Die Soldaten im Bus sangen aus vollem Hals: Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand, kommt wieder heim aus dem fremden Land. Erst als ein Baby zu schreien begann, verstummten sie. Tekla beobachtete die Frau, die ihr Kind zu beruhigen versuchte. Sie knöpfte sich die Bluse auf, legte das Kind an und bedeckte sich selbst und den kleinen Kopf mit dem Schal, den sie um ihren Kopf geschlungen hatte. Die Haare waren ihr bis auf kurze Stoppeln abrasiert worden.
Tekla zog ihren eigenen Schal tiefer in die Stirn. Ich bin eine von ihnen, dachte sie. Eine Ausgestoßene. Eine Tyskertøs – ein »Deutschenmädchen«, eine Hure, eine Verräterin. Aber noch kann ich mich umentscheiden, aussteigen und zu Tante Amalie in Oslo reisen. Die Schande und die Demütigungen ertragen und abwarten, bis es vorbeigeht.
Als ob Otto ihre Gedanken gelesen hatte, nahm er ihre Hand. Nein, sie würde bei ihm bleiben. Tekla legte ihren Kopf auf seine Schulter und sah zu den anderen in dem überfüllten Bus. Es waren vor allem deutsche Soldaten, aber auch einige junge Norwegerinnen. Viele davon mit Kindern. Sie begegnete dem Blick eines kleinen Jungen. Er saß still da und sah sie mit ernster, fast ängstlicher Miene an. Er und seine Mutter reisten allein. Sie hielt ihn in ihrem Arm und sah durch das Fenster nach draußen. Manchmal hob er den Blick und sah sie an. Er hatte ein kleines, rotes Auto in der Hand, spielte aber nicht damit.
Der Fahrer musste an einem Hang herunterschalten, und das Getriebe antwortete mit einem unwilligen Kratzen. An der Tür stand ein norwegischer Soldat, der die Leute im Bus im Auge behalten sollte. Er lachte, als er für einen Moment das Gleichgewicht verlor.
Die Luft war schwer. Es roch nach Schweiß, Leder und nasser Wolle. Die Fenster waren beschlagen, draußen rann der Regen wie ein dünner Film über die Scheibe. Tekla sah Menschen und Gebäude vorbeigleiten, bis sie gleich darauf wieder von Feldern und Wald umgeben waren.
Sie wusste nur, dass sie in ein Lager in Mandal gebracht werden sollten. Wie lange sie dort bleiben mussten, bevor sie mit einem Schiff nach Deutschland gebracht würden, das wusste sie nicht.
»Wird dir schlecht?«, fragte Otto.
»Nein, nein, ich bin nur müde«, antwortete sie und schob ihre Hand unter seine Uniformjacke.
Zwei Tage nach der Befreiung hatte ihr Vater sie früh am Morgen geweckt.
Vor der Arbeit pflegte er immer kurz bei ihr hereinzuschauen. »Guten Morgen, die Sonne scheint für dich«, sagte er manchmal. Es waren immer ein paar Worte über das Wetter, und wenn sie nicht antwortete, kitzelte er sie an den Füßen.
Doch dieses Mal stand er nur ernst in der Tür. »Du musst runterkommen, Tekla, sofort.«
Sie warf sich einen Morgenmantel über die Schultern und folgte ihm. Unten in der Halle nahm er ihren Arm, führte sie nach draußen und zeigte auf die Hauswand. Direkt neben der Tür stand mit dicken Buchstaben Tyskertøs . Er schob sie vor sich her ins Wohnzimmer, in dem die Mutter auf und ab ging, die Kissen auf dem Sofa zurechtrückte und ein paar trockene Blätter von einer Pflanze zupfte. Teklas fünf Jahre älterer Bruder Henrik saß auf einem Sessel am Fenster. Ihm war anzusehen, wie wütend er war.
»Ist das wahr?«, fragte er scharf. Tekla hatte ihn selten derart außer sich erlebt. »Antworte!«, schimpfte er, als sie nichts sagte.
»Ich … ich habe Otto nur ganz selten getroffen. Das ist der, der mir mit dem Pferd geholfen hat«, sagte sie.
