Sieben

 

Ich muss zugeben, dass ich einen kurzen Moment lang überlegt habe, die Badezimmertür offen zu lassen, damit Noah mir unter die Dusche folgen kann, habe mich dann aber relativ schnell wieder dagegen entschieden. Sicher, die Verlockung war groß und unser Fastkuss am Strand hat mir ja gezeigt, wie viel Interesse er an mir hat. Aber nein … Ich sollte mich einfach an das halten, was ich mir vorgenommen habe, damit ich am Ende nicht wieder dumm aus der Wäsche schaue. Auch wenn mir der Gedanke, mit ihm unter der Dusche heiße Dinge anzustellen, mehr als nur gut gefallen hat. Ich bin eben unverbesserlich, aber es wird doch wohl möglich sein, dass ich mich dieses Mal zurückhalte. Egal wie süß, charmant und sexy dieser Traummann ist.

„Und Naomi bleibt wirklich schon ohne Probleme allein in deiner Wohnung? Ich weiß nur von einer Bekannten, dass sie damals lange gebraucht hat, um ihren Hund nur mal für zehn Minuten allein lassen zu können.“

„Ja, da ist sie, zum Glück, sehr, sehr pflegeleicht.“ Wir verlassen gerade das Haus und Noah zieht die Tür hinter sich zu. „Aber allzu oft kommt das ja auch nicht vor.“

„Und was machst du, wenn du arbeiten gehst?“

„Dann nehme ich sie mit.“ Er lächelt und wir laufen die kleine Straße hinauf. „Die Bewohner freuen sich immer sehr, wenn sie da ist und ich habe immer das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Sie sind glücklich, wenn sie sie streicheln können oder wenn sie sich einfach bei ihnen an die Füße legt und Naomi ist damit auch voll und ganz zufrieden. So ist sie in meiner Nähe, auch wenn ich mich nicht ununterbrochen um sie kümmern kann.“

„Das hört sich wirklich schön an und sie ist ja auch ein wirklich liebes Tier.“

„Das ist sie. Und übrigens absolut kinderlieb.“ Er sieht mich an, während er die Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen verzieht. „Felix wird sicherlich seinen Spaß an ihr haben.“

„Oh, das bezweifle ich nicht“, erwidere ich, auch wenn mir im nächsten Moment der Gedanke durch den Kopf schießt, dass ich hoffe, dass es überhaupt so weit kommen wird. Sicher bin ich mir, trotz seines Verhaltens, nämlich immer noch nicht. „Felix ist verrückt nach Tieren aller Art.“

„Ich finde das gut. So lernen sie früh genug, dass Tiere auch Lebewesen sind und man sie gut behandeln muss.“ Mittlerweile sind wir an dem kleinen Café, von dem er mir erzählt hat, angekommen. Seine Hand liegt auf der Türklinke, während er mich fragend und erwartungsvoll ansieht. „So, bist du bereit?“

„Bereit für was?“, frage ich lachend, während ich meinen Blick durch die Fensterscheibe schweifen lasse.

Gerade scheint nicht viel los zu sein.

„Bereit, meine Mutter kennenzulernen. Es ist Ewigkeiten her, dass ich jemanden mit hierhergebracht habe, außer Anni und sie gehört sowieso zum Inventar. Das heißt, sie wird sich gleich überschlagen und ich hoffe, du kannst damit umgehen.“ Er lacht ebenfalls, doch wenn ich ehrlich bin, kann ich mir nicht so recht vorstellen, wie genau er das meint. Meine Erfahrung mit den Müttern meiner Dates hält sich in Grenzen. Im Grunde habe ich absolut keine. „Also, bereit?“ Ich nicke, als er schmunzelnd den Kopf schief legt. „Sehr gut, dann komm.“

Während Noah die Tür zum Café aufzieht, muss ich zugeben, dass ich vor Nervosität und Unsicherheit nicht mehr weiß, wohin mit mir. Auf der einen Seite finde ich es wirklich schön, dass ich schon am ersten Tag seine Eltern kennenlernen darf, da es mir auf gewisse Art und Weise zeigt, dass er tatsächlich Interesse an mir hat. Auf der anderen Seite weiß ich aber eben nicht, wie ich mich verhalten soll. Das ist alles so ungewohnt und vor allem kommt es … plötzlich.

„Einen Moment, ich bin gleich bei Ihnen“, sagt eine Frau, die gerade mit einem Tablet durch den Raum wirbelt und mit hoher Wahrscheinlichkeit Noahs Mutter ist. Sie ist gerade dabei, zwei ältere Damen zu bedienen, die als einzige in der hintersten Ecke des Raumes sitzen. Das Café ist tatsächlich sehr klein, aber dennoch schön und gemütlich eingerichtet. Frau Meyer, unsere Nachbarin, würde sich hier sicherlich auch sehr wohlfühlen. „Nehmen Sie doch schon mal Platz.“

Dass Noahs Mutter ihren Sohn noch nicht erkannt hat, lässt mich schmunzeln und auch Noah lässt sich zu einem kleinen Scherz hinreißen. „Offenbar hat sie ihre Brille wieder nicht auf“, witzelt er, woraufhin sie sich zu uns umdreht.

