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E rst in meinem alten Ford schlüpfe ich wieder in die Jeans; das Kleid hat Blutspritzer abbekommen, ich werfe es auf den Rücksitz, wo die Tasche mit meinem Notebook liegt.

Dann schalte ich für ein paar Minuten Boris’ Handy ein. Voller Angst, denn Jaro und Janina werden wohl noch in der Nähe sein, vielleicht haben sie sogar noch zusätzliche Leute herkommandiert. Aber es wäre gut, wenn man denken könnte, Boris wäre gerade jetzt in der Gegend gewesen. Ein Ohr ist nur ein Ohr und kein sehr charakteristisches Körperteil. Ich hätte nichts dagegen, wenn auch bei Jaroslaw und Co Zweifel an seinem Tod aufkommen würden. Es würde meine Geschichte später überzeugender wirken lassen.

Obwohl ich unendlich erschöpft bin, fahre ich nicht auf direktem Weg nach Hause, sondern nehme mehrere Umwege, checke regelmäßig den Rückspiegel, um sicherzugehen, dass mich weder Karpins noch Malakyans verfolgen. Erst als ich dessen sicher bin, schlage ich die Route zum Südfriedhof ein.

In meiner Straße ist nichts mehr los; ich finde einen geräumigen Parkplatz und steige aus dem Wagen. Ich will nur noch schlafen, schlafen und morgen fit genug sein, um für Anastasia ein paar Texte zu formulieren, die Andrei seine Seelenruhe kosten sollen.

Im Aufzug riecht es nach Zwiebeln. Ich schlurfe zur Wohnungstür und habe den Schlüssel schon fast ins Schloss gesteckt, als mir meine eigenen Sicherheitsmaßnahmen einfallen. Lustlos gehe ich in die Hocke – und sehe das Haar zuerst gar nicht. Dann finde ich eine Hälfte, die noch am Türstock klebt.

Zerrissen. Das heißt, jemand hat die Tür aufgebrochen. Ich weiche Schritt für Schritt zurück, leise, umklammere den Schlüsselbund so, dass er nicht klimpert. Ist der Eindringling noch in der Wohnung? Und wenn ja, wer ist es? Im besten Fall Vera, aber darauf kann ich mich nicht verlassen.

Ich laufe die fünf Stockwerke nach unten; im Aufzug würde ich mich zu eingesperrt fühlen. Zurück zum Auto, Motor starten, losfahren.

Erst ein paar Kilometer weiter frage ich mich, ob meine Reaktion nicht übertrieben war. Haare reißen leicht. Nein, beschließe ich. Wenn ich meine eigenen Vorsichtsmaßnahmen nicht ernst nehme, kann ich sie mir gleich sparen.

Ich fahre, bis die Häuser ausgedehnten Feldern weichen. Finde einen unbefestigten Weg, der zwischen Waldrand und Wiese liegt – beides erinnert mich an meinen Unterschlupf in Wien. Das Abbruchhaus. Den einzigen Ort, an dem ich mich wenigstens für ein paar Stunden sicher gefühlt habe.

Zwischen Büschen und Bäumen parke ich den Ford, kippe den Beifahrersitz in Liegeposition und schließe die Augen. Sehe Janina vor mir, wie sie zärtlich nach Jaros Hand greift. Vadim, wie er mir nachhetzt. Wie er blutend auf dem Boden liegt. Ich werde nicht schlafen können, denke ich noch, dann denke ich nichts mehr.

Als ich die Augen wieder aufschlage, ist der Himmel rosa und die Windschutzscheibe nass vom Tau. Nach einem ersten verwirrten Augenblick erinnere ich mich, warum ich hier draußen bin, und etwas Zweites wird mir ebenfalls klar: Ich kann auch jetzt nicht zurück in meine Wohnung. Das einzig Gute ist, dass ich alles Wichtige mit mir führe: Telefon, Notebook, Geld.

Ich starte das Auto und hänge mein Handy ans Ladekabel. Öffne die Fotos. Im Licht des Morgens wirken die Bilder von Vadim doppelt grausam. Ich frage mich, ob er noch lebt. Ob ich ihm das überhaupt wünschen soll. Ob Jaroslaw nach ihm sucht.

Kurz darauf gerate ich in den täglichen Stau auf der Autobahn, der erstaunlich beruhigende Wirkung auf mich hat. Niemand kann an mich heran. Es ist ein guter Zeitpunkt, um Boris’ Handy wieder online gehen zu lassen.

