25

Nach dem Aufwachen lümmele ich noch eine Weile im Bett herum und strecke Arme und Beine von mir wie ein großes X, das sich in alle Himmelsrichtungen ausdehnt. Die letzte Nacht fühlt sich wie ein Traum an. Ist es wirklich wahr? Gehe ich wirklich auf die UNC?

Ja, ja, das tue ich. Wie verrückt, wie aufregend, dass sich die gesamte Lebensplanung in nur einer Nacht ändern kann. Ich hatte immer Angst vor Veränderungen, aber jetzt fürchte ich mich kein bisschen mehr. Ich freue mich. Mir ist nun bewusst, was für ein Privileg es ist, sich darüber freuen zu können, auf welches College ich gehe. Peter, Chris und Lucas – sie alle werden genau dort studieren, wo sie studieren wollten, aber bei mir hat es sich mehr wie eine zweite Wahl angefühlt, weil es eben so war, ganz ungeachtet dessen, was für ein tolles College das William and Mary ist. Die UNC ist eine Chance, von der ich nicht mal wusste, dass ich sie hatte – wie eine Tür, die sich auf magische Weise geöffnet hat und die überall hinführen könnte.

Nachdem ich mit meinen Träumereien fertig bin, schaue ich auf die Uhr und stelle fest, dass ich fast den ganzen Tag verschlafen habe. Ich setze mich auf, schalte mein Handy ein und sehe die ganzen verpassten Anrufe und Nachrichten von meinem Vater und Kitty vom Abend zuvor. Ich lösche sie, damit ich den Zorn in Daddys Stimme nicht hören muss. Dann stelle ich fest, dass auch Peter mir auf die Mailbox gesprochen hat. Als ich seinen Namen auf meinem Display sehe, sinkt mir das Herz in die Hose. Er hat mir auch ein paar Nachrichten geschickt und gefragt, wo ich stecke.

Ich rufe ihn zurück, aber er geht nicht dran. Vermutlich ist er noch beim Training. Ich hinterlasse ihm eine Nachricht, dass er vorbeikommen soll, wenn er wieder zu Hause ist. Heute Abend wollen wir zusammen auf Steve Bledells Party gehen. Ich habe ein bisschen Angst davor, Peter von meinen Neuigkeiten zu erzählen. Wir hatten einen Plan, den ich nun plötzlich über den Haufen werfe, aber ich wusste ja nicht, dass sich diese Tür für mich öffnen würde. Er wird es verstehen, das weiß ich.

Ich lasse mich auf mein Bett fallen und rufe Margot über Face­Time an. Sie ist gerade auf dem Campus unterwegs.

»Was ist los?«, fragt sie.

»Rate mal.«

»Was ist?«

»Ich hab einen Platz an der UNC!«

Sie kreischt los und lässt ihr Handy fallen. Zum Glück fällt es ins Gras. Hastig hebt sie es wieder auf. Sie kreischt immer noch. »Oh mein Gott! Das ist so cool! Das ist die beste Nachricht des Jahres! Seit wann weißt du es?«

Ich drehe mich auf den Bauch. »Seit gestern. Chris und ich waren gestern Abend dort, und Gogo, es war so lustig! Wir haben eine Band gesehen und getanzt, und wir haben wie wild rumgekreischt. Ich bin jetzt noch heiser.«

»Warte mal … du nimmst den Platz doch an, oder?«

»Ja!«

Margot kreischt wieder, und ich lache. »Wie ist der Campus?«, will sie wissen.

»Na ja, so ähnlich wie der von der UVA.«

»Das habe ich auch gehört. Die Unis sollen sich ziemlich ähnlich sein. Die Städte auch. Beide ziemlich liberal, aber Chapel Hill vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Jede Menge helle Köpfe. Ich kann es kaum erwarten, das Vorlesungsverzeichnis mit dir durchzugehen.« Sie setzt ihren Weg fort. »Es wird dir dort bestimmt gefallen. Maggie Cohen ist da, sie war eine Stufe über mir, und findet es super. Du musst unbedingt mal mit ihr reden.« Strahlend sagt Margot: »Jetzt geht das Leben für dich los, Lara Jean. Du wirst schon sehen.«

Nachdem ich aufgelegt habe, nehme ich ein Schaumbad mit allem Drum und Dran: Gesichtsmaske, Luffaschwamm, ein Rohrzucker-
Lavendel-Peeling. Im Bad übe ich, was ich zu Peter sagen werde. Stell dir zwei Bäume vor, die an entgegensetzten Seiten einer Wiese wachsen und deren Äste sich in der Mitte begegnen … Ich bleibe so lange in der Wanne liegen, bis Kitty irgendwann von draußen brüllt, ich solle mich gefälligst beeilen. Nachdem ich aus der Wanne gestiegen bin, föhne ich mir die Haare und drehe sie zu Locken auf. Ich lackiere meine Nägel und verwende sogar die Nagelhautcreme mit Zitronenduft, die ich gekauft habe, aber ständig vergesse.

