Acht

 

Wir haben noch eine ganze Weile lang im Café seiner Eltern gesessen und ich hatte sogar das Glück, einige Zeit später seinen Vater kennenzulernen. Im Gegensatz zu seiner Mutter war dieser auch nicht einmal annähernd so skeptisch und hat mich sofort mit offenen Armen empfangen. Kein merkwürdiger Blick. Keine Zurückhaltung. Aber vielleicht habe ich mir das bei seiner Mutter auch nur eingebildet. Oder aber sie tritt jedem Mann, den Noah mit zu ihnen bringt, erst einmal etwas abweisend gegenüber, ich weiß es nicht. Dennoch fühlt es sich gut an, dass Noah mich direkt am ersten Tag mit hierhergenommen hat, immerhin habe ich damit absolut nicht gerechnet. Außerdem war die Zeit mit ihm dort ebenso schön wie draußen am Strand. Wir haben so viel geredet und es gab kaum ein Thema, über das wir uns nichts zu erzählen hatten. Zwischen uns das passt einfach. Anders kann man es nicht sagen.

„Hey, Naomi!“ Noah wirft der kleinen Hündin einen strengen, aber dennoch sanften Blick zu. Wir haben sie aus der Wohnung geholt, bevor wir uns dazu entschieden haben, noch ein wenig spazieren zu gehen, da sie ja noch nicht so lang allein bleiben kann, ohne dass jemand mit ihr Gassi geht. Außerdem scheint Noah es auch gar nicht zu mögen, wenn sie zu lange von ihm getrennt ist, was aber vollkommen in Ordnung ist. Sie gehört zu ihm wie Felix zu mir. Und ich finde das wahnsinnig süß.

„Glaubst du, Felix wird Naomi mögen?“

Wir laufen noch immer unten am Strand entlang und sprechen über Gott und die Welt, als Noah mir plötzlich diese Frage stellt. Ich sehe ihn an, bevor ich den Blick zurück nach vorn richte.

„Ja, natürlich wird er sie mögen. Felix liebt Tiere. Wenn es nach ihm ginge, hätten wir mindestens drei Hasen und achthundertsechsundvierzig Meerschweinchen.“

Noah beginnt zu lachen. „So sind alle Kinder, oder? Jedes möchte am liebsten ein Häschen zum Kuscheln und am Ende bleibt die ganze Arbeit an den Erwachsenen hängen.“

„Ja, aber ich schätze, das ist normal. Sie müssen erst lernen, was es heißt, Verantwortung für ein Tier zu übernehmen. Das lernen sie aber nicht, wenn sie keines bekommen.“

„Und warum hat Felix dann keines?“

Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, bisher habe ich mich immer davor gedrückt. Vielleicht auch deshalb, weil wir nur eine kleine Wohnung ohne Balkon haben. Ich wollte kein Tier in einen Minikäfig sperren, nur damit Felix endlich ein eigenes Haustier bekommt. Verstehst du?“

„Hey, das war kein Vorwurf. Du musst dich nicht rechtfertigen.“ Er schenkt mir ein Lächeln. „Mir ist nur wichtig, dass er keine Angst vor Hunden hat. Das wäre doch schade.“

„Nein, das hat er nicht, und vor Naomi ganz sicher nicht. Nicht wahr, süße Maus?“ Ich beuge mich nach unten und streichle ihr über das Fell, was sie mit einem freudigen Schwanzwedeln kommentiert. „Er muss sie einfach liebhaben.“

„Na, dann bin ich ja beruhigt.“ Das erneute Lächeln auf seinen Lippen ist ehrlich, ebenso wie der Glanz in seinen Augen. Und ich liebe es. „Wollen wir uns ein bisschen in den Sand setzen? Die Sonne geht gleich unter und das würde ich mir gern mit dir ansehen. Also nur, wenn du Lust hast, natürlich.“

„Und ob ich Lust habe“, erwidere ich sofort, da ich mir, ehrlich gesagt, nichts Schöneres vorstellen kann. Hier mit ihm im Sand beim Untergehen der Sonne. Was möchte ich mehr? „Nur schade, dass das Wasser gerade nicht da ist.“

„Ja, das ist leider wahr.“ Wir setzen uns in den Sand und Noah lässt Naomi von der Leine. Sofort beginnt der kleine Wirbelwind im Sand herumzusausen. „Aber das kann man sich hier ja leider nicht aussuchen.“

„Das stimmt allerdings. Als Kind habe ich es gehasst, wenn ich hier war und nicht einmal schwimmen konnte. Es war unerträglich warm, aber eine Abkühlung nicht möglich.“

