Am nächsten Morgen wache ich auf und weiß nicht genau, ob Peter und ich jetzt Streit haben. Der vergangene Abend hat sich wie ein Streit angefühlt, nur weiß ich nicht, ob er sauer auf mich ist oder ob ich sauer auf ihn sein soll. Ein verwirrendes Gefühl.
Dabei möchte ich gar nicht sauer sein. Am ersten Juli fliege ich nach Korea. Wir haben keine Zeit für alberne Streitereien wegen Karotten und John Ambrose McClaren. Jede Sekunde, die wir zusammen haben, ist kostbar.
Ich beschließe, ihm als Friedensangebot French Toast zu machen. Das ist – neben Donuts – sein Lieblingsfrühstück. In unserem Küchenschrank finde ich Zucker, Milch, einen halben Laib Brot, ein paar Eier, aber keinen Zimt. Ohne Zimt geht es nicht.
Ich nehme Pammys Autoschlüssel und fahre zu dem kleinen Supermarkt um die Ecke. Dort kaufe ich ein Päckchen Zimt, Butter, ein Dutzend Eier und ein frisches Weißbrot. Wenn ich schon dabei bin, kann ich genauso gut French Toast für alle machen. In letzter Sekunde lege ich noch eine Tüte Karotten dazu.
Bei Peter schlafen alle noch, und das Haus sieht deutlich schlimmer aus als am Abend zuvor. Überall stehen Bierflaschen herum, leere Chipstüten liegen auf dem Boden verstreut, Badehosen hängen zum Trocknen über den Möbeln. In der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr, und ich muss erst eine Schüssel und einen Pfannenwender, der mit altem Ei verklebt ist, abspülen, bevor ich anfangen kann.
Das Brot ist so frisch, dass die ersten Stücke in der Eiermilch zerfallen, aber beim dritten Versuch habe ich den Dreh raus und tunke das Brot nur kurz hinein, bevor ich es in die Pfanne lege.
Einer nach dem anderen kommen die Jungs herunter, und ich brate immer mehr French Toast. Sobald der Stapel kleiner wird, lege ich wieder welche nach. Peter erscheint als Letzter, doch als ich ihm einen Armen Ritter anbiete, einen besonders leckeren, knusprigen, schüttelt er den Kopf und sagt, er dürfe so was wegen seiner Diät nicht essen. Dabei meidet er meinen Blick. Er will die Armen Ritter nur deshalb nicht essen, weil ich sie gemacht habe.
Nach dem Frühstück verschwinde ich sofort, und wieder hält Peter mich nicht auf. Ich fahre zurück nach Hause und wecke Chris, die immer noch die Klamotten vom vergangenen Abend trägt. »Unten wartet ein Frühstück auf dich«, sage ich zu ihr. Ich habe ihr den French Toast mitgebracht, den ich eigentlich für Peter reserviert hatte.
Abends findet ein paar Straßen weiter eine Grillparty statt. Wir bringen Plastikschalen mit neongelbem Kartoffelsalat mit und sämtliche Alkoholvorräte, die wir noch haben. Weil es der letzte Abend ist, müssen wir unseren Kühlschrank leeren.
Auf der Veranda komme ich mit Kaila und Emily Nussbaum, einer Freundin von Genevieve, ins Gespräch. Ich habe Genevieve die ganze Woche über kaum gesehen, weil sie mit Freunden aus der Kirche hier ist und sich mit Leuten von anderen Schulen ein Haus teilt.
»Und ihr wollt wirklich zusammenbleiben, Kavinsky und du?«, fragt Emily.
Jetzt, in diesem Moment, kann ich das wirklich nicht sagen. Schließlich haben wir den ganzen Abend über keine zwei Worte miteinander geredet. Aber das verrate ich natürlich nicht. Alles, was ich Emily erzähle, landet bestimmt sofort bei Genevieve. Gen mag über ihn hinweg sein, aber sie würde sich bestimmt darüber freuen, wenn Peter und ich streiten. Deshalb erkläre ich: »Klar bleiben wir zusammen. So weit sind die UNC und die UVA ja nicht voneinander entfernt.«
Kaila saugt einen Schluck von ihrem Rum-mit-Cola-light-Gemisch durch den Strohhalm und schaut mich von der Seite an. »Du bist echt ein interessantes Mädchen, Lara Jean. Auf den ersten Blick wirkst du eher schüchtern und ein bisschen kindlich, aber in Wirklichkeit bist du richtig selbstbewusst. Das soll übrigens ein Kompliment sein.«
»Danke«, sage ich. Wenn einem jemand ein Kompliment macht, sollte es eigentlich nicht nötig sein, extra darauf hinzuweisen; die Person, die es bekommt, sollte das auch so merken können. Ich nehme einen Schluck von dem Drink, den Chris mir gemixt hat, und spucke ihn fast wieder aus, weil er so stark ist. Sie hat ihn als einen »Shirley Temple für Erwachsene« bezeichnet, was auch immer das sein soll.
