Nachdem wir den Wolf in einer improvisierten Zeremonie beigesetzt haben, erfahren wir, dass der Pannendienst erst morgen, irgendwann am Nachmittag, bei uns sein wird. Wir gießen uns Tee aus den selbst gepflückten Brennnesselblättern auf. Danach haben wir endgültig keinen Strom mehr. Zum Abendessen teilen wir uns eine Dose mit Sauerkraut und eine mit Erbsen. Zu wenig Kohlenhydrate, um unsere ausgelaugten Körper mit frischer Energie zu versorgen. Erschöpft legen wir uns auf das Sofa und schweigen. Sun hat Kerzen angezündet, die in Papier eingewickelt waren und weihnachtlich nach Zimt, Nelke, Kardamom und Bienenwachs duften. Das Wohnzimmer ist in flackerndes Licht getaucht. Immer wieder ein Zischen, wenn sich ein Insekt, angelockt von Licht und Duft, zu nah an die Flammen heranwagt. Trotz oder wegen der Erschöpfung ist mein Kopf klar wie selten. Ich schreibe den Songtext zu Ende und lese ihn Sun vor, als sie mich darum bittet.
Zum ersten Mal, seit wir hier sind, habe ich ein durch und durch positives Inselgefühl. Ich bin noch nie auf einer Insel gewesen, aber so stelle ich mir das vor, wenn einen der Zufall mit einem Fremden zusammenbringt und man die Phase hinter sich lässt, in der man sich gegenseitig etwas vormacht.
Sun hat die Beine angewinkelt und gekreuzt und wippt mit dem freien Fuß. Ich dachte, dass ich ein unruhiger Mensch bin, aber sie legt noch einen drauf. Je mehr Zeit wir in der Abgeschiedenheit der Natur verbringen, desto aufgekratzter wirkt sie. Als würde ihr irgendwas Unangenehmes bevorstehen.
Nachdem sie ein paar Seiten in einem Buch namens Vincent gelesen hat, über das sie nicht reden will, geht sie auf die Terrasse und steckt sich einen Zigarillo an. Ich sehe das Glimmen des Tabaks im Dunkel der Scheibe und höre, wie sie den Rauch in langen Zügen in die Nacht atmet.
»Du müsstest jetzt eigentlich zu mir kommen, damit wir über Sternbilder, schwarze Löcher, Dimensionen und Zeitreisen philosophieren können.« Sun spricht gerade so laut, dass ihre Stimme bei mir ankommt. »Das passiert doch immer, wenn es um einen Trip durch die Pampa, Natur, Selbsterkenntnis und all solche Sachen geht. Wahrscheinlich steht die Urszene auf einer Steintafel in Ägypten und wird in Variationen bis zum Ende der Welt aufgeführt. Zwei Teenager, die beim Blick ins Universum verstehen, dass ihre Existenz völlig unbedeutend ist, aber aus irgendeinem Grund trotzdem die Kurve kriegen und sich ins Leben stürzen.«
»Kann ich liegen bleiben?«, frage ich müde. »Ich hab eine gute Vorstellungskraft.«
Sun lacht auf. »Wahrscheinlich fehlt uns beiden eine wichtige Komponente, um dabei an eine blühende Zukunft zu denken.«
»Welche meinst du?«
»Unbeschwertheit.«
»Also ich für meinen Teil fühle mich gerade ziemlich entspannt.«
»Weil du schlapp bist. Aber ich wette mit dir, dass du morgen wieder genauso unruhig dreinblickst wie damals an der Raststätte, als wir dich aufgegabelt haben.«
»Vielleicht.« Ich muss gähnen. »Was ist das eigentlich für ein Start-up, das du gegründet hast?«
Ich höre, wie Sun den Zigarillo ausdrückt. Anders als ihre eigenen Kippen raucht sie sie nie zu Ende. Maximal bis zur Hälfte. Die Stummel liegen aufgereiht auf dem Fenstersims, als würde irgendwann jemand kommen, um sie fertig zu rauchen.
»Es geht um eine App«, sagt sie. Die Schwere in ihrer Stimme ist nicht zu überhören. Sie kommt herein und schließt die Terrassentür hinter sich. »Hat Kim dir davon erzählt?«, fragt sie.