Zwei Signaltöne: eine Nachricht von Janina. Eine von Jaro. Von Andrei nur Schweigen.

Ich fahre bis nach Gießen und kaufe mir Frühstück in einem Café, das WLAN hat. Bei Cappuccino und Croissant verfasse ich ein paar Texte für Anastasia, mit der Bitte, sie wieder so schnell zu übersetzen wie bisher immer.

Vierundfünfzig Prozent Akkuladung hat mein Notebook noch. Sparsam sein, ermahne ich mich selbst, während ich Janinas und Slawas Nachrichten an Boris durch den Translator jage.

Vadim ist seit gestern Abend verschwunden , schreibt Janina. Er hat »Verräterin« geschrien und ist einer Frau nachgerannt, die Slawa zu kennen schien, er sie aber nicht. Interessant, nicht wahr? Versuch doch mal, mehr darüber rauszufinden. Und vergiss Alexander nicht, es wird Zeit. Er ist nervös, er wird etwas Dummes tun .

Interessant findet sie das also. Es klingt auch, als ginge sie ganz selbstverständlich davon aus, dass Boris noch lebt. Und er soll mehr rausfinden … über die Frau. Denkt Janina in die richtige Richtung? Vermutet sie mich tatsächlich in Frankfurt?

Das wäre fatal. Aber es ist nicht ausgeschlossen; ich habe das Gefühl, die Schlinge um meinen Hals zieht sich mit jedem Tag enger, irgendwann werde ich mein Glück überstrapazieren. Ich sollte die Sache zu Ende bringen, so schnell es geht.

Jaro werde ich fürs Erste links liegen lassen. Der Vollständigkeit halber schicke ich seine Nachricht noch durch die Software – auch er schreibt von Vadims Verschwinden und meldet noch einmal Zweifel an, ob ich wirklich Boris bin. Das ist im Augenblick egal.

Umso ungeduldiger warte ich aber darauf, dass Anastasia ihre Arbeit über MyBazar abliefert. Währenddessen scrolle ich durch meine Mails. Finde die letzte von Tassani.

Geht es Ihnen gut?

Ich habe ihm darauf geantwortet, von ihm aber nichts mehr gehört. Trotzdem, er war seit Wochen der Einzige, der sich für mein Befinden interessiert hat. Wieder würde ich am liebsten losheulen. Aber ich atme nur ein paarmal tief ein und aus. Lege dann die Finger auf die Tastatur.

Falls Sie es wissen möchten, es geht mir immer noch furchtbar. Ich glaube nicht, dass ich noch lange zu leben habe, aber sollte ich die nächsten Tage überstehen, werde ich Ihnen irgendwann eine Geschichte erzählen, die Sie um den Schlaf bringen könnte.

Sie haben mir auf meine letzte Mail nicht geantwortet. Geht es Ihnen denn gut? Ich wünschte, ich wäre in Wien und könnte sehen, wie die Blätter der Friedhofsbäume bunt werden.

Passen Sie auf sich auf!

C.

Mein Cappuccino ist ausgetrunken und die Akkuladung des Notebooks auf vierunddreißig Prozent gesunken, als Anastasias Übersetzung endlich eintrifft. Harter Stoff, dein Buch , steht als Kommentar dabei.

Stimmt , antworte ich und füge gleich noch einen weiteren Text an. Den bitte auch noch, du bist ein Schatz, danke .

Dann ist es so weit. Boris wird Andrei jetzt etwas schicken, das ihn in seinem Exil ein wenig aus der Ruhe bringen soll. Ich öffne die Nachrichten-App und füge alle drei Fotos von Vadims verdrehtem Körper und seinem zerschmetterten Gesicht ein. Der Text dazu lautet:

Dein Bruder hat mir seinen Bodyguard auf den Hals gehetzt, aber der hat mich unterschätzt. Vadim sollte mich töten, doch nun war es umgekehrt. So leicht lasse ich mich nicht beiseiteschaffen, ich werde mich niemals auf die Seite der Verräter stellen!

Bald habe ich bessere Neuigkeiten für dich. Nicht mehr lange, und wir sehen uns wieder. Boris

Das sollte diesmal für echten Aufruhr bei den Karpins sorgen. Ein Toter und dessen bekennender Mörder, beide aus den eigenen Reihen. Wenn Andrei mitbekommen hat, dass Vadim bei Jaro besonderes Vertrauen genießt, muss meine Version ihm plausibel vorkommen.

