23 Über die Zicker Berge

UNTERWEGS MIT DEM NATURFÜHRER

Die Natur mit allen Sinnen genießen: Riechen, Fühlen, Schmecken. Das ist Teil einer ganz besonderen Erlebniswanderung mit Naturführer René Geyer über die Halbinsel Groß Zicker.

Seit vielen Jahren engagiert sich der gebürtige Rüganer als Naturschutzwart und Bodendenkmalpfleger im UNESCO-Biosphärenreservat Südost-Rügen. René weiß nicht nur (fast) alles über die Pflanzen und Tiere, er kennt auch viele Sagen, Mythen und Geschichten aus der Region.

Los geht es im Örtchen Groß Zicker. Bei einem kleinen Spaziergang entlang der Boddenstraße kommt man am Pfarrwitwenhaus aus dem Jahr 1720 vorbei, einem der ältesten Häuser von Rügen. Es gehört zu den sieben Mönchguter Museen und beherbergt im Sommer wechselnde Ausstellungen. Am Ende der Straße steht der Gasthof Taun Hövt. Dort ist der Treffpunkt am Schlagbaum. Die Räder hier bitte abstellen, denn Radfahren im Naturschutzgebiet „Zicker Berge“ ist streng verboten.

René Geyer stützt sich auf einen riesigen, selbst geschnitzten Wanderstab und erklärt: „Seit 1990 hat dieses Land keine Chemiekeule mehr gesehen.“ Davor war es lange anders. Die Landschaft mit ihren sanften Hügeln ist in der letzten Eiszeit entstanden. Sie besteht vor allem aus Buschwerk und Trockenrasen, der eine überaus seltene Artenvielfalt besitzt. Schon als kleiner Junge sprang René hier über die Wiesen, hat sich in die Äste einer alten Eiche gesetzt, Waldkauz und Pirol gelauscht. Der einzige Rehbock der Gegend heißt bei ihm immer noch Friedrich. Im Frühjahr sind die Wiesen voller Schlüsselblumen, im Sommer blühen Orchideen und im Herbst leuchtet die blaue Wegwarte. Seltener sind Sandstrohblume, Schwalbenwurz oder Acker-Wachtelweizen. René zeigt sie den Besuchern, zerreibt so manches Kraut mit den Fingern und lässt sie daran schnuppern. Aus manchen lassen sich Salben, aus anderen sogar Magenbitter herstellen. „Einst lebten hier die witten Wiwer,“ erzählt der Naturführer, „weder in anderen Teilen Rügens noch in Vorpommern waren sie zu Hause.“ Die „witten Wiwer“ waren kleine schneeweiße Erdgeister mit kurzen Röckchen und langen Bärten. Sie wohnten am Swantegard in Höhlen und warnten die Bewohner vor Unheil. Manch einem sollen sie noch bis in die jüngste Zeit erschienen sein; auch die kleinen Kreidemännchen sehen ja weiß aus.

Das Pfarrwitwenhaus

Naturführer René Geyer

Die Wanderung geht jetzt weiter zum Bakenberg, mit 69 Meter die höchste Erhebung der Halbinsel. Hier bekommt man einen schönen Blick auf die Boddenlandschaft, den man so schnell nicht vergisst. Wo kein Gras mehr ist, sind die Schafe, Rauhwollige Pommernschafe. Sie sind die Rasenmäher von Rügen. Die Rasse gab es schon vor 3800 Jahren, aber in den 1980er-Jahren waren sie fast ausgestorben. Angefangen mit 25 Tieren hat Joachim Westphal, nach der Wende wechselte er den Beruf, vom Bauingenieur zum Schäfer. Heute hat sein Sohn Frank rund tausend Pommernschafe. Sie übernehmen inzwischen die Landschaftspflege nicht nur auf Groß Zicker. Nur so bekommen seltene Pflanzen genug Licht, die ziehen wiederum zahlreiche Insekten an und davon leben dann Bodenbrüter wie die Schafstelze. Die Pommernschafe liefern außerdem noch ihre Wolle für ein junges, erfolgreiches Start-up, die „Nordwolle Rügen“. Die Betreiber verarbeiten alles zu hochmoderner Outdoorkleidung, die sogar der Polarforscher Arved Fuchs trägt.

Die Rasenmäher von Rügen

René Geyer empfiehlt am Schluss der Wanderung: „Gehen Sie mal ins Grauland! Groß Zicker liegt ja im Sonnenland, dort leben die Zickerschen und dort steht die Kirche, zu der auch die Gagerschen gehen, die im Grauland wohnen, im Schatten der Hügel.“ Die Gagerschen wohnen in einem kleinen Fischerdorf auf der Nordseite und auch hier ist viel passiert in den letzten Jahrzehnten. Militärunterkünfte, Blechgaragen und eine abgedankte Bootswerft sind verschwunden, stattdessen stehen da schmucke Ferienhäuschen, ein Jachthafen und eine Strandbar. Die Attraktion aber sind die kleinen Fischerhäuschen im Hafen. Ab zehn Uhr laufen die Kutter mit fangfrischem Fisch ein, der wird direkt an die Kundschaft verkauft. Leider sind von den einst 121 Mitgliedern der Fischereigenossenschaft Gager nur noch vier übrig. Einer davon ist Thomas Koldevitz und der erklärt den Besuchern gern, wie Fischfang heute auf Rügen funktioniert.

Info

Lage: Die Zicker Berge sind Teil des Biosphärenreservats Südost-Rügen im Südosten der Insel.

Aktivitäten:

Geführte Wanderung mit René Geyer: leichter Rundwanderweg von und nach Groß Zicker etwa sieben Kilometer; naturgeyer.de

Weitere Naturwanderungen: www.biosphaerenreservat-suedostruegen.de

Schiffstouren auf den Greifswalder Bodden, Robbentouren, Abendfahrten, Fahrradfähre nach Usedom: ab Hafen Gager, boddenreederei-ruegen.de

Fischereibetrieb Thomas Koldevitz & Florian Koldevitz: frischer Fisch direkt vom Kutter; Am Hafen, 18586 Gager, Tel. 038308 30162,
myfish-ostsee.de/person/thomas-koldevitz.html

Einkehr:

De Wienkist: Flammkuchen, Tapas, leckere Weine; Boddenstraße 16, 18586 Gager OT Zicker, Tel. 0151 46247065

Fischräucherei Dumrath: Fischbrötchen und Räucherfisch. Boddenstraße 25, 18586 Gager OT Groß Zicker, Tel. 038308 30004

Unterkünfte:

Taun Hövt: Appartements und Restaurant mit regionaler Küche; Boddenstraße 61, 18586 Gager OT Groß Zicker, Tel. 038308 5420, taun-hoevt.de

Pension Fröhlich: gutes Preis-Leistungs-Verhältnis; Zum Höft 33, 18586 Gager, Tel. 038308 8250, pensionfroehlich.de