Bei Steve Bledell hocken zahlreiche Leute im Wohnzimmer, kiffen und schauen Fußball auf dem riesigen Flachbildschirm an der Wand. Lucas ist auch da, und als ich ihm die große Neuigkeit erzähle, hebt er mich hoch und wirbelt mich im Kreis. »Jetzt kommst du auch hier raus!«, brüllt er.
»Na ja, ich ziehe nur einen Staat weiter nach North Carolina«, sage ich lachend. Was für ein unerwarteter Kitzel es ist, diese Worte laut auszusprechen. »So weit ist das nicht.«
»Aber du bist weg von hier!« Lucas setzt mich wieder ab und legt die Hände an meine Wangen. »Das wird dir guttun, Lara Jean.«
»Meinst du?«
»Das weiß ich.«
Ich bin gerade in der Küche und hole mir eine Cola, als Genevieve hereinkommt, barfuß und in einem Kapuzenpulli von der Virgina Tech. Sie hat ein Bier in einem Dosenkühler in der Hand, auf dem ebenfalls das Virigina-Tech-Logo prangt. Leicht schwankend sagt sie: »Hab gehört, du hast ’n Platz in Chapel Hill. Glückwunsch.«
Ich warte auf einen Seitenhieb, eine verdeckte Stichelei, doch es kommt nichts. Sie steht nur leicht angetrunken da, aber immer noch nüchtern genug.
»Danke«, sage ich. »Und dir auch Glückwunsch wegen der Tech. Ich weiß, dass du da immer hinwolltest. Deine Mutter freut sich bestimmt.«
»Ja. Hast du gehört, dass Chrissy nach Costa Rica geht? Die hat vielleicht Glück.« Sie nimmt einen Schluck Bier. »Chapel Hill ist ganz schön weit weg von hier, was?«
»So weit auch wieder nicht. Nur drei Stunden«, lüge ich.
»Tja, dann mal viel Glück. Ich hoffe, er bleibt dir weiter so treu ergeben wie jetzt. Aber wie ich ihn kenne, bezweifle ich das.« Auf einmal entfährt ihr ein lauter Rülpser, und sie guckt so verdutzt, dass ich fast laut gelacht hätte. Kurz scheint es, als müsste sie auch lachen, doch dann reißt sie sich zusammen und verlässt mit einem finsteren Blick die Küche.
Den ganzen Abend über erhasche ich nur kurze Blicke auf Peter. Er redet mit anderen Leuten und nimmt hin und wieder einen Schluck Bier. Seine Laune scheint sich gebessert zu haben. Er lächelt, sein Gesicht ist leicht rot vom Alkohol. Er trinkt deutlich mehr, als ich es von ihm gewohnt bin.
Kurz vor eins suche ich im ganzen Haus nach ihm. Ich finde ihn schließlich in Steves Garage, wo er mit ein paar Leuten Flip-Cup auf der Tischtennisplatte spielt. Sie lachen sich gerade alle über etwas tot, das er gesagt hat. Er sieht mich oben an der Treppe stehen und winkt mich zu sich. »Komm und spiel mit, Covey«, ruft er viel zu laut.
Meine Füße rühren sich nicht vom Fleck. »Das geht nicht. Ich muss nach Hause.«
Sein Lächeln verfliegt. »Alles klar, ich fahre dich.«
»Nein, schon gut. Ich fahre bei jemand anderem mit oder rufe mir ein Uber-Taxi.« Ich drehe mich um, Peter folgt mir.
»Das musst du nicht. Ich kann dich doch fahren«, sagt er.
»Kannst du nicht. Du bist betrunken.« Das meine ich nicht böse, aber so ist es nun mal.
Er lacht. »Ich bin nicht betrunken. Ich hatte nur drei Bier in – was? In drei Stunden? Mir geht’s bestens. Du kennst dich damit nicht aus, weil du keinen Alkohol trinkst, aber das ist nichts. Das schwöre ich.«
»Ich kann das Bier in deinem Atem riechen, und ich weiß genau, dass du einen Alkoholtest nicht bestehen würdest.«
Peter sieht mich an. »Bist du sauer?«
»Nein. Ich möchte nur nicht, dass du mich nach Hause fährst. Du solltest heute gar nicht mehr fahren. Schlaf doch einfach hier.«
»Okay, du bist sauer.« Er beugt sich zu mir, schaut sich um und sagt: »Tut mir leid wegen vorhin. Ich hätte mich mehr für dich freuen sollen. Ich war einfach müde.«
»Kein Problem.« Aber das stimmt nicht, nicht wirklich.