Im Nachhinein betrachtet war es schon richtig, dass Robert für mich immer Decknamen gefunden hat, bei denen Schachfiguren Pate gestanden haben. Bauer, Springer – jetzt König, obwohl ich mir den letzten selbst gegeben habe. Ich fühle mich, als würde ich eine gewaltige Schachpartie bestreiten, bei der ich ständig Figuren opfere, um selbst nicht mattgesetzt zu werden.

Doch nach dem unfreiwilligen Zug gestern muss der König ein wenig in Deckung gehen. Die Frage ist nur, wo, meine Wohnung ist bis auf Weiteres tabu. Notfalls könnte ich mir ein Hotel suchen. Oder …

Diesmal nehme ich mein eigenes Handy heraus und durchsuche die sehr kurze Liste mit den Kontakten. Mia, Ärztin, ist schnell gefunden. Ich tippe die Nummer an, und schon nach dem zweiten Klingeln hebt Mia ab. Im Hintergrund höre ich das Baby schreien. Oskar, erinnere ich mich, es heißt Oskar.

»Hallo, hier spricht Carolin. Erinnerst du dich noch an mich? Ich habe dir den Kinderwagen abgekauft.«

»Ca… – ja, natürlich. Alles okay? Stimmt etwas mit dem Wagen nicht?«

»Doch doch, alles bestens. Mir ist nur eingefallen, dass du damals gesagt hast, du bräuchtest eine Babysitterin. Gilt das noch?«

»Ja! Hast du etwa doch Zeit?«

»Ja, und leider habe ich auch einen Wasserrohrbruch im Haus. Wenn ich die nächsten zwei Tage bei dir unterkommen könnte, würde ich gratis auf Oskar aufpassen. Ich weiß, das ist überfallartig, aber meine Schwester hat keinen Platz für Übernachtungsgäste, und ich dachte, es wäre vielleicht eine Win-win-Situation.«

Sie zögert nur kurz. »Ich finde, das klingt super, aber ich würde dir auch so helfen, ohne Babysitten. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in einer Stadt neu ist. Und dann auch noch ohne Job. Wenn du magst, kannst du gerne gleich kommen.«

»O-okay.« Mit einer so schnellen Zusage habe ich nicht gerechnet, und kaum habe ich aufgelegt, melden sich Bedenken. Kann ich es wirklich riskieren? Ich bin gewissermaßen ein lebendiger Sprengsatz – darf ich mir von unbeteiligten, arglosen Menschen helfen lassen? Noch dazu, wenn ein Kind mit im Spiel ist? Habe ich vergessen, was mit Norbert passiert ist?

Ich bin bereits versucht, noch einmal anzurufen und alles abzublasen, doch stattdessen schalte ich das Handy aus. Das von Boris habe ich längst vom Netz genommen, und nun deaktiviere ich auch das WLAN des Notebooks. Die nächsten zwei Tage werde ich nichts davon benutzen, schwöre ich mir. Niemand wird mich in Rödelheim orten können, und wenn jemand in meiner Wohnung wartet, kann er dort versauern.

Aber ich gehe auf Nummer sicher. Ich fahre zwei Stunden lang kreuz und quer durch Hessen und stelle mein Auto schließlich einen halben Kilometer von Mias Adresse entfernt ab. Ich werde es diesmal richtig machen. Niemanden in Gefahr bringen, aber zwei Tage Kraft tanken und mich innerlich auf das vorbereiten, was danach kommt. Ich habe Andrei ein Versprechen gegeben, und ich gedenke, es zu halten.

Es gibt wieder Kuchen. Oskar krabbelt entweder auf dem Boden herum, oder er sitzt da und beißt in einen roten Plüschball. Weil er zahnt, wie Mia mir erklärt. Sie rührt Hafermilch in ihren Kaffee und strahlt mich an. »Wie geht es Vera?«

Ich zucke zusammen, ich kann es nicht verhindern. Vera, wieso denn Vera, wie kann Mia sie …

Dann fällt der Groschen. Bei meinem ersten Besuch habe ich meine fiktive Nichte Vera getauft und es völlig vergessen. Die nichtexistente Tochter meiner nichtexistenten Schwester. »Gut. Gut geht es ihr. Sie ist wirklich groß für ihr Alter.«

Mia lächelt zufrieden und erzählt mir davon, dass sie schon in zwei Wochen wieder im Krankenhaus arbeiten soll und sich das noch gar nicht vorstellen kann. So viel Zeit ohne Oskar zu verbringen. Aber ihr Mann wäre dann wieder mehr in Frankfurt, außerdem gäbe es direkt im Haus Kinderbetreuung, zum Glück. Sie würde ohnehin nur halbtags …

In der ersten Stunde werfe ich noch regelmäßige Blicke durch die breite Glasfront zum Garten und zur Straße hin. Danach lasse ich es gut sein. Wenn ich nicht plötzlich anfange, dumme Fehler zu machen, wird niemand mich hier aufstöbern.

