Es ist frustrierend, wenn man dauernd beobachtet, kontrolliert, reglementiert wird, wenn man für jeden Scheiß außerhalb des offiziellen Protokolls einen Antrag schreiben muss. Am Anfang fiel es mir unglaublich schwer, mich nicht dagegen aufzulehnen. Was natürlich total sinnlos gewesen wäre. Lange Zeit nehme ich das hin wie das Wetter, von dem wir ja auch nicht allzu viel mitkriegen, aber manchmal geht mir das alles hier drinnen fürchterlich auf die Nerven.
Heute war wieder mal Haftraumkontrolle. Mein Kopf sieht ein, dass so was nötig ist. Mein Bauch schreit jedes Mal: Nein! Denn es ist ein Scheißgefühl. Stell dir vor, in dein Zimmer wurde eingebrochen, fremde Hände hätten alles durchwühlt: die Bettdecke geschüttelt, sogar die Matratze hochgenommen, jedes Teil aus dem Schrank auseinandergefaltet, da kommt man sich irgendwie beschmutzt vor, stimmt`s?
In der Regel ist so was einmal monatlich fällig, sie kommen immer zu zweit und kehren in den Hütten, den Gemeinschaftsräumen auf den Stationen und in den Wohnbereichen das Unterste zuoberst. So was findet auch nicht an bestimmten Wochentagen statt, sondern überfallartig, also immer überraschend. Es passiert also, dass die Beamtinnen oder Beamten an einem Sonntag oder einem Feiertag reinschneien. Als besonderes i-Tüpfelchen kann auch mal ein Hundeführer mit seinem Hund erscheinen, der nach Drogen schnüffelt. In unserer Wohngruppe sind glücklicherweise alle drogenfrei, es wurde noch nie was gefunden. Aber von anderen Hafträumen hört man die tollsten Sachen: Spritzen unter dem Bettgestell, Drogen in Batterien, ein in Alufolie gewickeltes Stück Haschisch im Tabak, sogar Psychopharmaka hinter die Türdichtung geklemmt.
Es gibt kaum eine drogenfreie Anstalt, haben die Beamten mal erzählt. Ahnungslose fragen sich natürlich, wie so was möglich ist, aber wer abhängig ist, ist auch erfinderisch. Und bekanntlich sind Kriminelle und auch Abhängige immer einen Schritt weiter an Erfindungsreichtum als die Polizei oder die Beamten einer JVA.
Auch Urinkontrollen, die hier durchaus üblich sind, wissen die zu umgehen: einfach den Urin einer »sauberen« Freundin in ein Fläschchen oder ein kleines Gefäß gefüllt, vaginal ins Kontroll-Klo gebracht und dort in den vorgesehenen Becher gekippt.
Und was sich Besucher ausdenken, um Drogen in den Knast zu bringen! Sie machen sogar vor Babywindeln nicht halt! Da wird das Baby mal schnell von Papi oder Oma der einsitzenden Mama überreicht, und die holt geschickt den versteckten Stoff aus der Windel und lässt ihn verschwinden. Kann man nur hoffen, dass das Baby auf dem Weg zu Mama nicht gekackt hat.
Eine erzählte mal, dass ihre Mitbewohnerin an fürchterlichen Nasenschleimhautproblemen litt, weil sie irgendein Zeug gesnieft hatte, klein gemörschelte Schmerztabletten oder Psychopharmaka oder so was, keine Ahnung, was sich dafür alles eignet. Vielleicht hat sie sich auch mit dem Papierröhrchen, mit dem sie das Zeug hochgezogen hat, die Schleimhäute verletzt und immer weiter gemacht. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass man sich bei dieser Art durch Viren oder Bakterien am Papier Herpes oder Hepatitis einhandeln könne. Nee, danke, so was brauche ich so dringend wie ein Loch im Kopf.
Was sonst noch alles reingeschmuggelt wird, hätte ich früher auch nicht gedacht. Allerdings kam Strafvollzug in meiner Welt auch nicht vor. Am begehrtesten – neben Drogen – sind Mobiltelefone, Ladegeräte und SIM-Karten.