»Hätte sie das nicht tun dürfen?«
»Doch, klar. Ist nicht geheim.«
»Und was kann diese App? Das System verändern? Die Welt?«
Sun hebt einen Mundwinkel. »Das wird sich noch herausstellen. Wir müssen erst noch etwas Überzeugungsarbeit leisten, bevor es richtig losgehen kann.« Sie drückt die Zigarilloschachtel zusammen, legt sie ins Kaminfeuer und schaut zu, wie sie von den Flammen gefressen wird. »Geht in erster Linie um Fintech, falls dir das was sagt.«
»Finanzen?«
»Genau. Finanzen. Mit unserer App kann man Bank- und Versicherungsgeschäfte ganz ohne Bank abwickeln. In einem neuartigen, effizienten, sicheren und ressourcenschonenden Blockchain-Verfahren. Und unser Robo-Advisor steht auch schon in den Startlöchern. Wir werden zeigen, wie Nachhaltigkeit in der Finanzwelt aussehen muss, und den Gierigen ans Bein pinkeln.«
»Mit so was kennst du dich aus?«
»Ja, damit kenne ich mich aus, obwohl ich eine Frau bin.«
»So hab ich das nicht gemeint.«
»So meint das nie jemand, der einen Schwanz hat. Wir sind ein großes Team, verteilt über den ganzen Globus. Alleine geht so was nicht. Das geht nur im Team. Und wir sind ein gutes Team. Wir haben Prinzipien. Wir wollen es besser machen als die anderen.«
»Und was genau richtet sich gegen das böse System, wenn ich fragen darf? Für mich klingt das wie eine millionenschwere Geschäftsidee.« Ich setze mich auf, greife nach der Konservendose und fische die letzten Erbsen mit den Fingern heraus.
»Wir verfolgen andere Ziele als Gewinnmaximierung. Wir wollen Bewegung in den Markt bringen, starre Strukturen aufbrechen und neue, fairere Regeln etablieren, bevor es zu spät ist.«
»Welche Regeln sind das?«
»Nicht alle Fragen zu beantworten, die man von einer Zufallsbekanntschaft gestellt bekommt.«
»Dein Vater ist bestimmt stolz auf dich.«
»Ja, vielleicht. Vielleicht ist er das.« Sie setzt sich neben mich aufs Sofa. »Welche Features hat denn die App, die heute Mittag auf dem Berg Alarm geschlagen hat? Außer dass sie Stimmen analysieren kann?«
»Sie kann die Zukunft vorhersagen.«
»Wow. Respekt.« Sun lächelt matt. »Darunter würde ich’s auch nicht machen. Über welchen Zeitraum? Inklusive Todesdatum?«
»Dreißig, vierzig Jahre. Ohne Todesdatum.«
»Und wie nennt sich das Wunderprogramm?«
»MASCHINE. Die MASCHINE.«
»Nie gehört.« Sie runzelt die Stirn. Ihr Blick verfinstert sich. »Aber so viel zum Thema Ehrlichkeit. Du hast mich angelogen.«
Ich weiche ein Stück zurück. »Was hab ich?« Blitzschnell durchforste ich mein Gehirn nach den Spuren einer Lüge. Nur was meinen Vater angeht, habe ich Sun nicht die Wahrheit gesagt. Aber woher soll sie das so plötzlich wissen? »Kannst du mir auf die Sprünge helfen?«
»Nach der Party. Als du wieder zu dir gekommen bist, habe ich dir erzählt, dass du dich im Kühlschrank vor einer Maschine verstecken wolltest. Und du hast den Ahnungslosen gespielt, so getan, als würdest du nicht wissen, wovon ich rede.«
»Ach, das meinst du. Das hab ich verdrängt.« Erleichtert, zu erleichtert, wie sich an Suns Gesichtsausdruck ablesen lässt, klappe ich mein Notizbuch zu.
Sun starrt mich misstrauisch an. »Gibt es da vielleicht noch etwas, das du mir sagen willst, wo wir gerade dabei sind, den Schalter endgültig auf Ehrlichkeit und Vertrauen umzulegen?«
Ich weiche ihrem durchdringenden Blick aus, obwohl ich weiß, dass es zu spät ist. Ich tauge wohl doch nicht zum Lügner.