Es stimmte nicht, im letzten halben Jahr hatten sie sich mehrmals die Woche gesehen, aber nie gemeinsam mit anderen. Sie war sich sicher gewesen, von niemandem gesehen worden zu sein.
»Und das soll ich dir glauben?«, fragte Henrik. »Wie konntest du nur?« Seine Stimme wurde immer lauter. »Ich verstehe das nicht!«
Der Vater breitete die Arme aus und zeigte auf die Tageszeitung, die auf dem Tisch lag. Einen Moment fürchtete sie, es könne darin etwas über sie geschrieben stehen. Sie trat an den Tisch und las die Überschrift. »Die meisten Deutschenmädchen sind geistig beschränkt «, stand dort.
»Du bist doch ein anständiges, intelligentes Mädchen, Tekla«, sagte der Vater. »Verstehst du, was du getan hast?«
»Aber … wie können die … wissen …«, stotterte sie.
»Jemand muss euch zusammen gesehen haben. Wie konntest du nur so gedankenlos sein, so … unmoralisch und dumm? Wir haben dich doch anständig erzogen, oder etwa nicht?«
»Was werden die Leute jetzt nur über uns sagen?«, jammerte ihre Mutter und presste sich ein Taschentuch vor den Mund.
Tekla sah sie schweigend an. Ihr war kalt bis ins Mark. Ihre Mutter interessierte wieder einmal nur, was die anderen dachten. Und ihr Bruder würde sie niemals verstehen. Das Schlimmste aber war, dass sie auch ihren Vater hintergangen hatte, schließlich hatte sie ihm versprochen, sich von Otto fernzuhalten, nachdem dieser ihr geholfen hatte, das nervöse neue Pferd zu zähmen.
»Otto mag Hitler auch nicht, er …«
»Er mag Hitler nicht ?«, fiel Henrik ihr ins Wort. »Du bist wirklich naiver, als ich gedacht habe. Du hast Schande über dich gebracht, über die ganze Familie!«
Ihr Vater lief aufgeregt hin und her. Schließlich trat er vor sie.
»Dein eigener Bruder wäre im Kampf für ein freies Norwegen beinahe umgekommen«, sagte er und zeigte auf Henrik. »Er hat sein Leben riskiert. Wir sind anständige Leute, aber du, du hast …«
»Otto hat niemanden getötet«, unterbrach sie ihn.
Henrik schnaubte verächtlich. »Das kannst du nicht wissen.«
»Aber er ist nicht so.«
»Wie, so ? Er ist Soldat, er ist einer unserer Feinde! Einer von denen, die gute Norweger gefoltert und getötet haben.«
Tekla antwortete nicht. Was sollte sie auch sagen?
»Du musst doch verstehen, dass du dich nicht einfach in irgendwen verlieben kannst«, sagte ihre Mutter schluchzend.
»Otto ist ein anständiger Mann«, sagte Tekla kleinlaut. »Er ist wirklich nett.«
»Nett?«, sagte die Mutter. »Es gibt keine netten Deutschen!«
»Du hast dich wichtiger genommen als alles andere, hast dein Vaterland mit Füßen getreten«, sagte ihr Vater. »Du wirst diesen Deutschen nie wiedersehen, nicht solange ich lebe!«
Tekla begegnete Henriks Blick. Die Verachtung in seinen Augen stach wie Nadeln, als er an ihr vorbei aus dem Zimmer stürmte und die Tür zuwarf.
Ihre Mutter fasste sich an die Stirn, schloss die Augen und verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse.
»Ich ertrage das nicht mehr«, sagte sie. »Jetzt, da der Krieg endlich vorbei ist und wir uns freuen sollten, bringst du uns neue Sorgen. Ich gehe ins Bett, ich habe Kopfschmerzen.«
Ihr Vater verbot Tekla, nach draußen zu gehen. Er meinte, es könne gefährlich für sie sein. »Man kann nicht wissen, was da draußen passiert, die Menschen sind wütend auf alle, die etwas mit den Deutschen zu tun hatten.«
Am späten Nachmittag ging sie trotzdem zum Stall. Sie war niedergeschlagen, ruhelos und voller Angst. Vielleicht sollte sie kurz ausreiten, um auf andere Gedanken zu kommen. Außerdem würde ihr im Wald bestimmt niemand begegnen.
