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Der Geruch von Geißblatt und endlosen Sommertagen liegt in der Luft. Es ist der perfekte Tag für eine Hochzeit. Für mich gibt es keinen schöneren Ort als Virginia im Juni. Alles blüht, alles ist grün und sonnig und voller Hoffnung. Wenn ich heirate, werde ich vielleicht auch hier zu Hause feiern.

Wir wachen früh auf, und zuerst scheinen wir für alles noch unendlich viel Zeit zu haben, aber dann rennen wir doch wie kopflose Hühner durchs Haus. Trina fliegt oben in ihrem Morgenmantel aus elfenbeinfarbener Seide umher, den Kristen ihr geschenkt hat. Für uns Brautjungfern hat sie rosafarbene gekauft, unsere Namen sind in Goldbuchstaben aufgestickt. Auf Trinas steht Die Braut. Das muss man Kristen lassen: Sie nervt, aber sie hat Stil.

Trinas Freundin, die Fotografin ist, macht ein Bild von uns in unseren Morgenmänteln – Trina wie ein braun gebrannter Schwan in der Mitte. Dann ist es Zeit, dass wir uns anziehen. Was Kittys Smoking betrifft, haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt: Sie trägt ein weißes Hemd mit kurzen Ärmeln, eine fröhliche karierte Fliege und eine Hose, die ihr bis zu den Knöcheln reicht. Ihre Haare sind zu einem Gretchenzopf geflochten. Sie sieht so hübsch aus. Sie sieht so nach … Kitty aus. Mein Kompromiss ist, dass ich auf einen Blütenkranz verzichte und mir nur ein bisschen Schleierkraut in die Haare stecke. Meine Idee, zusammen mit Margot engelhafte Spitzenkleidchen zu tragen, musste ich auch aufgeben. Stattdessen tragen wir Blumenkleider aus den Fünfzigerjahren, die ich auf Etsy gefunden habe. Margots Kleid ist cremefarben und mit gelben Gänseblümchen bedruckt, meins mit rosa Blumen und dazu geraffte Träger. Mein Kleid muss einer kleinen Frau gehört haben, denn es endet direkt über den Knien, so wie es sein soll, ohne dass wir es ändern mussten.

Trina ist eine wunderschöne Braut. Ihre Zähne und ihr Kleid heben sich strahlend weiß von ihrer braun gebrannten Haut ab. »Ich sehe doch nicht albern aus, oder?« Nervös schaut sie mich an. »Bin ich vielleicht zu alt, um Weiß zu tragen? Ich meine, ich bin schließlich geschieden.«

Margot antwortet, bevor ich etwas sagen kann: »Du siehst perfekt aus. Einfach perfekt.«

Meine ältere Schwester hat so eine Art, dass die Worte genau richtig klingen.

Trinas ganzer Körper entspannt sich wie ein einziger, großer Seufzer. »Danke, Margot.« Ihre Stimme wird zittrig. »Ich bin einfach … so glücklich.«

»Nicht weinen!«, kreischt Kitty.

»Psst«, sage ich zu ihr. »Nicht kreischen. Trina braucht jetzt Ruhe.« Kitty springt schon den ganzen Tag wie ein nervöses Energiebündel durch die Gegend; für sie ist es wie Geburtstag, Weihnachten und erster Schultag zusammen.

Trina fächelt sich Luft unter ihre Achseln. »Ich schwitze. Ich glaube, ich brauche noch mehr Deo. Kitty, müffle ich?«

Kitty beugt sich vor. »Du riechst wunderbar.«

Wir haben heute schon mindestens hundert Fotos gemacht, und wir werden sicher noch hundert weitere knipsen, aber ich weiß genau, welches mein Lieblingsfoto sein wird: Wir drei Song-Mädchen um Trina geschart: Margot, die Trinas Augen vorsichtig mit einem Taschentuch abtupft, Kitty zupft auf einem Schemel an Trinas Haaren, und ich mit Trinas Arm um mich herum. Und wir alle mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Etwas geht zu Ende, aber etwas Neues beginnt.

Von Peter habe ich kein Wort gehört. Jedes Mal, wenn ein Auto die Straße entlangfährt, renne ich zum Fenster und schaue, ob er kommt, aber er ist es nie. Er wird nicht auftauchen, und ich kann es ihm kein bisschen verübeln. Trotzdem hoffe ich weiter, weil ich nicht anders kann.