»Mein Vater«, sage ich, gefolgt von einer längeren Pause, in der ich mich selbst verfluche. »Er ist nicht — tot.«
Mein Geständnis hängt ein paar Sekunden in der Luft, dann kneift Sun die Augen zusammen. »Spinnst du!« Ihre Gesichtszüge entgleisen, bevor sie zu einem feindseligen Ausdruck zusammenfinden. »Dein Vater lebt?«, presst sie aufgebracht zwischen den Zähnen hervor, stützt ihre Hände auf ihre Oberschenkel, als würde sie gleich auf mich losgehen. »Warum hast du das gesagt? Du bist so ein Arschloch! So ein verdammtes Arschloch! Ich habe gedacht, du … du vermisst ihn. Das habe ich gedacht. Ich dachte, du machst diesen Trip für ihn. Als Erinnerung. Weil du ihn vermisst.«
»Es war ein Fehler. Es tut mir leid.« Ich hebe beschwichtigend die Hände. Sie reagiert noch heftiger als gedacht. »Ich wollte es dir ja sagen, aber es hat sich nicht ergeben. Und für mich ist mein Vater ja tot. Er ist abgehauen. Da war ich sieben. Er hat mir an dem Abend noch vorgelesen, und dann war er weg.« Ich rede mich um Kopf und Kragen. »Er hat sich einfach so vom Acker gemacht. Ohne Abschiedsbrief. Ohne Ankündigung. Von heute auf morgen. Sieh es, wie du willst, aber für mich war er damit gestorben.«
Obwohl Sun ihre Finger ins Sofa krallt, erkenne ich in ihren Augen, dass sie nicht mehr ganz so wütend ist. »Trotzdem ist das eine beschissene Lüge, eine ganz beschissene Lüge.«
»Es tut mir leid.«
Sun kaut auf ihrer Unterlippe herum, scheint nicht genau zu wissen, wie sie mit meinem Geständnis umgehen soll. Sie steht auf, nimmt eine Lage Zeitungspapier vom Stapel, zerknüllt es und wirft es ins Feuer, wo es in grellweiße Flammen aufgeht. »Lass mich raten«, sagt sie und dreht sich wieder zu mir um. »Das hängt auch irgendwie mit dieser MASCHINE zusammen.«
Ich nicke. »Die MASCHINE hat meinen Vater wiedergefunden. In der ersten Zukunftsprognose steht, dass mein Leben ähnlich aussehen wird wie seines. Und das will ich auf keinen Fall.«
Sie blickt mich fragend an. »Hat er jemanden umgebracht?«
»Er ist Anwalt.«
»Und was ist daran so schlimm?«
»Dass er ein Arschloch ist. Ein mediengeiles Arschloch. Und ich nicht. Und dass er sich einen Dreck für meine Schwester und für mich interessiert hat, sondern einfach eine neue Familie gegründet hat, als wäre die alte ein Fehler gewesen.«
Sun atmet tief ein. Sie setzt sich auf den Hocker. »Lassen wir mal deine Wut außen vor. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass diese Maschine weiß, welchen Beruf du später haben wirst. Und so hast du jetzt wenigstens deinen Vater wiedergefunden und kannst ihm den Kopf waschen.«
»Ich will ihn nicht kennenlernen.«
»Jetzt erzähl keinen Mist. Natürlich willst du ihn kennenlernen. Jeder will seine Wurzeln kennen. Jeder.«
»Ich nicht! Und ich werde auch nicht werden wie er. Das kann ich dir ganz sicher sagen.«
»Meine Güte. Krieg dich wieder ein. Du solltest dich etwas lockerer machen, was dieses Programm und seine Prognosen angeht.«
»Du hast leicht reden. Dein Vater ist cool.«
»Ja, das … das ist er. Trotzdem richte ich meine Ziele vor allem danach aus, was sich für mich richtig anfühlt und nicht für meine Eltern. Vielleicht solltest du das auch tun.«
»Kommst du jetzt wieder damit, dass ich nicht erwachsen bin?«
»Ich glaube nur, dass es ein Fehler ist, alles abzulehnen, was du von deinem Vater zu wissen glaubst. Das macht dich unfrei und unglücklich. Du verlierst den Kontakt zu dir selbst, zu dem, was du fühlst und woran du glaubst.«
»Das ist deine Theorie.«
»Ja, das ist meine Theorie. Ich denke, dass du deine Energie besser für das einsetzen solltest, was du willst, und nicht für einen Kampf, bei dem sich selbst der Sieg wie eine Niederlage anfühlen wird, sollte es dir nur darum gehen, anders zu werden als dein Vater.«
Mit dieser Aussage lässt sie mich sitzen und geht in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. Sobald wir wieder Netz haben, werde ich ihr zeigen, was die MASCHINE über sie und ihre beiden Freundinnen herausgefunden hat. Die Ahnengalerie, die Parameter, die Liste ihrer Nicknames, einfach alles. Vielleicht führt sie sich dann nicht mehr so überheblich auf. Vielleicht begreift sie dann, dass ich kein naiver Idiot bin, der auf eine Glücksspiel-App hereingefallen ist.
