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Vier Tage zuvor

»Guten Abend, Frau Oberländer, bitte entschuldigen Sie die späte Störung.«

Er lauschte und versuchte zu ergründen, ob sie ihn inzwischen an der Stimme erkannte. Mehrmals rauschte es in seinem Ohr, weshalb er dann doch noch mal nachhakte. »Hören Sie mich, Frau Oberländer?« Er sollte nicht zu lange warten. Sie schien überhaupt nichts zu kapieren. Wahrscheinlich hätte er doch besser gleich gestern noch mal bei ihr angerufen. Die Zeitspanne war eindeutig zu groß bemessen und sie schlicht zu alt, um sich Dinge so lange merken zu können. Litt nicht das Kurzzeitgedächtnis am meisten im Alter? Jetzt konnte er also ganz von vorne anfangen und sich währenddessen schon mal überlegen, wie das noch mit dem Zeitplan zusammenpasste.

»Herr Spangenberg von der Polizei, nicht wahr?« Sie klang erfreut. »Das ist aber schön, dass Sie sich melden.«

»Sie haben mich an der Stimme erkannt?« Er tat erstaunt. »Dann bin ich bei Ihnen genau richtig.« Er schluckte so laut, dass sie es hören konnte. Umständlich räusperte er sich und reckte sich in die Höhe. »Mir wäre es eigentlich viel lieber, wenn wir uns nicht schon wieder sprechen müssten.« Er atmete betont sorgenvoll durch die Nase aus. Noch einen kleinen Moment ließ er das Gesagte Raum greifen und Wirkung entfalten. Dann schob er ein paar Papiere zur Seite, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Das Rascheln sollte zu hören gewesen sein. Jetzt musste er zügig zum Punkt kommen, sonst klang es übertrieben. »Meine Kollegen waren heute am frühen Morgen bei Ihnen in Laubenheim.« Er unterbrach sich, weil er nicht ganz glücklich mit dieser Einleitung war. »Nur den aufmerksamen Nachbarn in der Schubertstraße ist zu verdanken, dass nicht mehr passiert ist. Sie haben das Splittern von Holz gehört und richtig reagiert. Zuerst haben sie uns informiert, dann Lärm gemacht und die Einbrecher dadurch noch rechtzeitig vertrieben, bevor sie über den Balkon in die Wohnung nebenan einsteigen konnten. Die Bewohner haben tief und fest geschlafen. Sie haben bis zu unserem Auftauchen nichts von der ganzen Sache mitbekommen und von der Gefahr, in der sie schwebten.«

»Oje. Man kann sich ja nirgendwo mehr sicher fühlen.« Sie klang wirklich betroffen und fühlte mit den Opfern.

»Da sprechen Sie uns aus der Seele. Es sind wirklich gefährliche Zeiten. Wir bei der Polizei bemühen uns nach Kräften, aber oft kommen wir, so wie auch heute Morgen, schlicht zu spät.« Er schwieg und wartete. Die Anspannung am anderen Ende der Leitung glaubte er deutlich zu spüren.

»Sie haben die Einbrecher nicht fassen können?«

»Nein, leider ist das den Kollegen nicht gelungen. Die Kriminellen waren längst verschwunden, als wir eintrafen.« Er überlegte kurz, wie er jetzt weitermachen sollte. Er durfte nicht zu weit gehen, nicht zu diesem Zeitpunkt.

»Dann sind sie noch da draußen?« Das Zittern in ihrer Stimme war unverkennbar. Sie schaffte es jedoch, gefasst zu bleiben.

»Ja, das ist natürlich beunruhigend. Es bietet sich uns dadurch aber auch die Möglichkeit, bei der nächsten Gelegenheit die ganze Bande auf einen Schlag zu fassen.« Er raschelte wieder mit den Papieren und hustete. »Wir kennen jetzt das Schema, nach dem sie vorgehen, und möchten daher die aufmerksamen Menschen, zu denen wir schon Kontakt haben, sensibilisieren.« Er blätterte die Seiten hin und her und tat geschäftig. »Günter, bitte noch einen Moment. Ich rede gerade mit Frau Oberländer, auf die wir sicher auch zählen können. Dann besprechen wir uns mit den Kollegen.« Er reckte sich noch einmal auf dem Stuhl in die Höhe und ließ dann das Blatt fallen. »Entschuldigen Sie bitte die kurze Unterbrechung. Bei uns ist jetzt natürlich jeder verfügbare Kollege im Einsatz.« Wieder musste er husten. Er schien sich eine Erkältung eingefangen zu haben. Vielleicht war es aber auch die Anspannung, die dieses trockene Empfinden in seinem Rachen verursachte, das einfach nicht abklingen wollte.

»Was kann ich tun?« Sie ging schneller darauf ein, als er für möglich gehalten hatte.

»Nun, die Verbrecher festzunehmen, bleibt schon noch unsere Aufgabe.« Er kicherte jovial. Das klang wirklich albern. Darauf sollte er in Zukunft verzichten. Schnell legte er neue Geschäftsmäßigkeit in seine Stimme. »Bitte seien Sie aufmerksam. Schließen Sie Türen und Fenster. Bleiben Sie zu Hause in Ihrer Wohnung und suchen Sie nicht den Kontakt zu anderen. Wir wissen nicht, über welche technischen Fähigkeiten diese Bande verfügt. Es kann durchaus sein, dass sie Telefone abhören und dadurch gewarnt werden. Unsere Telefonverbindung ist sicher. Ich melde mich spätestens morgen wieder bei Ihnen. Wenn wir die Einbrecher gefasst haben, gebe ich Entwarnung.« Er drückte sich aus dem Sessel in die Höhe. »Vielen Dank, Frau Oberländer, dass wir auf Sie zählen können.«