Fünf

 

Donnerstagabend.

Der Abend vor meinem Treffen mit Noah.

Doch gemeldet hat er sich bisher immer noch nicht.

Wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll. Ich meine, natürlich, er hat mir erklärt, warum er mich nicht über WhatsApp kennenlernen möchte, und ich finde das auch vollkommen in Ordnung. Aber seit wir miteinander geschrieben haben, kam von ihm überhaupt nichts mehr und genau das macht mich stutzig. Auf der anderen Seite … Bin ich besser? Ich habe mich ebenso wenig getraut, ihn anzuschreiben und ich kann nicht einmal sagen wieso. Vielleicht liegt es daran, dass die Art und Weise, jemanden kennenzulernen, eben so anders ist, als es bisher der Fall gewesen ist. Früher bin ich immer nur in Klubs gegangen und habe gehofft, da die Liebe meines Lebens zu finden. Ziemlich idiotisch, wenn man so darüber nachdenkt. Nicht nur, weil die Wahrscheinlichkeit dafür verschwindend gering ist, sondern auch, wenn man mal über mein Alter nachdenkt. Ich bin einundzwanzig, andere denken da nicht einmal über Beziehungen nach. Ich hingegen mache das schon seit ich überhaupt darüber nachgedacht habe, dass mich Jungs mehr interessieren als Mädchen. Für mich stand schon immer fest, dass ich jemanden an meiner Seite haben möchte, mit dem ich alt werden kann. Jemanden, der für mich da ist und bei mir bleibt, bis dass der Tod uns scheidet. Schuld daran sind unsere Eltern, wenn man es als Schuld bezeichnen kann. Aber die Beziehung, die sie uns in unserer Kindheit vorgelebt haben, wünscht man wirklich niemandem. Bei mir hat sie den Wunsch nach bedingungsloser Liebe ausgelöst. Bei Kathi nur das Gegenteil. Sie möchte keinen Mann an ihrer Seite. Dafür gönnt sie mir das große Glück auf Erden umso mehr.

 

‚Und? Weißt du schon, wann du mir Felix morgen bringst?‘

 

Ich seufze, da ich Kathi diese Frage gern beantworten würde, es aber leider nicht kann. Noah hat sich bisher immer noch nicht gemeldet und wenn ich ehrlich bin, bezweifle ich, dass er es im Laufe des Abends noch macht. Aber vielleicht werde ich ihm nachher noch eine Nachricht schreiben. Einfach nur, um ihm mitzuteilen, dass er mir ruhig sagen kann, wenn er keinen Bock mehr auf mich hat.

 

‚Ich denke, ich werde ihn bringen, wenn ich ihn aus dem Kindergarten abgeholt habe. Er freut sich schon so sehr auf den Nachmittag mit dir, dass ich ihn ungern enttäuschen möchte.‘

 

‚Noah hat sich also noch nicht gemeldet.‘

 

‚Nein‘ , schreibe ich wortkarg zurück, füge dem Ganzen jedoch noch schnell etwas hinzu. ‚Aber das ist okay. Die Welt geht davon nicht unter.‘

 

Natürlich ist es nicht okay und das weiß sie, aber da ich es auch nicht ändern kann, werde ich mich nicht weiter verrückt machen. Es wäre eh zu schön gewesen, um wahr zu sein, einfach mal einen Typen so sehr umzuhauen, dass er sich direkt mit mir treffen möchte.

Ganz ohne große Hintergedanken.

Nicht nur zum Sex.

Einfach nur, weil ich ihm auf gewisse Art und Weise sympathisch war.

 

‚Ich bin mir sicher, dass er sich noch melden wird.‘

 

Und ich wünschte, sie würde recht behalten.

 

‚Ich werde es dich wissen lassen :) Bis morgen, Schwesterherz.‘

 

‚Bis morgen. Und schlaf gut :)‘

 

Die Lippen aufeinandergepresst, lege ich mein Handy auf den Wohnzimmertisch, nur um es wenige Sekunden später wieder an mich zu nehmen und mich zurückzulehnen. Langsam winkle ich die Beine an und öffne anschließend Noahs Chat, den ich natürlich noch immer nicht gelöscht habe. Die Hoffnung stirbt eben zuletzt , denke ich und schüttle leicht den Kopf, als mir seine letzte Nachricht ins Auge springt.