»Ich verstehe jedenfalls, warum Kavinsky dich mag«, meint Kaila. »Hoffentlich kriegt ihr das hin.«
»Danke«, sage ich.
Emily stellt ihre Füße auf meinen Stuhl. »Wenn Blake mit mir Schluss machen würde, würde ich ausflippen. Ich wäre am Boden zerstört.«
»Na ja, ihr zwei seid ja auch total eng. Bestimmt heiratet ihr gleich nach dem College.«
»Niemals«, wehrt Emily ab, aber sie freut sich sichtlich über meine Bemerkung.
»Ihr werdet auch auf die gleiche Uni gehen. Das ist schon was anderes.« Kaila schaut mich an. »Ich glaube nicht, dass ich eine Fernbeziehung aushalten würde.«
»Warum nicht?«, frage ich.
»Ich möchte meinen Freund jeden Tag sehen und mich nicht ständig fragen müssen, wo er gerade steckt. Ich bin eben ziemlich besitzergreifend, das gebe ich gern zu. Außerdem hätte ich keine Lust, jeden Abend am Telefon zu hängen und von meinem Tag zu erzählen. Er soll zu meinem Alltag gehören und ich zu seinem.« Sie zerbeißt ein Stück Eis mit den Zähnen.
So ist es Margot und mir ergangen, als sie aufs College ist. Die Distanz ist ganz langsam gekommen, wie Meerwasser, das in ein Boot eindringt, und ohne dass wir es gemerkt haben. Bis man plötzlich untergeht. Wir haben das überstanden, aber wir sind auch Schwestern. Schwestern finden immer wieder zusammen. Mit Jungs ist das bestimmt nicht so leicht. Der Gedanke, bei Peter und mir könnte es so enden, erfüllt mich mit tiefer Trauer. Wie sollen wir dagegen ankämpfen? Indem wir jeden Tag telefonieren? Uns mindestens einmal im Monat besuchen? Er hat es selbst gesagt – sein Leben wird total stressig und durchgetaktet sein wegen des Lacrosse. Und er hat sich schon jetzt verändert, mit seiner Fitness-Diät und dem Konditionstraining. Und wir streiten, dabei haben wir früher nie gestritten, nicht wirklich. Nicht so, dass man sich hinterher nicht mehr versöhnen kann. Was jetzt? Wie sollen wir diesen nächsten Schritt nur hinkriegen?
Ich bleibe noch ein paar Minuten. Aber als Emily und Kaila darüber diskutieren, ob es sinnvoll ist, sich möglichst schnell einer Verbindung anzuschließen, flüchte ich und suche Peter. Nach der Unterhaltung mit den beiden und dem Streit vom vergangenen Abend will ich einfach nur in seiner Nähe sein, so lange das noch geht. Ich finde ihn bei ein paar Jungs, die Holz für ein Lagerfeuer aufschichten. Er kommt mir schon so weit entfernt vor, dabei möchte ich unbedingt, dass sich alles wieder normal anfühlt. Ich nehme einen großen Schluck von meinem Cocktail, um mir Mut anzutrinken. Unsere Blicke begegnen sich, und ich frage stumm: Sollen wir gehen? Er nickt. Ich gehe zurück ins Haus, und er folgt mir.
Drinnen nehme ich noch einen Schluck von meinem Drink.
Er fragt: »Was ist das?«
»Den hat Chris mir gemixt.«
Er nimmt mir den Becher aus der Hand und wirft ihn auf dem Weg nach draußen in den Mülleimer.
Wir gehen zurück zu mir. Alles ist ganz still, nur das Rauschen der Wellen ist zu hören. Keiner von uns weiß, was er sagen soll. Was da auch zwischen uns steht, es hat nichts mit John Ambrose McClaren oder den Karotten zu tun. Das wissen wir beide.
Irgendwann höre ich Peter kleinlaut sagen: »Bist du noch sauer wegen gestern?«
»Nein.«
»Gut«, sagt er. »Ich habe die Karotten gesehen, die du gekauft hast. Entschuldige, dass ich deine Armen Ritter nicht gegessen habe.«
»Warum wolltest du sie nicht? Das lag bestimmt nicht an deiner Diät.«
Peter reibt sich das Genick. »Keine Ahnung, was mit mir los war. Ich war einfach komisch drauf.«
Ich schaue zu ihm, sein Gesicht liegt in der Dunkelheit verborgen. »Wir haben nur noch ein paar Tage, bis ich nach Korea fliege. Die sollten wir nicht vergeuden.« Ich schiebe meine Hand zwischen seine Finger, und er drückt sie ganz fest.