Dad, Trina und Kitty sind ins Kino gegangen, deshalb bin ich allein im Haus, als Peter gegen acht eintrifft. Er trägt einen neuen Kapuzenpulli mit UVA-Logo, seine Haare sind frisch gewaschen und noch feucht. Er riecht nach Seife, was ich liebe. Er umarmt mich ganz fest und lehnt sich mit seinem ganzen Gewicht an mich. »Mir tut alles weh«, stöhnt er und lässt sich aufs Sofa plumpsen. »Können wir Steves Party nicht ausfallen lassen? Ich würde lieber hierbleiben und was Ruhiges mit dir machen und nicht mit anderen Leuten reden. Ich bin total fertig.«

»Klar«, sage ich und hole tief Luft, um ihm meine Neuigkeit zu erzählen, aber er blinzelt mich aus müden Augen an.

»Die Jungs in der Mannschaft sind verdammt gut in Form. Es war echt schwer, mit ihnen mitzuhalten.«

Verwundert sage ich: »He, du bist doch auch gut in Form.«

»Nicht so wie die. Ich muss echt Gas geben.« Er reibt sich den Nacken. »Willst du mir endlich verraten, wo du gestern Abend warst?«

Ich setze mich aufs Sofa, ziehe die Beine an und wende mich ihm zu. Kurz lege ich die Hände an meine heißen Wangen und lasse sie dann in meinen Schoß sinken. »Na gut.« Ich halte inne. »Bist du bereit?«

Er lacht. »Klar bin ich bereit.«

»Okay. Es klingt bestimmt verrückt, aber ich war mit Chris in North Carolina.«

Peter zieht die Augenbrauen hoch. »Echt? Aha. Okay. Erzähl weiter.«

»Ich war dort, weil … ich einen Platz an der UNC bekommen habe!«

Er blinzelt. »Wow. Das ist … wow. Das ist toll.«

Ich hole tief Luft. »Eigentlich hatte ich erst nicht vor, den Platz auch anzunehmen, aber als Chris und ich dort waren, war die Stadt so charmant, und die Leute waren alle so nett, und da gibt es diese Bank bei der Old Well, wenn man sich da drauflegt und zum Himmel schaut, sieht man zwei Bäume, die an entgegensetzten Seiten des Platzes wachsen und sich in der Mitte treffen. Ihre Äste berühren sich, ungefähr so.« Ich will es ihm zeigen, höre aber gleich wieder auf, weil Peter mir nicht zuhört. Er starrt ins Leere. »Was denkst du?«

»Bedeutet das, du willst an die UNC gehen und nicht ans William and Mary?«

Ich zögere. »Ja.«

Er nickt vor sich hin. »Ich freue mich für dich, ehrlich, das tue ich. Es ist nur schade, dass du dann so weit weg bist. Ich meine, wenn ich mich in diesem Moment ins Auto setzen und nach Chapel Hill fahren müsste, würde ich am Steuer einschlafen. Wie weit ist Char­lottesville von Chapel Hill entfernt? Vier Stunden?«

Mein Magen krampft sich zusammen. »Drei Stunden und fünfundzwanzig Minuten. Ich weiß, es klingt lang, aber die Zeit geht total schnell vorbei.«

»Das ist doppelt so lange wie die Fahrt von Charlottesville nach Williamsburg. Dazu noch der Verkehr.« Er lässt den Kopf auf die Sofalehne sinken.

»Es ist nicht doppelt so lang«, sage ich leise. »Es sind eineinhalb Stunden mehr.«

Er sieht mich an, Reue in den Augen. »Tut mir leid. Ich bin einfach gerade total fertig. Das wird alles deutlich schwieriger, als ich gedacht hatte. Nicht die Sache mit uns, aber das College. Ich werde jeden Tag in der Woche trainieren müssen, und wenn ich kein Training habe, muss ich Kraftübungen machen oder Seminare besuchen oder schlafen. Das wird verdammt anstrengend. Völlig anders als in der Schule. Der Druck ist einfach enorm. Und … ich hätte nicht gedacht, dass du so weit weg sein würdest.«

So habe ich ihn noch nie erlebt. Er wirkt völlig niedergeschlagen. Dabei war er immer so unbekümmert, so zuversichtlich, wenn es um Lacrosse ging oder um die Schule. Ihm ist immer alles zugeflogen.

»Peter, du kriegst das bestimmt alles total gut hin. Du fängst doch gerade erst an. Sobald du dich daran gewöhnt hast, wird es wie immer sein. Schüchtern füge ich hinzu: »Und wir werden uns auch daran gewöhnen.«

Ganz plötzlich setzt er sich auf. »Weißt du was? Lass uns doch zu der Party gehen.«

»Bist du sicher?«

»Klar. Du hast dich doch extra schön gemacht. Deine tolle Frisur muss unbedingt ausgeführt werden.« Er zieht mich an sich. »Und wir sollten deinen Erfolg feiern.«

Ich lege die Arme um ihn und drücke ihn ganz fest. Seine Schultern sind verkrampft; ich kann die Anspannung spüren. Die meisten Jungs hätten gar nicht bemerkt, dass ich meine Haare zu Locken gedreht und eine hübsche Bluse angezogen habe. Ich versuche, mich darauf zu konzentrieren und nicht daran zu denken, dass er mir nicht wirklich gratuliert hat.