Sie verdreht die Augen. „Als hätte ich es nicht gewusst“, sagt sie, stellt den Damen zwei Tassen Kaffee auf den Tisch und erhebt sich dann, während sie sich das Tablet vor die Brust hält. Anschließend kommt sie mit einem Lächeln auf den Lippen auf uns zu. Einem Lächeln, das Noahs eins zu eins gleicht. Genau wie ihre Augen. „Ich habe mich schon gewundert, wo du bleibst. Du bist spät dran heute.“

Sie begrüßt ihn mit einem Kuss auf die Wange und ich kann nicht verhindern, dass ich so etwas wie einen Stich in meinem Herzen verspüre. So herzlich ist meine Mutter nie mit mir umgegangen.

„Ich weiß, aber das hat auch seinen Grund.“ Noah dreht sich zu mir um, lächelt strahlend und ich versuche, dies trotz aller Nervosität zu erwidern. „Darf ich dir vorstellen, das ist Nick. Wir waren den ganzen Nachmittag mit Naomi am Strand und dachten jetzt, wir stärken uns mit einem Stück deiner leckersten Torte.“ Sein Lächeln versiegt nicht und als er den Arm nach mir ausstreckt, fühle ich mich irgendwie, als wären wir schon seit einer halben Ewigkeit zusammen. Ohne zu zögern, ergreife ich seine Hand, dann gehe ich ein paar Schritte näher. „Du musst nämlich wissen, dass die Torten hier alle hausgemacht sind.“

„Na, dann bin ich jetzt aber umso neugieriger“, erwidere ich und halte ihr zur Begrüßung die andere Hand hin.

Allerdings reagiert sie nicht und starrt mich stattdessen nur merkwürdig an, was mich noch unsicherer werden lässt. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.

„Ma …“ Noah runzelt die Stirn, während er seine Mutter fragend ansieht. „Du dementierst gerade das, was ich Nick vor der Tür über dich erzählt habe. Jetzt bin ich aber wirklich enttäuscht.“ Dann beginnt er zu lachen. „Bist du schockgefroren?“

„Ach Gott.“ Sie sieht Noah an und hält sich die Hand vor den Mund. „Ich weiß auch nicht, das kam jetzt doch sehr unerwartet.“ Dann wendet sie sich an mich. „Entschuldige bitte, aber damit habe ich jetzt doch nicht gerechnet.“ Sie ergreift meine Hand, dann lächelt sie. „Es freut mich, Sie kennenzulernen, Nick. Ich bin Tabea.“

„Die Freude ist ganz meinerseits. Ein schönes Café haben Sie.“

„Nicht wahr?“ Sie lässt mich los und sieht sich im Raum um, als hätte sie ihn zuvor nie gesehen. „Es ist auch unser ganzer Stolz. Und das seit vielen Generationen.“

„Ja, das hat Noah mir schon erzählt.“

Sie lächelt, doch ich habe irgendwie das Gefühl, dass sie irgendetwas stört. Die Reaktion, die Noah vorausgesagt hat, ist ganz und gar nicht eingetreten, auch wenn sie mir sehr freundlich gegenübertritt. Aber ihre Skepsis entgeht mir trotzdem nicht.

„Hast du Lust, uns zwei Stücke Schokotorte und zwei Kakao zu machen? Oder möchtest du lieber einen Kaffee?“

Er sieht mich fragend an, doch ich schüttle den Kopf. „Nein, Kakao klingt prima.“

„Sehr gut. Dann also zwei Kakao?“

Seine Mutter nickt, lächelt und streicht Noah über den Oberarm. „Ich bin gleich wieder da.“

Erst als Noah mich hinter sich her zu einem der Tische zieht, bemerke ich, dass er meine Hand noch immer festhält. Und als er sie schließlich loslässt, möchte ich ihm am liebsten sagen, dass er es wieder tun soll.

„Ist alles in Ordnung?“ Nachdem wir uns gesetzt haben, bemerke ich, wie Noah immer wieder zu seiner Mutter hinübersieht und in Gedanken zu sein scheint. Ob er tatsächlich mit einer anderen Reaktion gerechnet hat? „Oder stimmt etwas nicht?“

„Hm?“ Er sieht mir in die Augen, lächelt aber. „Nein, es ist alles in Ordnung. Mach dir keine Gedanken.“

„Dir gefällt ihre Reaktion nicht, richtig?“

Er nickt, presst die Lippen aufeinander und wirft ihr noch einmal einen kurzen Blick zu. „Du musst dir trotzdem keine Gedanken machen, denn das hat nichts mit dir zu tun. Sie macht sich Sorgen, aber ich hatte gehofft, dass es anders sein wird.“

„Sie macht sich Sorgen? Aber warum?“

Er nickt erneut und schenkt mir ein weiteres, aber schwaches Lächeln. „Das ist jetzt nicht so wichtig und gehört nicht auf ein erstes Treffen. Ich werde dir davon erzählen, aber nicht heute, okay?“

Jetzt bin ich derjenige, der nickt. „Natürlich, wie du möchtest.“

Ich kann nicht leugnen, dass ich neugierig bin, aber ich möchte ihn ebenso zu nichts drängen. Das wäre nicht richtig und auch nicht in Ordnung.