Das Haus ist völlig leer, zum ersten Mal in dieser Woche. Die anderen Mädchen sind alle noch bei der Party, außer Chris, die jemanden getroffen hat, den sie von der Arbeit kennt. Wir gehen in mein Zimmer hoch, dort zieht Peter sich die Schuhe aus und legt sich in mein Bett.
»Wie wär’s mit einem Film?«, fragt er und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.
Nein, ich will keinen Film sehen. Plötzlich schlägt mein Herz wie rasend, weil ich weiß, was ich will. Ich bin bereit.
Ich setze mich neben ihn aufs Bett.
Er sagt: »Oder wir könnten eine neue Serie anfan…«
Ich drücke die Lippen an seinen Hals und spüre, wie sein Puls ins Stottern gerät.
»Und wenn wir keinen Film und keine Serie anschauen? Wenn wir stattdessen … etwas anderes machen?« Ich blinzele ihn vielsagend an.
Sein Körper fährt überrascht zusammen. »Was, du meinst – jetzt?«
»Ja.« Jetzt. Dieser Moment fühlt sich richtig an. Ich wandere mit kleinen Küssen seinen Hals hinunter. »Gefällt dir das?«
Ich spüre, wie er schluckt. »Ja.« Er schiebt mich weg, damit er mir ins Gesicht sehen kann. »Warte mal. Ich kann nicht nachdenken. Bist du betrunken? Was hat Chris dir in den Drink getan?«
»Ich bin nicht betrunken!« Vorhin hatte ich ein klitzekleines warmes Gefühl im Bauch gespürt, aber der Spaziergang hat mich wieder wach gemacht.
Peter mustert mich immer noch.
»Ich bin wirklich nicht betrunken, das schwöre ich.«
Peter schluckt schwer, seine Augen suchen meine. »Bist du sicher, dass du das tun willst?«
»Ja«, sage ich, weil es so ist. »Aber kannst du bitte erst Frank Ocean auflegen?«
Er nimmt sein Handy, und Franks melodiöse Stimme erfüllt das Zimmer. Peter fummelt an seinen Hemdknöpfen, gibt schließlich auf und will stattdessen mir das T-Shirt ausziehen.
Ich jaule auf. »Warte!«
Peter erschrickt so sehr, dass er jäh vor mir zurückweicht. »Was ist?«
Hastig springe ich vom Bett und wühle in meinem Koffer. Ich trage nicht mein schönes Unterwäsche-Set, sondern nur meinen normalen hellbraunen Alltags-BH mit den ausgefransten Rändern. Auf keinen Fall will ich meine Unschuld in meinem hässlichsten BH verlieren.
»Was machst du da?«, fragt er mich.
»Warte ganz kurz.«
Ich eile ins Bad, ziehe meine alte Unterhose aus und schlüpfe in die neue Spitzenwäsche. Dann putze ich mir die Zähne und mustere mich dabei im Spiegel. Es ist so weit. Ich, Lara Jean Song Covey, werde meine Jungfräulichkeit an Peter K. verlieren.
Peter ruft: »Alles in Ordnung bei dir?«
»Sekunde noch!« Soll ich meine Kleider wieder anziehen oder einfach in BH und Slip aus dem Bad kommen? Peter hat mich noch nie in Unterwäsche gesehen. Tja, gleich werde ich sowieso ganz nackt neben ihm liegen, da kann ich die Kleider genauso gut weglassen.
Ich komme aus dem Bad und trage meine Kleider wie einen Schild vor mir her. Bei meinem Anblick muss Peter zwei Mal hinschauen, dann zieht er hastig sein Hemd aus. Ich spüre, wie ich rot werde. Ich stopfe meine Unterwäsche in meinen Koffer und krame darin herum, bis ich die Packung mit den Kondomen finde. Ich nehme eins heraus und schlüpfe wieder ins Bett und unter die Decke. »Okay, jetzt bin ich bereit.«
»Hübscher BH«, sagt Peter und zieht die Decke von mir weg.
