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Den ganzen Tag sitze ich wie auf glühenden Kohlen und warte auf den Bescheid des College of William and Mary. Ich schaue ständig auf mein Handy und warte, dass es summt, warte auf die Mail. In Englisch muss Mr. O’Bryan mich drei Mal nach der Erzähltradition der Sklaven in Menschenkind fragen.

Als es dann summt, ist es nur Margot, die wissen will, ob ich schon was gehört hätte. Dann summt es erneut, und diesmal ist es Peter, der fragt, ob es was Neues gäbe. Aber keine Nachricht vom William and Mary.

Erst als ich in der kleinen Pause auf dem Mädchenklo sitze, summt es wieder. Ich richte mich hastig auf und schließe meine Hose, bevor ich auf mein Handy schaue. Es ist eine E-Mail von der University of North Carolina in Chapel Hill, die mir mitteilt, dass mein Bewerberstatus aktualisiert wurde. Ich stehe in der Klokabine, und obwohl ich nicht ernsthaft erwartet hatte, dort einen Studienplatz zu bekommen, klopft mein Herz wie verrückt, als ich auf den Link klicke und warte.

Ein Wartelistenplatz.

Ich sollte mich darüber freuen, weil es richtig schwer ist, bei der UNC reinzukommen, und die Warteliste ist immer noch besser als nichts, und ich würde mich auch freuen … wenn ich schon einen Platz an der UVA hätte. Stattdessen fühlt es sich wie ein weiterer Tiefschlag an. Wenn ich nun nirgendwo genommen werde? Was soll ich dann machen? Ich kann Tante Carrie und Onkel Victor schon vor mir sehen: »Die arme Lara Jean, sie hat keinen Platz an der UVA oder der UNC bekommen. Sie ist so anders als ihre Schwester. Margot ist einfach ein Gewinnertyp.«

In der Mittagspause wartet Peter bereits mit neugierigem Gesicht an unserem Tisch. »Hast du was gehört?«

Ich setze mich neben ihn. »Ich stehe bei der UNC auf der Warteliste.«

»Oh Shit. Na ja, es ist fast unmöglich, dort im ersten Durchgang reinzukommen, wenn man nicht in North Carolina wohnt. Ehrlich, selbst ein Wartelistenplatz ist schon ziemlich toll.«

»Vermutlich«, seufze ich.

»Ach, vergiss die doch«, meint er. »Wer will da schon hin?«

»Viele Leute.« Ich packe mein Brot aus, bringe es aber nicht über mich, hineinzubeißen, weil mein Hals wie zugeschnürt ist.

Peter zuckt abfällig mit den Schultern.

Ich weiß, er will mich nur trösten, aber die UNC ist eine tolle Uni, und er weiß das, und ich weiß es auch. Es macht keinen Sinn, so zu tun, als wäre es nicht so.

Die ganze Pause über nippe ich lustlos an meiner Cherry Coke und höre zu, wie die Jungs sich über das Spiel unterhalten, das in ein paar Tagen ansteht. Peter schaut irgendwann zu mir und drückt tröstend mein Bein, aber ich bringe es nicht mal fertig, ihn auf diese Geste hin anzulächeln.

Nachdem die anderen Jungs aufgestanden sind, um zum Krafttraining zu gehen, sitzen nur noch Peter und ich am Tisch. Besorgt fragt er: »Willst du nichts essen?«

»Ich habe keinen Hunger.«

Da seufzt er und sagt: »Du solltest an die UVA gehen, nicht ich«, und einfach so, mit einem kleinen Puff, verfliegt der missgünstige kleine Gedanke vom vergangenen Abend wie ein Parfümhauch. Ich weiß, wie hart Peter beim Lacrosse trainiert. Er hat seinen Platz verdient. Er sollte so was nicht denken. Das ist nicht fair.

»Sag das nicht. Du hast hart dafür gearbeitet. Du hat es dir verdient, an die UVA zu gehen.«

Mit gesenktem Kopf sagt er: »Du doch auch.« Dann fährt sein Kopf in die Höhe, seine Augen leuchten. »Kannst du dich noch an Toney Lewis erinnern?« Ich schüttele den Kopf. »In unserem ersten Jahr hier an der Schule war er in der Abschlussklasse. Dann ist er zwei Jahre aufs Berufskolleg gegangen und im dritten Jahr an die UVA gewechselt! Ich wette, das könntest du auch, aber du könntest den Antrag bestimmt schon früher stellen, weil du auf ein richtiges College gehen wirst. Da ist es tausend Mal einfacher, einen Studienplatzwechsel zu beantragen.«

»Hmm, das stimmt vermutlich …« An so etwas habe ich noch gar nicht gedacht. Ich muss mich immer noch an die Vorstellung gewöhnen, dass ich keinen Studienplatz an der UVA habe.