»Die App funktioniert wirklich«, sage ich nach ihrer Rückkehr. »Das ist kein Spielzeug. Die erste Prognose zu meinem Leben war sehr präzise. Die MASCHINE hat Sachen über mich und meine Familie entdeckt, die man nicht mit ein bisschen Googeln herausfindet. Wenn wir hier Netz hätten, könnte ich es dir zeigen. Deshalb bin ich nach der Party auch zu dir ins Auto gestiegen. Die MASCHINE hat dich auf Rot gesetzt. Das hat sie noch bei keinem Profil getan, das sie überprüft hat.«
Sun setzt ihr Glas ab. »Die App hat mein Profil überprüft? Und was soll dieses Rot deiner Meinung nach bedeuten? Arm, reich, links, rechts, oben, unten? Dass ich gefährlich bin? Dass man sich von mir fernhalten muss, weil ich einen schlechten Einfluss auf die Menschen in meiner Umgebung habe? Welche Aussage steckt dahinter?«
»Es gibt keine Erklärung oder FAQs. Das meiste muss man sich selbst herleiten. Das Programm analysiert Profile, über Twitter, Insta, Facebook und so weiter, und gibt dann eine Prognose ab, ob die jeweilige Person Einfluss auf das eigene Leben haben könnte. So hab ich mir das zumindest erklärt.«
Sun holt tief Luft, wie immer, wenn sie zu einer längeren Erklärung ansetzt. »Du glaubst also, dass diese Maschine in Profilen, mit denen du dich verbindest, anhand einer magischen Formel nach Übereinstimmungen und Gegensätzen sucht, abgestuft in Rot, Grün und Orange. Hab ich recht?« Ich nicke. Sie wiegt den Kopf hin und her. »Für eine Aussage, die in ihrer Genauigkeit über die eines Horoskops hinausgeht, bräuchte das Ding nicht nur einen klugen, lernfähigen Algorithmus, sondern auch jede Menge Daten. Gute, verlässliche, private Daten. Und das ist teuer. Das kann sich keine kleine Spiele-Klitsche leisten. Ganz zu schweigen von den Anwaltskosten, die auf einen zurollen, wenn nicht alles korrekt ist.«
»Die App gibt es nicht im Play- oder App Store. Geht nur mit Jailbreak oder im Sideload.« Ich versuche zu klingen wie ein Hacker, der genau weiß, wie das alles zusammenhängt. »Die Website lässt sich nicht auf normalem Weg finden. Sie ist nicht indexiert.«
Sun gibt sich wenig beeindruckt. »In Zeiten wie diesen, wo alles und jeder getrackt wird, macht das die Leute erst recht neugierig. Das klingt nach Underground und Verschwörung. Darauf fahren viele ab, die sich von diesem System gegängelt fühlen.«
»Ist die App also doch nicht so harmlos?«
»Harmlos ist gar nichts, was im Netz gerade abgeht. Ich vermute nur, dass dein Programm vor allem dem Zweck dient, dass die Leute sich nackt machen. Für ein bisschen Nervenkitzel füttern sie das Ding mit Daten, die dann teuer weiterverkauft werden, um die Zielgenauigkeit großer Propagandamaschinen oder Trollfabriken zu verbessern, damit sie den nächsten Wahlsieg an den Meistbietenden verkaufen können oder gleich einen Bürgerkrieg anzetteln.«
»Ich bin also ein naiver Idiot? Willst du das damit sagen?«