„Ich hasse es heute noch“, antwortet er lachend und sieht mich an. „Gehst du gern schwimmen?“

„Ja, sehr gern sogar. Aber ich sitze genauso gern mit einem guten Buch wie jetzt im Sand und lese stundenlang. Allerdings ist das mit Felix so gut wie unmöglich, da ist fast ausschließlich Action angesagt. Er und Naomi werden sich also hervorragend verstehen.“

„Na, siehst du? Dann können die beiden ja demnächst gemeinsam durch den Sand rasen und wir beide liegen auf einer Decke und sehen ihnen entspannt zu.“ Der sanfte Blick seiner Augen lässt die Schmetterlinge in meinem Bauch, wie so oft an diesem Tag, auch jetzt wild umherfliegen. Seine Worte tun mir gut. Und sie stärken die Hoffnung um ein Vielfaches, dass es dieses Mal mit ihm ganz anders wird. „Es wäre schön, solche Dinge nicht mehr allein machen zu müssen“, sagt er, nachdem er mich eine ganze Weile lang einfach nur angesehen hat. Alles in mir kribbelt, und es kribbelt noch mehr, als er langsam nach meiner Hand greift und sie ein wenig an sich zieht. Zärtlich streift sein Daumen meine Finger, während er unsere Hände nachdenklich betrachtet. „Ich habe ewig nicht mehr hier gesessen und mich so wohl gefühlt, Nicklas …“

Dass Nick nur mein Spitzname ist, habe ich ihm vorhin im Café erzählt, aber ich habe absolut nicht damit gerechnet, dass er mich so nennen wird, denn im Grunde macht es niemand. Doch aus seinem Mund, da … da fühlt es sich wahnsinnig gut an.

„Noah, ich …“

Ich möchte etwas sagen, doch obwohl das zwischen uns so leicht und unbeschwert ist, fällt es mir in dieser Hinsicht noch unsagbar schwer. Die Angst, wieder einen Fehler zu machen, ist noch immer da, obwohl ich im Grunde weiß, dass ich sie nicht haben muss. Noah ist anders als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe. Er ist lieb, zärtlich und absolut ehrlich, da bin ich mir sicher. Trotzdem kann ich meine Bedenken nicht abstellen. Und vielleicht ist das ja auch ganz gut so.

„Komm her, sonst verpassen wir noch alles.“

Er breitet seinen Arm aus, während seine Hand meine noch immer festhält und zeigt mir somit, dass ich näher an ihn heranrutschen soll. Und das tue ich. Ohne darüber nachzudenken. Ohne Zweifel. Ich rücke an ihn heran und lasse mich von ihm in den Arm nehmen, lehne meinen Kopf an seinen. Die Augen geschlossen, atme ich seinen Duft ein. Erst dann öffne ich sie wieder. Die Sonne steht bereits glühend rot am Horizont und taucht das Meer, das ebenfalls weit hinten noch zu sehen ist, in strahlende Farben. Nicht mehr lange, dann ist sie verschwunden. Doch wir … wir werden noch eine ganze Weile hier sitzen.

„Weißt du, wann ich das letzte Mal einen Sonnenuntergang gesehen habe?“

Noah schüttelt den Kopf, während seine Finger noch immer meine Hand streicheln. „Nein, wann denn?“

„Noch nie“, flüstere ich schon fast und drehe den Kopf in seine Richtung, um ihn anzusehen. Seine Augen ruhen auf mir, er sagt jedoch nichts. „Ich habe noch nie einen Sonnenuntergang gesehen.“

Noch immer sagt er nichts und ich frage mich, ob ich mich mit meiner Aussage gerade lächerlich gemacht habe. Als Noah jedoch meine Hand loslässt und seine Finger über meine Wange streifen lässt, sind all meine Ängste erneut verflogen. Jede seiner Berührungen fühlt sich so unsagbar leicht an. Jeder Blick schleicht sich durch jede einzelne Faser meines Körpers.

„Wenn du mich lässt, dann zeige ich dir so viele Sonnenuntergänge, wie mir möglich sind“, erwidert er genauso leise wie ich zuvor. Es fällt mir schwer zu atmen und noch schwerer zu denken. Am liebsten würde ich … „Und ich würde dich bei jedem einzelnen küssen, bis sie am Morgen wieder aufgeht.“

„Noah …“

Ich bin einer Ohnmacht nahe, denn so intensiv wie jetzt, habe ich in meinem ganzen Leben noch nie gefühlt. Es ist, als würde die Zeit um uns herum stillstehen. Der Wind nicht mehr wehen und die Möwen um uns herum nicht mehr fliegen. Selbst Naomi, die noch immer wie ein Wirbelwind um uns herumrennt, blende ich aus. Ich habe nur noch Augen für ihn. Für den Mann, der mein Herz binnen Sekunden erobert hat und an den ich nicht mehr aufhören konnte zu denken. Ja, es ist anders. Er ist anders. Er ist …

