Hurra, ich habe meine Umschulung zur Änderungsschneiderin begonnen! Das verdanke ich auch Frau Mertenbach, die mir eine tolle Beurteilung ausgestellt hat. Wenn ich die Ausbildung gut abschließe – und ich strebe eine Zwei an! –, werde ich mich, sobald ich Lockerungen habe und rausdarf, schon mal um einen Job bewerben, ich kann dann sogar mit jahrelanger Berufserfahrung aufwarten!
Ich habe zwar Verkäuferin gelernt und etliche Jahre in dem Modegeschäft am Markt gearbeitet, aber weiß ich, ob mich mit meiner Personalakte jemand einstellt? Außerdem verhindert mein kaputtes Knie langes Stehen. Als Änderungsschneiderin hätte ich vielleicht die Chance, bei einem kleinen privaten Unternehmen anzufangen, ohne meine Vergangenheit offenlegen zu müssen. Vielleicht könnte ich mich irgendwann selbstständig machen und unabhängig sein. Dazu brauche ich zwar Grundkapital, um die nötigen Arbeitsgeräte zu kaufen, aber so weit bin ich noch lange nicht.
Die Ausbildungsstätten – für Schneiderinnen und Hauswirtschafterinnen – liegen über unserer Schneiderei. Nur die Köchinnen erhalten ihren kompletten Unterricht in Räumen hinter der Küche.
Außer mir machen noch sieben Frauen aus unserem Haus die Ausbildung, bei den Hauswirtschafterinnen sind es mehr. In den theoretischen und praktischen Fächern unterrichten uns Lehrkräfte von außerhalb. Ich sitze neben einer ungefähr gleichaltrigen Frau, die alle Carmen nennen. Zeitgleich zum Lernstart ist sie in unsere Wohngruppe gekommen und teilt sich mit der Kubanerin Lucia, auch einer Neuen, eine Hütte. Als wir uns in der Einführungsveranstaltung alle vorstellten, erfuhr ich, dass sie Katrin heißt.
»Wieso nennt man dich Carmen?«, flüsterte ich.
»Weil ich bis jetzt in Spanien im Knast gesessen habe und erst vor sechs Monaten hierher überstellt worden bin.«
Als ich sie fragend anguckte, meinte sie nur: »Darüber später mal!«
Die Lehrerin führte in ihrem Vortrag aus, dass wir als Änderungsschneiderinnen zwar alles Mögliche zuschneiden, ändern, ausbessern, reparieren müssen, dass wir aber auch in die Lage kommen können, Kundinnen zu beraten: Wie peppt man ein Abendkleid aus den siebziger Jahren für heute auf? Oder wie ändert man einen Blazer, damit er nicht wie von vorgestern wirkt?
Carmen-Katrin und ich haben uns verstohlen angeschaut, keine Ahnung, wie ein Blazer heute aussehen muss, und ein modernes Abendkleid haben wir außer im Fernsehen noch nie gesehen. Wir hörten was von Overlock-, Patch- und Druckknopfstanzmaschinen, von Kleinstücken und Hilfsstoffen, von qualitätssichernden Maßnahmen und vom Konstruieren. Uns schwirrte ganz schön der Kopf. Schließlich ist es einige Jahre her, dass wir auf einer Schulbank gesessen haben.
Mit der praktischen Ausbildung werde ich sicher keine Schwierigkeiten haben, denn Frau Mertenbach war für mich eine tolle Ausbilderin. Sie und ihre Kollegin werden uns in Zuschneiden und Materialkunde unterrichten.
Ein bisschen Bammel habe ich vor Technischer Mathematik und Wirtschaftskunde, aber das werde ich auch irgendwie schaffen. In den nächsten zwei Jahren bin ich also sinnvoll beschäftigt.
In der Praxis lernen wir erst das Planen und Vorbereiten von Arbeitsabläufen und wie man die Geräte und Maschinen samt ihren Zusatzeinrichtungen instand hält. Das ist für mich natürlich babyleicht. Ich kann sogar Katrin dabei helfen. Sie ist dafür beim Bügeln im Vorteil, weil sie in der Bügelei gearbeitet hat.
Katrin hat eine siebenjährige Tochter. Mehr weiß ich noch nicht von ihr. Jedenfalls können wir beide zusammen in unserer Wohngruppe lernen, und das ist gut so.