Snoop-ID: ANON101
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Habe ich einen Fehler gemacht? Erins Spuren enden jäh an einer Kante, hinter der es steil in eine tiefe Rinne geht. Die Schlucht liegt im Schatten, ich kann nicht bis auf den Grund sehen. Dort unten kann alles Mögliche lauern – schartige Felsen, ein Bergbach, ein tiefer Abgrund …
Doch als ich genauer hinschaue, erkenne ich Spuren im Schnee. Etwas – oder jemand – war dort unten. Wer außer einer Bergziege könnte einen solchen Abhang bewältigen? Doch dann gewöhnen sich meine Augen an die Schatten, und ich entdecke zwei tiefe Furchen im Schnee, die aussehen, als hätte sich jemand auf seinen Skiern zurückgelehnt, um vor der nächsten Kurve Atem zu holen.
Ich stehe zögernd da und überlege, was ich tun soll. Erin kann unmöglich mit einem gebrochenen Knöchel dort hinuntergefahren sein. Das wirkt auch auf jemanden, der Erfahrung abseits der Piste hat, selbstmörderisch.
Aber die Spuren führen zweifellos hierher. Und enden hier. Ist sie vielleicht hinuntergeklettert? Nein. Wer immer dort unten war, trug Skier. Ist sie hinuntergefallen? Falls ja, könnte dies die Lösung meiner Probleme sein.
Oder ist es irgendein ausgeklügelter Trick?
Ich schaue mich um, kann aber keine Anzeichen für eine Täuschung entdecken. Es gibt nur zwei Spuren, die zu dieser Felskante führen, Erins und meine eigenen, und keine führt von hier weg. Außerdem hätte sie gar nicht genügend Zeit gehabt, um einen auf Sherlock Holmes zu machen. Wäre sie in ihren Abdrücken zurückgegangen, um eine falsche Spur zu legen, hätte sie mir entgegenkommen müssen.
Auf dieser Route muss man nach Saint-Antoine gelangen können. Und irgendwie hat Erin es geschafft, da hinunterzuklettern.
Nun ja, was sie kann, kann ich auch.
Aber ganz bestimmt nicht auf Skiern. Es ist mir egal, ob Erin es gemacht hat – ich habe nicht genügend Erfahrung, um mich in einem derart steilen Gelände zu bewegen. Ich löse die Bindungen, nehme die Skier in eine Hand, setze mich auf die Kante und lasse mich vorsichtig in den weichen Schnee hinunter, um den Steilhang zu Fuß zu bewältigen.
Ich erkenne sofort, dass es ein Fehler war. Ohne die Skier, auf denen sich mein Gewicht verteilt, sinke ich tiefer und tiefer in die Verwehung. Ich kämpfe mich hoch, taste nach einem Halt, stütze mich auf die Skier, doch noch während ich mich abmühe, verrutscht der Schnee unter meinen Füßen. Er gibt unvermittelt nach, und wir schlittern in furchterregendem Tempo den Hang hinunter – ich, meine Skier und die rutschigen Schneemassen. Zunächst kann ich mich aufrecht halten und sehen, wohin die Reise geht, mich von den Bäumen fernhalten, die Talfahrt bremsen – bis mein Schuh an einem Felsen hängenbleibt. Jetzt kann ich nicht mehr stoppen. Der Schnee drückt von hinten. Ich stürze kopfüber. Meine Skier werden weggerissen. Ich falle – falle in einem furchterregenden, weißen Wirbel aus Schnee und Steinen und Skiern.
Ich halte die Arme über meinen Kopf. Etwas trifft meine Wange, meine Schulter prallt gegen etwas Hartes. Ich glaube, ich schreie. Ich glaube, ich muss sterben. So will ich nicht sterben.
Dann trifft mich ein mächtiger dumpfer Schlag, und ich liege reglos da.
Ich liege auf dem Rücken, mit dem Kopf nach unten, Blut läuft heiß über meine Wange. In meiner Schulter pulsiert es. Ich fürchte, ich habe mir das Schlüsselbein gebrochen.
Ich will mich aufsetzen, aber der Schnee unter mir ist trügerisch, und ich unterdrücke einen Schrei, als ich wieder ins Rutschen gerate. Doch ich schlittere nur einen guten Meter und bleibe dann keuchend und schluchzend vor Angst liegen. Dann merke ich, dass ich fast am Fuß des Abhangs bin. Unter mir verläuft ein Weg. Einer meiner Skier liegt quer darauf.
Langsam und unter Schmerzen drehe ich mich, sodass meine Schuhe abwärts zeigen, und rutsche das letzte Stück hinunter. Dann bin ich unten und weine fast vor Erleichterung.
Der ganze Körper tut mir weh. Ich schmecke Blut. Aber ich bin unten. Und nun, da ich den verschatteten Grund der Klamm erreicht habe, erkenne ich, dass ich recht hatte. Die Erkenntnis löst eine leise Erregung in mir aus, die mich von der pochenden Schulter ablenkt.
Denn ich sehe Spuren von Skiern, die talwärts Richtung Saint-Antoine führen. Zwei parallele Furchen tief im Schnee, gesäumt von Löchern, wo sich die Skistöcke hineingebohrt haben.
Erin war tatsächlich hier. Und wenn ich mich beeile, hole ich sie ein.