AUFERSTANDEN AUS RUINEN
Prora, das ist vor allem ein riesiger Betonklotz zwischen Kiefern und Meer. Die „größte Immobilie der Welt“, so bewarben es die Makler. Kein Ort auf Rügen hat sich in den letzten zehn Jahren so verändert, nirgendwo gab es so hochtrabende Pläne. 10.000 Menschen sollen hier zukünftig wohnen oder Ferien machen, zwei Seebrücken will man bauen und eine Marina. In dieser Dimension erinnert es fast an seinen Ursprung.
„Seebad der 20.000“ so war es von den Nazis angedacht. Eine Unterorganisation der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) war die Bewegung „Kraft durch Freude“ (KdF) mit dem Anspruch zur „Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft aller Deutschen“. Dazu zählte man auch die „gesunde Volkserholung“. Das größte Projekt der Organisation sollten fünf gigantische Seebäder werden. Der Grundstein für den ersten Prototyp wurde 1936 in Prora gelegt, der Architekt war Clemens Klotz. „Nomen est omen“ könnte man sagen zu dem riesigen Betonklotz am Strand, irgendetwas zwischen Moderne und Größenwahn. Insgesamt waren es acht sechsgeschossige Blocks, jeweils 500 Meter lang. Dazwischen sollte es Liegehallen, einen Hafen und Konzertsäle geben. Als die Nazis jedoch 1939 den Krieg begannen, wurden die Bauarbeiten eingestellt, man brauchte die Männer andernorts.
1948 bis 1953 wurden Block I und teilweise auch die Blöcke VII und VIII gesprengt. Ab 1956 fand dann die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR das Objekt interessant. Durchschnittlich waren 13.000 Soldaten hier stationiert, weiterhin eine Fallschirmjägereinheit und eine Offiziersschule, wo auch Militärs aus den sogenannten „jungen Nationalstaaten“ ausgebildet wurden. Das ganze Gelände war Sperrgebiet. Eine Besonderheit waren die außergewöhnlich vielen Bau- oder Spatensoldaten in Prora, teilweise bis zu 600 Mann. Ihr Einsatzort: die Baustelle des Containerhafens Neu Mukran. Da es in der DDR keinen zivilen Wehrersatzdienst gab, kam es nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht ab 1962 zu massiven Widerständen. Die DDR-Führungsriege musste sich etwas einfallen lassen. So wurde es möglich, ab 1964 aus religiösen oder pazifistischen Gründen den Dienst an der Waffe zu verweigern, aber man wurde trotzdem 18 Monate eingezogen. Bausoldaten sollten an „Schwerpunktbereichen der Volkswirtschaft“ arbeiten, häufig waren das die umweltschädlichsten Industrievorhaben. Insgesamt gab es in der DDR rund 15.000 Bausoldaten, dabei waren viele Bürgerrechtler und Künstler wie der Liedermacher Gerhard Schöne, der Schriftsteller Jürgen Rennert oder der Grünenpolitiker Werner Schulz.
Nach der Wende kam es in Prora zu einer Zwischennutzung durch die Bundeswehr, danach stand der Koloss von Prora weitestgehend leer, aber unter Denkmalschutz. Allerlei Künstler zogen in die verfallenen Gebäude, über 40 kleine Museen entstanden, eine interessante Subkultur. Ab 2004 begann der Bund einzelne Blöcke zu verkaufen. 2012 konnte die erste Musterwohnung besichtigt werden. Innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelten sich die Grundstückspreise, trotzdem wurden bereits alle Blöcke verkauft, manche schon mehrfach. Die Gebäude sind jetzt fast komplett saniert.
Das Areal besteht aus den restlichen fünf Blöcken, wobei Block I der südlichste ist. Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist sehr gut, sowohl mit der Bahn als auch mit dem Bus oder der Bimmelbahn von Binz, dem Prora-Express.
Es gibt das Dokumentationszentrum Prora und Prora-Zentrum, beide Vereine bieten Führungen an. Block I ist eine reine Appartement- und Hotelanlage, in Block II gibt es unter anderem ein italienisches Restaurant, ein Café und einen Bäcker. Hinter Block III befindet sich der Kletterwald Prora, dahinter die Ausstellung „MACHTUrlaub“ des Vereins Dokumentationszentrum Prora. Es ist die ausführlichste Ausstellung zum Thema Architektur des KdF-Bades mit einem Modell. Am Anfang von Block IV findet man die Sandskulpturen-Ausstellung sowie das Oldtimer-Museum. Block V ist im vorderen Teil noch im Bau, im hinteren Teil ist eine Jugendherberge mit Fahrradverleih und Café. Unweit des Blocks V gibt es das moderne Museum Prora-Zentrum in einem ehemaligen Pförtnerhaus, die Ausstellung beschäftigt sich mit der neueren Geschichte, u. a. mit den Bausoldaten.
In Zukunft soll zwischen Block IV und V ein neues gemeinsames Bildungs- und Dokumentationszentrum entstehen, seit 2017 sind die Vereine in einem Dachverband im Austausch. Ansonsten darf man gespannt sein, wie sich Prora in Zukunft entwickelt.
Info
Lage: Prora gehört zu Binz und liegt drei Kilometer nördlich der Seebrücke.
Aktivitäten:
•Prora-Zentrum: Bildung-Dokumentation-Forschung, NS-Zeit, Bausoldaten, NVA, 90-minütige Führungen; Fünfte Straße 6, bei der Jugendherberge/Block V, 18609 Ostseebad Binz OT Prora, Tel. 038393 1277921, prora-zentrum.de
•Dokumentationszentrum Prora: Dauerausstellung „MACHTUrlaub“, Propaganda und Architektur der NS-Zeit, täglich Führungen; Dritte Straße 4, Block 3, 18609 Ostseebad Binz OT Prora, Tel. 038393 13991, prora.eu
•Sandskulpturen-Festival: jedes Jahr ein neues Thema; im Glaspalast, Neue Mitte Prora, Vierte Straße 4, 18609 Ostseebad Binz OT Prora, Tel. 038393 123704, sandfest-ruegen.de
Einkehr:
•Café Strandläufer: bester Kaffee, selbst gebackener Cheesecake und immer freundliche Bedienung; Südstraße 204, 18609 Ostseebad Binz OT Prora, Tel. 038393 589741, cafe-strandlaeufer-prora.business.site
Unterkunft:
•Jugendherberge Prora: mit Zeltplatz, große, aber saubere Jugendherberge, Fahrradverleih. Nordstrand 507-509, 18609 Ostseebad Binz OT Prora, Tel. 038393 66880,
jugendherberge.de/jugendherbergen/prora-720/portraet/