17

Kitty mischt Nagellackfarben auf einem Papierteller zusammen, und ich schaue mir Promi-Hochsteckfrisuren für Trinas Hochzeitsfrisur an. Ich liege auf mehrere Kissen gestützt auf dem Sofa, Kitty kauert umringt von Nagellackfläschchen am Boden. Plötzlich fragt sie mich: »Was wäre eigentlich, wenn Dad und Trina ein Baby bekommen, und es sieht wie Daddy aus?«

Kitty denkt ständig über Sachen nach, auf die ich gar nicht käme. Daran habe ich noch kein einziges Mal gedacht – dass sie vielleicht ein Kind kriegen könnten und dass dieses Baby dann nicht aussähe wie wir. Es würde Daddy und Trina ähnlich sehen. Keiner würde sich fragen, zu wem es gehört, oder Mutmaßungen anstellen. Alle würden einfach davon ausgehen, dass sie die Eltern sind.

»Die beiden sind doch viel zu alt«, meine ich.

»Trina ist dreiundvierzig. Mit dreiundvierzig kann man noch schwanger werden. Maddies Mutter hat erst vor Kurzem ein Baby bekommen, und sie ist auch dreiundvierzig.«

»Das stimmt …«

»Und wenn es ein Junge wird?«

Dad mit einem Sohn. Eine merkwürdige Vorstellung. Er ist nicht wirklich sportlich, nicht in einem traditionellen, maskulinen Sinn. Er fährt zwar gern Rad und spielt im Frühling Tennis. Aber mit einem Sohn würde er bestimmt Dinge unternehmen wollen, die er mit uns nicht macht, weil wir uns nicht dafür interessieren. Angeln vielleicht? Football mag er gar nicht. Das findet sogar Trina spannender als er.

Als meine Mutter mit Kitty schwanger war, wollte Margot unbedingt, dass es ein Mädchen wird, während ich mir einen Jungen wünschte. Die Song-Mädchen und ihr kleiner Bruder. Es wäre schön, nun doch noch einen kleinen Bruder zu bekommen. Vor allem, weil ich dann nicht mehr zu Hause wohnen würde und das Geschrei nachts nicht hören müsste. Ich könnte dem Baby kleine Lederstiefelchen kaufen und Pullover mit roten Füchsen oder kleinen Hasen darauf.

»Wenn sie ihn Tate nennen, könnten wir Tati zu ihm sagen. Das passt gut zu ›Kitty‹«, überlege ich.

Zwei rote Flecken erscheinen auf Kittys Wangen, und auf einmal sieht sie so jung aus, wie sie es in meinen Augen immer noch ist: wie ein kleines Kind. »Ich will aber nicht, dass sie noch ein Baby bekommen. Wenn sie ein Baby kriegen, dann bin ich in der Mitte. Dann bin ich nichts mehr.«

»He!«, protestiere ich. »Ich bin jetzt die Mittlere.«

»Margot ist die Älteste und die Klügste von uns, und du bist die Hübscheste.«

Ich – die Hübscheste? Kitty findet mich hübsch? Ich bemühe mich, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr ich mich über diese Worte freue, weil sie immer noch redet.

»Aber ich bin nur die Jüngste. Wenn sie ein Baby bekommen, bin ich nicht mal mehr das.«

Ich stelle meinen Laptop weg. »Kitty, du bist doch viel mehr als nur das jüngste Song-Mädchen. Du bist das wilde Song-Mädchen. Das freche. Das sturköpfige.«

Kitty schürzt die Lippen und bemüht sich, nicht zu lächeln.

Ich füge hinzu: »Und egal was kommt, Trina liebt dich. Sie wird dich immer lieben, auch wenn sie noch ein eigenes Kind hätte, was ich allerdings nicht glaube.« Ich halte inne. »Wie hast du das eigentlich gemeint, als du gesagt hast, ich wäre die Hübscheste?«

»Nein, ich nehm’s zurück. Wenn ich auf die Highschool komme, bin ich bestimmt die Hübscheste von uns. Du kannst dann gern die Netteste sein.«

Ich springe vom Sofa und packe sie an den Schultern, als wollte ich sie schütteln, und sie kichert.

»Ich will aber nicht die Netteste sein«, schimpfe ich.

»Bist du aber.« Sie sagt es nicht wie eine Beleidigung, aber auch nicht so, dass es wie ein Kompliment klingt. »Was hättest du gern von mir?«

»Deine Dreistigkeit.«

»Was noch?«

»Deine Nase. Du hast so eine süße kleine Stupsnase.« Ich tippe dagegen. »Und du von mir?«

Kitty zuckt mit den Schultern. »Keine Ahnung.« Dann lacht sie sich halb tot, und diesmal schüttele ich sie wirklich an den Schultern.