„So, ihr zwei. Zwei Stücke Torte …“ Sie stellt sie vor uns ab. „Und zwei Mal Kakao.“ Nachdem sie die Tassen ebenfalls abgestellt hat, sieht sie uns lächelnd an. „Möchtet ihr sonst noch etwas?“

Noah schüttelt den Kopf. „Nein, erst einmal nicht, danke. Wo ist denn Paps?“

„Dein Vater ist kurz in die Stadt gefahren, der Zucker geht langsam zur Neige. Kommen Sie aus der Nähe, Nick? Aus Schillig kommen Sie ja sicher nicht.“

„Nein, ich bin aus Wittmund. Ganz aus der Nähe, also.“

„Ah.“ Sie nickt und schaut sich kurz um. Ich schätze, um nach den beiden Damen zu sehen. „Und wo habt ihr euch kennengelernt?“

„Auf dem Osterfest, auf dem ich arbeite, beziehungsweise, gearbeitet habe. Es war ja nur das eine Wochenende.“

„Ja, das ist mir aufgefallen, als ich mit Felix noch einmal da war. Wir haben dich ja leider nicht gefunden.“

Ich schmunzle, doch ich merke auch, dass meine Wangen zu glühen beginnen. Da ist sie wieder, meine Unsicherheit.

„Echt? Ihr wart noch einmal da? Das ist ja süß.“

„Und wer ist Felix?“, möchte sie natürlich sofort wissen, was dazu führt, dass ich mich frage, ob ich jetzt vielleicht etwas Falsches gesagt habe.

Ich weiß ja nicht einmal, ob es Noah überhaupt recht ist.

„Felix ist Nicks Sohn. Ein süßer, kleiner Fratz, der genauso aussieht wie sein Papa.“

Ich hatte Noah vorhin schon Bilder von Felix von mir gezeigt, die er sich begeistert angesehen hat. Dennoch fühle ich mich gerade irgendwie merkwürdig. In meinem Bauch rumort und kribbelt es auf der einen Seite angenehm. Auf der anderen macht es mich ebenso wahnsinnig.

„Ach, Sie haben einen Sohn?“

In ihrer Stimme liegt ein merkwürdiger Unterton, den ich nicht deuten kann. Aber da Noah sagt, dass sie sich Sorgen macht …

„Ja, er … er ist fünf Jahre alt und kommt diesen Sommer in die Schule. Er würde sich bestimmt sehr gut mit Naomi verstehen.“

Das Lächeln, das sich jetzt auf ihre Lippen legt, scheint ehrlicher, als ich es erwartet habe. Was ist hier nur los? Und warum möchte Noah mir nichts davon erzählen?

„Oh, das glaube ich auch. Naomi liebt Kinder, das sollte also kein Problem werden.“ Sie legt die Hand auf Noahs Schulter, woraufhin er den Kopf hebt. „Ich kümmere mich jetzt wieder um die Gäste und sehe gleich mal nach, wo dein Vater bleibt. Wenn ihr noch etwas braucht, rufst du einfach oder holst es euch selbst, in Ordnung?“

„Ja, das mache ich“, erwidert er, dann nickt sie und wendet sich von uns ab. Eine ganze Weile lang sieht er ihr nach, dann richtet er seine wunderschönen Augen wieder auf mich. „Hat Felix eigentlich irgendwelche Hobbies? Oder macht er etwas besonders gern?“

Ich weiß, dass er nur versucht, mich von der merkwürdigen Stimmung abzulenken, aber ich finde es unsagbar süß, dass er danach fragt. „Ja, er spielt gern Fußball, malt unbeschreiblich gern und bastelt immer unzählige Sachen, die schon unsere ganze Küche schmücken.“ Ich muss lachen. „Selbst bei meiner Schwester hängt schon alles voll.“

„Aber das ist doch süß. Im Altenheim basteln wir auch viel. Vielleicht mag er ja mal mitkommen. Die Bewohner freuen sich immer sehr über ein bisschen Abwechslung.“

„Meinst du das ernst?“

„Würde ich sonst fragen?“ Auf Noahs Lippen bildet sich ein bezauberndes Lächeln und hätte ich es nicht schon längst getan, hätte ich mich spätestens jetzt unsterblich in ihn verliebt. Ja, es klingt verrückt, aber es war der berühmte erste Moment. Seine Augen. Sein Lächeln. Und es war um mich geschehen. „Und jetzt iss deine Torte, sonst mache ich das.“

Als er zu lachen beginnt, fällt mir auf, dass er seine bereits aufgegessen hat, während meine noch unberührt auf meinem Teller liegt.

Schmunzelnd steche ich mit der Gabel hinein. „Du machst mich eben nervös“, sage ich schief grinsend und er erwidert es lächelnd.

„Nichts lieber als das.“