Mich vernünftig zu verhalten fällt mir aber schon bald schwerer als gedacht, denn eigentlich brenne ich darauf, Andreis Reaktion auf die Fotos zu sehen. Doch das muss warten. Zwei Tage werde ich nichts von ihm und wird er nichts von mir hören. Hoffentlich macht ihn das genauso nervös wie mich.

Am Nachmittag kümmere ich mich um die Blumen in Mias Garten. Ihre Glockenblumen stehen für Beständigkeit, der Lavendel, um den die Bienen kreisen, für Schutz und Abwehr. Ich nehme das als gutes Omen und ignoriere das Beet mit den Tagetes, den Totenblumen, die mich unwillkürlich an Robert denken lassen. Nach der Sache in München hat er mir einen ganzen Strauß davon geschickt, aber ich lebe immer noch. Er nicht mehr wirklich.

Mia freut sich, dass sie in Ruhe einkaufen gehen kann, sie hat Oskar für sein Mittagsschläfchen hingelegt, und ich setze mich ins Wohnzimmer und räume seine verstreuten Spielsachen in eine Kiste. Ich muss mich beschäftigen, sonst halte ich meine guten Vorsätze nicht durch. Ich bin sicher, Andrei hat die Fotos schon gesehen. Wahrscheinlich hat er sich sofort mit seinem Bruder in Verbindung gesetzt, der ihm eine ganz andere Geschichte erzählen wird.

Glaubt Andrei ihm? Oder mir? Er hat einen Hang zum Verfolgungswahn – reicht der Köder, den ich ihm hinwerfe, damit er mir in die Falle geht?

Vielleicht nicht. Aber in zwei Tagen setze ich einen drauf, und dann muss er reagieren. Auf die eine oder andere Art.

Irgendwann fängt Oskar an zu weinen, ich hole ihn aus seinem Bett, mache das Fläschchen warm, das Mia vorbereitet hat, und füttere ihn. Er saugt und sieht mich aus großen, dunkelblauen Augen an, während ich ihn schaukle und Dorogoi Dlinnoju singe. Danach, zum Ausgleich, Twinkle, twinkle litte star , und kurz darauf kommt schon Mia zurück.

Wir verbringen einen fröhlichen Abend, an dem ich keinen Schluck Wein trinke, weil ich Angst habe, er könnte meine Vernunft lahmlegen. Dafür schlafe ich auch schlecht, fürchte bei jedem Knacken oder Rascheln, es könnte ungeachtet der modernen Alarmanlage jemand ins Haus eingebrochen sein, und fühle mich am nächsten Morgen, als wäre ich trotz allem verkatert.

An diesem Tag ist es noch schwieriger durchzuhalten, ohne schwach zu werden. Es kann sich so viel ereignet haben, seit ich gestern alle meine Geräte abgeschaltet habe. Was, wenn die Malakyans Vadims Überreste bereits abgeliefert haben? Ein paar Finger, ein Auge oder den ganzen Körper, eingequetscht in einem der Autowracks?

Wäre egal, sage ich mir. Was Jaro und die anderen denken, spielt keine Rolle. Wichtig ist, wem Andrei glaubt, und das werde ich sein. Muss ich sein.

»Alles okay bei dir?«, erkundigt sich Mia und legt mir eine Hand auf den Unterarm. »Hättest du lieber etwas anderes zum Frühstück?«

Ich zwinge blitzartig ein Lächeln in mein Gesicht. »Nein, alles gut. Nur ein bisschen Magendrücken, aber das hab ich öfter. Gastritis, nichts Schlimmes.«

Sie springt sofort auf, verschwindet im Badezimmer und kommt mit einer blau-weißen Pillenschachtel zurück. »Hier, das sind Kautabletten, rezeptfrei. Zwei am Tag, und du solltest Ruhe haben. Aber ich würde dir bei Gelegenheit zu einer Gastroskopie raten, ich kann dir eine sehr gute Kollegin empfehlen!«

Ich drücke eine Pille aus dem Blister und stecke sie in den Mund; nehme mir gleichzeitig vor, besser auf mein Pokerface zu achten.

