Vier

 

„Nein, erzähl nicht. Du hast was?“

Ich verdrehe die Augen, da Kathi gerade reagiert, als wäre ein Weltwunder passiert. Okay, irgendwie ist es das vermutlich auch, aber eben irgendwie auch nicht.

„Könntest du bitte aufhören, so zu tun, als hätte ich in meinem Leben noch nie einen Typen gehabt?“

Jetzt ist sie diejenige, die die Augen verdreht. „Du weißt genau, dass es darum nicht geht. Also lass mich mich freuen, wenn du mir so etwas erzählst.“ Sie schenkt sich ein Glas Wasser ein, während ich Felix dabei beobachte, wie er auf dem Boden vor dem Fernseher sitzt und sich Paw Patrol ansieht. Wir sind schon eine ganze Weile bei ihr, getraut, ihr von Noah zu erzählen, habe ich mich aber erst jetzt. „Und? Habt ihr schon telefoniert? Oder miteinander geschrieben?“

Ich schüttle den Kopf. „Nur kurz geschrieben. Er wollte mir aber nicht zu viele Fragen über WhatsApp stellen, damit wir uns auch noch was zu erzählen haben, wenn wir uns treffen.“

Meine Schwester lächelt. „Wie alt ist er denn?“

„25.“

„Und wie heißt er?“

„Noah.“

Als sie eine Augenbraue hebt, sehe ich erneut zu Felix, kurz darauf aber wieder zu ihr zurück.

„Was?“

„Wie, was? Muss ich dir wirklich alles aus der Nase ziehen? Wo kommt er her? Was macht er so? Da gibt es doch sicherlich einiges zu erzählen.“

„Nein, gibt es nicht.“ Ich seufze. „Ich habe dir doch gerade gesagt, dass er mir nicht so viele Fragen stellen wollte, damit wir uns was zu erzählen haben, wenn wir uns treffen.“

„Stimmt“, erwidert sie, als hätte sie es vergessen, grinst aber trotzdem. „Es hätte ja aber sein können, dass du ihn das eine oder andere gefragt hast.“ Dann macht sie eine kurze Pause. „Und wie fühlst du dich damit?“

Ich sehe sie fragend an. „Wie meinst du das?“

„Na ja.“ Sie zuckt mit den Schultern und trinkt einen Schluck. „Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du dir viele Gedanken machen wirst. Unter anderem stellst du dir doch sicherlich die Frage, ob er das schon öfter gemacht hat.“

„Die habe ich mir gestellt, ja, allerdings hat er es direkt von allein verneint. Mir wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als abzuwarten und es herauszufinden.“

„Das ist richtig, ja. Wo wir schon beim nächsten Thema wären.“ Sie sieht hinüber zu Felix und ich weiß genau, was sie meint. „Hast du ihm gesagt, dass du Vater bist?“

„Nein.“

„Und warum nicht?“

„Kathi …“ Ich weiß nicht, warum ich so genervt bin, aber mittlerweile fühlt sich das alles hier mehr wie ein Verhör an als ein normales Gespräch. „Glaubst du wirklich, dass ich zwischen seiner Telefonnummer und ein paar geschriebenen Sätzen Zeit dazu hatte?“

„Das weiß ich nicht, aber meiner Meinung nach sollte genau das das Erste sein, was du einem Typen erzählst. Gerade weil du schon ein paar Mal damit auf die Nase gefallen bist.“

„Sie waren eben nicht die Richtigen.“

Ich blicke zur Seite und direkt auf meinen Sohn, der mich in diesem Moment ansieht und mir ein unbeschreiblich süßes Lächeln schenkt. Auch meine Mundwinkel zucken. Trotz allem.

„Das ist mir bewusst, aber gerade deshalb finde ich, dass du direkt ehrlich sein solltest. Nämlich bevor du mit ihm in die Kiste steigst und es am Ende ein böses Erwachen gibt. Immerhin scheint er dir zu gefallen.“

„Ich hatte nicht vor, direkt mit ihm in die Kiste zu steigen, Kathi.“

Sie lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust, während ich mein Glas mit den Fingern umklammere, sie aber noch nicht richtig ansehe. Ich weiß genau, was jetzt kommt, aber mir hätte von Anfang an klar sein müssen, dass sie mir einen Vortrag hält.