Noch bevor ich meinen Gedanken aussprechen kann, spüre ich seine warmen und weichen Lippen auf meinen. Erst nur zaghaft, fast so, als hätte er selbst Angst davor, berührt sein Mund meinen. Seine Finger streifen meine Wange. Meine Augen schließen sich. Das Seufzen, das Noahs Mund verlässt, löst ein Kribbeln in meinem Körper aus und jagt eine angenehme Gänsehaut über meine Arme. Vorsichtig öffne ich den Mund und er tut es mir gleich, bevor wir in dem schönsten Kuss versinken, den ich in meinem Leben je erleben durfte. Gefangen von Zärtlichkeit und Sehnsucht schließe ich die Augen und gebe mich ihm hin, kralle meine Finger in seine Jacke. Unsere Zungen spielen miteinander und ich würde diesen Moment am liebsten für immer festhalten.

Doch dann …

„Naomi, du …“

Unser Kuss wird unterbrochen, als die verrückte Nuss plötzlich zwischen uns springt und ihrem Herrchen ganz klar zeigt, zu wem sie gehört. Schwanzwedelnd wirft sie Noah in den Sand und schleckt ihm das Gesicht ab, was ich nur mit einem Lachen kommentieren kann.

„Ich würde sagen, da sind die Fronten wieder einmal geklärt, was?“

Er hält sie am Halsband fest und zieht sie von sich herunter, lacht aber ebenfalls. „Schaff dir einen Welpen an und du hast ein kleines Kind. Das hat mir vorher natürlich niemand gesagt.“

„Na komm, es ist aber auch süß, das musst du zugeben. Sie liebt dich eben.“

„Das kann sie ja auch, aber nicht, wenn ich gerade dabei bin, den schönsten Mann der Welt zu küssen.“

Er schenkt mir ein Lächeln, welches noch intensiver wird, als er sich zu mir beugt und über meine Wange streichelt. Und als seine Lippen kurz darauf wieder meine berühren, bin ich längst wieder im siebten Himmel.

„Aber das kannst du doch auch“, erwidere ich schmunzelnd, als er seine Stirn an meine legt.

„Das ist richtig, aber ich weiß ja nun mal auch, dass du demnächst gehen musst. Von daher sollte jede Sekunde ausgenutzt werden.“

Auch wenn ich seine Aussage zumindest zum Teil dementieren könnte, antworte ich ihm zunächst nicht und lasse mich stattdessen zärtlich von ihm küssen. Ich glaube, niemand kann sich gerade vorstellen, wie gut sich das alles anfühlt. Diese Küsse sind perfekt. Sie sind so zart, wie die Gefühle, die sich gerade zwischen uns entwickeln und stecken dennoch so sehr voller Sehnsucht, dass ich nicht mehr damit aufhören möchte. Nein, dieses Mal kann es einfach nicht schief gehen. Dafür ist es viel zu intensiv.

"Ich … ich muss nicht gehen“, sage ich nach einer ganzen Weile leise, auch wenn ich mir vorgenommen habe, genau dies zu tun. Aber ich kann nicht. Ich möchte nicht gehen. Ich möchte hierbleiben, diesen Mann küssen und genießen, dass ich offenbar richtig gehandelt habe. „Felix schläft bei meiner Schwester. Von mir aus können wir also die ganze Nacht hier sitzenbleiben. Ich hätte definitiv nichts dagegen.“

Noah antwortet mir nicht. Stattdessen schleicht sich ein wunderschönes Lächeln auf seine Lippen, bevor diese meine berühren und mich in einen Kuss ziehen, der schöner nicht sein könnte. Warme, weiche Lippen. Zungen, die miteinander tanzen. Hände, die jeden Zentimeter Haut berühren wollen. Und Herzen, die unregelmäßig und dennoch im gleichen Takt schlagen. Genau so habe ich mir das immer wieder vorgestellt. So habe ich es mir die letzten Jahre gewünscht.

„Du nicht, aber offenbar jemand anderes heute.“

Noah löst sich von mir und hebt den Kopf nach oben in den Himmel, als ein einzelner Wassertropfen meine Wange berührt. Gefolgt von noch einem. Und noch einem.

