19

Heute hat Peter ein Lacrosse-Spiel, Pammy kann nicht mit, weil sie arbeiten muss, und Chris würde sich zu so was natürlich niemals herablassen, deshalb frage ich Kitty. Sie tut so, als müsste sie über meinen Vorschlag erst nachdenken, und überlegt laut, ob es nicht vielleicht zu langweilig werden würde, aber als ich »Dann eben nicht« sage, willigt sie hastig ein mitzugehen.

Auf der Tribüne begegnen wir Peters Mutter und seinem jüngeren Bruder Owen und setzen uns zu ihnen. Kitty und Owen ignorieren sich geflissentlich – er spielt auf seinem Handy, sie auf ihrem. Owen ist groß, sitzt aber ganz zusammengekrümmt da, und die Haare hängen ihm in die Augen.

Wir plaudern eine Weile über Dads und Trinas Verlobung, und ich beschreibe Peters Mom meine Ideen für die Hochzeit. Sie hört zu und nickt, dann sagt sie plötzlich: »Ich habe gehört, man kann dir auch gratulieren.«

Verwirrt frage ich: »Wozu?«

»Zu deinem Studienplatz am William and Mary.«

»Oh! Danke.«

»Ich weiß, du hattest gehofft, an der UVA zu studieren, aber vielleicht ist es ja besser so.« Sie lächelt mitfühlend.

Ich lächele auch, allerdings etwas unsicher. Ich habe keine Ahnung, was sie mit diesem »besser so« meint. Ist sie froh, dass ich nicht mit Peter an die UVA gehe? Denkt sie, dass wir uns trennen werden? Deshalb sage ich nur: »Williamsburg ist zum Glück nicht so weit von Charlottesville entfernt.«

Ihre Antwort darauf ist nur: »Hmm, ja, das stimmt.« Dann erzielt Peter ein Tor, und wir springen beide auf und jubeln.

Als ich mich wieder setze, fragt Kitty: »Können wir Popcorn holen?«

»Klar«, sage ich, froh über eine Ausrede, von hier wegzukommen. Ich frage Peters Mutter und Bruder: »Wollt ihr auch was?«

Ohne aufzusehen, antwortet Owen: »Popcorn.«

»Ihr könnt euch eine Tüte teilen«, meint seine Mom.

Ich gehe an den Sitzreihen vorbei zum Imbissstand, wo mir ein Mann auffällt, der etwas abseits steht und mit verschränkten Armen das Spiel beobachtet. Er ist groß und hat haselnussbraune Haare. Gut aussehend. Sobald er den Kopf dreht, weiß ich, wer er ist, weil ich das Profil sofort erkenne. Dieses Kinn und diese Augen sind mir vertraut. Es ist Peters Vater. Mir ist, als wäre ich dem Geist der zukünftigen Weihnacht aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte begegnet, und ich bleibe wie erstarrt stehen.

Er bemerkt meinen Blick und lächelt mich freundlich an. Und irgendwie bleibt mir keine Wahl, als einen Schritt vorzugehen und zu fragen: »Entschuldigung, aber … sind Sie vielleicht Peters Vater?«

Überrascht nickt er. »Bist du mit ihm befreundet?«

»Ich bin Lara Jean Covey. Seine, ähm, Freundin.«

Erst schaut er verblüfft, dann reißt er sich zusammen und streckt die Hand aus. Ich schüttele sie mit festem Griff, um einen guten Eindruck zu machen.

»Unglaublich, Sie sehen genauso aus wie er.«

Er lacht, und wieder bin ich überrascht, wie viel von ihm in Peter steckt. »Du meinst, er sieht so aus wie ich.«

Ich lache ebenfalls. »Stimmt. Sie waren ja zuerst da.«

Es entsteht eine verlegene Pause, bis er sich räuspert und fragt: »Wie geht es ihm?«

»Oh, ihm geht’s gut. Alles bestens. Wissen Sie schon, dass er ein Lacrosse-Stipendium für die UVA bekommen hat?«

Er nickt lächelnd. »Das hat mir seine Mutter erzählt. Ich bin sehr stolz auf ihn. Nicht, dass das mein Verdienst wäre, aber trotzdem. Ich bin stolz auf den Jungen.« Seine Augen huschen zurück zum Spielfeld, zurück zu Peter. »Ich wollte ihn einfach mal wieder spielen sehen. Ich habe das vermisst.« Er zögert. »Bitte sag Peter nicht, dass ich hier war.«

Ich bin so verdutzt, dass ich nichts herausbringe außer: »Oh … okay.«

»Danke. Das ist nett von dir. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Lara Jean.«

»Mich auch, Mr. Kavinsky.«

Ich gehe zurück zu den Tribünenplätzen. Auf halbem Weg fällt mir ein, dass ich das Popcorn vergessen habe, und ich muss noch mal zurück. Als ich den Imbissstand erreiche, ist Peters Dad weg.

Unsere Mannschaft verliert, aber Peter erzielt drei Tore; für ihn war es also trotz allem ein gutes Spiel. Ich bin froh, dass sein Vater ihm zugeschaut hat, aber ich wünschte auch, ich hätte nicht zugesagt, es vor Peter geheim zu halten. Das Versprechen liegt mir nun schwer im Magen.

Im Auto muss ich die ganze Zeit daran denken, bis Kitty auf einmal sagt: »Schon komisch, als Peters Mom gesagt hat, es wäre besser, dass du nicht auf die UVA gehst.«

»Stimmt! Hast du das auch so verstanden?«

»Das konnte man eigentlich nicht anders verstehen«, meint sie.