„Wir wissen beide, dass du es tun wirst, wenn du verzweifelt bist.“

Innerlich verdrehe ich die Augen. „Ich bin aber nicht verzweifelt.“

„Aber einsam.“

„Kathi!“ Jetzt sehe ich sie wieder an. „Glaubst du wirklich, dass ich mich nur mit ihm treffen möchte, damit ich mal nicht allein bin? Ja, ich hätte gern eine Beziehung, aber ich bin nicht mehr ganz so bescheuert wie vor ein paar Monaten. Bei ihm wird das anders, ganz sicher.“

„Also wirst du ihm sofort die Wahrheit sagen?“

Ich stehe auf, gehe ein paar Schritte und stelle mich mit verschränkten Armen ans Fenster.

Die Wahrheit sagen … Natürlich muss ich ihm die Wahrheit sagen. Früher oder später, aber bisher habe ich es immer lieber später als früh getan. Warum, das weiß ich selbst nicht. Vielleicht, weil ich wenigstens ein paar Tage das Gefühl einer Beziehung erleben wollte. Weil ich nicht wollte, dass es schneller vorbei ist, als es angefangen hat. Vielleicht, weil ich Angst hatte. Vielleicht aber auch, weil ich ein Idiot bin. Ich weiß selbst nicht, was ich mir jedes Mal dabei versprochen habe, wenn ich den Typen, die ich gedatet habe, Felix verschwiegen habe. Aber wahrscheinlich habe ich gar nicht gedacht. Denn ich würde niemals, wirklich niemals einen Mann über meinen eigenen Sohn stellen. Uns gibt es nur zusammen. Und nicht anders.

„Es tut mir leid, Nick.“ Ich drehe mich zu ihr um und sehe sie an. „Ich sollte dir nicht vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast. Aber das sind wohl die entscheidenden zehn Jahre Altersunterschied, die wir haben. Ich muss eben immer die große Schwester raushängen lassen.“

„Und du weißt, wie dankbar ich dir dafür bin.“ Ich schenke ihr ein Lächeln, bevor ich zum Tisch zurückgehe und mich mit den Händen an der Stuhllehne abstütze. „Und im Endeffekt hast du ja auch recht. Ich will keinen Sex, sondern eine Beziehung und die bekomme ich nicht, wenn ich von Anfang an unehrlich bin. Es ist nur …“

„Ich weiß …“ Sie legt den Kopf ein wenig schief. „Also wenn du mich fragst, dann solltest du das eh erst einmal auf dich zukommen lassen. Triff dich Freitag mit ihm und finde heraus, wie er so ist. Alles andere ergibt sich vermutlich von allein. Weißt du schon, was ihr machen werdet?“

Ich schüttle den Kopf. „Nein, er sagt, ich soll mich überraschen lassen.“

„Na, das klingt doch schon mal gut. Also ich werde jedenfalls auf Felix aufpassen. Wir machen uns einen schönen Nachmittag. Nicht wahr, Felix?“

Der Kleine dreht sich zu uns um. „Jetzt? Gehen wir noch mal auf das Osterfest?“

Ich muss lachen. „Aber da waren wir doch vorhin erst.“

„Ich weiß, aber es ist doch so toll.“

Da muss ich ihm rechtgeben. Auch wenn meine Hoffnung, Noah dort noch einmal zu sehen, sehr schnell verflogen ist. Er war leider nicht da.

„Das stimmt, aber vielleicht fällt uns ja auch etwas anderes ein. Was meinst du?“ Er sieht meine Schwester an und nickt. „Na also. Wir unternehmen etwas und der Papa macht sich auch einen schönen Nachmittag. Einverstanden?“

„Einverstanden!“, erwidert er bestimmt und grinst wie ein Honigkuchenpferd.

Dann ist das wohl beschlossene Sache.