 

‚Lass dich überraschen :)‘

 

Die Frage ist, was er damit gemeint hat. Vielleicht möchte er mich ja auch damit überraschen, ob er sich überhaupt noch einmal meldet. Könnte auch eine Erklärung sein , sage ich innerlich, als ich bemerke, wie lächerlich und kindisch das eigentlich klingt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er den ganzen Aufwand nur betrieben hat, um mich anschließend einfach zu ignorieren. Das macht keinen Sinn und wäre genauso idiotisch, wie all die Gedanken, die ich in der letzten Zeit habe. Vielleicht ist ihm einfach nur etwas dazwischengekommen und er hat keine Zeit. Oder aber er …

Erneut schüttle ich den Kopf, bevor ich mit dem Finger über das Display gleite und schließlich an seinem Profilbild hängen bleibe. Mit einem kurzen Tippen habe ich es vergrößert und kann nicht verhindern, dass mein Herz einen kleinen Sprung macht. Es ist nicht mehr nur der kleine Welpe zu sehen. Nein, neben ihm sitzt jetzt ein junger Mann, dessen grüne Augen meinen Puls rasen und meine Hände feucht werden lassen. Langsam zoome ich das Bild heran. Es ist leicht verpixelt, dennoch ist sein Lächeln unverkennbar. Genau wie die süßen Grübchen an seinen Wangen und eben das intensive Grün seiner großen Augen. Noah ist mit jeder Faser genau das, was ich möchte. Auch wenn ich das bisher nur vom Aussehen her sagen kann.

„Es wäre zu schön gewesen, um wahr zu sein“, sage ich leise zu mir selbst und möchte mein Handy bereits zur Seite legen, als ich bemerke, dass mir am oberen Rand des Displays eine Nachricht angezeigt wird.

Er hat geschrieben.

Ich glaube es nicht.

 

‚Osterhase an Eichhörnchen. Bist du da? :)‘

 

Irritiert runzle ich die Stirn, schmunzle aber unter rasendem Herzschlag.

 

‚Eichhörnchen? Habe ich etwas verpasst?‘

 

‚Dein Haar hat mich ein bisschen an den Schwanz eines Eichhörnchens erinnert. Nicht so rotbraun, aber schön wuschelig. Da möchte man am liebsten hineingreifen :)‘

 

Ich muss lachen. Also das hat auch noch niemand zu mir gesagt.

 

‚Also das hat auch noch niemand zu mir gesagt, lach‘ , schreibe ich meine Gedanken nieder und merke sofort, wie erleichtert ich bin.

 

Ich habe nicht mehr mit ihm gerechnet. Umso schöner ist es, dass er sich jetzt doch gemeldet hat.

 

‚Dann wurde es Zeit :) Hör mal, es tut mir leid, dass ich mich die ganze Woche nicht gemeldet habe, aber ich hatte mich bewusst dazu entschieden, auch wenn das vielleicht bescheuert klingt. Aber ich wusste, wenn ich einmal ein Gespräch mit dir anfange, dann möchte ich nicht mehr aufhören und wie ich letztens schon erwähnte, möchte ich dich persönlich und nicht über das dumme Handy kennenlernen. Ich hoffe, du kannst mir das noch einmal verzeihen :)‘

 

Verzeihen … Muss man so was verzeihen? Der Gedanke dahinter, wenn er denn der Wahrheit entspricht, ist wirklich süß. Warum also sollte ich mich jetzt beschweren?

 

‚Es ist alles in Ordnung, wirklich.‘

 

‚Gut :) Und? Möchtest du noch immer wissen, was ich mir für morgen überlegt habe?‘

 

Wenn er wüsste …

 

‚Na, was glaubst du denn? Natürlich möchte ich es wissen :)‘

 

‚Gut, du wirst aber noch nicht alles erfahren, lach. Immerhin soll die Spannung ja ein bisschen aufrechterhalten bleiben.‘ Er schreibt weiter, doch mir klopft das Herz mittlerweile schon wieder bis zum Hals. Ob er auch nur ansatzweise weiß, wie aufgeregt ich bin? Und ob es ihm genauso geht? ‚Wir treffen uns um 16 Uhr in Schillig am Strand. Oben am großen Parkplatz. Schaffst du das? Ich meine zeitlich und mobil? Oder soll ich dich irgendwo abholen?‘

 

In Schillig am Strand? Was hat er vor? Schwimmen wird er um diese Jahreszeit ja wohl nicht gehen wollen.

 

‚Nein, das musst du nicht. Ich habe ein Auto und freitags immer eher Feierabend. Das passt also.‘

 

‚Sehr schön. Dann würde ich sagen, beenden wir dieses Gespräch jetzt, auch wenn es mir schwerfällt, und freuen uns auf morgen. Ich freue mich nämlich wirklich. Ich bin sehr gespannt auf dich.‘

 

‚Das geht mir auch so‘ , tippe ich mit zitternden Fingern ein und kämpfe gegen meinen schweren Atem an. Was soll das morgen nur geben? ‚Bis morgen, Noah.‘

 

‚Bis morgen, Nick :)‘

 

Ich schließe den Chat und lege das Handy neben mir auf die Couch, während ich erst einmal tief durchatmen muss.

Nur noch ein paar Stunden, dann sehe ich ihn endlich wieder.

Nur noch ein paar Stunden, dann darf ich ihn endlich kennenlernen.

Den Mann mit dem umwerfenden Lächeln und den wunderschönen Augen.

Ich werde sterben.

Ich werde verdammt noch mal sterben.