Ich schaue in den Seitenspiegel, bevor ich vom Schulparkplatz biege. »Ich glaube nicht, dass sie es böse gemeint hat. Sie will einfach nicht, dass Peter verletzt wird.« Und das will ich auch nicht, deshalb ist es vielleicht besser, wenn ich Peter nichts von meiner Begegnung erzähle. Nicht dass er sich erst darüber freut, dass sein Dad zu seinen Spielen kommt, und dann lässt der ihn doch wieder hängen.

Unvermittelt frage ich: »Hast du Lust auf einen Frozen Yogurt?«, und natürlich sagt Kitty sofort Ja.

Nach dem Duschen kommt Peter bei uns vorbei. Er ist so glücklich, dass ich mir fest vornehme, ihm nichts zu sagen.

Wir liegen mit Vliesmasken auf den Gesichtern auf dem Wohnzimmerboden. Wenn die Jungs von der Schule ihn so sehen könnten! Mit zusammengepressten Zähnen fragt er: »Und wofür soll die hier gut sein?«

»Sie klärt die Haut.«

Er dreht sich zu mir und krächzt: »Hallo, Clarice.«

»Was redest du da?«

»Das ist aus Das Schweigen der Lämmer

»Oh, den hab ich nie gesehen. Der ist mir zu gruselig.«

Peter richtet sich auf. Er kann einfach nicht still sitzen. »Das müssen wir unbedingt nachholen. Das geht doch nicht. Ich kann unmöglich mit einem Mädchen zusammen sein, das Das Schweigen der Lämmer nicht kennt.«

»Aber ich bin dran mit Aussuchen.«

»Komm schon, Covey. Das ist ein Klassiker«, sagt Peter. In dem Moment summt sein Handy. Er geht ran, und durch die Leitung ist die Stimme seiner Mutter zu hören. »Hi, Mom … ich bin bei Lara Jean. Ich komme bald nach Hause … Hab dich auch lieb.«

Nachdem er aufgelegt hat, sage ich: »Übrigens, ich hab ganz vergessen, dir das zu erzählen, aber bei dem Spiel heute hat deine Mutter gesagt, es sei vielleicht besser, dass ich keinen Platz an der UVA bekommen habe.«

»Was?« Er fährt hoch und nimmt die Gesichtsmaske ab.

»Na ja, ganz so hat sie es nicht gesagt, aber ich glaube, so hat sie es gemeint.«

»Was hat sie denn genau gesagt?«

Ich ziehe meine Maske ebenfalls ab. »Sie hat mir gratuliert, weil ich einen Platz am William and Mary habe, dann hat sie so ungefähr gesagt: ›Ich weiß, du hast gehofft, an die UVA zu kommen, aber vielleicht ist es ja besser so.‹«

Peter entspannt sich. »Ach, das ist typisch für sie. Sie versucht immer, alles positiv zu sehen. Da ist sie genau wie du.«

Obwohl es mir nicht so vorgekommen ist, widerspreche ich nicht, weil Peter seine Mutter immer gleich in Schutz nimmt. Wahrscheinlich ist das normal, weil sie ja nur zu dritt sind. Aber wenn es nicht so sein müsste? Wenn Peter eine Chance bekäme, wieder eine Beziehung zu seinem Vater aufzubauen? Vielleicht war die Begegnung heute Abend ja der Beweis dafür? Beiläufig erkundige ich mich: »Wie viele Schulabschluss-Grußkarten hast du bestellt?«

»Zehn. Meine Familie ist ja nicht sehr groß. Warum?«

»Nur so. Ich habe fünfzig bestellt, weil meine Großmutter auch welche an Verwandte in Korea schicken will.« Ich zögere und frage dann: »Schickst du deinem Vater auch eine?«

Verwundert schaut er mich an. »Nein. Warum sollte ich?« Er nimmt sein Handy. »Lass mal sehen, welche Filme noch übrig sind. Wenn du Das Schweigen der Lämmer nicht sehen willst, könnten wir Trainspotting anschauen oder Stirb langsam

Ich schweige erst, dann nehme ich ihm das Handy weg. »Ich bin dran mit Aussuchen! Und ich entscheide mich für … Die fabelhafte Welt der Amélie

Für jemanden, der früher jedes Mal ein Riesentheater gemacht hat, wenn er eine Liebeskomödie oder einen ausländischen Film anschauen musste, findet Peter Amélie ziemlich gut. Der Film handelt von einem französischen Mädchen, das sich vor dem Leben fürchtet und deshalb in eine Fantasiewelt flüchtet – mit Lampen, die sprechen, und Gemälden, die sich bewegen, und Crêpes, die wie Schallplatten aussehen. Am liebsten würde ich augenblicklich nach Paris ziehen.

»Ich frage mich, wie du wohl mit einem Pony aussehen würdest«, überlegt Peter. »Bestimmt sehr süß.« Am Ende des Films, als Amélie einen Pflaumenkuchen backt, sagt er zu mir: »Hast du auch ein Pflaumenkuchenrezept? Das sieht lecker aus.«

»Weißt du was? Mini-Pflaumenkuchen wären super für das Nachtischbuffet.« Ich suche sofort auf dem Handy nach einem Rezept.

»Vergiss nicht, mich zum Testessen einzuladen«, meint Peter und gähnt.