»Würdest du heute Vormittag bei Oskar bleiben? Ein paar Freundinnen treffen sich zum Sektfrühstück, da war ich ewig nicht mehr dabei, mit Kind fühle ich mich dort total fehl am Platz. Um eins bin ich spätestens zurück.«

Ich nicke, und eine halbe Stunde später ist sie fort. Ihren Vorschlag, doch mit Oskar spazieren zu gehen, werde ich mir sparen, aber wir setzen uns hinter dem Haus in die Wiese und gehen beide konzentriert unseren Beschäftigungen nach. Oskar rupft mit seinen kleinen Fäusten Grashalme aus, ich schreibe eine Einkaufsliste.

Als Mia zurückkommt, will sie mir Geld aufdrängen, aber ich winke ab. »Beim nächsten Mal«, sage ich. »Ich habe vorhin mit meiner Hausverwaltung telefoniert, die Rohre sind geflickt, ab morgen werde ich versuchen, meine Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen. Aber … so in einer Woche habe ich sicher wieder Zeit.« Wenn ich dann noch lebe, füge ich in Gedanken hinzu. Lasse mich von ihr umarmen, mit schlechtem Gewissen.

»Oskar mag dich, weißt du?«, strahlt sie.

Ich mag Oskar auch. Deswegen haue ich am nächsten Morgen ab, so früh wie möglich.

Was ich vorhabe, würde ich am liebsten zu Hause durchziehen, aber ich wage mich immer noch nicht in meine Wohnung. In der letzten Nacht ist eine aberwitzige Idee in mir gereift, von der ich noch nicht weiß, ob sie machbar ist, aber einen Versuch ist sie wert.

Mein Auto steht da, wo ich es abgestellt habe. In einem unbeobachteten Moment lege ich mich flach daneben auf den Boden und spähe unter die Bodenplatte. Keine festgetapte Bombe, keine verdächtigen Kabel.

Ich setze mich hinters Steuer und fahre los. Die Einkaufsliste habe ich zusammengefaltet in der Hosentasche, der erste Posten darauf ist ein Spiegel, groß genug, dass ich zumindest Kopf und Oberkörper darin sehen kann. Ich bekomme ihn günstig bei einem Möbeldiscounter, danach geht es weiter zu einer Modekette, bei der ich zwei Jeans und fünf helle T-Shirts erstehe.

Für meinen letzten Einkauf muss ich googeln. Ich werde wieder eine Zoohandlung brauchen und finde eine in Bornheim, die das führt, was ich suche.

Ein Liter Rinderblut kostet sieben Euro und hält sich drei bis vier Tage. »Sie haben einen schwierigen Hund?«, fragt mich die Verkäuferin.

»Ja. Zwei sogar. Verwöhnte Setter. Lassen die vollen Näpfe stehen, wenn der Inhalt nicht nach ihrem Gusto ist, aber seitdem ich den Trick mit dem Blut entdeckt habe …«

Die Verkäuferin nickt verständnisvoll. »Ja, das ist appetitanregend, nicht wahr?«

Appetitanregend. Ich lächle gezwungen, kaufe zur Sicherheit drei Liter und mache mich dann auf den Weg in den Drogeriemarkt. Flüssigseife, Reinigungstücher, Schminke in Rot- und Blautönen und eine Packung Wattepads.

Ich glaube nicht, dass ich etwas vergessen habe, checke meine Liste noch einmal und seufze. Drei Posten habe ich nicht notiert, weil ich mich um die gern drücken würde. Aber es hilft nichts. Ich packe Rasierklingen, Wunddesinfektion und Pflaster mit in den Korb. Damit stelle ich mich an die Kasse.

Die Requisiten zu besorgen war der einfachste Teil des Plans. Was jetzt kommt, ist viel schwieriger: Ich muss den Weinkeller wiederfinden, der den Malakyans als Hinrichtungsstätte dient. Den Weg dorthin habe ich voller Panik im Heck des Lieferwagens verbracht, aber den Rückweg bin ich selbst gefahren. Ich weiß, dass ich an Darmstadt vorbeimusste, und erinnere mich an den Supermarktparkplatz, an dem ich haltgemacht habe, um mich zu orientieren.

Mein Handy hat noch ein wenig Akku, ich gehe damit ins Netz und öffne Maps. Finde den Supermarkt und suche die Gegend ab. Irgendwo zwischen Zwingenberg und Bensheim muss der Keller sich befinden. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mein Glück zu versuchen.