Ich muss lachen. „Ich schätze, da möchte uns vielmehr jemand ärgern.“

„Oder das, ja.“ Er lacht ebenfalls. „Allerdings sollten wir es nicht herausfinden und lieber gehen. Der Himmel sieht ganz schön dunkel aus.“

Ich hebe den Kopf ebenfalls an und muss feststellen, dass er leider recht hat. Wenn wir uns nicht beeilen, könnten wir ganz schön nass werden.

„Auch wenn ich es nicht gerne sage, aber …“ Ich stehe auf und halte ihm meine Hand hin. „Dann lass uns mal verschwinden.“

Noah ergreift meine Hand und lässt sich von mir nach oben ziehen. Doch bevor er Naomi an die Leine macht, lässt er es sich nicht nehmen, mir noch einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken.

„Los komm, der Regen wird fester.“

 

***

 

Leider werden wir, wie erhofft, nicht vom anschließenden Regen verschont, sondern sind schon nach wenigen Metern nass bis auf die Haut. Spaß haben wir dennoch. Vor allem Naomi genießt es, wie verrückt durch die Pfützen zu springen, nachdem wir den Strand endlich verlassen haben. Sie ist sogar so vergnügt, dass wir am Ende etwas langsamer laufen, obwohl uns beiden mittlerweile verdammt kalt ist.

„Na, wenigstens eine von uns ist zufrieden mit dem verrückten Wetter.“

Noah sieht mich an. Das Haar hängt ihm mittlerweile ständig im Gesicht. „Sie hat Wasser von Anfang an geliebt. Wenn ich mir zu Hause ein Bad einlasse, muss ich aufpassen, dass sie nicht mit reinspringt.“

Ich muss lachen. „Spätestens wenn sie ausgewachsen ist, könnte das zu einem Problem werden.“

Noah lacht ebenfalls. „Das stimmt, und schmerzhaft, wenn sie mit ihren Krallen auf meinem nackten Körper herumspringt.“ Dann sieht er mich an. „Du solltest gleich noch kurz mit hochkommen und dir etwas Trockenes anziehen. Sonst bist du schneller krank als dir lieb ist.“

Der Gedanke, noch mal mit ihm nach oben zu gehen, gefällt mir. Der an seinen nackten Körper noch mehr.

„Wenn du etwas hast, das du entbehren kannst, sehr gern. Sonst bin ich erfroren, bis ich zu Hause angekommen bin.“

„Ich schätze, da wird sich etwas finden lassen“, erwidert er lächelnd und kramt kurz darauf seinen Schlüssel aus seiner Jackentasche. Wir sind angekommen. „Und ich schätze ebenso, dass ich den Hausflur putzen muss, wenn Naomi jetzt über die Stufen tapst, aber das mache ich morgen. Dazu habe ich jetzt nun wirklich keine Lust mehr.“

„Das kann ich gut verstehen.“ Noah öffnet die Haustür und wir huschen allesamt schnell hinein. Froh darüber, endlich aus dem Regen zu kommen, schüttle ich meine Haare ein wenig. „Wenn es wenigstens warm wäre.“

Noah sieht mich grinsend an, als Naomi sich neben mir ebenfalls schüttelt. „Süß, ihr zwei. Jetzt trocknet ihr schon auf dieselbe Art und Weise euer Fell.“

Ich lache laut auf. „Na, auch Eichhörnchen müssen sich ja irgendwie zu helfen wissen.“

Nachdem Noah meinen Kommentar mit einem Schmunzeln erwidert hat, laufen wir bis in die erste Etage und betreten seine Wohnung. Es tut gut, von Wärme umgeben zu werden und vor allem zu wissen, dass ich noch ein wenig in Noahs Nähe bleiben kann.

„Hör mal, mein Schlafzimmer ist direkt neben dem Badezimmer. Geh ruhig rein und such dir ein paar passende Sachen aus meinem Schrank, ich trockne Naomi in der Zwischenzeit ab, sonst macht sie mir die ganze Wohnung dreckig.“

„Du meinst, ich soll …“

Als ich die Hand hebe und mit dem Daumen auf sein Schlafzimmer zeige, ist mein Blick offenbar so göttlich, dass Noah sofort zu lachen beginnt. Aber dass er mich, ohne zu überlegen und einfach so in sein Schlafzimmer und dazu noch an seinen Schrank lässt, ist … Damit habe ich eben nicht gerechnet.

„Da reingehen und dich umziehen, ja. Bedien‘ dich, ich habe wirklich kein Problem damit.“ Er streicht Naomi über das Fell und sieht mich mit einem Lächeln auf den Lippen an. „Ich bin gleich wieder da.“

Während er mit der Hündin im Badezimmer verschwindet, starre ich den beiden noch eine ganze Weile lang hinterher, bevor ich mich dazu entschließe, tatsächlich in sein Schlafzimmer zu gehen und mich umzuziehen. Mir ist kalt und ich habe keine Lust auf eine dicke Erkältung, auch wenn ich normalerweise alles andere als empfindlich bin.

