»Soll ich Maries Perücke mit pinkfarbenem oder goldenem Glitter bestreuen?« Ich halte das Osterei vor den Monitor, damit Margot es begutachten kann. Ich habe die Schale in einem hellen Türkis bemalt und dann in Serviettentechnik ein Miniaturporträt von Marie Antoinette aufgeklebt.
»Halt es noch näher an die Kamera«, befiehlt Margot und starrt blinzelnd auf den Bildschirm. Sie trägt einen Schlafanzug, und auf ihrem Gesicht klebt eine weiße Pflegemaske. Die Haare reichen ihr schon bis zu den Schultern; vermutlich wird sie bald zum Friseur gehen. Ich habe das Gefühl, dass sie bei den kurzen Haaren bleiben wird. Sie stehen ihr auch richtig gut.
In Schottland ist es Abend und bei uns immer noch Nachmittag. Wir sind fünf Stunden und mehr als fünfeinhalbtausend Kilometer voneinander entfernt. Sie ist in ihrem Wohnheimzimmer, ich sitze an unserem Küchentisch, umgeben von Ostereiern, Farbschüssel, Strasssteinen, Aufklebern und flauschigen weißen Federn, die noch vom Weihnachtsschmuckbasteln übrig sind. Mein Laptop thront auf einem Stapel Kochbücher, damit Margot mir beim Eierbemalen Gesellschaft leisten kann.
»Ich werde ihr eine Perlenbordüre umlegen, falls dir das bei deiner Entscheidung hilft«, teile ich meiner großen Schwester mit.
»Dann nimm Pink.« Margot rückt ihre Gesichtsmaske zurecht. »Pink fällt mehr auf.«
»Das finde ich auch.« Mit einem alten Lidschattenpinsel trage ich den Glitter auf. Gestern habe ich stundenlang Eier ausgeblasen. Eigentlich sollte es eine nette Abendbeschäftigung für Kitty und mich sein, so wie früher, aber sie ist abgesprungen, weil Madeline Klinger sie zu sich eingeladen hat. Eine solche Einladung ist ein so seltenes Ereignis, dass ich ihr nicht böse sein konnte.
»Nicht mehr lange, dann bekommst du Bescheid, oder?«
»Irgendwann in diesem Monat.« Mit einem Stift male ich eine Reihe Perlen auf das Ei. Obwohl ich mir wünsche, dass das Warten endlich vorbei ist, bin ich irgendwie auch froh über diese Zeit des Nicht-Wissens, des Immer-noch-Hoffens.
»Sie werden dich schon nehmen«, sagt Margot entschieden.
Jeder um mich herum scheint zu denken, es wäre ausgemachte Sache, dass ich an der UVA studiere. Peter, Kitty, Margot, mein Vater. Meine Schulberaterin Mrs. Duvall. Und auch wenn ich es nie wagen würde, das laut auszusprechen, um kein Unglück heraufzubeschwören, glaube ich es irgendwie auch. Ich habe viel gelernt und im Collegetest ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Meine Noten sind fast so gut wie die von Margot, und Margot hatte damals eine Zusage bekommen. Ich habe alles getan, was nötig ist, aber wird das auch reichen? Jetzt kann ich nur noch abwarten und hoffen. Und noch mehr hoffen.
Bevor ich eine kleine weiße Schleife oben an mein Ei klebe, halte ich inne und schaue meine Schwester misstrauisch an. »Warte mal. Du willst mich aber nicht überreden, an eine andere Uni zu gehen, weil du findest, dass ich auf eigenen Beinen stehen soll?«
Margot lacht. Die Maske rutscht von ihrem Gesicht, und sie rückt sie wieder zurecht. »Nein, ich vertraue darauf, dass du selbst weißt, was am besten ist.«
Das meint sie ehrlich, das spüre ich. Und ihre Worte bewirken, dass es auch so ist: Ich vertraue mir. Ich vertraue darauf, dass ich dann, wenn die Zeit gekommen ist, weiß, was am besten für mich sein wird. Und das ist nun mal die UVA, davon bin ich überzeugt.
»Ich gebe dir nur den Rat, dir deine eigenen Freunde zu suchen. Peter wird tausend neue Freunde haben, allein schon durch das Lacrosse. Und diese Typen gehören vermutlich nicht unbedingt zu den Menschen, die du dir als Freunde aussuchen würdest. Deshalb solltest du eigene finden. Leute, die so sind wie du. Die UVA ist groß.«
»Das werde ich«, verspreche ich.
»Und vergiss nicht, mit anderen asiatisch-amerikanischen Studenten in Kontakt zu kommen. Das ist das Einzige, was mir hier in Schottland fehlt: eine Vereinigung von Leuten, die meiner Herkunft sind. Irgendwie macht man sich auf dem College plötzlich Gedanken über seine ethnische Identität. Bei Tim war das auch so.«
»Welcher Tim?«
»Tim Monahan aus meinem Jahrgang.«
»Ach, der«, sage ich. Tim Monahan ist koreanischer Abstammung und wurde adoptiert. Es gibt nicht viele Asiaten an unserer Schule, deshalb kennen wir uns alle, zumindest flüchtig.
