Während wir am Morgen das Auto packen, hoffe ich die ganze Zeit, dass Peter auftaucht, um mich nach Hause zu bringen. Aber er kommt nicht, und ich fahre mit den Mädels zurück nach Virginia.
Erst am nächsten Tag schickt er mir eine Nachricht.
Tut mir leid wegen gestern Abend. Ich habe mich wie ein Idiot benommen. Wir kriegen das hin, das verspreche ich. Ich muss noch was für meine Mutter erledigen, aber kann ich später vielleicht vorbeikommen?
Ich schreibe zurück:
Ja.
Er schreibt:
Es tut mir wirklich leid.
Ich liebe dich.
Ich will ihm gerade Ich liebe dich auch zurückschreiben, als mein Handy klingelt. Peters Festnetznummer wird angezeigt, und ich nehme schnell ab.
»Ich liebe dich auch«, sage ich.
Am anderen Ende herrscht überraschtes Schweigen, dann ertönt ein leises Lachen, um das zu überspielen. »Hi, Lara Jean. Hier ist Peters Mutter.«
Ich bin entsetzt. »Oh! Hi, Mrs. Kavinsky.«
Sie will, dass ich vorbeikomme, damit wir uns unterhalten können. Sie erklärt, Peter sei nicht zu Hause, wir wären also nur zu zweit. Offenbar hat sie ihn absichtlich weggeschickt. Was bleibt mir da anderes übrig, als einzuwilligen?
Ich ziehe ein gelbes Sommerkleid an, lege Lippenstift auf, bürste mir die Haare und fahre zu Peter. Sie öffnet mit einem strahlenden Lächeln die Tür, in karierter Bluse und Bermudashorts. »Komm doch rein.«
Ich folge ihr in die Küche, sie fragt: »Möchtest du etwas zu trinken, Lara Jean? Vielleicht einen Eistee?«
»Gern«, sage ich und setze mich auf einen Barhocker.
Peters Mutter gießt mir aus einem Plastikkrug ein Glas Eistee ein. Sie reicht es mir und sagt: »Danke, dass du vorbeigekommen bist, damit wir Frauen uns mal in Ruhe unterhalten können. Ich würde gerne etwas mit dir besprechen.«
»Klar«, sage ich wieder. Meine Haut kribbelt.
Sie nimmt meine Hände in ihre. Ihre Finger sind kühl und trocken, meine fühlen sich plötzlich ganz feucht an. »Peter hat viel durchgemacht und sich trotzdem immer angestrengt. Sicher hast du mitbekommen, wie enttäuscht er war, weil sein Vater nicht zu seiner Abschlussfeier gekommen ist.« Ihr Blick sucht meinen, und ich nicke. »Er tut so, als wäre ihm das alles egal, aber es hat ihn sehr verletzt. Und jetzt ist er von der Strandwoche zurückgekommen und hat davon gesprochen, in seinem zweiten Jahr an die UNC zu wechseln. Wusstest du davon?«
Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht steigt. »Nein, das wusste ich nicht. Er … Darüber hat er kein Wort zu mir gesagt.«
Sie nickt, als hätte sie das bereits vermutet. »Wenn er wechselt, wäre er ein Jahr lang nicht spielberechtigt. Das bedeutet, er würde sein Sportstipendium verlieren. Und die Studiengebühren für auswärtige Studenten sind sehr hoch, wie du sicher weißt.«
Das stimmt. Daddy sagte, es sei in Ordnung, weil Margot in zwei Jahren fertig sein wird und Kitty noch ein paar Jahre auf die Schule geht. Aber ich weiß, dass die UNC sehr teuer ist. Und ich weiß auch – obwohl wir nie darüber reden –, dass mein Vater mehr verdient als Peters Mutter.
»Peters Dad sagt zwar, er würde etwas beisteuern, aber er ist nicht wirklich zuverlässig. Darauf kann ich also nicht zählen.« Sie hält taktvoll inne. »Aber ich hoffe, dass ich auf dich zählen kann.«
Eilig sage ich: »Sie brauchen sich wegen mir keine Sorgen zu machen. Ich werde Peter sagen, dass er nicht nach North Carolina wechseln soll.«
»Schätzchen, das ist lieb von dir, aber sein möglicher Wechsel ist nicht meine größte Sorge. Was mich beschäftigt, ist seine Einstellung. Wenn er an die UVA geht, muss er sich ganz auf sein Studium konzentrieren. Er hat ein Sportstipendium, das heißt, er wird nicht jedes Wochenende nach North Carolina fahren können. Das funktioniert einfach nicht. Ihr seid beide noch so jung, aber Peter trifft bereits wichtige Lebensentscheidungen wegen dir, und wer kann schon wissen, wie es mit euch in Zukunft weitergeht? Ihr seid noch nicht mal erwachsen. Und das Leben läuft nicht immer so, wie man es sich vorstellt … Ich weiß nicht, ob Peter dir das erzählt hat, aber sein Vater und ich haben sehr jung geheiratet. Und ich … ich fände es einfach schrecklich, wenn ihr zwei die gleichen Fehler macht wie wir.« Sie zögert. »Lara Jean, ich kenne meinen Sohn, und er wird dich nicht gehen lassen, wenn du ihn nicht zuerst gehen lässt.«
Ich blinzele.