Später am Abend denke ich noch einmal über das Gespräch nach. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass Dad und Trina ein Kind haben könnten. Aber Trina hat keine eigenen Kinder, nur ihr »Fellbaby«, die Golden-Retriever-Hündin Simone. Vielleicht möchte sie ja doch noch selbst ein Baby haben. Und Dad hat das zwar nie gesagt, aber vielleicht will er ein letztes Mal probieren, einen Jungen zu zeugen? Das Baby wäre dann achtzehn Jahre jünger als ich. Eine merkwürdige Vorstellung. Und noch merkwürdiger ist: Ich bin alt genug, um selbst ein Kind zu bekommen.

Was würden Peter und ich tun, wenn ich schwanger werden würde? Ich kann mir nicht mal vorstellen, was dann wäre. Ich sehe immer nur Dads Gesicht vor mir, wenn ich ihm die Neuigkeit erzähle, weiter komme ich nicht.

Am nächsten Morgen schaue ich auf dem Schulweg verstohlen zu Peter hinüber. »Ich finde es schön, dass deine Haut so weich ist«, sage ich. »Wie bei einem Baby.«

»Ich könnte mir auch einen Bart wachsen lassen«, sagt er und streicht sich über das Kinn. »Einen buschigen Vollbart.«

Liebevoll sage ich: »Nein, könntest du nicht. Eines Tages vielleicht, wenn du ein Mann bist.«

Er sieht mich beleidigt an. »Ich bin ein Mann. Ich bin achtzehn!«

»Du machst dir ja noch nicht mal dein Pausenbrot selbst. Weißt du überhaupt, wie man eine Waschmaschine bedient?«, meine ich spöttisch.

»Da, wo es zählt, bin ich jedenfalls ein Mann«, prahlt er, und ich verdrehe nur die Augen.

»Was würdest du tun, wenn sie dich zum Kriegsdienst einziehen würden?«

»Äh … sind Collegestudenten davon nicht befreit? Gibt es überhaupt noch eine Wehrpflicht?«

Weil ich die Antwort darauf auch nicht weiß, rede ich schnell weiter. »Was würdest du tun, wenn ich schwanger werden würde?«

»Lara Jean, wir haben noch nicht mal miteinander geschlafen. Das wäre ja eine unbefleckte Empfängnis.«

»Aber wenn es so wäre?«, beharre ich.

Er stöhnt. »Du und deine Fragen! Keine Ahnung. Woher soll ich wissen, was ich dann tun würde?«

»Was denkst du, würdest du tun?«

Peter zögert keine Sekunde. »Das, was du tun willst.«

»Sollten wir das nicht gemeinsam entscheiden?« Ich prüfe ihn – auch wenn ich selbst nicht weiß, worauf.

»Ich bin nicht derjenige, der das Kind austragen muss. Es ist dein Körper.«

Seine Antwort gefällt mir, trotzdem lasse ich nicht locker. »Und wenn ich sagen würde … lass uns das Kind bekommen und heiraten?«

Wieder zögert Peter nicht. »Dann würde ich sagen: Ja, klar.«

Jetzt schaue ich ihn kritisch an. »Sicher? Einfach so? Die bedeutendste Entscheidung deines Lebens, und du würdest einfach ›Ja, klar‹ sagen?«

»Ja, klar. Weil ich mir sicher bin.«

Ich lehne mich zu ihm und lege meine Hände an seine glatten Wangen. »Daran merkt man, dass du immer noch ein Junge bist – weil du dir so sicher bist.«

Er sieht mich fragend an. »Na und? Das klingt, als wäre es was Schlechtes.«

Ich lasse ihn los. »Du bist dir immer bei allem so sicher, was dich betrifft. Da zweifelst du nie an irgendwas.«

»Also, eins weiß ich genau«, sagt er und schaut starr nach vorne. »Ich werde sicher nicht so ein Vater wie mein Vater, egal, wie alt ich dann bin.«

Ich schweige. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn geneckt und dadurch schlechte Erinnerungen wachgerufen habe. Am liebsten hätte ich gefragt, ob sein Vater immer noch versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen und seine Fehler wiedergutzumachen, aber Peters verschlossener Gesichtsausdruck hält mich davon ab. Ich wünschte, sein Vater und er könnten die Probleme zwischen ihnen ausräumen, bevor Peter aufs College geht. Er ist im Moment einfach noch ein Junge, und ich denke, alle Jungs wollen tief in ihrem Innern ihre Väter kennen, egal, wie mies diese sich benommen haben.