Stormy hatte für eine solche Situation auch einen Spruch auf Lager: Geh mit dem, mit dem du gekommen bist, außer er ist betrunken. Dann sieh selbst zu, wie du nach Hause kommst.
Am Ende fährt Lucas mich, und ich schaffe es gerade noch, vor der vereinbarten Zeit zu Hause zu sein. Nach dem gestrigen Abend sollte ich es nicht übertreiben.
Peter schickt mir jede Menge Nachrichten, und ich bin kleinlich genug, mich darüber zu freuen, dass er keinen Spaß mehr auf der Party zu haben scheint. Ich lasse ihn mehrere Minuten warten, bevor ich ihm kurz zurückschreibe, er solle bitte nicht mehr fahren, woraufhin er ein Foto schickt, wie er auf Steves Sofa liegt, mit einer fremden Jacke als Decke.
Weil ich nicht schlafen kann, gehe ich nach unten und mache mir einen heißen Käsetoast. Kitty ist ebenfalls wach, sie schaut das Spätprogramm und daddelt auf ihrem Handy herum. »Willst du auch einen Toast?«, frage ich.
»Gern«, sagt sie und schaut auf.
Ich mache Kittys zuerst. Immer wieder drücke ich den Toast in die Pfanne, damit die untere Scheibe schön knusprig und das Sandwich richtig platt gepresst wird. Ich schneide ein weiteres Stück Butter ab und beobachte, wie es zu einer Pfütze schmilzt, immer noch ein bisschen schlecht gelaunt wegen des Abends, da trifft mich ein Geistesblitz wie aus dem Nichts. Direkter Kontakt. Das Brot muss direkten Kontakt mit der heißen Pfanne haben, um richtig knusprig zu werden.
Das ist es. Das ist die Antwort auf mein Schokoladenkeks-Problem. Die ganze Zeit habe ich eine Silkon-Backmatte benutzt, damit die Kekse nicht am Blech kleben. Dabei ist Backpapier die Lösung. Es ist hauchdünn, im Gegensatz zu der Backmatte. Mit Backpapier hat der Teig besseren Kontakt zur Hitze und kann sich mehr ausbreiten. Und voilà – flachere Kekse.
Entschlossen hole ich sämtliche Zutaten aus der Vorratskammer. Wenn ich den Teig jetzt sofort mache und über Nacht ruhen lasse, kann ich morgen meine Theorie überprüfen.
Ich schlafe wieder lange aus, weil ich wegen der Lehrerkonferenzen keine Schule habe. Außerdem war ich bis drei Uhr wach und habe meinen Teig gemacht und mit Kitty ferngesehen. Nach dem Aufwachen warten wie am Tag zuvor ein paar Nachrichten von Peter auf meinem Handy.
Tut mir leid.
Ich bin ein Arsch.
Sei nicht sauer.
Ich lese sie immer wieder. Daran, dass sie im Abstand von einigen Minuten gekommen sind, erkenne ich, dass er sich Sorgen gemacht hat, ob ich noch sauer bin oder nicht. Ich will nicht sauer sein. Ich möchte nur, dass alles zwischen uns wieder ist wie vorher.
Ich schreibe zurück:
Willst du vorbeikommen? Ich habe eine Überraschung.
Sofort antwortet er:
Schon unterwegs.
»Der perfekte Schokoladenkeks«, doziere ich, »sollte aus drei Ringen bestehen. Die Mitte muss weich und ein bisschen klebrig sein und der zweite Ring leicht zäh. Der äußere Ring dagegen sollte knusprig sein.«
»Ich ertrage es einfach nicht, mir diesen Vortrag schon wieder anzuhören«, sagt Kitty zu Peter. »Ich kann einfach nicht.«
»Nur Geduld.« Er drückt ihre Schulter. »Sie ist fast fertig, und dann bekommen wir unsere Kekse.«
»Der perfekte Keks sollte am besten warm gegessen werden, schmeckt aber auch bei Zimmertemperatur noch köstlich.«
»Wenn du nicht bald aufhörst, werden sie eiskalt sein«, murrt Kitty.
Ich werfe ihr einen strengen Blick zu, aber in Wahrheit bin ich froh, dass sie als Puffer zwischen Peter und mir dabei ist. Dadurch fühlt sich alles ganz normal an.