Der Garten ist mit Lichterketten und weißen Papierlampions geschmückt. Er sieht wunderschön aus, auch ohne eine Rosenwand. Die Stühle sind aufgestellt, und in der Mitte ist ein Läufer ausgerollt, auf dem Trina entlangschreiten wird.

Ich nehme die Gäste in Empfang – es ist eine kleine Gruppe, nicht mal fünfzig Leute, die perfekte Größe für eine Gartenhochzeit. Margot sitzt bei Grandma, Nana, Trinas Vater und ihrer Schwester in der ersten Reihe und leistet ihnen Gesellschaft, während ich die übrigen Gäste begrüße: unsere Nachbarn, die Shahs, Tante Carrie, Onkel Victor und meine Cousine Haven, die mir ein Kompliment wegen meines Kleides macht. Die ganze Zeit über sind meine Augen auf die Einfahrt gerichtet, und ich warte auf einen schwarzen Audi, der nicht erscheint.

Als Lullaby von den Dixie Chicks erklingt, huschen Kitty, Margot und ich zu unseren Stühlen. Daddy tritt vor und stellt sich auf den Platz des Bräutigams, und wir schauen alle zum Haus, wo nun Trina auf uns zukommt. Sie sieht richtig königlich aus.

Wir heulen das ganze Ehegelübde über, sogar Margot, die sonst nie weint. Das Brautpaar hat sich die traditionelle Fassung ausgesucht, und als Reverend Choi, der Pastor aus Grandmas Kirche, schließlich sagt: »Sie dürfen die Braut jetzt küssen«, läuft Daddy erst knallrot an, aber dann küsst er Trina voller Leidenschaft. Alle klatschen, Kitty jubelt, und Jamie Fox-Pickle bellt.

Der Vater-Tochter-Hochzeitstanz war Trinas Idee. Sie sagte, sie hätte das Ganze ja schon mal gemacht und sei nicht wirklich scharf da­rauf, es zu wiederholen. Sie fände es passender, wenn wir Mädchen an ihrer Stelle den Tanz eröffneten. Wir haben die ganze Woche geübt, auf der kleinen Bühne, die Daddy gemietet hat.

Margot ist die Erste und wird von mir abgelöst, zum Schluss ist Kitty an der Reihe. Das Lied, das Dad ausgesucht hat, ist Isn’t she lovely, ein Song, den Stevie Wonder zur Geburt seiner Tochter geschrieben hat.

Kitty und ich stehen an der Seite und klatschen im Rhythmus mit. Ich weiß, dass Kitty sich schon auf den Moment freut, wenn sie mich ablösen darf.

Bevor Daddy Margot loslässt, zieht er sie kurz an sich und flüstert ihr etwas ins Ohr. Tränen steigen ihr in die Augen. Ich werde sie nicht fragen, was er gesagt hat, dieser Moment gehört nur ihnen.

Dad und ich haben ein paar Tanzschritte geübt. Am lautesten jubelt das Publikum, als wir nebeneinanderstehen und gemeinsam Shimmy tanzen.

»Ich bin so stolz auf dich«, sagt Dad. »Mein mittleres Mädchen.« Nun bin ich es, die Tränen in den Augen hat. Ich küsse ihn auf die Wange und reiche ihn an Kitty weiter. Daddy wirbelt sie genau in dem Moment herum, als die Mundharmonika einsetzt.

Als ich vom Tanzboden gehe, sehe ich ihn, Peter, im Anzug, wie er etwas abseits an einem Baum steht. Er sieht so gut aus, dass ich es kaum aushalten kann. Ich gehe durch den Garten auf ihn zu. Mein Herz klopft wie verrückt. Ist er wegen mir gekommen? Oder ist er nur hier, weil er es meinem Vater versprochen hat?

Dann stehe ich vor ihm. »Du bist doch gekommen.«

Peter wendet den Blick ab. »Natürlich bin ich gekommen.«

Leise sage ich: »Ich wünschte, ich könnte das, was ich neulich Abend gesagt habe, zurücknehmen. Ich erinnere mich nicht mal mehr an alles.«

Den Blick zu Boden gerichtet, sagt er: »Aber du hast es so gemeint, oder? Deshalb war es gut, dass du das gesagt hast. Jemand musste es tun, und du hattest mit allem recht.«

»Mit was?«, flüstere ich.

