Snoop-ID: ANON101

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Nach all dieser Zeit der Untätigkeit tut es gut, einen Plan zu haben. In meinem Zimmer mühe ich mich mit dem verwaschenen blauen Overall ab und ziehe Skisocken und Handschuhe an. Mein Helm und die Brille sind unten im Skischrank, die werde ich auf dem Weg nach draußen holen. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir, dass ich keine Sonnenbrille brauchen werde. Für die Mittagszeit ist es ziemlich dunkel. Die Sonne schafft es nicht durch die dichte Wolkenschicht, und der Wind heult, als wollte er mit Gewalt ins Haus eindringen.

Als ich fertig angezogen bin, ist mir zum ersten Mal seit Tagen warm, und ich bin ein wenig aus der Puste. Es ist seltsam, wieder zu schwitzen, nachdem es im Chalet immer kälter geworden ist. Ich lasse mich aufs Bett fallen und atme tief durch.

Nun, da es fast vorbei ist, kann ich auf die letzten Tage zurückblicken. Wie konnte es bloß zu diesem Albtraum kommen? Bevor wir hierhergefahren sind, hatte ich mir alles Mögliche ausgemalt, aber nicht ein solches Grauen.

Im Kopf gehe ich wie bei einem makabren Anwesenheitsappell die fehlenden Gruppenmitglieder durch.

Eva – tot.

Elliot – tot.

Inigo – weg, und niemand weiß, was aus ihm geworden ist.

Ani – tot.

Nur sechs von uns sind noch übrig. Ich, Rik, Miranda, Carl, Tiger und Topher.

Topher. Irgendwie lande ich immer wieder bei ihm. Denn es stimmt, was Miranda gesagt hat – die Leute wollen nicht wahrhaben, dass Topher ein sehr starkes Motiv gehabt hätte, Eva zu töten. Im Grunde hatte er mit Abstand das beste Motiv.

Dieser Gedanke sollte mir eigentlich im Herzen wehtun. Topher – der mich aus einem ganzen Haufen cleverer, schlanker Uniabsolventinnen ausgewählt und mir die erste Chance meines Lebens gegeben hatte. Topher – der für mich eingetreten war, der mich unterstützt hatte, der dafür gesorgt hatte, dass ich die Anteile bekam, die mir seither wie ein Bleigewicht um den Hals hängen. Topher – nur seinetwegen bin ich hier.

Und vielleicht liegt es genau daran, denn dieser Gedanke schmerzt nicht im Geringsten. Ich fühle nichts – rein gar nichts.

Wegen Topher wurde ich in all das hineingezogen, das ich nie gewollt und um das ich nie gebeten habe. Topher und Eva haben von zwei Seiten an mir gezogen und mich wie eine Schachfigur benutzt, während sie um die Vorherrschaft bei Snoop kämpften.

Ich weiß genau, was Topher bezweckt hat, als er mir zu den Anteilen riet. Er wollte zwei Prozent der Firma einem Menschen übergeben, den er unter Kontrolle hatte. Ich war seine Rückversicherung, falls sich Eva und Rik gegen ihn verschwören sollten. Das entscheidende Zünglein an der Waage.

Topher hatte geglaubt, ich sei Wachs in seinen Händen. Weich. Formbar. Fügsam. Er hatte es geglaubt, weil er mich so

In Tophers Welt haben Menschen einen harten, blankpolierten Panzer, hinter dem sie ihre Ängste und Unzulänglichkeiten verbergen.

Topher hat einen Fehler gemacht. Er hat nicht erkannt, dass es bei manchen Menschen genau umgekehrt ist. Eva hingegen … ich glaube, sie hat es begriffen. Und womöglich hat genau das sie letztlich getötet.