»Es gilt als anerkannte Tatsache in der Backwelt, dass Jacques Torres den Schokoladenkeks perfektioniert hat. Peter, du und ich, wir konnten uns vor ein paar Monaten selbst davon überzeugen.« Nun ziehe ich es wirklich in die Länge, um sie auf die Folter zu spannen. »Wird mein Keks mit diesem Keks mithalten können? Ich will nur so viel verraten: Er schmeckt himmlisch.«
Kitty rutscht von ihrem Hocker. »Das reicht. Ich bin weg. Kein Schokokeks ist dieses Gesülze wert.«
Ich tätschele ihr den Kopf. »Oh, naive kleine Kitten. Liebes, dummes Mädchen. Dieser Keks ist all das wert und noch viel mehr. Setz dich, oder du wirst nicht in den Genuss kommen.«
Sie verdreht die Augen und setzt sich wieder.
»Meine Freunde, endlich habe ich es gefunden. Meinen weißen Wal. Meinen goldenen Ring. Ein Keks, sie zu knechten.« Mit großer Geste ziehe ich das Geschirrtuch weg und präsentiere ihnen meine flachen, weichen, nicht aufgegangenen Kunstwerke, die hübsch auf einem Teller arrangiert liegen.
Zu meinem Entsetzen stopft sich Peter gleich einen ganzen Keks in den Mund. Mit vollen Backen schwärmt er: »Köstlich!«
Er hat immer noch Angst, ich könnte böse auf ihn sein, und würde deshalb alles loben.
»Iss langsamer. Genieß es, Peter.«
»Das tue ich, glaub mir.
Kitty ist die wahre Kritikerin, die es zu überzeugen gilt. Eifrig erkläre ich: »Ich habe braunen Zucker genommen. Schmeckst du diesen Hauch von Molasse?«
Sie kaut nachdenklich. »Ich kann zwischen diesem und dem vorvorletzten nicht wirklich einen Unterschied erkennen.«
»Diesmal habe ich Fèves anstelle von Schokostücken genommen. Siehst du, wie die Schokolade streifenförmig geschmolzen ist?«
»Was sind Fèves?«
»Schokoladenlinsen.«
»Dann sag doch einfach Linsen dazu. War Dad nicht stinksauer, weil du dreißig Dollar für Schokolade ausgegeben hast?«
»Also, stinksauer würde ich jetzt nicht sagen. Vielleicht ein bisschen ungehalten. Aber ich denke, er würde mir zustimmen, dass es das wert war.« Kitty schaut mich nur an, so nach dem Motto Ja, klar, und ich murmele: »Sie kommen aus Frankreich, okay? Das hat nun mal seinen Preis. Außerdem war es eine Kilo-Packung! Und darum geht es jetzt doch gar nicht. Merkst du denn nicht, wie viel knuspriger die Ränder sind und wie schön weich die Mitte ist? Muss ich euch den Unterschied zwischen Backmatte und Backpapier noch mal erklären?«
»Wir haben’s kapiert«, wehrt Kitty ab.
Peter hakt seinen Finger in die Gürtelschlaufe meiner Jeans und zieht mich zu sich. »Der beste Keks meines Lebens«, verkündet er. Jetzt trägt er wirklich verdammt dick auf, aber ich bin immer noch ein bisschen sauer.
»Ihr zwei seid so was von peinlich«, sagt Kitty. »Ich nehme mir ein paar mit und haue ab.« In Windeseile stapelt sie einen Berg Kekse auf eine Serviette.
»Höchstens drei!«
Sie legt zwei zurück und verzieht sich nach oben.
Peter wartet, bis sie weg ist, dann fragt er: »Bist du noch böse auf mich? Ich werde nie wieder Alkohol trinken, wenn ich zugesagt habe, dich nach Hause zu bringen, das verspreche ich.« Dabei lächelt er mich strahlend an.
»Ist es wirklich okay für dich, dass ich auf die UNC gehe?«, frage ich ihn.
Sein Lächeln verblasst, und er zögert ein wenig, bevor er nickt. »Es wird so sein, wie du gesagt hast. Wir werden uns schon daran gewöhnen.« Einen kurzen Moment lang suchen seine Augen meine, weil er Bestätigung braucht.
Da lege ich die Arme um ihn und drücke ihn ganz fest an mich, so fest, dass er weiß, dass ich immer da sein werde; ich lasse nicht los.