»Mit der UNC. Dass ich nicht dorthin wechseln sollte.« Er hebt den Kopf und sieht mich mit verletztem Blick an. »Aber du hättest mir sagen sollen, dass meine Mom mit dir geredet hat.«

Ich hole zitternd Luft. »Und du hättest mir sagen sollen, dass du über einen Wechsel nachdenkst! Du hättest mir sagen müssen, was du fühlst. Aber nach der Abschlussfeier hast du einfach dichtgemacht; du hast mich nicht mehr an dich rangelassen. Du hast immer nur gesagt, es würde schon alles gut werden.«

»Weil ich furchtbare Angst hatte, deshalb!«, platzt es aus ihm heraus. Er schaut sich um, ob ihn jemand gehört hat, aber die Musik ist laut und alle tanzen, keiner schaut zu uns, und es ist, als würden wir allein im Garten stehen.

»Wovor hattest du denn Angst?«, flüstere ich.

Seine Hände ballen sich zu Fäusten. Als er endlich spricht, klingt seine Stimme ganz rau, als hätte er sie lange nicht benutzt. »Ich hatte Angst, dass du auf die UNC gehst und dort dann merkst, dass ich es nicht wert bin, und dass du mich dann verlässt.«

Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und lege meine Hand auf seinen Arm. Er zieht ihn nicht weg. »Niemand außer meiner Familie bedeutet mir so viel wie du. Und einiges, was ich gesagt habe, war schon ernst gemeint, aber ganz sicher nicht, dass ich meine Jungfräulichkeit nur deshalb an dich verlieren wollte, um das mit uns abzuschließen. Ich wollte es tun, weil ich dich liebe.«

Peter legt den Arm um meine Taille, zieht mich an sich, schaut auf mich herab und sagt leidenschaftlich: »Keiner von uns beiden will sich trennen. Warum sollten wir es dann tun? Wegen irgendeinem Bockmist, den meine Mutter verzapft hat? Weil deine Schwester es so gemacht hat? Du bist nicht wie deine Schwester, Lara Jean. Wir sind nicht wie Margot und Sanderson oder sonst jemand. Wir sind du und ich. Und ja, es wird schwer werden. Aber Lara Jean, ich werde niemals ein anderes Mädchen so lieben wie dich.« Er sagt das mit einer solchen Überzeugung, wie es nur ein Junge in seinem Alter kann, und nie habe ich ihn so sehr geliebt wie in diesem Moment.

Nun läuft Lovin’ in my baby’s eyes, und Peter nimmt meine Hand und führt mich auf den Rasen. Zu so einer Musik haben wir noch nie getanzt. Es ist ein Song, bei dem man sich langsam hin und her wiegt, sich tief in die Augen schaut. Der Tanz fühlt sich anders an als sonst, als wären wir bereits eine ältere Version von Peter und Lara Jean.

Neben uns tanzen Trina, Kitty und Margot im Kreis, mit Grandma in der Mitte. Haven tanzt mit meinem Vater. Sie schaut mich an und flüstert lautlos: Er ist so süß! Sie meint Peter, nicht meinen Dad. Das ist er. Er ist so, so süß.

An diesen Abend werde ich mein Leben lang zurückdenken. Mit etwas Glück werde ich eines Tages einem jungen Mädchen von meinen Erlebnissen erzählen können, so wie Stormy mir ihre erzählt hat, und sie auf diese Weise noch einmal durchleben.

Wenn ich alt und grau bin, werde ich auf den Abend zurückblicken und mich genau daran erinnern, wie er war.

Wie er ist.

Wir sind immer noch hier. Die Zukunft hat noch nicht begonnen.

Nachts, nachdem alle Gäste gegangen, die Stühle aufgestapelt und sämtliche Reste im Kühlschrank verstaut sind, gehe ich in mein Zimmer. Auf meinem Bett liegt mein Jahrbuch. Ich blättere auf die letzte Seite, und da ist sie, Peters Botschaft für mich.

Nur, dass es keine Botschaft ist, sondern ein Vertrag.

LARA JEANS UND PETERS ÜBERARBEITETER VERTRAG

Peter schreibt Lara Jean einmal in der Woche einen Brief.
Einen echten, handgeschriebenen Brief, keine E-Mail.

Lara Jean ruft Peter einmal am Tag an. Vorzugsweise vor dem Schlafengehen.

Lara Jean hängt in ihrem Zimmer ein Bild von Peter auf,
das er ausgewählt hat.

Peter lässt das Scrapbook auf seinem Schreibtisch liegen,
damit interessierte Dritte sehen können, dass er vergeben ist.

Peter und Lara Jean sagen einander immer die Wahrheit,
auch wenn es schwerfällt.

Peter liebt Lara Jean aus ganzem Herzen, für immer und ewig.