Sie ritt in hohem Tempo und ließ das Pferd erst wieder im Schritt gehen, als sie sich dem Hof näherte.
Am Waldrand hinter dem Stall saßen ein paar Jungs und rauchten. Sie blickte stur geradeaus, richtete sich kerzengerade im Sattel auf und sah sie nicht an. Sie sollten nicht merken, dass sie Angst hatte. Doch als sie auf ihrer Höhe war, stürmten die Jungs plötzlich auf sie zu, und noch ehe ihr klar war, was geschah, hatte einer von ihnen die Zügel gepackt. Der andere zog sie vom Pferderücken.
»So, so, du wagst dich also unter anständige Menschen?«, fragte einer von ihnen frech.
Tekla versuchte sich loszureißen, aber sie umringten sie nur hämisch lachend.
»Lasst mich durch«, sagte sie und versuchte einen der Kerle wegzuschieben.
»Verdammt, die Tyskertøs hat mich angefasst!« Der größte der Jungen schlug ihr gegen die Brust, so dass sie ein paar Schritte nach hinten zurückweichen musste, um nicht zu fallen.
Ein anderer packte sie und begann zu rufen: »Schnipp, schnapp, Haare ab!«
Die anderen stimmten mit ein und skandierten: »Schnipp, schnapp, Haare ab!«
Einer von ihnen hatte plötzlich eine Schere in der Hand. Tekla presste sich die Hände auf den Kopf und versuchte, sich zu schützen, aber die Jungen drückten sie zu Boden und packten ihre Arme und Beine. Der Junge mit der Schere zog ihr an den Haaren. Sie schrie, steckte aber wie in einem Schraubstock fest und konnte sich nicht rühren. Es nützte nichts, Widerstand zu leisten. Sie schluchzte, als sie das Schneiden hörte und spürte, wie dicht die Schere an ihrer Kopfhaut entlangfuhr.
Die Jungen schrien im Takt. »Schnipp, schnapp, Haare ab, schnipp, schnapp, Haare ab!«
Ihre Locken fielen auf den Boden, auf ihre Schultern und klebten an ihrer Jacke.
Als die Jungen sie losließen, blieb sie, das Gesicht in den Händen verborgen, liegen.
»Kommt«, hörte sie einen von ihnen sagen. »Jetzt kann jeder sehen, was das für eine ist, egal wo sie hingeht.« Der Junge beugte sich über sie: »Wir werden nie vergessen, was du getan hast, du Deutschenhure.«
Dann spuckte er sie an.
Tekla lag still da und hörte, wie die Schritte sich entfernten. Dann strich sie sich mit den Fingern über die kurzen Stoppeln, wischte die Haare beim Aufstehen weg, stand auf und führte das Pferd langsam zum Stall.
Ihre Mutter versuchte das Beste aus den verbliebenen Stoppeln zu machen, aber ohne großen Erfolg. Anschließend band Tekla sich ein Kopftuch um.
»Wärst du mal zu Hause geblieben, ich habe es dir ja gesagt«, meinte ihr Vater.
»Ich bin doch nur kurz durch den Wald geritten.«
»Du solltest zu Tante Amalie nach Oslo reisen«, sagte er und wandte sich ab. »Da kennen dich nicht so viele Leute.« Seine Stimme war belegt, und er hustete in seine Hand.
Spät am Abend, nachdem Tekla ins Bett gegangen war, hörte sie Steinchen an ihrem Fenster. Sie zog sich rasch an, schlich nach unten und ging durch die Küche nach draußen. Sie hatte sich gefragt, ob sie Otto jemals wiedersehen würde oder ob er vielleicht schon fort war, denn in den letzten Tagen war nicht ein Deutscher zu sehen gewesen. Sah sie ihn heute zum letzten Mal?