Der Raum, den ich betrete, sieht wahnsinnig gemütlich aus. Das Bett, in dem er schläft, ist nicht sonderlich groß, ich würde es auf zirka eins vierzig schätzen, also etwas kleiner als mein eigenes zu Hause. Der Schrank, der gegenüber an der Wand steht, ist hingegen für eine Person eigentlich viel zu geräumig, aber ich schätze, er hat dort vielleicht auch noch andere Sachen untergebracht. Am Fenster, welches mit dunklen und hellen Vorhängen zugezogen ist, steht ein gemütlicher Sessel, auf dem er bestimmt öfter eines der vielen Bücher liest, die im Regal daneben untergebracht sind. Und die Bettwäsche … Schwarzweiß mit Streifen, eine helle Kuscheldecke und einige Zierkissen laden mich förmlich dazu ein, mich hineinzuwerfen und bis morgen früh durchzuschlafen.

Oder andere Dinge zu tun, schießt es mir durch den Kopf, doch ich verwerfe den Gedanken wieder. Ich sollte mich jetzt schnell umziehen und dann nach Hause fahren, bevor ich doch noch etwas Dummes mache und …

Ich seufze. Möchte ich nach Hause? Nein. Mal ganz abgesehen von dummen Dingen, die ich anstellen könnte, würde ich unsagbar gern hier bei ihm bleiben. Und wenn wir die ganze Nacht nur auf der Couch liegen und reden, wäre das mehr, als ich mir für heute je hätte vorstellen können. Reden. Kuscheln. Und Arm in Arm einschlafen. Ja, das würde mir gefallen. Mehr als alles andere.

„Und? Hast du was gefunden?“ Ich drehe mich erschrocken um, da ich nicht damit gerechnet habe, dass Noah so schnell wieder bei mir sein könnte. Und auch jetzt scheint mein Gesichtsausdruck wieder sehr amüsant zu sein, denn er lacht. „Offenbar hast du nicht einmal nachgeguckt“, sagt er dann und geht hinüber zum Schrank, bevor er diesen öffnet.

„Nein, habe ich nicht. Ich war mir unsicher, ob ich wirklich …“ Auch wenn meine Aussage nur zum Teil stimmt, so ist dennoch ein wenig Wahrheit dran. Ich kann doch nicht einfach an seinen Schrank gehen. „Na ja, du weißt schon.“

„Wenn ich dir sage, dass du dir was holen kannst, dann kannst du das auch tun.“ Er lächelt und holt ein paar Sachen aus den Regalen. „Hier, eine neue Jeans, ein T-Shirt und eine Sweatjacke. Ich gehe mal davon aus, dass das alles passt, wir haben ja ungefähr eine Größe. Socken sind dahinten in der Schublade, nimm dir welche und zieh dich um, ich gehe mich auch schnell fertigmachen. Oder möchtest du lieber ins Bad?“ Er sieht mich fragend an, während er seine eigenen Sachen in den Händen hält und den Kopf ein wenig schief legt.

„Nein, nein, ich … geh du nur. Ich kann danach ja immer noch.“

„In Ordnung.“ Als er auf mich zukommt, spielen die Schmetterlinge in meinem Bauch schon wieder verrückt. Und als er dann auch noch seine Lippen auf meine legt … „Du bist süß, weißt du das?“

„Du findest Unsicherheit süß?“, frage ich grinsend, um eben genau diese zu verbergen, doch mir ist bewusst, dass mir das keinesfalls gelingt.

„Und noch so viel mehr.“ Er küsst mich erneut und legt seine Hand an meine Wange. Zärtlich streicht er mit dem Daumen über meine Haut. „Und jetzt zieh dich um, sonst bist du morgen tatsächlich noch krank und das würde nicht in meinen Plan passen.“

„Du hast einen Plan?“, frage ich verdutzt, woraufhin er nickt.

„Habe ich, aber erst umziehen.“ Er grinst ebenfalls, dann geht er hinüber zur Tür. „Bis gleich, Nick.“

„Ja, bis gleich.“

 

Nachdem ich mich umgezogen und festgestellt habe, dass Noahs Klamotten mir tatsächlich wie angegossen passen, verlasse ich das Schlafzimmer und lege meine nassen Klamotten gefaltet auf der Kommode im Flur ab. Sobald ich zu Hause bin, werde ich sie direkt in die Waschmaschine werfen. Das muss Noah nun wirklich nicht auch noch machen.

