Umständen nicht getraut.

 

‚So? Dabei kamst du aber verdammt selbstbewusst rüber :)‘

 

Es ist die Wahrheit und ich denke, so kann ich es auch formulieren, ohne dass es sich direkt bescheuert anhört. Die Frage, ob ich Nummer eins, zwei oder drei war, werde ich ihm ganz sicher nicht stellen.

Und dann ist es, als hätte er meine Gedanken gelesen.

 

‚Falls du glaubst, dass ich so etwas öfter mache, irrst du dich. Sicher, ich bin bestimmt nicht auf den Mund gefallen und sage auch, was ich denke. Aber wenn ich nicht einmal weiß, ob mein Gegenüber auch oder ausschließlich auf Männer steht, zwinge ich ihm normal auch nicht meine Nummer auf.‘

 

‚Und warum hast du es dann bei mir getan?‘

 

Ja, genau das möchte ich wissen.

Warum?

Warum ausgerechnet ich?

Ich meine, klar, ich sehe bestimmt nicht schlecht aus und schreiend vor mir weglaufen muss man sicherlich auch nicht. Aber meines Erachtens gibt es da auch nichts, was einen Typen direkt umhaut. Auch wenn Kathi immer das Gegenteil behauptet.

 

‚Weil du etwas an dir hast, das mich sofort fasziniert hat. Sei es die Art, wie du sprichst oder dich bewegst. Deine Augen, aber vor allem dein Lächeln. Das war unbeschreiblich. Also habe ich gehofft, dass es dir nicht anders ging und du dich bei mir meldest. Und siehe da :)‘

 

Ich muss zugeben, dass mich das, was er sagt, wahnsinnig berührt, auch wenn es unglaublich kitschig ist. Aber er scheint anders zu sein als die Kerle, die ich bisher kennengelernt habe. Hoffe ich zumindest.

 

‚Wie alt bist du eigentlich?‘

 

Als diese Frage hinterherkommt, tippe ich sofort meine Antwort ein.

 

‚Ich bin 21. Und du?‘

 

‚25 :)‘ Ich weiß nicht warum, aber es fällt mir schwer, die richtigen Worte auf etwas zu finden, das es nicht einmal gibt. Aber was soll ich ihm schon erzählen? Zumal ich zugeben muss, dass ich eh kein Mensch bin, der stundenlang am Handy sitzt, um irgendwem zu schreiben. Ich telefoniere lieber, beziehungsweise unterhalte mich am liebsten, wenn mir der andere gegenübersitzt. ‚Weißt du was, Nick?‘

 

‚Nein? Was sollte ich denn wissen?‘

 

‚Es gibt unglaublich viel, das ich dich fragen möchte, aber wenn ich ehrlich bin, dann möchte ich das ungern über WhatsApp machen. Dann haben wir uns nämlich nichts mehr zu erzählen, wenn wir uns treffen.‘ Kann einem ein Mensch wirklich so ähnlich sein? ‚Hättest du denn Lust dazu? Ich meine, hättest du Lust, mich kennenzulernen? Vermutlich, wenn du mich anschreibst, aber fragen muss ich ja trotzdem und …‘ Noch während ich lese, schüttle ich schmunzelnd den Kopf. Es klingt, als wäre er total nervös. ‚Möchtest du am Freitag meine Verabredung sein? :) Ich weiß, es ist noch ein bisschen bis dahin, aber zeitlich kriege ich es diese Woche nicht anders geregelt. Ich habe die nächsten vier Tage Spätschicht, ab Freitag dann aber drei Tage frei. Da stehe ich dann zur freien Verfügung :)‘

 

Als was er wohl arbeitet?

 

‚Freitag klingt gut :) Was werden wir machen?‘

 

‚Lass dich überraschen :)‘