»Eben. Also, dann gehst du eben im Herbst auf das William and Mary oder nach Richmond oder wo du eben reinkommst, und wir besuchen uns ganz oft, und nächstes Jahr beantragst du dann einen Studienplatzwechsel und kommst zu mir an die UVA. Wo du sowieso hingehörst!«

Hoffnung flackert in mir auf. »Glaubst du wirklich, es wäre so einfach für mich, einen Platz zu bekommen?«

»Klar! Du hättest doch jetzt schon einen Platz kriegen müssen! Vertrau mir, Covey.«

Ich nicke langsam. »Ja! Okay. Okay.«

Peter atmet erleichtert aus. »Gut. Dann haben wir einen Plan.«

Ich klaue ihm eine Fritte vom Teller. Langsam kehrt mein Appetit wieder zurück. Ich klaue noch eine Fritte, als mein Handy vibriert. Ich greife danach und schaue aufs Display – es ist eine E-Mail von der Zulassungsstelle des William and Mary.

Peter schaut mir über die Schulter und bekommt große Augen. Sein Bein hüpft nervös neben meinem auf und ab, während wir darauf warten, dass sich die Seite lädt.

Das College of William & Mary freut sich, Ihnen einen
Studienplatz anbieten zu …

Erleichterung überkommt mich. Gott sei Dank.

Peter springt auf, hebt mich hoch und wirbelt mich durch die Luft. »Lara Jean hat einen Platz am William and Mary!«, ruft er den Leuten um uns herum zu. Sie klatschen.

»Siehst du?«, juchzt Peter und umarmt mich. »Ich habe doch gesagt, alles wird gut.«

Ich drücke ihn ganz fest. Mehr als alles andere bin ich erleichtert. Erleichtert, irgendwo angenommen worden zu sein, erleichtert, einen Plan zu haben.

»Wir schaffen das schon, bis du dann hier an der UVA bist«, sagt er leise und vergräbt sein Gesicht an meinem Hals. »Dein College ist nur zwei Stunden von hier weg – das ist ein Klacks. Ich wette, dein Dad lässt dich das Auto mitnehmen. Kitty braucht es sowieso nicht. Und ich kann die Strecke ein paarmal mit dir fahren, damit du dich daran gewöhnst. Alles wird gut, Covey.«

Ich nicke.

Nachdem ich mich wieder hingesetzt habe, schicke ich eine Gruppen-Nachricht an Margot, Kitty, Ms. Rothschild und meinen Vater.

Ich habe einen Platz am W&M!!!

Ich füge die Ausrufezeichen hinzu, um zu zeigen, wie sehr ich mich freue; damit sie wissen, dass sie mich nicht mehr bemitleiden müssen und dass alles gut ist.

Mein Dad schickt eine Reihe von Emojis zurück. Ms. Rothschild schreibt: Du bist die Beste!!!!! und Margot: YAYYYYYYY! Das feiern wir nächste Woche!

Nach der Mittagspause schaue ich noch bei Mrs. Duvall vorbei, sie freut sich ebenfalls für mich: »Ich weiß, es war nur deine zweite Wahl, aber in gewisser Weise passt das William and Mary vielleicht sogar besser zu dir als die UVA. Es ist kleiner. Ein Mädchen wie du kann dort wirklich glänzen, Lara Jean.«

Ich lächele sie an und lasse mich von ihr umarmen, aber insgeheim denke ich: Dann meint sie also, dass ein Mädchen wie ich an der UVA nicht glänzen könnte.

Am Ende der Woche habe ich auch noch eine Zusage von der James Madison University und eine von der University of Richmond erhalten, worüber ich mich auch freue, aber ich bin immer noch entschlossen, auf das William and Mary zu gehen. Ich war schon ein paar Mal mit meiner Familie in Williamsburg und kann mir gut vorstellen, dort zu leben. Der Campus ist klein, aber sehr hübsch. Und es ist wirklich nicht weit von hier entfernt. Keine zwei Stunden mit dem Auto. Deshalb werde ich erst mal dort studieren, gute Noten schreiben, und nach einem Jahr wechsele ich dann an die UVA, und alles wird so, wie wir es geplant hatten.