„Hey, da bist du ja.“ Ich hebe den Kopf, als Noah plötzlich ebenfalls im Raum steht und mich anlächelt. Er ist ebenfalls umgezogen, sein Haar wieder trocken. „Möchtest du dir die Haare auch noch föhnen oder lässt du sie so trocknen?“

„Ich lasse sie so trocknen, aber danke.“

Die Lippen aufeinandergepresst, schiebe ich die Hände in die Hosentaschen. Ich weiß nicht, was ich sagen oder machen soll.

Soll ich gehen?

Hierbleiben?

Was er wohl denkt?

„Hast du dein Auto eigentlich auf dem großen Parkplatz geparkt? Wenn ja, hoffe ich, dass du genug Kleingeld in den Automaten geworfen hast.“

„Nein, ich habe außerhalb geparkt, da ich ja auch nicht wusste, wie lange wir unterwegs sind. Ansonsten wäre das ein teurer Spaß geworden.“

„Ja, das glaube ich auch.“ Er lacht kurz auf, dann kommt er mir ein paar Schritte entgegen, bevor er vor mir stehen bleibt. Seine Hände legt er an meine Wangen. Seine Lippen berühren meine. Seufzend schließe ich die Augen und lasse mich in einen Kuss ziehen, den ich am liebsten nie wieder unterbrechen möchte. Doch genau das tut er, bleibt mir jedoch sehr, sehr nahe. „Bleibst du noch ein bisschen? Oder soll ich dich zum Auto bringen? Ich könnte uns einen heißen Tee machen und wir schauen uns einen Film an. Oder wir reden noch ein bisschen, immerhin habe ich dir noch nicht von meinem Plan erzählt.“ Das Lächeln auf seinen Lippen sagt mehr als tausend Worte, und obwohl ich vernünftig sein sollte, kann ich nicht anders, als ihm nickend zuzustimmen, was ihm aber direkt wieder ein leises Lachen entlockt. „Was davon? Zum Auto bringen oder hierbleiben?“

„Hierbleiben“, erwidere ich heiser, woraufhin er mich erneut küsst.

„Dann komm, gehen wir ins Wohnzimmer.“ Er nimmt meine Hand und zieht mich hinter sich her ins Wohnzimmer, wo er mich schließlich wieder loslässt, und verschwindet kurz darauf wieder. Ich bin nervös und ich frage mich, ob diese Nervosität irgendwann auch einmal nachlässt. Ich meine, Noah ist toll und ich habe gar keinen Grund dazu, mich so zu fühlen. Aber vielleicht liegt es auch nicht an Noah, sondern einzig und allein an mir selbst. Ich weiß es nicht.

Seufzend gehe ich durch den Raum und betrachte die vielen Bilder, die an den Wänden hängen. Einige sind von Naomi allein, andere von ihr und ihm zusammen. Er mit seinen Eltern strahlend vor dem Café. Er mit einem jungen Mädchen, das vermutlich seine beste Freundin ist. Sie ist hübsch und strahlt über das ganze Gesicht. Sie scheinen sich wirklich sehr gut zu verstehen.

Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, gehe ich hinüber zur Couch und lasse mich auf dieser nieder, als ich bemerke, dass Naomi in ihrem Körbchen links in der Ecke liegt. Sie schläft bereits. Der Nachmittag am Strand scheint auch für sie sehr anstrengend gewesen zu sein.

„So, da bin ich wieder.“ Ich drehe den Kopf zur Seite, als Noah den Raum betritt. Er trägt ein Tablett in seinen Händen, welches er vor mir auf dem Tisch abstellt. Ich wusste nicht, ob du Zucker brauchst, deshalb habe ich einfach mal welchen mitgebracht“, erklärt er mir und setzt sich anschließend neben mich. Dann sieht er mich an. „Alles okay?“

Ich lächle. „Ja, alles okay. Ich habe gerade festgestellt, dass Naomi ziemlich kaputt zu sein scheint.“

„Ja, das ist sie nach einem Nachmittag am Strand immer. Sie wird auch erst wieder morgen früh aufstehen.“

„Das heißt, du musst nachts gar nicht mehr mit ihr raus?“

Er schüttelt den Kopf. „Erst wieder gegen fünf, aber das ist okay.“

„Ja, das ist es.“ Ich sehe ihn an, lächle und werfe zwei Stück Zucker in meinen Tee. Diesen rühre ich anschließend um. „Möchtest du mir jetzt von deinem Plan erzählen?“

„Mein Plan, ja.“ Er lacht leise. „Na ja, ich dachte, da ich ja nebenbei schon als hervorragender Osterhase agiere, könnte ich am Sonntag doch für deinen Sohn die Geschenke vorbeibringen.“

Ehrlich gesagt, habe ich mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er ausgerechnet das sagt. Das ist … „Du möchtest Felix kennenlernen?“, frage ich deshalb nach, woraufhin er zustimmend nickt.