»Er würde alles für dich tun. So ist er nun mal. Zutiefst treu. Anders als sein Vater.« Mrs. Kavinsky sieht mich mitfühlend an. »Ich weiß, wie sehr dir Peter am Herzen liegt und dass du nur das Beste für ihn willst. Deshalb hoffe ich, dass du über das, was ich gesagt habe, nachdenken wirst.« Sie zögert und fügt dann hinzu: »Aber bitte erzähle ihm nichts davon. Peter wäre sonst sehr wütend auf mich.«
Ich kämpfe, um meine Stimme wiederzufinden. »Ich sage nichts.«
Sie lächelt erleichtert. »Du bist ein liebes Mädchen, Lara Jean. Ich weiß, du wirst das Richtige tun.« Sie tätschelt meine Hände und lässt sie dann los. Anschließend wechselt sie das Thema und erkundigt sich nach der Hochzeit meines Vaters.
Zurück in meinem Auto, klappe ich den Spiegel hinunter und stelle fest, dass meine Wangen immer noch ganz rot sind. Ich fühle mich wie damals in der siebten Klasse, als Chris’ Mutter bei ihr Zigaretten gefunden hat und dachte, wir hätten sie beide geraucht. Obwohl ich unbedingt sagen wollte, dass ich es nicht war, brachte ich kein Wort heraus. Ich schrumpfte einfach vor Scham zusammen. Genauso fühle ich mich jetzt auch. Als hätte ich was falsch gemacht.
War es dumm von Peter und mir zu denken, wir könnten die Ausnahme von der Regel sein? Hat Peters Mutter recht? Machen wir einen riesigen Fehler?
Auf einmal kommt mir jede Entscheidung, die wir treffen müssen, so unglaublich bedeutend vor, dass ich eine Riesenangst bekomme, die falsche zu treffen.
Zu Hause diskutieren Daddy, Margot und Kitty im Wohnzimmer darüber, wohin sie zum Essen gehen sollen. Ein völlig normales Gespräch für einen Donnerstagabend, aber mir wird dabei ganz seltsam zumute. Es ist, als würde die Erde unter meinen Füßen beben und der Boden unter mir zusammenbrechen, während um mich herum alle nur übers Essen reden.
»Auf was hast du Lust, Lara Jean?«, fragt Daddy mich.
»Ich habe keinen Hunger«, sage ich und schaue auf mein Handy. Was soll ich Peter sagen, wenn er anruft? Soll ich es ihm erzählen? »Ich glaube, ich bleibe lieber zu Hause.«
Dad schaut mich an. »Geht’s dir nicht gut? Brütest du was aus? Du bist so bleich.«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, alles in Ordnung.«
»Wie wäre es mit dem Seoul House?«, schlägt Margot vor. »Ich habe koreanisches Essen total vermisst.«
Dad zögert, und ich weiß, warum. Trina ist nicht gerade eine Feinschmeckerin. Sie ernährt sich vorwiegend von Diät-Cola und Hähnchensticks, Grünkohlsalat ist noch so ziemlich das Gewagteste auf ihrem Speiseplan. Wenn wir Sushi bestellen, isst sie nur die California Rolls mit Gurke und gekochten Garnelen. Fisch isst sie gar nicht. Aber niemand ist perfekt.
»Trina mag koreanisches Essen nicht wirklich«, sage ich, um Daddy die Erklärung zu ersparen. Mein Handy summt, aber es ist nur eine Mail von der Wohnheimverwaltung der UNC.
Ungläubig sagt Margot: »Ist das euer Ernst?«
»Sie findet es ein bisschen zu scharf.« Hastig fügt Dad hinzu: »Aber wir können trotzdem ins Seoul House gehen. Sie isst dann eben einen Bulgogi-Burger oder den gebratenen Reis.«
»Ich habe auch keine Lust auf koreanisch«, mault Kitty.
