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In meiner letzten Nacht vor dem College ist ein Meteoritenschwarm angekündigt. Er soll richtig beeindruckend sein, Peter und ich wollen deshalb zum See rausfahren. Kitty sagt es nicht, aber sie würde auch gern mitkommen; sie verzehrt sich förmlich danach. Ihr ganzer Körper ist steif vor Anspannung, weil sie unbedingt mitfahren möchte und sich nicht traut zu fragen. Bei jeder anderen Gelegenheit hätte ich sie mitgenommen.

Als ich mich von ihr verabschiede, zieht sie für einen ganz kurzen Moment einen Schmollmund, verbirgt aber ihre Enttäuschung. Wie schwer es manchmal sein muss, die Jüngste zu sein, diejenige, die zurückbleibt.

Im Auto ist mir richtig schlecht, weil ich so eifersüchtig über meine Zeit mit Peter wache. Aber wir haben nur noch so wenige Stunden zusammen … Ich bin eine schreckliche große Schwester. Margot hätte Kitty sicher mitgenommen.

»Woran denkst du?«, fragt Peter.

»Ach, nichts.« Ich schäme mich zu sehr, um laut zu sagen, was mir durch den Kopf geht.

Wenn ich in den Herbstferien nach Hause komme, werden wir auf jeden Fall etwas zu dritt unternehmen. Vielleicht fahren Peter und ich mit ihr in die Mitternachtsvorstellung im Autokino. Sie kann vorher ihren Schlafanzug anziehen, und ich lege eine Decke auf den Rücksitz, falls sie einschläft. Aber heute Abend will ich mit Peter allein sein, nur dieses eine Mal. Jetzt ist es sowieso schon zu spät; es hat also keinen Sinn, sich in Schuldgefühlen zu wälzen und uns den Abend zu versauen. Und wenn ich ehrlich bin – ich würde es wieder tun. So gierig bin ich nach jedem letzten Augenblick mit Peter. Ich möchte, dass seine Augen nur auf mir liegen; ich möchte, dass er nur mit mir spricht, dass es für diese kurze Zeit nur ihn und mich gibt. Eines Tages wird sie das verstehen; sie wird einen Jungen lieben und ihn ganz für sich haben wollen und mit keinem anderen teilen.

»Wir hätten Kitty mitnehmen sollen«, platzt es plötzlich aus mir heraus.

»Ich weiß«, seufzt er. »Ich habe deshalb auch ein schlechtes Gewissen. Glaubst du, sie ist sauer auf uns?«

»Eher traurig, denke ich.«

Aber keiner von uns schlägt vor, umzudrehen und sie zu holen. Erst schweigen wir, dann lachen wir beide verlegen und auch erleichtert.

Entschlossen sagt Peter: »Das nächste Mal nehmen wir sie mit.«

»Das nächste Mal«, wiederhole ich. Dann schlinge ich meine Finger um seine, und er drückt meine Hand, und ich bin getröstet von dem Wissen, dass er genauso empfindet wie ich und dass es keine Distanz mehr zwischen uns gibt.

Wir breiten eine Decke aus und legen uns nebeneinander. Der Mond erinnert in dieser dunkelblauen Nacht an einen großen weißen Gletscher. Bisher kann ich nichts Ungewöhnliches entdecken, für mich sieht es wie ein ganz normaler Nachthimmel aus.

»Vielleicht hätten wir in die Berge fahren sollen«, sagt Peter und dreht sein Gesicht zu mir.

»Nein, das ist perfekt. Außerdem habe ich gelesen, dass man beim Sternebeobachten Geduld braucht, egal wo man ist.«

»Wir haben noch die ganze Nacht«, sagt er und zieht mich an sich.

Manchmal wünschte ich, wir hätten uns mit siebenundzwanzig kennengelernt. Siebenundzwanzig scheint mir ein gutes Alter zu sein, um dem Menschen zu begegnen, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen will. Mit siebenundzwanzig ist man immer noch jung, aber hoffentlich schon auf dem Weg, so zu werden, wie man sein möchte.

Aber dann denke ich, nein, ich würde mein zwölftes, dreizehntes, sechzehntes und siebzehntes Lebensjahr mit Peter niemals aufgeben wollen. Mein erster Kuss, mein erster Fake-Freund, mein erster echter Freund. Der erste Junge, der mir Schmuck geschenkt hat. Für Stormy wäre das der wichtigste Moment von allen gewesen: Damit lässt dich ein Junge wissen, dass du ihm gehörst. Ich denke, bei uns war es genau umgekehrt – da wusste ich, dass er mir gehört.

Ich möchte keine Sekunde davon missen. Wie er mich in diesem Moment ansieht. Wie ich immer noch jedes Mal, wenn er mich küsst, eine Gänsehaut bekomme. Das alles will ich mit aller Kraft festhalten.

»Es war übrigens in der ersten Schulversammlung in der sechsten Klasse.«

Ich schaue ihn an. »Was?«

»Da habe ich dich zum ersten Mal gesehen. Du hast vor mir in der Reihe gesessen. Ich fand dich so hübsch.«

Ich lache. »Netter Versuch.« Es ist so niedlich, wenn Peter Sachen erfindet, um romantisch zu sein.

Er redet weiter. »Deine Haare waren richtig lang, und du hast ein Haarband getragen mit einer Schleife dran. Ich fand deine Haare immer toll, auch damals schon.«

»Okay, Peter.« Ich tätschele seine Wange.

Er achtet nicht auf mich. »Auf deinem Schulranzen stand in Glitzerbuchstaben dein Name. Einen Namen wie Lara Jean hatte ich bis dahin noch nie gehört.«

Mir bleibt der Mund offen stehen. Ich hatte diese Glitzerbuchstaben selbst mit Heißkleber auf meinen Ranzen geklebt. Es hatte Stunden gedauert, bis sie alle gerade saßen. Den Ranzen habe ich ganz vergessen, dabei war er damals mein liebster Besitz.

»Der Direktor wollte ein paar Schüler auf die Bühne holen, damit sie irgendwelche Spiele machten und Preise gewannen. Alle haben sich gemeldet, aber deine Haare hatten sich in der Stuhllehne verfangen, und du musstest sie erst wieder entwirren und bist deshalb nicht aufgerufen worden. Ich weiß noch, wie ich überlegt habe, ob ich dir helfen soll, aber dann hatte ich Angst, das könnte komisch wirken.«

»Warum weißt du das alles noch?«, frage ich erstaunt.

Lächelnd zuckt er mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich weiß es eben.«

Kitty sagt immer, wie wichtig die Geschichten sind, die erzählen, wie alles angefangen hat.

Wenn uns die Leute im College fragen, wie wir uns kennengelernt haben, was sollen wir ihnen sagen? Die kurze Version ist, dass wir zusammen aufgewachsen sind. Aber das wäre eigentlich eher die Geschichte von Josh und mir. Eine Highschool-Liebe? Das wiede­rum ist die Geschichte von Peter und Gen. Nur, was ist dann unsere Geschichte?

Vermutlich werde ich einfach sagen, dass alles mit einem Liebesbrief begann.