„Sehr gerne sogar. Er gehört zu dir, also dachte ich …“ Er macht eine kurze Pause, in der er zu überlegen scheint. „Wenn dir das aber zu schnell geht, dann …“

„Nein, nein!“, unterbreche ich ihn sofort, da ich es eine wirklich süße Idee finde. „Es geht mir nicht zu schnell, ich dachte nur …“ Jetzt bin ich derjenige, der eine Pause braucht. „Ich habe nicht damit gerechnet, das ist alles.“

„Ich würde morgen Nachmittag noch ein paar Kleinigkeiten besorgen und na ja …“ Er zuckt zufrieden mit den Schultern. „Alles andere können wir ja noch besprechen. Was meinst du?“

Erst jetzt bin ich in der Lage, alles, was er sagt, mit einem Lächeln zu kommentieren. Er möchte Felix kennenlernen. Das bedeutet, dass es ihm wirklich ernst zu sein scheint. „Ich meine, dass sich das hervorragend anhört“, erwidere ich schließlich, woraufhin er nickt.

„Sehr gut.“ Er greift nach seiner Tasse und trinkt einen Schluck, stellt sie dann auf den Tisch zurück. Ich weiß nicht warum, aber auch Noah wirkt mittlerweile sehr unsicher. Ich kann es mir nicht erklären. „Möchtest du ein paar Bilder von Naomi sehen, als sie noch ganz klein war? Ich weiß gar nicht, wie viele ich gemacht habe. Sie sind bestimmt über drei Alben verteilt.“

Er möchte aufstehen, doch irgendwie habe ich das Bedürfnis, ihn zunächst zurückzuhalten. Nicht, weil mich die Bilder nicht interessieren, sondern weil ich das Gefühl habe, dass irgendetwas nicht stimmt. Keine Ahnung, was es ist, ich kann es nicht greifen, aber die Stimmung hat sich auf merkwürdige Art und Weise verändert.

„Ist alles in Ordnung?“, frage ich deshalb und greife nach seinem Unterarm, woraufhin er in seinen Bewegungen verweilt und mich ansieht. „Du wirkst plötzlich so … ich weiß auch nicht. Unsicher? Nervös?“

„Ja, das bin ich auch. Ich habe …“ Er seufzt und nimmt im nächsten Moment einen tiefen Atemzug. Meine Hand liegt noch immer an seiner Haut. „Ich war nur seit Ewigkeiten mit niemandem mehr allein hier und ich möchte nichts falsch machen. Es tut mir leid, wenn das gerade etwas merkwürdig aussieht.“

Als er erneut aufstehen möchte, umfasse ich seinen Arm fester und setze mich ein wenig nach vorn. Liebevoll lege ich meine Hand an seine Wange, woraufhin er die Augen schließt. „Glaubst du ernsthaft, du könntest irgendetwas falsch machen?“

Er zuckt mit den Schultern, dann sieht er mich wieder an. „Ich bin nicht ganz so tough, wie ich immer wirke, Nicklas. Auch ich habe Angst, genau wie du.“

Dass er bemerkt hat, dass ich Angst habe, rechne ich ihm hoch an. Nicht jeder ist so sensibel, dass es ihm überhaupt auffällt. „Dann sollten wir uns die Angst gegenseitig nehmen, meinst du nicht auch?“

„Und wie?“

Jetzt bin ich derjenige, der mit den Schultern zuckt, während ich meine Hand langsam in seinen Nacken schiebe. Zärtlich fahre ich mit den Fingern über seine Haut, schließe die Augen und lege meine Stirn an seine.

„Küss mich einfach“, flüstere ich und öffne die Augen wieder.

Unsicheres Grün sieht mich an.

So schön.

So zart.

Und er küsst mich. Genauso unsicher wie vorhin am Strand und doch in einer Intensität, die mich auf gute Art und Weise erschaudern lässt. Nein, dieser Mann kann kein Fehler sein. Das kann er einfach nicht.

„Los, komm her …“

Noch während wir uns küssen, lehne ich mich zurück und fasse mit den Händen an seine Hüften. Ich ziehe ihn hinter mir her, merke jedoch, wie er zunächst einen Moment lang zögert. Das ändert sich, als ich die Augen öffne und ihn ansehe, erst dann erhebt er sich ein wenig und setzt sich mir gegenüber auf meinen Schoß. Meine Hände wandern. Langsam kriechen sie unter sein Shirt und berühren seine Haut. Meine Fingerspitzen ziehen kleine Kreise, bevor ich sie weiter nach oben schiebe. Noah seufzt, hält sich jedoch noch immer zurück. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich das so nicht erwartet.