Sie gingen in den Stall und setzten sich auf seinen Mantel, den er auf dem Boden ausgebreitet hatte. Otto drückte sie voller Entsetzen an sich, als er ihre Haare sah.
»Wann fährst du?«, fragte sie.
»Übermorgen.«
Tekla begann zu weinen.
»Ich komme zurück«, tröstete er sie. »Das verspreche ich dir.«
»Wie willst du denn hierher zurückkehren? Wir werden uns nie wiedersehen, Deutsche und Norweger sind noch immer Feinde, auch wenn der Krieg vorüber ist.«
»Aber wir sind keine Feinde, Tekla. Nicht du und ich«, flüsterte er in ihre Haare. »Und wenn der Krieg nicht gewesen wäre, hätte ich dich niemals getroffen. Ich liebe dich. Es werden andere Zeiten kommen, das Leben wird wieder normal werden. Dann komme ich zurück und hole dich.« Er legte seine Wange an ihre. »Oder …« Er zögerte etwas, bevor er weiterredete: »Oder du kommst mit mir, wenn ich gehe.«
Mit ihm mitkommen? Nach Deutschland? Und alles hier verlassen? Nein, das konnte sie nicht.
Oder … vielleicht doch?
Sie drehte sich zu ihm, drückte ihre Lippen fest auf seine und hörte, wie kurzatmig er wurde. Er roch nach Leder und Wolle, und sein Mund schmeckte nach Pfefferminzkaugummi. Sie zitterte, als er sie aufs Schlüsselbein küsste, ihr die Bluse aufknöpfte und ihr über den Bauch strich. Ein Keuchen kam über ihre Lippen, aber er ließ sie warten. Beide stöhnten leise auf, als er in sie eindrang und sie wie von einer Welle emporgehoben wurde, die höher und höher wurde, während er ihren Namen so zärtlich flüsterte, wie nur er es konnte.
Tekla wischte mit der Hand über die beschlagene Scheibe, um einen Blick auf die weißen Holzhäuser von Mandal zu erhaschen. Gleich darauf waren sie in Kleven, dem Lager außerhalb der Stadt. Alle reckten die Hälse, als der Bus anhielt. An der Schranke stand ein Soldat vor einem Wachhäuschen, das wie ein hochkant gestellter Sarg wirkte. Tekla und Otto saßen weit vorn im Bus, so dass sie durch die Frontscheibe direkt ins Lager blicken konnten. Im heftiger gewordenen Regen war aber nur wenig zu erkennen. Ein großes Gebäude wurde von hellen Scheinwerfern angestrahlt, und entlang eines Stacheldrahtzauns waren mehrere Wachtürme zu sehen, auf denen bewaffnete Soldaten standen.
Das ist kein Lager, das ist ein Gefängnis, dachte sie. Wir werden eingesperrt.
Auch die Gesichter der anderen Frauen verzogen sich, als ihnen klarwurde, an was für einem Ort sie gelandet waren. Für einen Moment dachte Tekla, dass es noch nicht zu spät war. Sie könnte Otto sagen, dass sie es nicht übers Herz brachte fortzugehen, sie könnte aus dem Bus springen und fortlaufen.
Da sagte er: »Endlich angekommen«, und drückte ihre Hand.
Sie rang sich ein flüchtiges Lächeln ab.
Ein Soldat kam in den Bus, ging prüfend durch die Reihen, dann hob sich die Schranke, und der Wagen fuhr weiter. Einer der norwegischen Soldaten hatte ihnen erklärt, dass Kleven während des Krieges ein deutsches Lager und ein Flugplatz gewesen war. Jetzt hatten englische Truppen und verschiedene norwegische Einheiten die Anlage übernommen.
Ein roter Pfeil zeigte in Richtung des großen, hell erleuchteten Gebäudes. Es schien ein Hangar zu sein. An der Außenwand waren Verschläge aus Hühnerdraht, an denen Schilder hingen. Tekla reckte den Hals, als der Bus in Richtung Flugplatz daran vorbeifuhr. Bergen-Belsen, Dachau, Auschwitz, las sie, ohne zu begreifen.