»In der Schule hatte er nie was mit anderen asiatischstämmigen Schülern zu tun, und dann ist er zum Studieren auf die Virginia Tech gegangen und hat dort jede Menge Koreaner kennengelernt. Mittlerweile soll er sogar Präsident einer asiatischen Studentenverbindung sein.«
»Wow!«
»Ich bin echt froh, dass es hier in England nicht so viele Verbindungen gibt. Du hast doch nicht vor, bei so was mitzumachen, oder?« Hastig fügt sie hinzu: »Auch wenn das natürlich völlig in Ordnung wäre.«
»Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.«
»Peter wird bestimmt einer Verbindung beitreten.«
»Dazu hat er bisher nichts gesagt …« Aber auch wenn er es nicht erwähnt hat, könnte ich mir das bei ihm gut vorstellen.
»Ich habe gehört, dass es ziemlich schwierig ist, wenn dein Freund in einer Verbindung ist und du nicht. Und wegen dieser ganzen Partys und so soll es angeblich praktischer sein, wenn du mit den Mädchen aus der zugehörigen Schwesternschaft befreundet bist. Keine Ahnung. Mir kommt das Ganze sowieso etwas albern vor, aber vielleicht lohnt es sich ja. Angeblich soll bei den Studentinnenverbindungen viel gebastelt werden.« Sie schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Apropos basteln.« Ich halte mein Ei in die Höhe. »Tadaaa!«
Margot beugt sich näher zur Kamera. »Du solltest eine Ostereierfirma gründen! Zeig mal die anderen.«
Ich halte den Eierkarton hoch. Darin liegen ein Dutzend bemalter, ausgeblasener Eier – rosa mit einer Borte aus pinker Zackenlitze, strahlend blau und zitronengelb, lavendelfarben und mit getrockneten Lavendelblüten besetzt. Ich war froh, dass ich die Blüten endlich mal verwenden konnte. Vor Monaten habe ich für eine Lavendel-Crème-brûlée eine ganze Tüte davon gekauft, seitdem steht sie in unserer Vorratskammer herum und nimmt Platz weg.
»Was willst du mit den Eiern machen?«, fragt Margot.
»Ich nehme sie mit ins Belleview, damit sie den Empfang damit schmücken können. Ich finde, dort sieht es immer so trostlos und krankenhausmäßig aus.«
Margot lehnt sich gegen ihre Kissen. »Wie geht’s den Leuten im Belleview?«
»Gut. Ich hatte so viel mit den College-Bewerbungen zu tun und dem ganzen anderen Kram, den man im letzten Schuljahr erledigen muss, dass ich in letzter Zeit kaum noch dort war. Seitdem ich nicht mehr offiziell dort arbeite, ist es ganz schön schwer, Zeit dafür zu finden.« Ich lasse das Ei in meiner Hand kreiseln. »Das hier werde ich Stormy schenken. Es passt zu ihr.« Ich lege das Ei mit dem Marie-Antoinette-Porträt zum Trocknen auf das Gestell und nehme ein lilafarbenes Ei, um bunte Strasssteine aufzukleben. »Von jetzt an will ich wieder öfter hinfahren.«
»Das verstehe ich gut«, stimmt Margot mir zu. »Wenn ich in den Frühlingsferien zu Hause bin, komme ich mit. Ich möchte, dass Stormy Ravi kennenlernt.«
Ravi ist seit einem halben Jahr Margots Freund. Seine Eltern stammen aus Indien, aber er wurde in London geboren und hat deshalb einen ganz vornehmen Akzent. Als ich ihn per Skype kennenlernte, habe ich sofort gesagt: »Du klingst genau wie Prinz William.« Er hat gelacht und sich bedankt. Er ist zwei Jahre älter als Margot, und vielleicht liegt es an seinem Alter oder daran, dass er Engländer ist, aber er wirkt sehr intellektuell und ganz anders als Josh. Nicht hochnäsig, einfach anders. Irgendwie kultiviert, vermutlich, weil er in einer richtigen Großstadt aufgewachsen ist. Er konnte regelmäßig ins Theater gehen und hat ständig irgendwelche Politiker getroffen, weil seine Mutter Diplomatin ist. Als ich Margot das sagte, lachte sie und meinte, ich würde ihn nur nicht richtig kennen. Ravi sei in Wirklichkeit ein ziemlicher Nerd und kein bisschen cool oder Prinz-William-mäßig. »Lass dich von seinem Akzent nicht täuschen«, sagte sie. Wenn sie Ravi in den Frühlingsferien mitbringt, kann ich mir selbst ein Bild machen. Er wird zwei Tage bei uns verbringen, dann fliegt er weiter nach Texas, um Verwandte zu besuchen, und Margot bleibt die restliche Woche bei uns.
»Ich kann es kaum erwarten, ihn persönlich kennenzulernen«, sage ich, und sie strahlt.
»Du wirst ihn lieben.«
Ganz bestimmt werde ich das. Ich mag alle Menschen, die Margot gernhat. Aber noch schöner ist, dass Margot mittlerweile Peter besser kennt und sieht, wie besonders er ist. Wenn Ravi hier ist, können wir zu viert was unternehmen – richtige Pärchenabende.
Meine Schwester und ich sind gleichzeitig verliebt, und das ist so wunderbar, weil es uns noch mehr verbindet.