»Wir gehen ins Seoul House«, bestimmt Dad. »Trina hat sicher nichts dagegen.«
Sobald er das Zimmer verlassen hat, um einen Tisch zu reservieren, sage ich zu Margot: »Du darfst nicht schlecht über Trina denken, nur weil sie kein koreanisches Essen mag. Sie kann schließlich nichts dafür, dass sie die scharfen Gewürze nicht verträgt.«
Kitty springt mir eilig bei: »Ja, du darfst ihr das nicht übel nehmen.«
Ein verletzter Ausdruck zieht über Margots Gesicht, und sie protestiert: »Ich habe doch gar nichts gesagt!«
»Wir wissen aber, was du denkst«, sage ich. Insgeheim denke ich das nämlich auch. Trotzdem finde ich mich nun in der spannenden Situation wieder, Trina für etwas zu verteidigen, das ich selbst ein bisschen nervig finde. Es würde sie wirklich nicht umbringen, ihren kulinarischen Horizont etwas zu erweitern.
»Aber – gebratener Reis? Ist das euer Ernst?«
»Was ist denn so schlimm daran, wenn sie kein koreanisches Essen mag?«, meint Kitty.
»Koreanisches Essen ist unsere stärkste Verbindung zur koreanischen Kultur«, erklärt Margot. »Und jetzt können wir nicht mal mehr koreanisch essen gehen, weil Trina es nicht mag?« Margot wartet nicht auf eine Antwort. »Ich hoffe nur, ihr ist bewusst, dass sie das ganze Paket bekommt, wenn sie Daddy heiratet, und da gehört Korea nun mal dazu.«
»Das weiß sie doch, Margot«, sage ich. »Außerdem werden wir in diesem Sommer jeden Tag koreanisch essen.« An jedem Tag in diesem Sommer, den ich getrennt von Peter verbringen muss.
»Ich wünschte, Daddy und Trina würden auch mitkommen«, seufzt Kitty.
»Vermutlich ist es besser so«, sagt Margot. »Wovon sollte Trina sich in Korea ernähren?« Das soll wie ein Witz klingen, tut es aber nicht.
Kitty, die Jamie streichelt, achtet nicht auf Margot und fragt mich: »Wer kümmert sich eigentlich um Jamie Fox-Pickle und Simone, wenn wir alle weg sind?«
»Ein Hundesitter?«, schlage ich vor. Aber ich bin nicht wirklich bei der Sache, weil ich die ganze Zeit an Peter denken muss.
Margot sieht sich im Zimmer um. Ihr Blick landet auf Trinas Sessel. »Das Haus fühlt sich auf einmal so klein an. Es ist gar nicht genug Platz für Trinas Zeug.«
Kitty sagt: »Wenn du nicht da bist, fühlt es sich überhaupt nicht klein an.«
Erschrocken rufe ich: »Kitty!«
Margots Gesicht wird erst blass, dann erscheinen rote Flecken auf ihren Wangen. »Was hast du gesagt?«
Ich merke, dass es Kitty leidtut, trotzdem hebt sie auf ihre störrische Kitty-Art trotzig den Kopf. »Ich meine ja nur.«
»Du freches, verwöhntes Gör.« Margot spricht die Worte laut und deutlich aus, aber als sie aus dem Raum geht, kann ich ihr ansehen, dass sie in ihr Zimmer will, um dort heimlich zu weinen.
Sobald sie weg ist, wende ich mich an Kitty. »Warum hast du das gesagt?«
Tränen kullern ihr über die Wangen. »Darum! Sie ist so gemein zu Tri und ganz ohne Grund.«
Ich wische ihre Tränen mit dem Handrücken weg. Am liebsten würde ich auch weinen. »Gogo fühlt sich ausgeschlossen, das ist alles. Wir sind mit Trina vertraut, weil wir Zeit hatten, sie kennenzulernen. Margot kennt sie fast gar nicht. Und Kitty – Gogo hat dich praktisch großgezogen. So darfst du nicht mit ihr reden.«
Halbherzig murmelt sie: »Mit dir rede ich doch auch so.«
»Das ist etwas anderes, und das weißt du auch. Wir sind vom Alter her nicht so weit auseinander.«
»Willst du damit sagen, dass wir beide auf der gleichen Stufe stehen?«
»Ich meine … nein. Margot und ich stehen so ungefähr auf der gleichen Stufe, du bist eine Stufe unter uns, weil du die Jüngste bist. Aber wir beide sind nicht so weit auseinander wie Margot und du. Versuch doch, sie zu verstehen. Sie hat einfach das Gefühl, dass ihr jemand ihr Zuhause wegnimmt.«
Kittys Schultern sacken ein. »Ihr nimmt doch niemand ihr Zuhause weg.«
»Sie braucht nur ein bisschen Zuspruch, mehr nicht. Hab doch ein bisschen Verständnis für sie.«
Kitty antwortet nicht und hebt auch nicht den Kopf, aber ich weiß, dass sie mir zuhört.