»Danke.«
Er rückt näher zu mir und küsst meine Augenlider, erst das linke, dann das rechte. »Bist du nervös?«
»Ein bisschen.«
»Wir müssen das nicht tun, Covey.«
»Ich will aber.« Ich zeige ihm das Kondom, und Peters Augenbrauen schießen in die Höhe. »Aus dem Verhütungspaket von meinem Vater. Ich habe dir doch erzählt, dass er mir ein ganzes Set zusammengestellt hat.«
Er nimmt mir das Kondom aus der Hand, küsst meinen Hals und sagt: »Können wir jetzt bitte nicht über deinen Vater reden?«
»Klar«, sage ich.
Peter rollt sich auf mich. Mein Herz hämmert in meiner Brust, wie immer, wenn ich ihm nahe bin, aber heute noch mehr als sonst, weil sich gleich alles ändern wird. Gleich werde ich mit ihm etwas erleben, das ich noch nie erlebt habe. Er stützt sich auf die Unterarme, um nicht zu schwer auf mir zu liegen, aber mich stört sein Gewicht nicht, kein bisschen. Seine Hand ist in meinen Haaren vergraben, genau so, wie ich es mag, seine Lippen sind warm. Wir atmen beide schneller.
Dann küsst er mich auf einmal nicht mehr. Ich öffne die Augen, und sein Gesicht schwebt mit gerunzelter Stirn über mir. »Ist es wegen unserem Streit gestern Abend? Weil, Covey …«
»Es ist nicht wegen dem Streit. Ich will … ich will dir einfach nur ganz nahe sein.«
Peter mustert mich aufmerksam, und ich spüre, dass er darauf wartet, dass ich ihm einen gewichtigen Grund nenne. Dabei ist es doch ganz einfach.
»Und das kommt auch nicht plötzlich. Ich will mit dir schlafen, weil ich dich liebe und weil ich möchte, dass du der Erste bist.«
»Aber warum ich?«
»Weil … weil du meine erste große Liebe bist. Mit wem sollte ich es sonst tun wollen?«
Peter rollt sich von mir weg, setzt sich auf und stützt den Kopf in die Hände.
Ich setze mich ebenfalls auf und ziehe die Decke hoch. »Was ist los?«
Eine Ewigkeit lang antwortet er nicht.
»Bitte sag doch was.« Übelkeit steigt in mir hoch.
»Ich will das jetzt nicht.«
»Warum nicht?«, flüstere ich.
Er kann mir nicht in die Augen sehen. »Ich weiß nicht … Ich habe gerade einfach zu viel im Kopf. Das Lacrosse und mein Dad, der nicht zur Abschlussfeier gekommen ist, und jetzt bist du auch noch den ganzen Sommer verreist.«
»Nicht den ganzen Sommer. Nur im Juli. Ende Juli bin ich wieder zurück! Warum tust du so, als wäre der ganze Sommer schon vorbei?«
Peter schüttelt den Kopf. »Es kommt mir so vor, als wäre es dir ganz egal, dass du bald wegfliegst.«
»Du weißt genau, dass das nicht meine Entscheidung war. Mein Vater hat mich damit überrascht! Das ist nicht fair, Peter.«
Er schaut mich lange an. »Und was ist mit der UNC? Willst du überhaupt noch nächstes Jahr an die UVA wechseln? Als du noch auf das William and Mary gehen wolltest, schien das fest ausgemacht zu sein, und jetzt klingt es plötzlich gar nicht mehr danach.«
Ich lecke mir über die Lippen. Mein Herz hämmert wie verrückt. »Das weiß ich nicht. Vielleicht? Vielleicht auch nicht? Mit der UNC ist es irgendwie anders.«
»Ja, ich weiß. Das merkt man.«
»So, wie du das sagst, klingt es wie etwas Schlechtes. Ist es dir lieber, wenn ich auf dem College unglücklich bin?«
»Vorübergehend unglücklich«, berichtigt er mich.
»Peter!«
»Komm schon, Lara Jean. Traust du mir das wirklich zu?«
»Nein. Ich … ich begreife nur nicht, warum du dich so benimmst. Ich will der UNC wenigstens eine echte Chance geben. Ich will mir dort eine Chance geben.« Meine Augen füllen sich mit Tränen, und das Sprechen fällt mir schwer. »Und ich finde, das solltest du eigentlich auch wollen – um meinetwillen.«
Peter zuckt zusammen, als hätte ich ihn geschlagen. Das Bett ist schmal, aber in diesem Moment scheint er kilometerweit weg zu sein. Mir tut das Herz weh, und ich sehne mich danach, zu ihm zu gehen. Aber ich kann nicht.
Schweigend zieht er sein Hemd wieder an. »Ich denke, ich sollte besser gehen«, sagt er. Dann steht er auf und verlässt das Zimmer.
Ich warte, bis die Haustür geschlossen wird, dann fange ich an zu weinen.