Montagabend, 15. Juli 2013

Gestern bin ich wieder hier angekommen, nach vier Tagen in Freiheit, zum dritten Mal. Was ist das für ein wunderbares Gefühl: Ich wohne während der Ausgänge bei meiner Familie, schlafe im Gästezimmer. Nachts lasse ich das Fenster, das zum Garten führt, weit offen, so dass mich morgens Vogelgezwitscher weckt. Frühstück mit der ganzen Familie, dann fliegen sie aus, die Kinder in die Schule, Sandra in ihren Kindergarten, Michael zu Kunden. Ich mache mich im Haushalt nützlich und freue mich über normalen Alltag. Bei diesem Bilderbuchsommerwetter saßen wir abends bis zum Dunkelwerden im Garten. Zweimal haben wir gegrillt, wobei Sebastian seinem Vater sehr sachkundig zur Hand ging. Er und Nora begegnen mir inzwischen mit unverstellter Herzlichkeit. Bei dir, meine große Tochter, spüre ich manchmal eine gewisse Zurückhaltung. Du nennst Sandra Mom. Zu mir sagst du Mama. Sandra ist dir also eine zweite Mutter geworden. Das ist nur gut und richtig und in dieser Situation eigentlich das Beste. Warum also bohrt dieser Stachel in mir? Du verhältst dich auch mir gegenüber anders – deiner Mom gegenüber locker und heiter, mir gegenüber ein bisschen wie schaumgebremst. Ich musste mich immer wieder ermahnen: Hallo, Hauptsache, das Kind ist zufrieden! Sie hätte auch in einem Heim landen können! Immer wieder musste ich gegen diese unangebrachte Eifersucht ankämpfen. Dabei bin ich doch froh, dass es dir gut geht! Dennoch …

Nein, ich beklage mich nicht, ich stelle es nur fest. Und ich will alles tun, damit du mir wieder vertrauen kannst. Wobei ich noch nicht mal genau weiß, wie ich das anstellen soll. Am besten so normal wie möglich sein.

Einmal, als ich Nudelsalat machte, kamst du dazu und halfst mir zu finden, was ich brauchte, Essig und Öl zum Beispiel, du holtest Kräuter aus dem Garten, und fast schien es, als sei es das Normalste von der Welt, dass wir gemeinsam in der Küche hantieren. Ich baue auf die Zeit …

Nach dem Essen habe ich sogar mit Sandra ein Glas Weißwein getrunken. Es ist mir gut bekommen, hätte ich nicht gedacht nach so vielen Jahren Abstinenz.

Ach, wie wunderschön ist es zu leben!

An einem dieser Tage traf ich Nicole, die mit ihrem Verlobten aus Norwegen gekommen war. Sie stellte mir strahlend Finn vor und hielt mir ihre linke Hand mit dem Verlobungsring vor die Nase. Ich hab sie beide spontan umarmt, freue mich sehr für sie. Er lernt Deutsch, sie spricht inzwischen schon ziemlich gut Norwegisch, und so unterhalten sie sich in einem lustigen Sprachgemisch mit englischen Einsprengseln. September in einem Jahr wollen sie in Oslo heiraten, und sie wünschen sich, dass ich dabei sein kann. Für ein Zimmer könnte Finn sorgen, ich müsste nur den Flug bezahlen. Das ist doch eine tolle Aussicht!

Übermorgen haben wir Abschlussprüfung. Heute Abend genieße ich die Erinnerung an die schönen Tage bei euch. Morgen gucke ich noch mal in meine Aufzeichnungen. Prüfungsangst habe ich jedenfalls nicht.