»Du suchst nach Wahrheiten, was prinzipiell ja nicht schlecht ist. Nur glaube ich, dass du sie vor allem offline finden wirst und nicht zwischen Nullen und Einsen.«
»Sonst noch was?«
»Wäre auch möglich, dass ein großer Internetkonzern seine Finger im Spiel hat. Die Claims im Netz sind längst abgesteckt und die Zeiten viraler Zufälle so gut wie vorbei. Klicks, Likes, Shares. Alles hat seinen Preis.« Über ihrem Gesicht liegt ein Ausdruck, der irgendwo zwischen Arroganz und Mitleid angesiedelt ist. Mitleid für mich, der so dumm war, einer Gratis-App zu glauben, dass sie die Zukunft vorhersagen kann.
»Ich versteh dich ja«, sagt sie versöhnlich. »Dir gefällt nicht, was du vom Turm aus gesehen hast. Aber glaubst du wirklich, es wird dir besser gehen, wenn du diese Maschine besiegst und ihre Prognose widerlegst, die dich biografisch in die Nähe deines Vaters rückt? Denkst du, dass du dann frei sein wirst?«
Ich halte ihrem Blick stand. »Ja, das denke ich.«
»Du kämpfst gegen Windmühlen.«
»Tu ich nicht.«
Sun seufzt. »Du kannst doch gar nicht wissen, wie du dein Leben rückblickend beurteilen wirst. Mit siebzig oder achtzig. Oder weiß die Maschine das auch? Kann sie dir sagen, wann und wo in dieser vorgedachten Zukunft du glücklich bist oder wenigstens zufrieden?«
»Nein«, antworte ich mürrisch, »das kann sie nicht.«
»Aber genau darum geht es doch. Ist doch egal, welchen Job du hast, ob du mit deinen Songs Millionen Klicks bekommst und berühmt wirst oder als Musiklehrer oder sonst wie dein Geld verdienst. Wichtig ist doch nur, wie es dir dabei geht und was du fühlst. Darauf kommt es an. Nicht auf den Blick von außen. Wahrscheinlich sind Durchschnittsbiografien, die keine großen Ausschläge nach oben haben, die glücklicheren. Und wer weiß, was es mit dir macht, wenn du erst mal berühmt bist. Nachher fühlt sich dieses Erfolgreich- und Anderssein scheiße an, einsam. Dafür gibt es ja genügend Beispiele.«
»Darauf lasse ich es gerne ankommen.«
»Und deine Theorie hat noch einen Haken: Wenn du die App als Gegner betrachtest, hat sie bereits gewonnen. Du setzt auf Rot, auf Leute wie mich, mit denen du eigentlich nichts zu tun haben willst, weil sie, wenn deine Theorie stimmt, Konflikte und Ärger bedeuten. Sinnvoller wäre es, auf dein Bauchgefühl zu hören. Das macht dich weniger berechenbar.«
Ich brauche ein paar Sekunden, um ihre Aussage zu verarbeiten.
»Wie oft spuckt das Programm eigentlich eine neue Prophezeiung aus?«, fragt Sun. »Nur ein einziges Mal oder öfter?«
»Sobald man auf ›Play‹ drückt, dauert es neunzig Tage.«
»Auf Play.« Sie schmunzelt leicht. »Und wo stehen wir gerade auf der Timeline?«
»Noch neunundsiebzig Tage bis zur nächsten Prognose.«
»Und bis dahin willst du alles daransetzen, in den Augen der Maschine ein anderer Mensch zu werden?«
»Ja, vielleicht will ich das. Vielleicht will ich dieses für dich so lächerliche Spiel nach meinen Regeln zu Ende spielen.«