„Ist alles in Ordnung? Sollen wir …“

„Nein“, unterbricht er meine Worte mit einem Kuss, der mir zwar nicht sofort die Gedanken nimmt, mich aber aufstöhnen lässt. Das alles hier tut so wahnsinnig gut. „Nicht aufhören. Bitte …“

Er hat den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, da liegen seine Finger bereits an meiner Jacke und schieben diese etwas nach unten. Nur widerwillig gebe ich seine Haut frei, nehme meine Arme jedoch zurück, damit er sie mir ausziehen kann. Es folgt mein T-Shirt, welches ich mir unaufgefordert über den Kopf ziehe und zur Seite werfe. Alles, während ich den Blick nicht eine Sekunde von seinen wunderschönen Augen lassen kann.

„Du solltest auch …“, sage ich leise und lege meine Hände zurück an seinen Rücken, während ich das dünne Stück Stoff, das er trägt, immer weiter nach oben schiebe. Noah hält kurz inne, befreit sich anschließend jedoch ebenfalls von seinem Shirt und gibt den Blick auf seinen wunderschönen Oberkörper frei. Eine einzelne Narbe, in Form eines Kreises, fällt mir sofort auf seiner linken Brust auf. Doch sie nimmt ihm nichts von seiner Schönheit. Im Gegenteil. „Ich werde dich nie wieder gehen lassen. Das ist dir klar?“

Auf Noahs Lippen legt sich ein wunderschönes Lächeln, welches ich mit einem zunächst zärtlichen, aber dennoch leidenschaftlichen Kuss kommentiere. Das Seufzen, das kurz darauf seinen Mund verlässt, zeigt mir nur noch, dass ich alles richtig zu machen scheine.

„Ganz genau das war der Plan“, wispert er an meine Lippen, als er plötzlich aufsteht. Die Hand in meinen Nacken gelegt, zieht er mich hinter sich her und ich folge ihm. Ich würde gerade überall mit ihm hingehen. „Lass uns … lass uns ins Schlafzimmer gehen“, sagt er heiser zwischen unzähligen Küssen, während wir langsam rückwärtslaufen. „Ich möchte nicht, dass Naomi uns heute noch einmal unterbricht.“

„Hm …“ Wir küssen uns, immer und immer wieder, bis Noah schließlich mit dem Rücken an die Schlafzimmertür stößt. Lachend bemerke ich, wie er den Arm hebt und die Hand auf die Türklinke legt. „Jetzt wäre das auch nur noch sehr schwer zu verzeihen“, sage ich grinsend und schiebe ihn in den Raum hinein, bevor ich die Tür mit dem Fuß so leise wie möglich wieder schließe.

„Es ist halt nicht leicht für sie, mich von jetzt auf gleich mit jemandem zu teilen.“

Wir bleiben vor dem Bett stehen und sind mittlerweile vor lauter Küssen völlig außer Atem. Dennoch höre ich nicht damit auf. Das werde ich nie wieder.

„Sie wird sich daran gewöhnen. Ganz bestimmt.“ Meine Hände legen sich an seine Wangen, während ich ihn in einen Kuss verwickle, der auch mir alle Sinne raubt. Ich glaube, ich habe noch nie zuvor etwas als so intensiv empfunden. Nein, nicht so. Unter keinen Umständen. Und als er dann noch die Hände an meinen Gürtel legt und diesen öffnet, da … „Nicht …“, sage ich trotzdem leise, da ich nicht möchte, dass das alles hier zu schnell endet. Ich will ihn, ja. Aber nicht so. „Wir haben Zeit. Wir haben so viel Zeit …“

Behutsam, damit er nicht zurückfällt, schiebe ich ihn noch etwas nach hinten, damit er sich auf dem Bett niederlässt, und das tut er. Ohne seine Lippen auch nur eine Sekunde von meinen zu lassen, setzt er sich und rutscht ein Stück zurück, bevor er sich schließlich auf den Rücken legt. Ich folge ihm. Und stütze mich mit den Ellenbogen rechts und links neben seinem Kopf ab.

Unzählige Küsse folgen, die ich nur unterbreche, um mehr von ihm zu kosten.

Von seinem Duft.

Dem Salz auf seiner Haut.

Von alledem, was zwischen uns ist.

Und ich glaube, das ist etwas ganz Besonderes.