Natürlich werden die Besucher kontrolliert, das kennst du ja. Sie müssen ihre Taschen in einem Schließfach verstauen. Aber kleine Päckchen lassen sich auch in Schuhen transportieren, und in den seltensten Fällen müssen Besucher vor den Beamten die Schuhe ausziehen. Inzwischen soll es Schuh-Scanner geben, die auch dieses Versteck durchleuchten können. Ob sie das bei uns schon anwenden, keine Ahnung.
Sogenannte Bodypacks sind natürlich bekannt, sowohl den Insassinnen als auch den Beamten. Die gelben Plastikdöschen aus Überraschungseiern eignen sich offenbar vorzüglich als Verpackung für Drogen, und die werden dann geschluckt (ich würde ersticken bei dem Versuch!), in den Po oder in die Scheide eingeführt. In die Vagina sollen sogar zwei passen. Auf dem Pausenhof haben sie mal erzählt, dass eine Neue wegen plötzlicher Überdosierung mit Blaulicht ins Krankenhaus geschafft worden sei, weil so ein Ding im Magen-Darm-Trakt geplatzt ist. Das Zeug ist wohl ungefiltert durch die Darmwand ins Blut- und Lymphsystem gewandert.
Ich bin heilfroh, dass ich nie mit Drogen zu tun hatte! Jochen brauchte Marihuana, jedes Mal vor dem Sex rauchte er das Zeug. Lange nervte er mich, es auch zu probieren. Aber schon der erste Versuch schlug fehl: Ich merkte nichts und hatte überhaupt keine Lust, es so lange zu probieren, bis ich was merke, also hab ich es gelassen. Zigaretten ja, aber keinen Stoff.
Die ewige Raucherei ist teuer genug und reicht mir. Und dann der Stress unter den abhängigen Frauen! Die Hierarchien sind hier zwar viel flacher als man sich das vom Männerknast berichtet, dennoch gibt es einige Frauen, die andere ziemlich knechten können. Und die Abhängigen sind dann die Dummen. Ständig die Frage: Wie komme ich an Stoff? Wer bescheißt und wer terrorisiert wen? Wer beutet wen aus, verlangt Geld oder Dienstleistungen, zum Beispiel die Zelle sauber machen oder Sachen auf die Einkaufsliste setzen, die das eigene Budget übersteigen.
Aber zurück zu den Haftraumkontrollen. Heike und ich ertragen es klaglos (bleibt uns auch nichts weiter übrig), denn wir pflegen unsere Hütte, um wenigstens ein Mindestmaß an Wohlgefühl zu sichern. Die Beamten wissen inzwischen, dass sie bei uns nichts Verbotenes finden, also halten sich unsere anschließenden Aufräumarbeiten in Grenzen. Sie sind ja angehalten, nach der Kontrolle den vorherigen Zustand wieder herzustellen. Dennoch wird jede Cremedose, jeder Deoroller, jeder Lippenstift aufgeschraubt, der Föhn kontrolliert, jede CD aus der Hülle genommen, jedes Kleidungsstück auseinandergefaltet, jedes Feuerzeug, jeder Bogen Papier untersucht. So was kann schon mal eine Stunde dauern.
In Eileens Zelle, sie lebt inzwischen alleine, weil es niemand in ihrem Chaos und mit ihrem Geruch aushält, sieht es anders aus. Da wird grundsätzlich der Spind total ausgeräumt und der ganze Kram aufs Bett geschmissen, weil die Beamten keine Lust haben, das wahllos Hineingestopfte vorsichtig auseinanderzufalten und wieder zusammenzulegen. Eileen wird zwar jedes Mal darauf hingewiesen, dass herumliegende alte Zeitungen eine Brandgefahr darstellen, noch dazu in einer Raucherzelle, etliche Male ist sie auch verwarnt worden, aber sie packt es eben nicht aufzuräumen.
Ich finde es übrigens sehr entgegenkommend, dass die Bereichsleitung guckt, wer zu wem passt und wen sie mit wem zusammensperren. Das gibt es sicher auch nicht überall. Mit Eileen in einer Zelle – ich würde vor die Hunde gehen!