Nach der Schule fahren wir zum Drive-in. Peter beißt bereits große Stücke aus seinem Sandwich, bevor wir den Parkplatz überhaupt verlassen haben. Zwischen den Bissen sagt er: »Hast du das vorhin ernst gemeint, als du gesagt hast, du könntest dir nicht vorstellen, mich zu heiraten?«

»Das hab ich nicht gesagt!«

»Aber so ähnlich. Du hast gesagt, ich wäre noch ein Junge, und du könntest keinen Jungen heiraten.«

Also habe ich ihn tatsächlich gekränkt. »So hab ich das doch nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass ich mir momentan nicht vorstellen kann, überhaupt zu heiraten. Wir sind beide selbst noch Kinder. Wie können wir da ein Kind großziehen?« Ohne weiter darüber nachzudenken, füge ich hinzu: »Außerdem hat mir mein Vater schon ein ganzes Verhütungspaket fürs College zusammengestellt – darüber brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen.«

Peter verschluckt sich fast an seinem Sandwich. »Ein Verhütungspaket?«

»Klar. Kondome und« … Etwas, das Dental Dams heißt. »Peter, weißt du, was ein Dental Dam ist?«

»Ein was? Hört sich an wie was vom Zahnarzt?«

Ich kichere. »Nein. Das ist eine Schutzfolie für Oralsex. Du bist doch der Experte von uns. Ich dachte, du erklärst mir im College dann alles!«

Mit klopfendem Herzen warte ich auf einen Witz von ihm, da­rüber, dass wir beide im College endlich miteinander schlafen werden. Aber da kommt nichts. Stattdessen sagt er missbilligend: »Mir gefällt der Gedanke nicht, dass dein Vater denkt, wir tun es, obwohl es gar nicht so ist.«

»Er will nur, dass wir vorsichtig sind. Er ist Frauenarzt, vergessen?« Ich tätschele sein Knie. »Jedenfalls kann ich damit nicht so schnell schwanger werden, wir brauchen uns also keine Sorgen zu machen.«

Er zerknüllt die Serviette und wirft sie in die Papiertüte, die Augen immer noch auf die Straße gerichtet. »Deine Eltern haben sich doch auf dem College kennengelernt, oder?«

Ich bin überrascht, dass er das weiß. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, ihm das erzählt zu haben. »Ja.«

»Wie alt waren sie da? Achtzehn? Neunzehn?« Peter scheint mit seinen Fragen auf etwas hinauszuwollen.

»Zwanzig, glaube ich.«

Sein Gesicht verdüstert sich, aber nur ein bisschen. »Okay, also zwanzig. Ich bin achtzehn, und du wirst in drei Monaten ebenfalls achtzehn. Zwanzig ist nur zwei Jahre älter. Und was sind schon zwei Jahre, wenn man ein ganzes Leben betrachtet?« Er strahlt mich an. »Deine Eltern haben sich mit zwanzig kennengelernt, wir mit …«

»Zwölf«, werfe ich ein.

Peter runzelt die Stirn, verärgert, weil ich seine Argumentation vermassele. »Okay, wir haben uns also als Kinder kennengelernt, aber wir sind erst mit siebzehn zusammengekommen …«

»Ich war sechzehn.«

»Wir sind erst richtig zusammengekommen, als wir beide praktisch siebzehn waren. Und siebzehn ist fast das Gleiche wie achtzehn, und das wiederum ist fast das Gleiche wie zwanzig.« Auf seinem Gesicht liegt die selbstzufriedene Miene eines Anwalts, der soeben ein unschlagbares Schlussplädoyer gehalten hat.

»Das ist aber sehr umständlich und verdreht gedacht«, meine ich. »Hast du dir mal überlegt, Anwalt zu werden?«

»Nein, aber wer weiß?«

»Die UVA hat auch eine gute juristische Fakultät«, sage ich, und plötzlich durchfährt mich ein Stich. Das College ist eine Sache, aber ein Master in Jura? Das ist noch so lange hin, und wer weiß, was in der Zwischenzeit passiert. Bis dahin werden wir völlig andere Menschen sein. Wenn ich an Peter mit Mitte zwanzig denke, bekomme ich eine tiefe Sehnsucht nach dem Mann, den ich vielleicht nie kennen werde. Jetzt, in diesem Moment, ist er immer noch ein Junge, und ich kenne ihn besser als jeder andere Mensch auf der Welt, aber was, wenn es nicht immer so bleibt? Unsere Wege fangen bereits an, sich zu trennen, jeden Tag ein bisschen mehr, je näher der August rückt.