In der Untersuchungshaft hatte ich ja schon mitgekriegt, in welch gemischter Gesellschaft ich mich künftig befinden würde. Dass auch Irre darunter sein würden, kam mir nicht in den Sinn, aber der Garten des Herrn ist groß, wie meine Mutter oft sagte. Ich war erst in der Aufnahmestation untergebracht, in einer Doppelzelle. Wir bleiben hier etwa zwei Wochen. Nach dem Aufnahmegespräch, in dem alles festgehalten wird, was die jeweilige Frau betrifft – von der Straftat bis zu der Frage, ob irgendeine Therapie beabsichtigt oder erforderlich ist – lernt man das Innere der Anstalt kennen: Psychologischer und Sozial-Dienst, Beratungsstelle für Süchtige und für Schuldner, Arbeitsstätten, Schule, Krankenabteilung. Eine Gefangenenvertreterin gibt es auch, das ist eine Langstraflerin, also eine, wie ich es nun bin.
Meine Mitbewohnerin ging mir fürchterlich auf die Nerven. Sie lässt ihre Sachen liegen, wo sie gerade steht, das feuchte Handtuch über der Stuhllehne, darüber das Nachthemd, auf dem Sitz müffelnde Socken, die sie plattsitzt. Gäbe es nicht die Vorschrift, morgens die Betten ordentlich zu machen, würde sie abends in die zerwühlten Decken steigen. Auf so engem Raum funktioniert Zusammenleben nur, wenn jede Rücksicht nimmt, aber davon hat sie offenbar noch nie gehört. Das Schlimmste: Sie brabbelt ununterbrochen vor sich hin, redet mit Vögeln, mit Gott, mit dem Teufel, mit irgendwelchen abwesenden oder eingebildeten Personen. Zuerst hab ich gedacht, das legt sich irgendwann, aber sobald sie morgens die Augen öffnet, geht auch der Mund auf. Ich dachte, ich kriege einen Knall, wenn ich das noch lange aushalten soll.
Gestern quasselte sie wieder mit einem Vogel, den nur sie sah. Erst hab ich auf Durchzug geschaltet, aber auf einmal wurde ich hellhörig: »Du kommst auch noch dran, wart’s nur ab, du denkst wohl, du bist hier sicher, aber du bist auch eine von denen, du kommst mir nicht davon …« Dabei piekte sie mit ihrem Zeigefinger in meine Richtung.
Ich hab sie angeschaut und ganz leise gesagt: »Geht es dir nicht gut? Kann ich irgendwas für dich tun?«
Da ist sie plötzlich wie eine Furie auf mich losgegangen: »Ich warte nur bis zum Einschluss, dann zeige ich dir, was ich mit dir mache!« Und sie fuhr mir mit ihren Krallen ins Gesicht. Jetzt hab ich eine Schramme auf der Backe.
Gott sei dank war die Zellentür offen, so dass ich rausrennen konnte. Auf dem Flur unterhielten sich drei, auf die bin ich zu und hab um Hilfe gebeten: »Was soll ich machen, meine Zellennachbarin ist offenbar wirr im Kopf, sie will mir an die Wäsche!« Eine hat den Notknopf gedrückt, der ist zwar in jeder Zelle, aber ich war zu durcheinander, um ihn zu finden. Dann kam ein Beamter. Unter seinem Schutz konnte ich meine Siebensachen packen. Er brachte mich in eine Einzelzelle, als Ausnahme, hat er gesagt, morgen oder übermorgen würde ich ohnehin auf meine Station verlegt werden. Um die Kranke kümmerte sich der Psychiatrische Dienst. Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist. Bin nur froh, ihr entkommen zu sein.