Tekla und Otto bekamen eine Kammer in einer langgestreckten Baracke zugewiesen. Das Zimmer war möbliert mit zwei Betten, ein paar Stühlen, einem kleinen Tisch am Fenster und einem Kleiderschrank. Die Wände waren ungestrichen und der Boden dreckig. Es gab weder Teppiche noch Gardinen. Auch die Matratzen hatten große Flecken und stanken.
Sie trat ans Fenster, und Otto kam zu ihr.
»Es müssen an die tausend Soldaten hier sein«, sagte er und legte von hinten die Arme um sie. »Es kann eine Weile dauern, bis wir mit einem Schiff von hier wegkommen.«
Tekla schloss die Augen und ließ sich kurz von ihm halten. Dann holte sie Luft, befreite sich aus seinen Armen und begann die wenigen Dinge auszupacken, die sie mitgenommen hatte. Sie musste etwas tun. Sie legte die Kleider in den Schrank und hängte den weißen, gehäkelten Schal über einen Stuhlrücken. Den Skizzenblock und das Kästchen mit den Bleistiften platzierte sie auf dem Tisch. Sobald sich alles geregelt hatte, wollte sie zu zeichnen beginnen, endlich wieder etwas Normales tun. Otto ging nach draußen, und sie öffnete das Fenster, um durchzulüften und den Geruch der Menschen, die vor ihr hier gewesen waren, zu vertreiben. Morgen wollte sie die ganze Kammer durchwischen.
Mit einem Mal fühlte sie sich beobachtet. In der Türöffnung stand eine kleine, rundliche Frau mit einer dicken Brille. Sie stellte sich als Sonja vor, lächelte Tekla fröhlich an und wirkte, als hätte sie nicht die geringsten Sorgen. Dann erzählte sie, dass sie mit ihrem Mann Stephan im Nebenzimmer wohne.
»Etwas entfernt gibt es eine leerstehende Baracke, in der noch Gardinen hängen. Wenn du magst, zeige ich es dir.«
»Können wir uns denn einfach bedienen?«, fragte Tekla unsicher.
»Klar können wir das, wir müssen nur dafür sorgen, dass uns niemand sieht«, erwiderte Sonja lächelnd. »Ich hab das schon gemacht. Wir sind vorgestern gekommen.«
In der unbewohnten Baracke nahmen sie die Gardinen ab und stopften sie unter ihre Kleider, bevor sie zurückgingen. Obwohl das Orange des Stoffes verblasst war, würden die Vorhänge den Raum wohnlicher machen und die Morgensonne abhalten, die sonst direkt in ihre Kammer schien.
Als Tekla die Gardinen aufhängte, kam Otto mit einem Strauß Wiesenblumen und einer alten Blechdose, die er gefunden hatte.
Tekla wusch die Dose aus, füllte sie mit Wasser und stellte sie mit den Margeriten und Glockenblumen auf den Tisch am Fenster.
»Hast du jemals so schöne Blumen in einer so hässlichen Vase gesehen?«, fragte Otto lachend.
Tekla musste an die Kristallvase zu Hause in der Stube denken, die immer mitten auf dem Esstisch stand. In der Weihnachtszeit mit Christdorn aus dem Garten und im Frühjahr mit Flieder, der die Zimmer mit seinem Duft erfüllte. Am 8. Mai morgens beim Frühstück hatte Vater erzählt, dass die Deutschen kapituliert hätten. Mutter hatte daraufhin zwei kleine norwegische Fahnen hervorgeholt und zusammen mit frischen Birkenzweigen in die Vase gesteckt.
Tekla seufzte. Diese Gedanken halfen ihr nicht weiter, sie machten alles nur noch schlimmer.
»Ja, ein wahres Herrenhaus«, antwortete sie und versuchte ein Lächeln.
»Rufst du mal das Hausmädchen?« Otto setzte sich und klopfte ungeduldig auf den Tisch. »Sie soll endlich die Lammkeule, die überbackenen Kartoffeln und die glasierten Karotten bringen.«
Er nahm Teklas Arm, zog sie auf seinen Schoß und erstickte ihr Lachen mit einem Kuss.