»Und du bist wirklich ein freches, verwöhntes Gör.« Ihr Kopf fährt hoch, und sie schlägt nach mir. Ich lache. »Geh hoch und entschuldige dich bei Gogo. Du weißt selbst, dass du das tun solltest.«
Ausnahmsweise hört Kitty auf mich. Sie geht nach oben, und nach einer Weile kommen beide mit verheulten Augen wieder runter.
In der Zwischenzeit erhalte ich eine Nachricht von Peter, der fragt, ob ich mit ihm was unternehmen möchte. Ich schreibe ihm, dass ich mit meiner Familie essen gehen muss, aber dass wir uns ja morgen sehen. Die Männer wollen nach ihrem Steak-Dinner zu uns in die Karaokebar kommen. Hoffentlich weiß ich bis dahin, was ich tun soll.
Am Abend sitze ich in meinem Zimmer und lackiere mir die Nägel mintgrün für den Junggesellinnenabschied. Margot liegt mit ihrem Handy auf meinem Bett. »Soll ich dir auch die Nägel machen?«, frage ich.
»Nicht so wichtig«, sagt sie.
Ich seufze. »Hör mal, du solltest wirklich langsam aufhören, wegen Trina so grantig zu sein. Daddy und sie werden heiraten, Gogo.«
Margot seufzt. »Es ist nicht nur wegen Trina. Trina ist … Trina.«
»Was ist es dann?«
Margot kaut an ihrer Oberlippe, was sie, seit sie klein war, nicht mehr gemacht hat. »Es kommt mir nur so vor, als würde plötzlich eine ganz neue Familie hier im Haus wohnen, zu der ich nicht dazugehöre.«
Ich möchte ihr sagen, dass sich nichts verändert hat, dass sie immer noch dazugehört, aber das stimmt nicht. Das Leben hier ist ohne sie weitergegangen, und wenn ich im Herbst wegziehe, wird es auch ohne mich weitergehen.
Eine Träne rollt ihr über die Wange. »Und ich vermisse Mommy.«
Meine Kehle wird eng. »Ich auch.«
»Ich wünschte, Kitty hätte sie kennenlernen können.« Margot seufzt. »Ich weiß, es ist egoistisch, aber … ich glaube, ich habe mir einfach nie vorstellen können, dass Daddy noch mal heiratet. Dass er mit einer Frau ausgeht, das ja. Vielleicht auch irgendwann mal eine längere Beziehung mit jemandem hat, aber … heiraten?«
Sanft sage ich: »Ich hätte es auch nie für möglich gehalten, aber nachdem du nach Schottland gezogen bist, ich weiß nicht … da schien es mir irgendwie vernünftig zu sein – der Gedanke, dass er jemanden hat.«
»Ich weiß. Und für Kitty ist es auch besser.«
»Sie denkt sowieso, Trina würde ihr gehören. Ich komme ja auch gut mit Trina klar, aber zwischen Kitty und ihr, das war von Anfang an was Besonderes.«
»Gott, sie verteidigt Trina wie ein Kampfhund!« Margot lacht etwas zittrig. »Sie liebt sie wirklich.«
»Das ist bestimmt auch der Grund, warum du dich wegen dem koreanischen Essen so geärgert hast. Du denkst, wenn Daddy nicht mehr koreanisch für uns kocht, weil Trina es nicht mag, wird Kitty diese Verbindung verlieren. Und wenn wir Korea vergessen, vergessen wir auch Mom.« Tränen rollen über Margots Gesicht, und sie wischt sie mit dem Ärmel weg. »Aber wir werden Korea niemals vergessen und Mommy erst recht nicht. Okay?«
Margot nickt und holt tief Luft. »Gott, ich heule schon zum zweiten Mal heute! Das ist gar nicht typisch für mich.« Sie lächelt mich an, und ich lächele möglichst strahlend zurück. Trotzdem sieht sie mich fragend an. »Lara Jean, ist was mit dir? Du wirkst irgendwie so … ich weiß nicht … melancholisch, seit du von der Strandwoche zurück bist. Hattest du Streit mit Peter?«
Ich möchte ihr so gerne alles erzählen, meine ganze Last bei meiner großen Schwester abladen und mir von ihr erklären lassen, was das Beste wäre. Es wäre alles so viel einfacher, wenn sie mir nur sagen könnte, was ich tun soll. Aber ich weiß ja, was Margot tun würde, weil sie es schon getan hat.
Sei bloß keins dieser Mädchen, die aufs College gehen und einen Freund haben. Das hat Mommy immer gesagt. Und Margot sagt das auch.